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Kostenübernahme für die Durchführung einer stationären Liposuktion durch die Krankenkasse

SG Wiesbaden, Az: S 1 KR 352/13, Urteil vom 23.11.2016

1. Der Bescheid vom 14.9.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine stationäre die Produktion in 3 Sitzungen zu bewilligen.

2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht die Kostenübernahme für die Durchführung einer stationären Liposuktion im Streit.

Kostenübernahme für die Durchführung einer stationären Liposuktion durch die Krankenkasse
Symbolfoto: Remains / Bigstock

Die im Jahre 1978 geborene Klägerin ist Altenpflegehelferin von Beruf. Mit Schreiben vom 15.7.2012 beantragte sie die Kostenübernahme für eine Liposuktion in drei Sitzungen. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung von Dr. C., Klinikum D…, vom 3.7.2012. In diesem gibt er als Diagnose ein im August 2011 festgestelltes Lipödem an. Die Klägerin habe zwischen Dezember 2011 und März 2012 zweimal pro Woche Lymphdrainage erhalten und 23 kg Körpergewicht verloren. Bei einer Körpergröße von 1,60 m habe sie derzeit ein Körpergewicht von 117 kg. Die Beklagte holte ein MDK-Gutachten ein. Darin wird angegeben, dass vorrangig ein Gewichtsverlust anzustreben sei. Eine Fettabsaugung sei nicht der erste Schritt.

Mit Bescheid vom 14.9.2012 lehnte die Beklagte die Bewilligung einer Liposuktion ab. Zur Begründung führte sie aus, dass bei der Klägerin eine Adipositas bestehe und zunächst ein Gewichtsverlust im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts anzustreben sei.

Dem widersprach die Klägerin mit der Begründung, dass sie unter ständigen Beinschmerzen leide. Sie legte ein Attest des Dr. C., Klinikum D…, vor, in dem dieser bescheinigte, dass eine physikalische Entstauungstherapie im Gegensatz zur Liposuktion nicht nachhaltig sei.

Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme des MDK ein. Dieser führte unter dem 5.12.2012 aus, dass die Adipositas die primäre Ursache für die Schmerzen der Klägerin sei. Somit sei primär eine Gewichtsreduktion anzustreben, ggf. im Rahmen eines Optifast- Programms in einer Klinik.

Mit Bescheid vom 11.9.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und berief sich zur Begründung auf die Ausführungen des MDK sowie Rechtsprechung des LSG-Baden-Württemberg.

Hiergegen richtet sich die am 9.10.2013 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage. Zur Begründung führt die Klägerin aus, dass es durchaus Rechtsprechung von Sozial- und Landessozialgerichten gebe, wonach eine stationäre Liposuktion als Kassenleistung zu gewähren sei. Im Übrigen werde ihr Vorbringen durch die gerichtliche Beweiserhebung bestätigt. Das Argument der Beklagten, dass sie zunächst Gewicht verlieren solle, sei nicht stichhaltig, weil das Übergewicht gerade aus dem vermehrten Unterhautfettgewebe in den Beinen resultiere und sie sich wegen der Schmerzen in den Beinen nicht so intensiv bewegen könne, wie es vor der Erkrankung möglich war und insbesondere im Kampf gegen das Übergewicht notwendig sei.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 14.9.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine stationäre Liposuktion in 3 Sitzungen als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass es sich bei der Liposuktion noch nicht um eine evidenzbasierte Therapieoption handele. Vielmehr seien weitere randomisierte Studien erforderlich, um die Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode zu dokumentieren. Die Klägerin weise einen Body-Mass-Index von 44kg/m2 auf, was als erhebliches Übergewicht einzuschätzen sei. Selbst nach den S1- Richtlinien Lipödem sei insoweit zunächst der Gewichtsverlust in den Vordergrund zu stellen. Danach sei ein BMI von über 30kg/m2 für eine Liposuktion ein Ausschlusskriterium. Dessen ungeachtet könne der Eingriff ambulant, gegebenenfalls in mehreren Sitzungen, durchgeführt werden und bedürfe keiner stationären Aufnahme. Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V nicht vor, da kein Konsens über die Zweckmäßigkeit dieser Therapie bestehe.

