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Krankheit eines Kindes: Reisekostenrückerstattungsanspruch bei Kündigung des Vertrags?

AMTSGERICHT MÜNCHEN

Az.: 273 C 32024/00

Verkündet am 26.07.2001


Das Amtsgericht München erläßt in dem Rechtsstreit wegen Forderung aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21.06.2001 am 26.07.2001 folgendes Endurteil

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von DM 2.110,00 abwenden, wenn nicht die beklagte Partei Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen Erstattung von Reisekosten bzw. Schadensersatzansprüchen.

Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und seine beiden Kinder in der Zeit vom 22.7.2000 bis 5.8.2000 eine 14-tägige Pauschal-Clubreise nach Italien in das Clubdorf X zu einem Reisegesamtpreis von 8.416,00 DM.

Vor Antritt der Reise oder nach Ankunft am Urlaubsort erkrankte das Kind V an Windpocken. Auf Veranlassung des Leiters des Club-Dorfes wurde Vincent am 25.7.2000 ärztlich untersucht. Da die ärztliche Untersuchung bestätigte, daß V an Windpocken erkrankt ist, wurde der Kläger von der Hotelleitung wegen der Infektionsgefahr aufgefordert, das Feriendorf zu verlassen oder das Kind am Urlaubsort in stationärer Krankenhausbehandlung unterzubringen. In einem Telefongespräch des Klägers am 26.7.2000 mit einem Mitarbeiter der Beklagten wurde dem Kläger erklärt, daß der Aufforderung der Clubleitung Folge geleistet werden solle. Der Kläger brach daraufhin seine Reise ab und flog am 27.7.2000 mit seiner Familie zurück.

Der Kläger behauptet, entgegen früherer Ausführungen, daß die Erkrankung seines Sohnes erst nach Reiseantritt festgestellt wurde. Die Bildung einer „Pustel“ sei erst am 23.7.2000 sichtbar gewesen.

Aufgrund der Aufforderung Clubleitung habe sich der Kläger sowohl mit dem Reisebüro, wo die Reise gebucht wurde, als auch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten telefonisch in Verbindung gesetzt. Ihm sei erklärt worden, daß er den Aufforderungen der Clubleitung Folge leisten solle mit der Maßgabe, daß der Kläger die ihm und seiner Familie für die Rückreise entstehenden Kosten einschließlich des Reisepreises dann nach Rückkehr in Deutschland gegenüber der Beklagten geltend machen sollte und die Beklagte diese auch bezahlen würde.

Infolge der durch die Abreise vom Kläger konkludent erklärten Kündigung des Reisevertrages habe die Beklagte gemäß § 651 e III BGB den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren. Die Rückreise des Klägers und seiner Familie sei nur deshalb erfolgt, weil sie vor die Alternative gestellt wurden, daß ansonsten ihr Kind in eine stationäre Krankenhausbehandlung überstellt werden müßte. Er habe den Mitarbeiterin der Beklagten unmißverständlich erklärt, daß für ihn eine Abreise vom Urlaubsort nur dann in Betracht käme, wenn ihm die entstandenen Reisekosten sowie sämtliche Kosten der Rückreise erstattet werden würden.

Im übrigen habe es im Befinden des Kindes zu keiner Zeit medizinische oder kindliche Gründe gegeben, welche eine Abreise erforderlich gemacht hätten. Die Beklagte habe darüber hinaus ihre Aufklärungspflicht verletzt. Als Reiseveranstalter sei sie gegenüber den Reisenden vor Antritt der Urlaubsfahrt verpflichtet, diese über alle Einreise-, Gesundheits- und Verhaltensbestimmungen des Ziellandes zu informieren.

Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 9.412,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hinaus seit dem 21.8.2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen. Die Beklagte führt u.a. aus, daß die Klagepartei weder die Rückerstattung des Reisepreises noch die Erstattung von Mehraufwendungen wegen der Rückreise verlangen könne.

Die Auffassung der Klagepartei, daß Kinderkrankheiten wie Windpocken in Deutschland keine Einschränkungen zum Aufenthalt in Ferienanlagen oder sonstigen öffentlichen Angaben begründen, sei nicht haltbar. Die Hotelleitung sei im Hinblick auf die weiteren Urlauber in der Anlage genötigt gewesen, den Kläger aufzufordern, den Aufenthalt abzubrechen. Alles andere sei für die weiteren Gäste der Hotelanlage nicht zumutbar gewesen. Insbesondere hätte sich der Hotelinhaber gegenüber anderen Hotelgästen schadensersatzpflichtig gemacht.

