AG Wesel, Az.: 5 C 25/16, Urteil vom 30.06.2016
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.713,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.09.2015 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus einem Versicherungsregress geltend.
Die Klägerin war Krafthaftpflichtversicherer des Beklagten.
Die Klägerin behauptet, am 08.11.2014 sei der Beklagte mit seinem bei ihr haftpflichtversicherten Fahrzeug in Köln zu dicht neben einem Fahrradfahrer gefahren, so dass der rechte Außenspiegel des Pkws des Beklagten mit dem Lenker des Fahrrades kollidiert sei und der Radfahrer die Kontrolle über sein Fahrrad verloren habe und zu Boden gestürzt sei, wobei er sich verletzt und Prellungen und Schürfwunden an den Knien und an den Armen davongetragen habe. Obwohl der Beklagte den Unfall wahrgenommen habe, sei er mit seinem PKW davongefahren, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Zum Ausgleich des durch den Unfall verursachten Fremdschadens zahlte die Klägerin unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 75 % einen Betrag von 1.713,93 EUR. Die Klägerin nimmt den Beklagten insoweit auf Regress in Anspruch.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bestreitet die Unfallschilderung der Klägerin und behauptet insbesondere, er habe nichts davon mitbekommen, dass es zu einer Kollision zwischen seinem PKW und dem Radfahrer gekommen sei und der Radfahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren habe und zu Boden gestürzt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Die Akten der Staatsanwaltschaft Köln 706 Ds 951 Js 2631/14 (54/15) waren beigezogen und Gegenstand der Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Klägerin hat für den Unfallschaden vom 08.11.2014 im Außenverhältnis aus den §§ 7, 18 StVG, 823 BGB, 115 VVG einzustehen. Gegenüber der Klägerin besteht im Innenverhältnis aufgrund einer Obliegenheitsverletzung indes eine Ausgleichspflicht des Beklagten aus § 426 BGB in Verbindung mit § 116 VVG, E.7.3 AKB. Die Klägerin ist gemäß § 28 VVG im Innenverhältnis zum Beklagten leistungsfrei geworden. Denn der Beklagte hat vorsätzlich gegen die Obliegenheit aus Abschnitt E.1.3 AKB verstoßen.
Nach E 1.3. AKB hat der Versicherungsnehmer alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann. Das Verlassen der Unfallstelle stellt dabei stets eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit dar, wenn dadurch der objektive und subjektive Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt wird. Denn hierbei handelt es sich um eine elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht. Dass er mit ihrer Verletzung den Leistungsanspruch gegen seinen Versicherer gefährden kann, drängt sich ihm schon deshalb auf, weil der Kraftfahrer weiß, dass sein Versicherer bei einem Schadensfall stets ein Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallhergang und der Unfallursachen hat, das er mit dem Verlassen des Unfallorts nachhaltig beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 01.12.1999, Az: IV ZR 71/99, zitiert nach Juris m.w.N., u. a. NJW-RR 2000, 553ff.).
Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen im Rahmen freier Überzeugungsbildung gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass der Beklagte den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt hat, indem er sich nach dem Unfall vom 08.11.2014 vorsätzlich vom Unfallort entfernte, bevor er zu Gunsten des Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt war, ermöglicht hatte.
Diese Überzeugung beruht auf den sich aus den beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Köln 706 Ds 951 Js 2631/14 (54/15) sich ergebenden Angaben des Unfallzeugen E. A. . Der Zeuge E. A. hat in seinem Äußerungsbogen vom 25.11.2014 gegenüber der Polizei angegeben, er habe ein Hupen gehört, was ihn veranlasst habe, in den Rückspiegel zu schauen. Über den Rückspiegel habe er beobachtet, wie sich das Fahrzeug des Beklagten mit dem Radfahrer berührt bzw. verhakt habe. Beim nächsten Schauen über den Rückspiegel habe er beobachtet, wie das Fahrzeug des Beklagten schon ein Stück weitergefahren gewesen sei und der Radfahrer gestrauchelt und dann zu Boden gefallen sei. An der Rotlicht zeigenden Ampel habe das Fahrzeug des Beklagten neben seinem Fahrzeug gestanden. Der Beklagte habe ihn angesehen und der Zeuge habe mit dem Daumen nach hinten auf das Geschehen gezeigt. Der Beklagte habe daraufhin weggeschaut und die ganze Zeit über seinen Rückspiegel das Geschehen im Hintergrund beobachtet bis die Ampel auf Grün geschaltet habe und der Beklagte weitergefahren sei. Der Zeuge habe sich daraufhin das Kennzeichen des Fahrzeugs des Beklagten gemerkt und es dann später der Polizei mitgeteilt.
Mit Blick auf diese Angaben hat das Gericht nicht den geringsten Zweifel daran, dass der Beklagte sich von der Unfallstelle entfernt hat, obwohl er erkannt hatte, dass der Radfahrer, mit dem er zuvor einen Kontakt gehabt hatte, gestürzt war. Dass er das Unfallgeschehen nicht mitbekommen haben will, ist mit Blick auf den von dem Zeugen Arena geschilderten Hinweis mit dem Daumen und den nachfolgenden Blick des Beklagten in den Rückspiegel unglaubhaft. Es passt ins Bild, dass der Zeuge A. seine Überzeugung, dass der Beklagte den Sturz mitbekommen haben müsse, auch im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Strafrichter am 07.05.2015 nochmals deutlich gemacht und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen hat, dass der Beklagte an der Ampel panisch abwechselnd in den Rückspiegel und auf die Ampel geschaut habe.