Das Gericht hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten eingeholt (Dr. D., Dr. E., Dr. F.). Darüber hinaus hat das Gericht Beweis erhoben und ein medizinisches Sachverständigengutachten bei Dr. G., Uniklinik Frankfurt, eingeholt, das dieser am 18.11.2015 erstattet hat. Dieser führt aus, dass bei der Klägerin ein Lipödem im Stadium II bestehe. Darüber hinaus lägen degenerative Erkrankungen der Wirbelsäule, Hüft- und Kniegelenke vor. Vor dem Hintergrund eines fortgeschrittenen Stadiums des Lipödems sei eine ambulante Behandlung nicht indiziert. Vielmehr müsse die Klägerin insoweit stationär behandelt werden. Für das Lipödem gebe es derzeit keine wirksame Behandlungsalternative. Insoweit sei von einem Systemmangel auszugehen. Konservative Behandlungsmöglichkeiten seien nicht vorhanden. Soweit eine komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) als ambulante Behandlungsmethode propagiert werde, sei diese beim Vorliegen eines Lipödems, das sich durch eine Ansammlung von Fettzellen auszeichne, als überholt anzusehen. Eine solche Behandlungsmethode wirke vielmehr nur beim Lymphödem, der Ansammlung von Wasser im Gewebe. In einer ergänzenden Stellungnahme führt der Gutachter aus, dass der nach wie vor erhöhte Body-Mass-Index der Klägerin kein Argument gegen eine Liposuktion sei, da die Klägerin bereits erheblich ihr Gewicht reduziert habe und das Übergewicht auf die Fettzellenvermehrung in den Beinen zurückzuführen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakten und die Beklagtenakte Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Durchführung einer stationären Liposuktion gegenüber der Beklagten.

Rechtsgrundlage ist § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit § 39 SGB V. Danach haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die ärztliche Behandlung (§ 28 SGB V) und die Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V). Nach § 39 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Behandlung erforderlich ist und nicht durch teilstationäre, vor-/ und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

Aufgrund der durchgeführten Beweiserhebung steht für das Gericht fest, dass bei der Klägerin eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt, die durch die von ihr gewünschte Liposuktion zu behandeln ist.

Bei der Klägerin besteht eine behandlungsbedürftige Erkrankung im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Klägerin leidet an einem schmerzhaften und ausgeprägten Lipödem beider Unter- und Oberschenkel. Dies haben sowohl die behandelnden Ärzte als auch der Gerichtsgutachter ausdrücklich bestätigt. Im Gegensatz zum Lymphödem, bei dem sich Wasser einlagert, handelt es sich beim Lipödem um eine Ansammlung von Fettgewebe, das zu Schmerzen mit Bewegungseinschränkungen führt. Wie insbesondere der Gerichtsgutachter Dr. G. ausführt, liegt bei der Klägerin ein Lipödem im Stadium II vor. Diese Erkrankung hat Dr. G. nach Durchführung einer Weichteilsonografie, die eine massive Anlagerung von Fettgewebe ergeben hat, nachgewiesen. Der Gutachter stellt im Bereich beider Ober- und Unterschenkel die für ein Lipödem charakteristische milchglasartige Vermehrung des subkutanen Gewebes fest. Bei der Palpation zeigte das subkutane Fettgewebe eine mittelknotige Textur. Sowohl das Betasten der Ober- als auch der Unterschenkel wird als sehr schmerzhaft beschrieben. Der BMI betrage aktuell 44, was jedoch bei der deutlichen Dysproportion hinsichtlich Körperfettverteilung zwischen Stamm und Beinen eindeutig und überwiegend der krankheitsbedingten Vermehrung des Unterhautfettgewebes an den Beinen anzulasten sei. Der Sachverständige hat die Befunde umfassend erhoben und sorgfältig dokumentiert. Das Gericht hat daher keine Bedenken, seinen Ausführungen in vollem Umfang zu folgen.

