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Krankentagegeldversicherung – Beendigung wegen Berufsunfähigkeit

Oberlandesgericht Köln

Az: 5 U 65/05

Urteil vom 13.02.2008

Vorinstanz: Landgericht Köln, Az.: 23 O 287/03


In dem Rechtsstreit hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2008 f ü r R e c h t e r k a n n t :

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. März 2005 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 23 O 287/03 – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die zwischen den Parteien bestehende Krankentagegeldversicherung Nr. xxxx1 nicht wegen Eintritts der Berufsunfähigkeit beendet worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen einschließlich der Kosten der Streithelferin trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

G r ü n d e

I.
Die 1953 geborene Klägerin ist seit 1977 als angestellte Gymnasiallehrerin in der Sekundarstufe 1 für die Fächer Chemie und Mathematik berufstätig. Sie unterhält bei der Beklagten eine Krankentagegeldversicherung. Anfang April 2002 erlitt sie am Arbeitsplatz einen Zusammenbruch und begab sich in allgemeinärztliche und psychiatrische ambulante Behandlung. Sie wurde im Wesentlichen wegen „reaktiver Depression nach jahrelangem Mobbing“ krankgeschrieben. In der Zeit vom 10.09.2002 bis 22.10.2002 unterzog sie sich einer stationären Heilbehandlung in der I. in Bad A.. Dort wurden eine schwere depressive Anpassungsstörung sowie eine Somatisierungsstörung diagnostiziert. Im Entlassungsbrief heißt es unter Punkt 10 sozialmedizinische Epikrise:

Bei der Patientin besteht eine schwere depressiv-ängstliche Anpassungsstörung mit Somatisierungsneigung bei einer anhaltenden beruflichen Konfliktsituation. Hierüber ist die Patientin mittlerweile derart destabilisiert, dass sie auch im privaten Alltag aufs Deutlichste eingeschränkt ist. Von einer Rückkehr in den beruflichen Alltag sollte derzeit und auch mittelfristig zunächst abgesehen werden, damit die Patientin unter fortlaufender ambulanter Psychotherapie Zeit und Gelegenheit hat, sich weiter zu stabilisieren. Für den Beruf der Lehrerin, aber auch für andere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt halten wir die Patientin für vollschichtig leistungsfähig.

Die Klägerin blieb der Arbeit fern und ließ sich weiterhin psychiatrisch ambulant behandeln. Die Beklagte ließ die Klägerin ärztlich untersuchen. Ihr Vertrauensarzt Dr. J. vertrat nach Untersuchung der Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2003 die Auffassung, die Klägerin sei noch für mindesten 4 Wochen arbeitsunfähig. Nach einer weiteren Untersuchung hielt er sie wegen einer therapieresistenten rezidivierenden depressiven Störung mit Wirkung ab 5. Mai 2003 für berufsunfähig. Die Beklagte verweigerte daraufhin mit Verweis auf § 15b AVB ab 5. August 2003 die Zahlung des vereinbarten Tagegeldes in Höhe von 76,69 €.

Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage Zahlung von Krankentagegeld, weil sie krankheitsbedingt vollständig arbeitsunfähig sei, berufsunfähig sei sie dagegen nicht, weswegen die Tagegeldversicherung auch nicht nach § 15b AVB, der ohnehin unwirksam sei, beendet worden sei.

Sie hat beantragt,

1.
festzustellen, dass das zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehende Versicherungsverhältnis bezüglich der Krankentagegeldversicherung mit der Unternummer 31, Versicherungsnummer xxxx1, nicht spätestens am 04.08.2003 endet, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus weiter fortbesteht;