Es passt ins Bild, dass in der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige vom 08.11.2014 zu dem weiteren Unfallzeugen P. E. bereits festgehalten worden ist, dass der Zeuge angegeben habe, dass der Fahrer nach dem Zusammenstoß mehrmals in den Rückspiegel geguckt habe und dass der Zeuge sich zu 100 % sicher gewesen sei, dass der Beklagte den Zusammenstoß und den Sturz des Radfahrers bemerkt haben müsse.
Die Einlassung des Beklagten nach Maßgabe des polizeilichen Aktenvermerks vom 08.11.2014, er habe steh auf den Verkehr vor ihm konzentriert und seinen Weg fortgesetzt, obwohl er vernommen habe, wie der Radfahrer ein bis zweimal gegen die rechte Heckseite seines Fahrzeuges geschlagen habe, ist demgegenüber unglaubhaft, weil sie sich gerade nicht mit den Angaben der Zeugen A. und E., die als unbeteiligte Unfallzeugen keinen Grund haben, den Beklagten wahrheitswidrig zu belasten, verträgt. Darüber hinaus erscheint es auch nach allgemeiner Lebenserfahrung mehr als lebensfremd, dass ein Fahrzeugführer dem Schlagen eines anderen Verkehrsteilnehmers gegen sein Fahrzeug keine Bedeutung beigemessen und sich stattdessen nur auf den Verkehr vor ihm konzentriert haben will.
Nach alledem steht eine Obliegenheitsverletzung durch einen Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB und damit eine Regresspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin im Rahmen freier Überzeugungsbildung des Gerichts unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO aufgrund der beigezogenen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten der Staatsanwaltschaft Köln 706 Ds 951 Js 2631/14 (54/15) fest.
Bei der Obliegenheitsverletzung unter Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB handelte der Beklagte auch arglistig im Sinne von § 28 Abs. 3 S. 2 VVG. Wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen oder eine angemessene Zeit auf feststellungsbereite Personen zu warten, handelt in der Regel arglistig. Insofern handelt es sich um elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflichten. Dass der Kraftfahrer mit ihrer Verletzung den Leistungsanspruch gegen den Versicherer gefährden kann, muss sich dem Kraftfahrer schon deshalb aufdrängen, weil er weiß, dass der Versicherer bei einem Schadensfall stets ein Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallhergangs und der Unfallursachen hat, das er mit dem Verlassen des Unfallorts nachhaltig beeinträchtigt (LG Düsseldorf, Urteil vom 18.06.2010, 20 S 7/10; LG Bielefeld, Urteil vom 18.02.2015, 21 S 108/14, zitiert nach Juris; anderer Ansicht LG Duisburg, Urteil vom 15.03.2013, 7 S 104/12, zitiert nach Juris). Für die Annahme von Arglist genügt es, dass der Versicherungsnehmer weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Eine Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich. Bei der Fallgruppe der Unfallflucht müssen alle für den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer relevanten Aufklärungsinteressen beachtet werden. Dabei ist es in der Tat naheliegend, zu prüfen, ob dem Versicherungsnehmer daran gelegen ist, einen möglichen Regress des Versicherers gegen seine Person wegen einer Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls, wie etwa eine Trunkenheitsfahrt, zu vereiteln oder zumindest zu erschweren. Das Aufklärungsinteresse des Versicherers geht jedoch weit darüber hinaus und dient vor allem erst einmal der Feststellung seiner grundsätzlichen Eintrittspflicht sowie dem Umfang des gegebenenfalls von ihm zu ersetzenden Schadens. Daher ist in erster Linie zu prüfen, ob der Betroffene es in Kauf nimmt, diese elementaren Feststellungen, welche der Versicherer als Pflichtversicherer kraft der ihm obliegenden Funktion zur Erfüllung der berechtigten Ansprüche des Geschädigten zu treffen hat, zu beeinträchtigen. Verteidigt sich der Versicherungsnehmer – wie hier – im Kern mit dem Argument, er habe den Unfall nicht wahrgenommen und wird ihm dies widerlegt, spricht aber alles dafür, dass er sein Verhalten darauf angelegt hat, dass eine Feststellung der Eintrittspflicht seiner Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung für den Unfall nie erfolgen sollte und er insoweit arglistig gehandelt hat (vgl. Nugel, jurisPR-VerkR 10/2016 Anm. 2, zitiert nach Juris).
Der Regressanspruch der Klägerin als Haftpflichtversicherer entspricht der Höhe nach den von der Klägerin im Rahmen der Schadensabwicklung übernommenen Kosten von 1.713,93 EUR in vollem Umfang, da eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung unter Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegt.
Der zuerkannt Zinsanspruch beruht auf Zahlungsverzug des Beklagten und den §§ 280, 286, 288 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91, 709 ZPO.
Streitwert: 1.713,93 EUR