Die in Rede stehende Behandlung ist auch nicht durch § 137 c SGB V bzw. das Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 12 Abs. 1 SGB V i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausgeschlossen. Im ambulanten Bereich würde es sich, da die Liposuktion nicht über den „Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen“ (EBM) abrechenbar ist, um eine „neue“ Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne von § 135 SGB V handeln, die mangels positiver Entscheidung des G-BA nicht als Kassenleistung erbracht werden könnte. Ausschließlich in diesem Kontext besteht eine Ausnahme vom sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in Fällen des sog. Systemversagens. Danach besteht ohne positive Empfehlung des G-BA ein Leistungsanspruch, wenn die fehlende Anerkennung der Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruht (Urteil BSG vom 16.09.1997- B 1 KR 28/95 R- juris). Dies ist dann der Fall, wenn die fehlende Anerkennung der Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem G-BA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt wurde. Davon kann angesichts des Umstandes, dass sich der G-BA seit dem 22.5.2014 mit der Thematik Liposuktion befasst, erkennbar nicht ausgegangen werden. Im Übrigen begehrt die Klägerin keine ambulante, sondern eine stationäre Behandlung.

Im stationären Bereich gilt indes grundsätzlich die Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt (§ 137 SGB V). Danach können Innovationen im stationären Bereich so lange zulässigerweise zum Einsatz kommen, bis dies durch ein negatives Votum des G-BA ausgeschlossen wird. Dies soll gewährleisten, dass der medizinische Fortschritt in den Krankenhäusern nicht unterlaufen wird (s. BT-Drucks. 14/1245, S. 90 zu § 137c ).

Dem hatte das Bundessozialgericht indes eine Einschränkung hinzugefügt, indem es geurteilt hat, dass auch im stationären Bereich § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V gelte, wonach Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen müssten (vgl. Urteil des BSG vom 21.03.2013 B 3 KR 2/12 R – juris).

Als Konsequenz auf dieses Urteil wurde durch Gesetz vom 16.7.2015 mit Wirkung ab 23.7.2015 die Regelung des § 137 c Abs. 3 SGB V eingefügt. Dieses sieht nunmehr vor, dass Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach Absatz 1 getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden dürfen, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs. 1 Satz 1 gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs. 1 durch den G-BA noch nicht abgeschlossen ist.

Voraussetzung für eine Anwendung der Behandlungsmethode zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist demnach zunächst, dass die Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet. Somit knüpft die Neuregelung die stationäre Anwendbarkeit von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden explizit an das Vorliegen eines Potentials. Diese Neuregelung wurde nach den Ausführungen im Regierungsentwurf erforderlich, weil die Gesetzesauslegung in der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BSG Urteil vom 21.3.2013 a.a.O.) mit dem in § 137 c zum Ausdruck gebrachten Regelungsgehalt in einem Wertungswiderspruch steht (BT-Drucks. 18/4095, 121).

Was konkreter unter dem Begriff „Potential“ zu verstehen ist, ist bisher nicht eindeutig definiert. Nach Auffassung der Kammer beinhaltet der Potentialbegriff nicht, dass ein vollumfänglicher Nutzennachweis der Behandlung erbracht werden muss. Die Forderung der Beklagten, dass randomisierte Studien vorliegen müssten, ist angesichts der gesetzlichen Regelung des § 137 c Abs. 3 SGB V nicht haltbar. Auf der anderen Seite dürfte eine Methode kein Potential haben, wenn sie erwiesenermaßen schädlich oder unwirksam ist (vgl. auch Deister, „Das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative“ in NZS 2016, 328 f.). Nach der Regierungsbegründung, die der G-BA inhaltsgleich in seine Verfahrensordnung übernommen hat, kann sich ein Potential etwa daraus ergeben, dass die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere aufwändigere, für den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patienten nicht erfolgreiche Methoden ersetzt werden können, die Methode weniger Nebenwirkungen hat, sie eine Optimierung der Behandlung bedeutet oder die Methode in sonstiger Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann (Deister, a.a.O.). Die Liposuktion wird seit ca. 10 Jahren durchgeführt. Wie Dr. G. beschreibt, ist das Lipoedem eine fast ausschließlich auf Frauen beschränkte Krankheit unbekannter Ursache, charakterisiert durch Berührungs- und Druckschmerzen. Es liegen mehrere kleine Studien vor, die eine positive Wirkung der Liposuktion gezeigt haben. Damit bestehen nach Überzeugung des Gerichtes ausreichende Anhaltspunkte für einen möglichen Nutzen der Methode (so auch SG Hamburg, Urteil vom 4.9.2015 in S 33 KR 822/13 – juris).

