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Krankheitsbedingte Kündigung – negative Gesundheitsprognose

NLandesarbeitsgericht Köln

Az: 7 Sa 581/09

Urteil vom 15.10.2009


Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 12.03.2009 in Sachen 1 Ca 1844/07 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitig ausgesprochenen ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung vom 29.06.2007 zum 30.11.2007.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 12.03.2009 Bezug genommen. Insbesondere wird auch Bezug genommen auf den Beweisbeschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 06.03.2008 und das auf der Grundlage dieses Beweisbeschlusses erstattete medizinische Sachverständigengutachten vom 05.01.2009.

Das Urteil des ersten Rechtszuges wurde dem Kläger am 09.04.2009 zugestellt. Der Kläger hat hiergegen am 05.05.2009 Berufung einlegen und diese – nach Verlängerung der Frist bis zum 09.07.2009 – am 16.06.2009 begründen lassen.

Der Kläger ist zunächst der Auffassung, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von einer negativen gesundheitlichen Zukunftsprognose ausgegangen. Solle, wie hier, die negative Zukunftsprognose auf häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit gestützt werden, so müsse beachtet werden, dass bestimmte Arten krankheitsbedingter Fehlzeiten nicht prognoserelevant seien. Dies gelte nicht nur für Arbeitsunfälle, sondern auch für andere Erkrankungen, die im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung als ausgeheilt anzusehen waren. Er, der Kläger leide nicht unter chronischen Erkrankungen. Einzelne in der Vergangenheit mehrfach aufgetretene Erkrankungen wie z. B. Darmerkrankungen seien ausgeheilt. Seine Ärzte hätten die Gesundheitsprognose im Hinblick auf die verschiedenen Krankheitsursachen ihm gegenüber als günstig beurteilt.

Ziehe man die nicht prognoserelevanten Fehlzeiten ab, so verblieben für das Jahr 2001 lediglich 40 Fehltage, für 2002 30 Fehltage, für 2003 16 Fehltage, für das Jahr 2004 überhaupt kein Fehltag, für das Jahr 2005 25 Fehltage, für das Jahr 2006 44 Fehltage und für das Jahr 2007 bis zur Kündigung 7 Fehltage, so dass nur im Jahr 2006 einmal der 42-Tage-Zeitraum der Entgeltfortzahlungsverpflichtung überschritten worden sei.

Bei den Atemwegserkrankungen und den Rückenleiden sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass auch nach den Feststellungen des gerichtlich beauftragten Gutachters diese durch die konkreten Verhältnisse am Arbeitsplatz des Klägers zumindest mit verursacht worden seien.

Des Weiteren beanstandet der Kläger, dass das Arbeitsgericht auch die zweite Prüfungsstufe einer krankheitsbedingten Kündigung, nämlich die Frage nach den durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten verursachten betrieblichen Beeinträchtigungen, nicht sachgerecht beurteilt habe. Da die Gesundheitsprognose in weitaus geringerem Umfang als vom Arbeitsgericht angenommen künftige Fehlzeiten erwarten lasse, sei eben auch keine unzumutbare Belastung der Beklagten durch Entgeltfortzahlungskosten zu erwarten. Zum anderen treffe auch die Behauptung der Beklagten nicht zu, dass sie für krankheitsbedingte Ausfälle über keine Personalreserve verfüge. Abgesehen davon, dass sich die einzelnen Abteilungen bei Personalbedarf immer schon gegenseitig ausgeholfen hätten, beschäftige die Beklagte insbesondere auch Leiharbeitnehmer als Personalreserve.

Schließlich, so argumentiert der Kläger, habe das Arbeitsgericht im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Gunsten maßgeblich berücksichtigen müssen, dass für die verbleibenden prognoserelevanten Erkrankungen die von der Beklagten zu verantwortenden Verhältnisse am Arbeitsplatz zumindest mit ursächlich seien.

Ergänzend merkt der Kläger an, da die Beklagte es im Rahmen der Betriebsratsanhörung vor der Kündigung unterlassen habe, den Betriebsrat über eine angeblich fehlende Personalreserve zu informieren, könne sie sich jetzt auch im Kündigungsschutzprozess nicht auf diesen Gesichtspunkt berufen.

Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vorbringens in der Berufungsinstanz wird ergänzend auf den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift vom 15.06.2009 Bezug genommen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr, das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 12.03.2009 zum Aktenzeichen 1 Ca 1844/07 abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und tritt den Ausführungen des Klägers in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht entgegen. Auf die Einzelheiten der Berufungserwiderungsschrift vom 19.08.2009 wird ebenfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 12.03.2009 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch nach Maßgabe der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Klägers konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Bonn hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Arbeitsgericht Bonn angenommen hat, die streitige arbeitgeberseitige Kündigung vom 29.06.2007 sei gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt und auch nicht aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam, so dass sie das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der hierfür maßgeblichen tariflichen Kündigungsfrist zum 30.11.2007 beendet hat.

Es handelt sich vorliegend um die Fallkonstellation einer krankheitsbedingten Kündigung, die auf häufige Kurzerkrankungen des Arbeitnehmers in der Vergangenheit gestützt wird. Das Arbeitsgericht ist zutreffend von dem in der Rechtsprechung des BAG für diese Fallkonstellation entwickelten dreistufigen Prüfungsaufbau ausgegangen. Dies wird, soweit ersichtlich, auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt. Anders als vom Kläger angenommen, hat das Arbeitsgericht jedoch auch die einzelnen Prüfungsstufen unter angemessener und sachgerechter Würdigung des von den Parteien dem Gericht unterbreiteten Sachverhalts zutreffenden Ergebnissen zugeführt.

Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts aufbauend ist aus der Sicht der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zusammenfassend und ergänzend unter Würdigung der Angriffe des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil folgendes auszuführen:

1. Vorab ist festzustellen, dass das Arbeitsgericht zu Recht nicht angenommen hat, dass die Wirksamkeit der streitbefangenen Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG durch eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung in Frage gestellt sein könnte. Soweit ersichtlich geht auch der Kläger in der Berufungsinstanz nicht (mehr) davon aus.

2. Der Kläger beanstandet hinsichtlich der Betriebsratsanhörung nur, die Beklagte habe dem Betriebsrat nicht mitgeteilt, bei den betrieblichen Auswirkungen der krankheitsbedingten Fehlzeiten sei zu berücksichtigen, dass sie über keine Personalreserve verfüge. Der Kläger folgert daraus, dass es der Beklagten verwehrt sei, sich im Rahmen des vorliegenden Kündigungsschutzprozesses auf den Gesichtspunkt einer fehlenden Personalreserve zu berufen.

Dieser Einwand des Klägers ist in rechtlicher Hinsicht unerheblich. Bei der rechtlichen Beurteilung der streitigen Kündigung schlägt der zwischen den Parteien in tatsächlicher Hinsicht streitige Gesichtspunkt, ob die Beklagte eine Personalreserve für Krankheitsfälle vorhält, nämlich weder zugunsten der Beklagten noch zu ihren Lasten zu Buche. Weder kann der Arbeitgeber, der sich in freier unternehmerischer Entscheidung gegen eine Personalreserve entschieden hat, für sich in Anspruch nehmen, dass ihn gerade deshalb jeder krankheitsbedingte Arbeitsausfall besonders hart trifft, noch kann sich umgekehrt ein Arbeitnehmer, der über lange Zeit hinweg in weit überdurchschnittlichem Umfang Ausfallzeiten zu verzeichnen hat, darauf berufen, dass dies für den Betrieb wegen der vom Arbeitgeber vorgehaltenen Personalreserve nicht weiter nachteilig sei.

