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Krankengeld: Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit

Sozialgericht Aachen

AZ.: S 6 KR 76/04

Urteil vom 31.01.2005


Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2004 verurteilt, der Klägerin Krankengeld auch für die Zeit vom 20.12.2003 bis zum 08.02.2004 zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Mit der Klage vom 00.00.0000 gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2004 fordert die Klägerin Krankengeld über den 19.12.2003 hinaus; streitig ist das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit (AU).

Die 0000 geborene Klägerin – Supermarkt-Kassiererin – war wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls – Zerrung der Halswirbelsäule/Schädelprellung/Gehirnerschütterung – vom 10. bis zum 12.09.2003 in stationärer Krankenhausbehandlung und sodann arbeitsunfähig krank; sie hat ab dem 20.10.2003 Krankengeld bezogen. Eine, von dem MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung)-Arzt K in seinem, aufgrund einer Untersuchung der Klägerin erstellten Gutachtens vom 27.10.2003 empfohlene stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess vom 03. bis zum 29.11.2003 ist von der Klägerin wegen gesundheitlicher Überforderung abgebrochen worden, im Aktenlage-Gutachten vom 26.11.2003 befand der MDK-Arzt K die Klägerin weiter arbeitsunfähig. In einem weiteren Aktenlage-Gutachten vom 16.12.2003 – nach Beiziehung des Arztbriefes der orthopädischen Praxis A vom 24.11.2003 und des MRT-Berichts des Radiologen T vom 01.12.2003 – erachtete der MDK-Arzt K „eine Beendigung der Arbeitsunfähigkeit zum 19.12.2003 für möglich“. Der Vertreter des Orthopäden A, C, schrieb die Klägerin am 17.12.2003 im Krankengeld-Auszahlungsschein (AZS) weiter arbeitsunfähig und bestimmte den nächsten Praxisbesuch für den 09.01.2004.

Mit Bescheid vom 18.12.2003 beendete die Beklagte – gestützt auf das MDK-Gutachten des K vom 16.12.2003 – die AU und die Krankengeldzahlung zum 19.12.2003, wobei sie der Klägerin anheim stellte, einen von der behandelnden praktischen Ärztin H ärztlich begründeten Widerspruch zu übersenden. Wegen Praxisschließungen der Praxis H/M vom

20.12.2003 bis zum 02.01.2004 und des Orthopäden A vom 20.12.2003 bis zum 04.01.2004 suchte die Klägerin am 08.01.2004 ihre behandelnde Ärztin H auf, die mit ihr den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2003 besprach und sie mit und dem Zusatz „Orthopäde muss weiter entscheiden“ „noch arbeitsunfähig“ schrieb. Mit AZS vom 09.01.2004 schrieb C die Klägerin „noch arbeitsunfähig“ mit Bestimmung des nächsten Praxisbesuchs für den 23.01.2004; er verordnete eine stufenweise Wiedereingliederung, die vom 12.01. bis zum 08.02.2004 durchgeführt wurde; mit AZS vom 23.01.2004 schrieb C die Klägerin bis zum 08.02.2004 arbeitsunfähig. Ab 09.02.2004 nahm die Klägerin ihre Kassierin-Arbeit mit voller Arbeitszeit wieder auf.

Den mit ärztlicher Begründung der H – ohne Datum/Eingang bei Beklagter: 27.01.04 – erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Klägerin – gestützt auf eine weitere Aktenlage-Stellungnahme des MDK-Arztes K vom 16.02.2004 zum ausführlichen Arztbrief des Orthopäden L, Praxisvertreter des A, vom 06.02.2004 – mit der Begründung zurück, die Klägerin hätte am 20.11.2003 zumindest einen Arbeitsversuch starten müssen; MDK-Gutachten seien, wenn kein Zweitgutachten beantragt werde, für sie verbindlich.

Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt die Klägerin ihr Krankengeld-Begehren unter Hinweis auf die AU-Bescheinigungen bzw. AZS der behandelnden Ärzte H und. C/L weiter.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.12.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2004 zu verurteilen, ihr Krankengeld auch für die Zeit vom 20.12.2003 bis zum 08.02.2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der von ihr erteilten Bescheide.

Es ist Beweis erhoben worden durch Beiziehung der Krankenpapiere und der Patientenkartei der Praxis H/M sowie der Auskunft des Orthopäden L vom 10.09.2004 und dessen Patientenkartei. Wegen des Beweisergebnisses wird auf den Inhalt der schriftlichen Unterlagen verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die Akten haben bei der Entscheidung vorgelegen und sind – soweit von Bedeutung – Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig. Die Klägerin hat gemäß §§ 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, 44 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuches – 5. Buch/Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V – iVm §§ 2 Abs. 1 S. 1 u. 2, 4 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (AU-RL) idF. v. 01.12.03 bzw. Ziff. 1,11 AU-RL idF bis zum 31.12.2003, weil sie in der streitbefangenen Zeit arbeitsunfähig krank gewesen ist. Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht und 78 Wochen seit Beginn der AU nicht überschritten werden. AU liegt nach § 2 Abs. 1 S. 1 AU-RL/Ziff. 1 AU-RL vor, wenn die Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann.

Zur Überzeugung der Kammer hat AU in diesem Sinne vorgelegen. Die AU der Klägerin ist gemäß §§ 4 Abs. 1 AU-RL/Ziff. 11 AU-RLvon den behandelnden Vertragsärzten aufgrund ärztlicher Untersuchung unter Berücksichtigung des körperlichen, geistigen und seelischen Gesundheitszustands der Klägerin auf den vorgesehenen AZS attestiert worden.

Das Aktenlage-Gutachten des MDK-Arztes K vom 16.12.2003 ist nicht geeignet, die Richtigkeit dieser vertragsärztlichen AU-Bescheinigungen zu widerlegen. Da für die Beurteilung von AU die körperliche/geistige Leistungsfähigkeit der Versicherten mit den Leistungsanforderungen am Arbeitsplatz – (körperliches) Belastung-/(geistiges) Anforderungsprofil – verglichen und der Ursachenzusammenhang zwischen Krankheit und AU angenommen werden muss, ist insoweit eine ärztliche Feststellung erforderlich (vgl. § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V, § 4 Abs. 1 AU-RL/Ziff. 10 AU-RL). Ob das MDK-Gutachten bereits aus formalen Gründen zurückzuweisen ist, kann letztlich dahingestellt bleiben. Die genannten Bestimmungen schreiben nicht vor, in welcher Weise das Gutachten zu erstellen ist. Es ist jedoch nach Ansicht der Kammer nicht vertretbar, einerseits den Vertragsärzten in § 4 Abs. 1 AU-RL/Ziff. 11 AU-RL vorzuschreiben, AU-Feststellungen nur aufgrund ärztlicher Untersuchungen treffen zu dürfen, andererseits den MDK-Ärzten jedoch anders lautende Feststellungen nach Aktenlage zu erlauben. Die vertragsärztlichen Feststellungen der AU liegen vor. Das nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 SGB V/§ 62 Bundesmantelvertrag-Ärzte eingeholte MDK-Gutachten des K vom 16.12.2003 ist mangels körperlicher Untersuchung der Klägerin ungeeignet, die Richtigkeit der vertragsärztlichen Feststellungen zuwiderlegen.

Die Ungeeignetheit ergibt sich bereits aus der, mit den Anforderungen an eine „Feststellung“ nicht zu vereinbarenden vagen Formulierung, wonach eine Beendigung der AU für möglich erachtet werde sowie aus dem Fehlen jeglicher medizinischen Begründung für die Annahme einer solchen Möglichkeit. Mit einem „Gutachten“, das dieser Bezeichnung in keinster Weise gerecht wird, lässt sich ein Bescheid, in dem das Ende der AU als Voraussetzung für die Versagung von Krankengeld festgestellt wird, nicht begründen; § 35 Abs. 1 S. 2 des Sozialgesetzbuches – 10.