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Die Voraussetzungen für die Durchführung der Liposuktion sind auch individuell bei der Klägerin gegeben. Dem Argument der Beklagten, dass eine Behandlung mit konservativen Methoden weiter zu erfolgen habe, weil die Klägerin erst ihr massives Übergewicht ablegen müsse, ist entgegen zu halten, dass das Übergewicht auf dem Vorliegen des Lipoedems beruht. Dies hat Dr. G. so eindeutig festgestellt. Diese Feststellung wird zudem durch das Vorbringen der Klägerin im Termin bestätigt. Diese weist darauf hin, dass sie vor der Schwangerschaft und Geburt sportlich gewesen sei und kein Übergewicht gehabt habe. Erst nach der Schwangerschaft/Geburt seien die Beine angeschwollen und so schmerzhaft, dass sie gerade keinen Sport treiben könne, um Gewicht zu verlieren.

Darüber hinaus sind auch die weiteren Behandlungsmethoden nach Auffassung des Gerichtes erschöpft. Insoweit weist insbesondere der gerichtlicherseits bestellte Sachverständige Dr. G. darauf hin, dass die strukturellen Veränderungen sich unter anderem in abnorm geformten und heterogen vergrößerten Fettzellen darstellen, die in derbe und unregelmäßige Bindegewebssepten eingebettet sind, was die Elastizität des Unterhautgewebes erheblich herabsetzt. Insoweit führen diese Veränderungen nach Ausführungen des Gutachters zu einer zunehmenden Brüchigkeit und Durchlässigkeit der Blut- und Lymphgefäßwände, was wiederum zu ständigen Missempfindungen und Schmerzen auch in Ruhe führt. Die Krankheit ist typischerweise geprägt durch einen disproportionales Volumenplus der Beine im Vergleich zum Rumpf oder Stamm. Der Gutachter führt aus, dass bei der Klägerin die Untersuchung eine krankhafte Stärke des Unterhautfettgewebes ergeben habe. Die Haut stellte sich als grob deformiert und derb dar. Konservative Behandlungsmöglichkeiten zur spürbaren Verbesserung der Beschwerden sind nach dem aktuellen wissenschaftlich medizinischen Kenntnisstand nicht verfügbar. Bei einer Vollausprägung des Lipödems im fortgeschrittenen Stadium seien die Möglichkeiten einer Bewegungstherapie vor operativer Entfernung des krankhaften Gewebes äußerst eingeschränkt. Diese Erkrankung hat weder mit falscher Ernährung noch mit Bewegungsmangel zu tun. Die lange Jahre etablierte Meinung, die einzig sinnvolle medizinische Behandlung bestehe in der Kombination aus komplexer physikalischer Entstauungstherapie und Kompressionstherapie, gilt nach Auffassung des Gerichtssachverständigen seit Jahren als überholt. Eine Entstauungstherapie ist lediglich bei Wassereinlagerungen sinnvoll. Zwar ist die Liposuktion als Behandlungsmethode nicht anerkannt, gleichwohl hat der G-BA durch Beschluss vom 22.5.2014 entschieden, sich dieser Behandlungsmethode wissenschaftlich zu widmen.

