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Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit nach Masseunzulänglichkeit

BUNDESFINANZHOF

Az.: IX R 58/06

Urteil vom 29.08.2007


Leitsätze:

1. Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist auch dann Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn die Steuerpflicht noch andauert, obschon der Insolvenzverwalter keine Kenntnis von der Existenz des Fahrzeugs hat (Ergänzung zum BFH-Urteil vom 29. August 2007 IX R 4/07).

2. Auch wenn der Insolvenzverwalter die Unzulänglichkeit der Masse nach § 210 InsO anzeigt, ist das FA nicht daran gehindert, ihm gegenüber nach Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer durch Steuerbescheid festzusetzen.


Tatbestand:

I.

Auf die Firma F.R. GmbH (im Folgenden: GmbH) waren bis zur verkehrsrechtlichen Abmeldung (10. Juni 2004) zwei Anhänger mit den amtlichen Kennzeichen X und Y zugelassen. Über das Vermögen der GmbH wurde durch Beschluss des Amtsgerichts am 1. März 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger zeigte am 27. März 2003 dem Insolvenzgericht die Unzulänglichkeit der Insolvenzmasse an. Das Gericht machte diese Anzeige öffentlich bekannt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) setzte gegenüber dem Kläger ab Insolvenzeröffnung für beide Anhänger die Kraftfahrzeugsteuer vom 2. März 2003 bis zum 25. November 2003 auf 71 EUR und für die Zeit ab dem 26. November 2003 auf jährlich 96 EUR fest, und zwar für das Fahrzeug X mit Bescheid vom 19. Mai 2003 und für das Fahrzeug Y mit Bescheid vom 23. Juni 2004. Nach der Abmeldung der Fahrzeuge setzte das FA im Juli 2004 durch Änderungsbescheide die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 26. November 2003 bis zum 10. August 2004 auf jeweils 52 EUR fest.

Hiergegen wandte sich der Kläger. Er habe in seiner Person den Steuertatbestand nicht verwirklicht; er habe die Fahrzeuge nicht in Gebrauch genommen und von ihrer Existenz erst durch Schriftwechsel mit einer anderen Firma erfahren. Überdies dürfe das FA die Steuer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr festsetzen.

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seines in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1704, veröffentlichten Urteils aus, die Kraftfahrzeugsteuer entstehe unabhängig davon, ob das Fahrzeug bewusst zugelassen bleibe. Das FA sei auch berechtigt gewesen, die Steuer nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit und deren Veröffentlichung durch einen Bescheid gegenüber dem Kläger festzusetzen.

Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er schulde mangels Verwaltung der Anhänger keine Kraftfahrzeugsteuer. Diese Steuer sei ihm gegenüber nach Anzeige der Masseinsuffizienz auch nicht mehr festsetzbar. Die Regelungen in § 210, § 209 Abs. 1 Nr. 3 der Insolvenzordnung (InsO) sollten verhindern, dass überhaupt Titel geschaffen würden.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 19. Mai 2003, vom 5. Juli 2004 (X), vom 23. Juni 2004, vom 1. Juli 2004 (Y) sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend das FA als berechtigt angesehen, den Kläger für die ab Insolvenzeröffnung bis zur verkehrsrechtlichen Abmeldung der Anhänger entstandene Kraftfahrzeugsteuer (1.) durch Erlass der angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide in Anspruch zu nehmen (2.).

1.

Die Kraftfahrzeugsteuer entsteht für die Fahrzeuge, um die es hier geht, auch für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Steuerpflicht dauert nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) bei –wie hier– inländischen Fahrzeugen, solange sie zum Verkehr zugelassen sind; Steuerschuldner ist die Person, für die die Fahrzeuge zum Verkehr zugelassen sind (§ 7 Nr. 1 KraftStG).

Der Kläger muss als Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) die Steuer aus der Insolvenzmasse bezahlen. Dagegen sprechen entgegen der Revision nicht die fehlende tatsächliche Verfügungsbefugnis des Klägers und seine fehlende Kenntnis von der Existenz der Anhänger.

