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Maßgebliche Kündigungsfrist im Konkurs /in der Insolvenz

Bundesarbeitsgericht

Az.: 4 AZR 191/98

Urteil vom 16. Juni 1999


Kurz:

1. Eine längere tarifvertragliche Kündigungsfrist für Arbeitsverhältnisse wird bei einer Kündigung durch den Konkurs-/Insolvenzverwalter durch die in § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO vorgesehene Höchstfrist von drei Monaten zum Monatsende verdrängt.

2. Diese Regelung verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG.


 

Tatbestand:

Die Parteien streiten noch darüber, ob der Beklagte als Konkursverwalter über das Vermögen der K. GmbH & Co. KG berechtigt war, auf der Grundlage von § 113 InsO das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende (hier: zum 31. August 1997) zu kündigen, obwohl der einschlägige Tarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie für Arbeitnehmer nach Vollendung des 45. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres (hier: zum 30. September 1997) vorsieht.

Die am 1. März 1944 geborene verheiratete Klägerin trat am 20. Januar 1974 als Näherin in die Dienste der Gemeinschuldnerin. Mit Schreiben vom 27. März 1997 kündigte die spätere Gemeinschuldnerin das Arbeitsverhältnis aus dringenden betrieblichen Gründen zum 31. Oktober 1997. Gegen diese Kündigung hat die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Mönchengladbach – 1 Ca 927/97 – Kündigungsschutzklage erhoben. Am 1. Mai 1997 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der K. GmbH & Co. KG eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt. Unter dem 9. Mai 1997 kündigte der Beklagte unter Berufung auf die Frist des § 113 Abs. 1 InsO das Beschäftigungsverhältnis mit der Klägerin zum 31. August 1997. Kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit galten zwischen den Arbeitsvertragsparteien die Regelungen des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie (MTV) vom 17. Mai 1979 in der Fassung vom 29. September 1994. Mit Wirkung vom 1. Mai 1997 trat die Gemeinschuldnerin aus dem zuständigen Arbeitgeberverband aus.

§ 22 des MTV bestimmt u.a.:

„2. Kündigt der Arbeitgeber, so beträgt die Kündigungsfrist:

a) nach Vollendung des 30. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren einen Monat zum Monatsende,

b) nach Vollendung des 35. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren zwei Monate zum Monatsende,

c) nach Vollendung des 45. Lebensjahres und einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren drei Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres.“

 

Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 21. Mai 1997 eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, der Beklagte habe bei Ausspruch der Kündigung die im MTV vorgesehene Kündigungsfrist unter Berücksichtigung ihres Lebens- und Dienstalters berücksichtigen müssen, so daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 9. Mai 1997 nicht bereits zum 31. August 1997, sondern erst zum 30. September 1997 aufgelöst worden sei. § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO verstoße gegen Art. 9 Abs. 3 GG, wenn es die längeren tariflichen Kündigungsfristen außer Kraft setze.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 9. Mai 1997 nicht zum 31. August 1997, sondern erst zum 30. September 1997 aufgelöst wurde.

 

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

 

Aus den Gründen:

II. Die Klage ist unbegründet.

Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis gem. § 113 Abs. 1 InsO wirksam zum 31. August 1997 gekündigt. Die tarifvertragliche Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende brauchte er nicht einzuhalten.

1. § 113 Abs. 1 InsO mit seiner Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsschluß geht Tarifverträgen mit längeren Kündigungsfristen vor. § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO hat die tarifvertraglichen längeren Kündigungsfristen durch die Dreimonatsfrist ersetzt. Dies ergibt die Auslegung des § 113 Abs. 1 InsO.

a) Die Auslegung von Gesetzen hat zunächst vom Wortlaut auszugehen und sich sodann an dem systematischen Zusammenhang, der Gesetzesgeschichte und dem Normzweck auszurichten, soweit er im Gesetz erkennbaren Ausdruck gefunden hat.

b) Nach dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO beträgt die Kündigungsfrist drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Dies gilt auch dann, wenn Tarifverträge eine längere als dreimonatige Kündigungsfrist zum Monatsschluß vorsehen, auch wenn hier keine ausdrückliche Aussage des Inhalts getroffen ist, daß Tarifverträge insoweit verdrängt werden und die Tarifvertragsparteien künftig für den Insolvenzfall längere Kündigungsfristen nicht wirksam vereinbaren können. § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO bezieht sich nicht nur auf den Fall der Kündigung ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder die vereinbarte Unkündbarkeit nach § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO, sondern gilt für jede fristgerechte Kündigung durch den Konkurs- oder Insolvenzverwalter. § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO sieht ganz allgemein diese Frist vor und ist eigenständig formuliert und nicht etwa durch einen Strichpunkt (ein Semikolon) mit § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO verbunden. § 113 Abs. 1 InsO enthält das materielle Recht, § 113 Abs. 2 InsO regelt die gerichtliche Geltendmachung.