Durch die Regelung des § 137 c Abs. 3 SGB V soll der Wirksamkeitsnachweis im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB V gerade nicht mehr erforderlich sein, sondern für innovative Methoden im Rahmen der Krankenhausbehandlung eine Absenkung des Evidenzniveaus erfolgen mit dem Ziel, den typischerweise schwerer erkrankten Versicherten in der stationären Versorgung mit besonderem Bedarf nach innovativen Behandlungsalternativen vielversprechender Heilungs- und Behandlungschancen weiterhin zeitnah auch außerhalb von Studien zu gewähren, auch wenn deren Nutzen noch nicht auf hohem Evidenzlevel belegt ist (vgl. BT-Drucks. 18/5123, Seite 135).

Insoweit ist das Gericht auch entgegen der Beklagten der Auffassung, dass sich diese „Innovationen“ nicht ausschließlich auf schwerstkranke Versicherte beschränken dürfen. Denn insoweit wurde durch Einfügung von § 2 Abs. 1 a SGB V ausdrücklich geregelt, dass Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Für diesen Personenkreis ist explizit die Forderung des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V ausgenommen, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Nach Überzeugung der Kammer würde es keinen Sinn machen, die Regelung des § 137 c Abs. 3 SGB V einzufügen, wenn der Gesetzgeber tatsächlich ausschließlich diesen Personenkreis hätte privilegieren wollen.

Dies bedeutet hingegen nicht, dass die in § 137 c Abs. 1 SGB V – im Gegensatz zu § 135 Abs. 1 SGB V – gewählte Regelungstechnik der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt nun ausgehebelt würde insofern, als dass auch im Rahmen einer Krankenhausbehandlung fragwürdige Leistungen zu Lasten der GKV erbracht werden könnten. Denn die Regelung des § 137 Abs. 3 SGB V sieht darüber hinaus vor, dass die Anwendung der Methode nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Die konkrete Behandlung muss also nach fachgerechter ärztlicher Indikationsstellung medizinisch notwendig gemäß § 39 SGB V sein (vgl. auch Ihle, jurisPk § 137 c SGB V, Randnr. 45).

Diese Voraussetzungen sind im konkreten Fall gegeben. Vorliegend ist das Gericht der Überzeugung, dass dem Gerichtsgutachter Dr. G. zu folgen ist, wonach bei der Klägerin die Liposuktion im Rahmen einer stationären Behandlung zu erfolgen hat. Dr. G. weist darauf hin, dass die Erkrankung „Lipödem“ noch nicht umfassend und erschöpfend aufgeklärt ist, weder hinsichtlich ihrer Entstehung noch hinsichtlich etwaiger Therapiemöglichkeiten. Die Klägerin hat etliche Behandlungen erfolglos durchgeführt. Insoweit besteht nach Überzeugung des Gerichts auch eine individuelle Indikation für die Liposuktion.

Darüber hinaus ist das Gericht nicht der Auffassung des LSG Chemnitz (Urteil L 1 KR 104/15), dass ein Auseinanderdriften zwischen ambulanter und stationärer Versorgung mit dem Gleichheitsgrundsatz von Artikel 3 Grundgesetz nicht vereinbar sei. Dafür bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Denn es entspricht der Realität, dass Ansprüche zwischen ambulanter und stationärer Versorgung auseinander fallen. So ist beispielsweise die Behandlung von Prostatakarzinomen mittels Brachytherapie mangels positiver Empfehlung des G-BA nicht im Rahmen ambulanter Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen zu erbringen. Allerdings hat der G-BA mit Beschluss vom 19.6.2008 die Entscheidung über die Zulassung für die ambulante Behandlung der Protonentherapie bei Prostatakarzinom bis zum 31.12.2018 ausgesetzt. Gleichwohl kann diese Behandlung auf Kosten der Beklagten in Krankenhäusern stationär erbracht werden. Obgleich auch hier kein allgemein anerkannter Stand der medizinischen Erkenntnisse auf Basis evidenzbasierter Medizin vorliegt, ist eine Leistungserbringung im Rahmen stationärer Behandlung möglich. Für das Gericht erschließt sich insoweit nicht, warum dies nicht auch im Fall der Liposuktion gelten soll.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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