3. Auf der ersten der drei Stufen der Prüfung einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die im Falle des Klägers im Zeitpunkt des Ausspruchs der hier zu beurteilenden Kündigung anzustellende Prognose der gesundheitlichen Entwicklung für die Zukunft negativ ausfallen musste. Der Kläger wies im Zeitpunkt der hier streitigen Kündigung über einen langen Referenzzeitraum in der Vergangenheit krankheitsbedingte Ausfallzeiten in einem Umfang aus, der durchschnittlich jedes Jahr den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsrahmen von sechs Wochen weit überstieg. Die Beklagte musste damit rechnen, dass dies nach Lage der Dinge auch in Zukunft so bleiben werde.

a. Die Beklagte hat sich zur Begründung ihrer krankheitsbedingten Kündigung auf den Referenzzeitraum seit dem Jahr 2001 bis zum Ausspruch der Kündigung im Juni 2007 berufen. Je länger der vom Arbeitgeber gewählte Referenzzeitraum ist, desto aussagekräftiger erscheint er. Desto eher hat dann aber auch der Arbeitnehmer die Chance zu dokumentieren, dass Zeiten mit einer hohen krankheitsbedingten Ausfallhäufigkeit nur vorübergehender Natur waren und nicht die Annahme rechtfertigen, dass sie auch zukünftig das Arbeitsverhältnis prägen werden. Fällt jedoch trotz eines weit in die Vergangenheit hineinreichenden Referenzzeitraumes die durchschnittliche Quote prognoserelevanter Ausfallzeiten exorbitant hoch aus, wird die negative Prognosetendenz dadurch nur zusätzlich verstärkt. So liegt der Fall hier.

b. Dabei geht der in der Berufungsinstanz erhobene Einwand des Klägers fehl, dass die Beklagte und ihr folgend das Arbeitsgericht Ausfallzeiten der Vergangenheit in weitaus größerem Umfang als prognoserelevant angesehen hätten als dies gerechtfertigt sei.

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aa. Recht zu geben ist dem Kläger darin, dass Ausfallzeiten, die durch einen Arbeitsunfall verursacht wurden, im Allgemeinen nicht als prognoserelevant mitgezählt werden dürfen. Anders kann es im Ausnahmefall allerdings dann sein, wenn sich größere und kleinere Arbeitsunfälle in einem solchen Ausmaß häufen, dass der Schluss gerechtfertigt ist, das Verhalten des Arbeitnehmers sei im besonderen Maße unfallgeneigt (vgl. BAG vom 2.11.1989 RzK I 5g Nr.32; LAG Baden-Württemberg vom 15.12.1987 RzK I 5g Nr.23).

bb. Vorliegend hat die Beklagte dem Grundsatz, dass auf Arbeitsunfällen beruhende Ausfallzeiten grundsätzlich nicht als prognoserelevant zu berücksichtigen sind, bereits Rechnung getragen. Sie hat bei der Begründung ihrer Kündigung eine Reihe von Ausfallzeiten, die auf in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung attestierten und/oder auf andere Weise im Betrieb bekanntgewordenen Arbeitsunfällen des Klägers beruhten, von vorneherein außer Acht gelassen.

(1) So geht die Beklagte bei der Begründung der streitigen Kündigung von folgenden – von ihr als prognoserelevant erkannten – Ausfallzeiten des Klägers aus:

2001 48 Arbeitstage

2002 44 Arbeitstage

2003 33 Arbeitstage

2004 27 Arbeitstage

2005 42 Arbeitstage

2006 70 Arbeitstage

2007 22 Arbeitstage (bis zum 29.06.2007)

(2) Wertet man demgegenüber eine erstinstanzlich vom Kläger selbst zur Akte gereichte Aufstellung der AOK Rheinland/Hamburg über die Arbeitsunfähigkeitszeiten aus, so ergeben sich aus dieser für das Jahr 2001 90 Krankheitstage, für das Jahr 2002 54 Krankheitstage, für das Jahr 2003 83 Krankheitstage, für das Jahr 2004 28 Krankheitstage, für das Jahr 2005 54 Krankheitstage, für das Jahr 2006 88 Krankheitstage und für das Jahr 2007 bis zur Kündigung 23 Krankheitstage.

(3) Zwar handelt es sich bei den von der AOK bescheinigten Krankheitstagen augenscheinlich um Kalendertage, während die Beklagte mit Arbeitstagen rechnet. Hieraus lässt sich der Umstand, dass die AOK eine weitaus höhere Anzahl an Krankheitstagen bescheinigt als die Beklagte ihrer Kündigung zugrunde gelegt hat, jedoch nicht erklären, zumal es sich in nicht weniger als 33 Fällen um Krankheitszeiten von nur bis zu einer Woche Dauer handelte.