Die Aufforderung durch die Hotelleitung, den Aufenthalt abzubrechen, stelle eine Kündigung des Reiseveranstalters, ausgesprochen durch den Leistungsträger, dar. Eine Mitarbeiterin der Beklagten habe unstreitig dem Kläger erklärt, der Aufforderung der Clubleitung Folge zu leisten, so daß dadurch die Kündigung durch den Reiseveranstalter bestätigt wurde.

Die Beklagte bestreitet, daß die Mitarbeiterin der Beklagten telefonisch dem Kläger die Erstattung des Reisepreises zugesagt habe. Derartige Zusagen werden grundsätzlich nicht telefonisch erteilt, sondern allenfalls nach Prüfung des Sachverhalts schriftlich abgegeben. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf ersparte Aufwendungen, da die Beklagte von ihren Leistungsträgern vollumfänglich belastet worden sei. Dies sei insbesondere deshalb nachvollziehbar, da das gebuchte Zimmer von dem Leistungsträger selbstverständlich in dieser Kurzfristigkeit nicht anderweitig vermietet werden konnte.

Die Tatsache, daß das Kind des Klägers erkrankt ist, sei allgemeines Lebensrisiko, daß über eine Reiserücktrittskostenversicherung abgedeckt: werden könne.

Das Gericht hat Beweis erhoben nach Maßgabe der Beweisbeschlüsse vom 22.2.2001, 5.4.2001 und 11,6.2001 (B1.34, 44 und 57 d.A.) durch Vernehmung der Zeugen A, B, C (B1.43, 44, 58 d.A.). Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im übrigen auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte, dem Reiseveranstalter, keinen Rückerstattungsanspruch wegen des bezahlten Reisepreises bzw. einen Schadensersatzanspruch wegen der Erstattung von Mehraufwendungen im Hinblick auf die Rückreise. Die Beklagte hat den Reisevertrag wirksam gekündigt bzw. ist vom Vertrag zurückgetreten.

Die Aufforderung durch die Clubleitung, den Aufenthalt abzubrechen, stellt eine Kündigung des Reiseveranstalters, ausgesprochen durch den Leistungsträger, dar. Unstreitig wurde der Kläger in den Telefongesprächen mit der Mitarbeiterin der Beklagten aufgefordert, den Aufforderungen der Clubleitung Folge zu leisten, so daß dadurch die Kündigung des Reisevertrages bzw. der Rücktritt bestätigt wurden.

Störungen des Reisevertrages nach Reisebeginn, die nicht von den §§ 651 c ff, 651 j BGB erfaßt werden, sondern aus der Sphäre des Reisenden stammen, (wie hier Windpocken) sind im Reiserecht nicht geregelt. Es ist in Rechtssprechung und Literatur sehr umstritten, wie zu verfahren ist, falls nach Reisebeginn eine Störung aus der Sphäre den Reisenden auftritt und die Reise dadurch unmöglich wird. Ein Teil der Literatur will §§ 645, 649 BGB analog anwenden (vgl. Führich Reiserecht 3 . Aufl., § 14 RNr.411 Rußnote 11; Ehrmann 10.Aufl., § 651 l BGB). In Betracht kommt aber auch die bei allen Dauerschuldverhältnissen zulässige Kündigung aus wichtigem Grund mit den Rechtsfolgen aus § 649 S.2 BGB analog (LG Frankfurt NJW 91, 498). Die analoge Anwendung des § 651 i BGB erscheint nach Auffassung des Gerichts für den vorliegenden Fall durchaus sachgerecht (vgl. Führich § 14 RNr. 411; Münchener Kommentar 3.Aufl. § 651 i BGB RNr.21). Die Kündigung des Reisevertrages bzw. der Rücktritt durch den Reiseveranstalter war insbesondere entgegen den Vorstellungen des Klägers erforderlich, weil Ansteckungsgefahr der übrigen Gäste bestand und die Erkrankung an Windpocken nicht bagatellisiert werden kann. Aufgrund der Untersuchung des italienischen Arztes war eine sofortige Isolation des Kindes erforderlich. Der Reiseveranstalter hatte daher keine andere Möglichkeit als durch die Hotelleitung den Reisevertrag aus wichtigem Grund zu kündigen bzw. vom Vertrag zurückzutreten. Der Reiseveranstalter hat für Ereignisse, die zum allgemeinen Lebensrisiko des Reisenden gehören und die den Abbruch der Reise zur Folge haben, nicht einzustehen.