Buch/Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X – fordert die Mitteilung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Anordnung der Verbindlichkeit von MDK-Gutachten – im Innenverhältnis zwischen Krankenkasse und MDK – durch § 62 Abs. 3 BMV-Ä/§ 7 Abs. 2 AU-RL bzw. Ziff. 23 AU-RL kann sich nur auf Gutachten erstrecken, die formal und inhaltlich den Anforderungen eines „Gutachtens“ genügen. Ebenso wie das Gericht die Gutachten der von ihm beauftragten Sachverständigen kritisch auf Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu prüfen hat, obliegt dies im Verwaltungs-/Widerspruchsverfahren den Krankenkassen-Sachbearbeitern bzgl. der in Auftrag gegebenen MDK-Gutacten; ggfs. ist unter begründeter Zurückweisung eines MDK-Gutachtens eine erneute Gutachtenerstellung zu veranlassen.

Jedenfalls kommt einem Aktenlage-Gutachten wegen völliger Ungeeignetheit kein Beweiswert zu. Für die körperliche/geistige Leistungsfähigkeit einer Versicherten sind klinische Untersuchungsbefunde erforderlich, um das Ausmaß der vorhandenen bzw. nicht mehr vorhandenen Einschränkungen körperlicher und/oder geistiger Funktionen beurteilen zu können. Ärztliche Berichte über Krankheit und deren Behandlung können allenfalls Hinweise auf Schlüssigkeit oder Unschlüssigkeit von vertragsärztlichen AU-Feststellungen geben, besagen aber nichts über das objektiv vorhandene Ausmaß eingeschränkter oder wiedergewonnener körperlicher/geistiger Leistungsfähigkeit einer Versicherten. So ist die rückwirkenden Beurteilung einer AU für einen Zeitraum, in dem der beurteilende Arzt den Patienten gar nicht untersucht hat, nicht möglich (so schon LSG NW Urt. v. 20.03.85 – L 11 Kr 69/83 -). Es ist auch einem noch so fähigen Arzt nicht möglich, aufgrund von Untersuchungsergebnissen, die er am 27.10.2003 gewonnen hat, am 16.12.2003 – also gut acht Wochen später – ohne Untersuchung die objektiv vorhandene körperliche und geistige Leistungsfähigkeit einer Versicherten zu beurteilen. (Der Kammer sind die rigide Kürzung des Arzt-Personalschlüssels im Bereich des MDK sowie die Umstellung auf SFB – Sozialmedizinische Fallbearbeitung – in den Krankenkassen-Geschäftsstellen – ohne Untersuchungszimmer und ohne medizinische Geräte – bekannt. Dies erklärt zwar die Vorgehensweise MDK-Ärzte, erlaubt aber keine andere rechtliche Beurteilung.)

Soweit die Beklagte der Klägerin aufgegeben hat, ihre Arbeitsunfähigkeit durch ärztlich begründeten Widerspruch der behandelnden Ärztin nachzuweisen, verstösst dies gegen geltendes Recht. Die Versicherten haben zwar bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, sich insbesondere ärztlich untersuchen zu lassen; sie haben aber keine Beweisführungspflicht. Das Bestehen von Arbeitsunfähigkeit ist vielmehr durch die Krankenkasse aufgrund aller vorhandenen Beweismittel festzustellen (LSG NW Urt. v. 26.11.86 – L 11 Kr 39/85 -).

Da die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für die Krankengeld-Gewährung für den streitbefangenen Zeitraum vorliegen, ist dem Klageantrag zu entsprechen.

Die Entscheidung über die Kosten der nach alledem begründeten Klage folgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG -.

Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG, denn der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt EUR 500,-.

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