2.
die Beklagte zu verurteilen, an sie 76,69 € pro Tag für die Zeit vom 05.08.2003 bis zum 30.11.2004 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.070,63 € seit dem 01.09.2003, aus 2.300,70 € seit dem 01.10.2003, aus 2.377,39 € seit dem 01.11.2003, aus 2.300,70 € seit dem 01.12.2003, aus 2.377,39 € seit dem 01.01.2004, aus 2.377,39 € seit dem 01.02.2004, aus 2.224,01 € seit dem 01.03.2004, aus 2.377,39 € seit dem 01.04.2004, aus 2.300,70 € seit dem 01.05.2004, aus 2.377,39 € seit dem 01.06.2004, aus 2.300,70 € seit dem 01.07.2004, aus 2.377,39 € seit dem 01.08. und 01.09.2004, aus 2.300,70 € seit dem 01.10.2004, aus 2.377,39 € seit dem 01.11.2004 und aus 2.300,70 € seit dem 01.12.2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den ärztlichen Befund des Dr. J. berufen, wonach die Klägerin berufsunfähig sei. Hilfsweise hat sie eine vollständige Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bestritten und die Aufrechnung mit Beitragsrückständen in Höhe von 42,60 € erklärt.

Die Streitverkündete V. U. ist dem Rechtstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten, hat Klageabweisung beantragt und sich das Vorbringen der Beklagten zu Eigen gemacht.

Das Landgericht hat, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen, weil die Klägerin seit dem 5. Mai 2003 berufsunfähig sei.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie hält das erstinstanzliche eingeholte Gutachten für falsch und macht geltend, dass sie ab 15. Dezember 2004 wieder arbeitsfähig sei. Sie habe ihrem Arbeitgeber die Aufnahme ihrer Tätigkeit angeboten, was jener abgelehnt habe. Inzwischen arbeite sie wieder vollschichtig. Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Klageziel mit der Maßgabe weiter, dass sie ferner 76,69 € Tagegeld für den Zeitraum vom 1. – 14. Dezember 2004 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.073,66 € seit dem 15.12.2004 verlangt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt der Berufung entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und den Sachverständigen mündlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die schriftlichen Gutachten von Prof. K. vom 17.11.2006 und 23.05.2007 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 16.01.2008 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist in der Sache teilweise gerechtfertigt. Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung, dass die Krankentagegeldversicherung nicht wegen Eintritts der Berufsunfähigkeit beendet ist. Sie kann allerdings das darüber hinaus geltend gemachte Tagegeld nicht beanspruchen.

1.
Die Beklagte hat nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass die Klägerin seit dem 5. Mai 2003 nach medizinischem Befund auf nicht absehbare Zeit im bisher ausgeübten Beruf als Gymnasiallehrerin erwerbsunfähig ist (§ 15b AVB). Die streitgegenständliche Krankentagegeldversicherung ist deshalb auch nicht beendet worden, sie besteht unverändert fort. Der Sachverständige Prof. K. hat überzeugend dargelegt, dass die Klägerin wegen (behaupteten) Mobbings an einer reaktiven Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik gelitten habe. Eine Anpassungsstörung dauere erfahrungsgemäß unter Behandlung etwa ein halbes Jahr an, könne aber, wenn sie – wie hier – mit depressiver Symptomatik einhergehe, 2 Jahre und länger andauern. Deshalb sei bei der Klägerin auch nicht bereits Mitte 2003 prognostisch von einer Berufsunfähigkeit auszugehen gewesen. Nur wenn sich die psychische Störung chronifiziert und sich eine Paranoia eingestellt hätte, wäre von Berufsunfähigkeit auszugehen gewesen. Daran habe es gefehlt. Auch wenn sich bei der Klägerin zeitweilig paranoide Züge („gewisse Überwertigkeit“) gezeigt hätten, sei die Feststellung einer Berufsunfähigkeit durch Dr. J. schon deswegen nicht richtig gewesen, weil diese Feststellung zu einem viel zu frühen Zeitpunkt getroffen worden sei. Die weitere Entwicklung habe gezeigt, dass bei der Klägerin unter den psychiatrischen Behandlung die Arbeitsfähigkeit wieder eingetreten sei. Das überzeugt. Auch der erstinstanzlich hinzugezogene Sachverständige hat das Zeitmoment nicht hinreichend berücksichtigt und zu früh eine sich chronifiziert habende Störung angenommen.

2.
Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf das geltend gemacht Krankentagegeld. Sie hat die Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls insoweit nicht bewiesen.