Die Zeugin X bekundete, daß der Kläger eine Reiserücktrittversicherung abgeschlossen hat, durch die jedoch der Abbruch der Reise nicht versichert wurde. Der Kläger hätte sich durch den Abschluß einer Reiseabbruchversicherung vor Schäden, die auf die Erkrankung eines Kindes zurückzuführen sind, absichern können.

Aufgrund der Beweisaufnahme steht außerdem fest, daß die Beklagte dem Kläger weder telefonisch zugesichert hat, den Reisepreis zu erstatten noch die Kosten der Rückreise zu ersetzen. Die Zeugin X bekundete, daß ihr Ehemann bei dem Telefongespräch mit dem Reiseveranstalter einem Mitarbeiter erklärte, daß er abreise, falls ihm die Kosten bezahlt werden. Bei den Kosten seien die gesamten Reisekosten und die zusätzlichen Kosten des Rückfluges gemeint gewesen. Die Zeugin konnte selbstverständlich nichts darüber aussagen, was der Gesprächspartner im einzelnen angegeben hat, so daß die vom Kläger aufgestellte Behauptung nicht bewiesen ist. Auch die vorgelegten schriftlichen Angaben der benannten Zeugen A und D die auffallend identisch sind, sagen nichts bezüglich einer verpflichtenden Zusage durch die Beklagte. Dort wird nur im einzelnen festgehalten, daß der Kläger nach Rückkehr seine Ansprüche bezüglich der Kostenrückerstattung beim Veranstalter geltend machen solle. Der vom Kläger insoweit aufgestellte Beweisantrag auf Vernehmung der Zeugen A und B bezieht sich nicht darauf, daß die Beklagte eine verbindliche Zusage zur Kostenerstattung erklärt hat, so daß dieser unerheblich irrt.

Der Zeuge D führte aus, daß Mitarbeiter der Beklagten nicht befugt sind, telefonisch irgendwelche Zusagen über etwaige Erstattungen zu geben. Dies erfolge ausschließlich schriftlich. Es sei bei den Mitarbeitern des Zeugen D allgemein bekannt, daß keine derartigen Zusagen gemacht werden dürfen. Diese glaubwürdige Aussage deckt sich auch mit der Lebenserfahrung, wonach es selbstverständlich ist, daß telefonisch durch einen Mitarbeiter der Beklagten der Sachverhalt nicht überprüft werden kann und daß erst aufgrund eines schriftlichen Antrages eine Überprüfung vorgenommen wird.

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Die analoge Anwendung des § 651 i BGB führt dazu, daß der Reiseveranstalter seinen Entschädigungsanspruch nachzuweisen hat. Gemäß § 621 i II S.3 BGB bestimmt sich die Höhe der Entschädigung nach dem Reisepreis unter Abzug des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben kann.

Die Beklagte hat durch die glaubwürdige Aussage der Zeugin bewiesen, daß der Reiseveranstalter sowohl durch das Hotel als auch durch die Fluggesellschaft voll belastet wurde und daß durch das Hotel keine Rückerstattungen erfolgten. Vom Reiseveranstalter zu verlangen, daß er mit dem Hotelinhaber in Verhandlungen eintritt, ob Beträge im Kulanzwege erstattet werden, hält das Gericht für total überzogen und nicht sachgerecht. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß kurzfristig frei werdende Zimmer in Hotels bzw. Clubanlagen nicht ohne weiteres sofort mit anderen Gästen belegt werden können. Dies wäre jedoch nur im Falle etwaiger Überbuchungen, die nicht behauptet wurden, möglich gewesen.

Das Ergebnis wäre bei anderer rechtlicher Beurteilung des Rücktritts aus wichtigem Grund bzw. Kündigung nicht anders, da es von der Berechnung her sowieso kaum Unterschiede zwischen § 651 i II, 645, 324 1 und § 649 S.2 BGB analog gibt. Der Unterschied liegt nur in der Frage der Beweislast.

Da der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung des Reisepreises bzw. Ersatz der Mehrkosten für die Rückreise hat, war die Klage abzuweisen.

Kosten: § 91 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Ziff. 11, 711 ZPO.

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