aa) Im Unterschied zur Regelung des § 22 KO, nach der die gesetzlichen Kündigungsfristen einzuhalten sind, und zur Rechtsprechung, wonach die tarifvertraglichen Kündigungsfristen einzuhalten sind, steht der Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO dafür, daß die höchstens einzuhaltende Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende lex specialis im Konkurs- und Insolvenzfall ist. Diese besondere Höchstfrist verdrängt auch längere tarifvertragliche Kündigungsfristen. § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt eine Höchstlänge der einzuhaltenden Frist ohne Ausnahme. Das hat zur Folge, daß für eine Auslegung wie bei § 22 KO, wonach längere tarifvertragliche Kündigungsfristen unberührt bleiben, kein Raum mehr ist.

bb) Das bestätigt die Entstehungsgeschichte des § 113 Abs. 1 InsO. Im ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht aus dem Jahre 1985 war im Leitsatz 2.4.2.1 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz bereits festgehalten worden, daß tarifvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen unbeachtlich sind, wenn sie nicht kürzer als die gesetzlichen Fristen sind. Damit wurden die tarifvertraglichen den einzelvertraglichen Fristen gleichgestellt. Denn die einzelvertraglichen Fristen kamen nach Leitsatz 2.4.2.1. Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz nur zum Zuge, wenn sie kürzer als die gesetzlichen Fristen sind. Dieser Leitsatz wurde bewußt in Abkehr zu der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebildet…

c) Auch der Gesetzeszweck zeigt, daß längere tarifvertragliche Kündigungsfristen nicht zu beachten sind. Der Zweck der Regelung besteht darin, im Interesse der Insolvenzmasse eine allzulange Bindung an nicht mehr sinnvolle Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Die Insolvenzmasse soll binnen einer angemessenen Frist von Masseansprüchen solcher Arbeitnehmer befreit werden, die nicht mehr beschäftigt werden können.

d) Etwas anderes gilt auch nicht für die Übergangszeit vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998. Es ist zwar richtig, daß bei der vorzeitigen Inkraftsetzung der arbeitsrechtlichen Vorschriften der InsO in den alten Bundesländern durch Art. 6 des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes – ArbRBeschFG – vom 25. September 1996 (BGBl I S. 1476, 1478) der Gesetzgeber die Frage der längeren tarifvertraglichen Kündigungsfristen nicht angesprochen hat. Die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/4612 u. 5107) enthalten insoweit keinen Hinweis. Die Ausführungen Planders im Zusammenhang mit der in Art. 3 getroffenen Regelung über die Absenkung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall –   dort ist in den Gesetzesmaterialien angesprochen, ob sich die neue gesetzliche Regelung auch gegen abweichendes Tarifrecht durchsetzen soll – führen für die Frage, ob die verlängerten tarifvertraglichen Kündigungsfristen wenigstens für die Übergangszeit unberührt bleiben, nicht weiter. Denn Art. 6 ArbRBeschFG hat § 113 InsO nicht völlig unverändert vorzeitig in Kraft gesetzt, sondern mit der Maßgabe, daß das Wort „Insolvenzverwalter“ durch das Wort „Konkursverwalter“ und das Wort „Insolvenzgläubiger“ durch das Wort „Konkursgläubiger“ ersetzt werden. Wenn der Gesetzgeber schon diese rein sprachliche Anpassung für regelungsbedürftig hielt, erscheint es als kaum vorstellbar, daß er die verlängerten tarifvertraglichen Kündigungsfristen entgegen seinen Vorstellungen in den Materialien zur InsO für die Übergangszeit weiter angewandt wissen wollte, eine entsprechende – die Materialien zur InsO klarstellende – ausdrückliche Regelung aber als überflüssig ansah.

2. § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO ist nicht verfassungswidrig, soweit diese Bestimmung tarifvertragliche Kündigungsfristen verdrängt, die länger als drei Monate zum Monatsschluß sind. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

Es liegt kein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie vor (a). Auch ein Fall der unzulässigen Rückwirkung ist nicht gegeben (b). Schließlich war auch die vorzeitige Inkraftsetzung der arbeitsrechtlichen Vorschriften der InsO nicht verfassungswidrig (c). Ein zur Nichtigkeit des § 113 Abs. 1 InsO führender Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht gegeben (d).

 

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