Nach der zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung des erkennenden Senats vom heutigen Tag in der Sache IX R 4/07, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, ist die nach der Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer auch dann Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn sich das Kraftfahrzeug nicht mehr im Besitz des Schuldners befindet, die Steuerpflicht aber noch andauert. Der Senat folgt damit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Dezember 1953 II 190/52 U (BFHE 58, 358, BStBl III 1954, 49), wonach dem Gesetz die rechtlich unwiderlegliche Vermutung zu entnehmen ist, dass das Fahrzeug von demjenigen, für den es zugelassen ist, bis zur Außerbetriebssetzung gehalten wird. Das unwiderlegbar rechtsvermutete Halten führt zu einer gesetzlich unterstellten Verwendungsmöglichkeit und Verfügungsgewalt „im Geschäft“ des Schuldners und damit im Rahmen der Insolvenzmasse. Da es mithin nicht auf die tatsächliche Verfügungsgewalt des Insolvenzverwalters ankommt, ist auch unerheblich, ob er Kenntnis von der Existenz der Fahrzeuge hat.

2.

Dem FG ist auch darin beizupflichten, dass die vom Kläger angezeigte Masseunzulänglichkeit die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer nicht hindert. Das FA muss die nach Insolvenzeröffnung entstehende Kraftfahrzeugsteuer gegenüber dem Insolvenzverwalter festsetzen (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 2004 VII R 62/03, BFHE 207, 371, BStBl II 2005, 309). Daran ändert sich nichts, soweit diese Masseverbindlichkeiten nach § 210 InsO nicht vollstreckt werden dürfen. Diese Vorschrift stellt ein Vollsteckungsverbot für Masseverbindlichkeiten i.S. des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO auf, sobald der Insolvenzverwalter –wie hier– die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat.

Unbeschadet des Umstands, dass die nach der Anzeige (also ab dem 27. März 2003) entstehende Kraftfahrzeugsteuer als sog. Neumasseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ohnehin nicht unter das Vollstreckungsverbot fällt (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juli 1996 VII R 88/94, BFHE 181, 202, BStBl II 1996, 511, unter II. 2.; zur Problematik eingehend –MünchKommInsO-Hefermehl–, § 210 Rz 19 ff.), bleibt davon auch für die Kraftfahrzeugsteuer als Altmasseverbindlichkeit (vom 1. bis zum 27. März 2003) die sich aus § 12 KraftStG, § 155 Abs. 1 AO ergebende Verpflichtung des FA unberührt, die Kraftfahrzeugsteuer durch einen Steuerbescheid festzusetzen. Dieser Steuerbescheid ist nach § 218 Abs. 1 AO die Grundlage für die Verwirklichung der Kraftfahrzeugsteuer. Ob er vollstreckt werden kann, ergibt sich aus den §§ 249 ff. AO. Das bei angezeigter Masseunzulänglichkeit bestehende Vollstreckungsverbot (§ 210 InsO) schränkt i.V.m. § 251 Abs. 2 AO lediglich die Befugnis des FA ein, den Verwaltungsakt zu vollstrecken, nicht aber, ihn zu erlassen (dies voraussetzend z.B. BFH-Beschluss vom 11. April 2001 VII B 304/00, BFHE 194, 338, BStBl II 2001, 525, für nach der Anzeige eingereichte, als Steuerfestsetzung geltende Umsatzsteuervoranmeldung).

Wegen dieser in der Abgabenordnung angelegten Trennung des Festsetzungs- vom Erhebungsverfahren verhält es sich anders als im Zivilprozess, wo umstritten ist, in welcher Weise sich das Vollstreckungsverbot auswirkt und ob der Altmassegläubiger zum Feststellungsantrag übergehen muss (vgl. dazu MünchKommInsO-Hefermehl, § 210 Rz 18; Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 210 Rz 6; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Rz 14.26, jeweils m.w.N. zu den unterschiedlichen Auffassungen).

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