Nach § 1 Nr. 2. AVB ist Versicherungsfall in der zwischen den Parteien zustande gekommenen Krankentagegeldversicherung die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit festgestellt wird, wobei diese Folge der Krankheit sein muss, wie sich aus § 1 Nr. 1. AVB ergibt. Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum psychisch krank. Das haben alle mit dem Fall befassten Ärzte/Gutachter festgestellt und wird von der Beklagten auch nicht bestritten, so dass es insoweit keiner näheren Begründung bedarf. Es ist ferner unstreitig, dass sie deswegen durchgehend in ärztlicher Behandlung war, die als psychiatrische Heilbehandlung auch medizinisch notwendig gewesen ist. Der Sachverständige Prof. K. hat ferner überzeugend dargelegt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung bis etwa Juni 2004 vollständig und danach bis 15. Dezember 2004 jedenfalls teilweise außer Stande war, ihre frühere Lehrtätigkeit auszuüben. Der Streitfall weist allerdings die Besonderheit auf, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gleichsam arbeitsplatzabhängig war. Wie sämtliche mit dem Fall befassten Behandler und Gutachter festgestellt haben, ist die Erkrankung der Klägerin durch tatsächliches oder von der Klägerin als solches subjektiv wahrgenommenes Mobbing seitens Mitglieder des Lehrerkollegiums hervorgerufen und unterhalten worden. An einem konfliktfreien („nicht krankmachenden“) Arbeitsplatz hätte sie aber ihre Berufstätigkeit ausüben können. Das haben bereits die in der I. mit der Klägerin befassten Behandler festgestellt. Danach hat bei der Klägerin eine schwere depressiv-ängstliche Anpassungsstörung bei einer anhaltenden beruflichen Konfliktsituation bestanden, die die Klägerin destabilisiert habe. Gleichwohl sei sie für den Beruf der Lehrerin vollständig leistungsfähig gewesen. Auch der Sachverständige Prof. K. hat dargelegt, nach den Behandlungsunterlagen sei davon auszugehen, dass die Klägerin in ihrem Beruf einsetzbar gewesen wäre, wenn am Arbeitsplatz kein Mobbing zu besorgen gewesen wäre. Das Krankheitsbild der Klägerin habe darüber hinaus die Prognose gerechtfertigt, dass sie unter der Therapie in der Lage sei, die Störung zu überwinden und mit Mobbing fertig zu werden. Auch die von der Klägerin außergerichtlich beauftragten Sachverständigen Dr. C. und Dr. H. haben nach eingehender Untersuchung der Klägerin festgestellt, dass die Klägerin in einem vom Mobbing freien Arbeitsbereich arbeitsfähig sei. Somit kommt es für den Anspruch der Klägerin darauf an, ob bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer nur an seinem konkreten Arbeitsplatz seine Berufstätigkeit nicht auszuüben in der Lage ist, weil er aufgrund der von dort ausgehenden Einflüsse erkrankt und die Erkrankung davon unterhalten wird, während er seine Tätigkeit an einem anderen Ort ausüben könnte. Der Senat verneint dies.

Maßgebend für die Arbeitsunfähigkeit ist der konkret ausgeübte Beruf (OLG Karlsruhe VersR 2003, 761; OLG Celle VersR 2000, 1531; Prölss-Martin/Prölss, VVG, 27. Aufl., § 1 MBKT Rn. 6), also ob die bisherige Tätigkeit ihrer Art nach ausgeübt werden kann. Ob die Tätigkeit gerade an einem bestimmten Ort mit einem bestimmten Arbeitsumfeld ausgeübt werden kann, ist dagegen nur maßgebend, wenn die Berufstätigkeit als solche nur dort ausgeübt werden kann. Ist der Versicherungsnehmer in seinem bisher ausgeübten Beruf an sich leistungsfähig und lediglich aufgrund besonderer, krankmachender Umstände außer Stande, seinen Beruf an den bisherigen Ort auszuüben, liegt keine bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit vor. Aus § 1 AVB ergibt sich nicht, dass auch der Ort der Berufsausübung maßgebend sein soll.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 101, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) der Frage zugelassen, ob bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit in der Krankentagegeldversicherung auch dann vorliegt, wenn die krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Berufsausübung ausschließlich arbeitsplatzbezogen ist.

Berufungsstreitwert: 42.279,22 €, davon 483,17 € für den Feststellungsantrag.

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