(4) Die Differenz erklärt sich vielmehr im Wesentlichen daraus, dass die Beklagte von vorneherein, wie auch von ihr im Einzelnen vorgetragen, die Ausfallzeiten, die auf ihr bekanntgewordenen Arbeitsunfällen beruhten, außer Betracht gelassen hat. Der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, warum darüber hinaus noch weitere weder in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung attestierte, noch der Berufungsgenossenschaft gemeldete oder sonst im Betrieb der Beklagten angezeigte vermeintliche Arbeitsunfälle zu berücksichtigen seien. Dementsprechend braucht anderseits auch die Frage, ob es sich bei dem Kläger um einen Arbeitnehmer handelt, der in besonderem Maße einer „Unfallneigung“ unterliegt, nicht vertieft zu werden.

cc. Ebenso wenig kann der Kläger mit dem Einwand gehört werden, dass eine Vielzahl von Einzelerkrankungen – beispielhaft seien hier die Darmerkrankungen genannt – als „ausgeheilt“ zu gelten hätten und daher nicht als prognoserelevant mitgezählt werden dürften.

(1) Folgte man der klägerischen Einlassung, könnte es die seit jeher von der Rechtsprechung anerkannte Fallgruppe der krankheitsbedingten Kündigung wegen überdurchschnittlich häufiger Kurzerkrankungen nicht geben. Es ist nämlich gerade das Charakteristikum dieser Fallgruppe, dass die einzelne Erkrankung für sich betrachtet jeweils nach kurzer Zeit wieder ausgeheilt ist. Zeigen sich solche je für sich betrachtet „ausgeheilte“ Kurzerkrankungen jedoch in einem ausreichend lang bemessenen Referenzzeitraum in ungewöhnlicher Häufung und Varianz immer wieder, so kann, darf und muss daraus der prognoserelevante Schluss auf eine überdurchschnittliche Krankheitsanfälligkeit gezogen werden (BAG vom 10.11.2005 EzA § 1 KSchG Krankheit Nr.52; BAG vom 17.6.1999 EzA § 1 KSchG Wiedereinstellungsanspruch Nr.4). Prognoserelevante Kurzerkrankungen sind keineswegs nur solche, die auf einem chronischen und unheilbaren Grundleiden beruhen.

(2) Dies schließt den Einwand des Arbeitnehmers, dass bestimmte Krankheitsursachen als „ausgeheilt“ und damit nicht mehr prognoserelevant angesehen werden könnten, keineswegs aus. Hierzu sind auch keine ausgefeilten medizinwissenschaftlichen Erläuterungen notwendig. Jedoch muss der Einwand zumindest einen konkreten Aussagegehalt haben, der geeignet ist, die Aussagekraft der Vergangenheitsstatistik objektiv infrage zu stellen. In dieser Hinsicht beachtliche Einwände hat der Kläger vorliegend nicht erhoben. Er hat sich lediglich auf die formelhafte Wendung beschränkt, dass er insoweit nicht chronisch krank sei und die Ärzte sich ihm gegenüber im Sinne einer günstigen Prognose geäußert hätten. Dabei gibt der Kläger nicht einmal an, wann, wie und in welchem Zusammenhang solche Äußerungen gefallen sein sollen.

dd. Schließlich kann der Kläger auch nicht mit Erfolg einwenden, dass die auf Atemwegserkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats beruhenden Fehlzeiten deshalb nicht berücksichtigt werden dürften, weil sie durch die betrieblichen Verhältnisse an seinem Arbeitsplatz mit verursacht worden seien.

(1) Aus den Feststellungen des Gutachters ergibt sich, dass es der Beklagten keineswegs verwehrt ist, sich auf die aus den Rückenbeschwerden resultierenden Ausfallzeiten zu berufen.

(1.1) Der Gutachter hat bei seiner Betriebsbesichtigung zwar festgestellt, dass am Arbeitsplatz des Klägers durchaus Belastungen für Wirbelsäule und Rücken durch das häufige Heben und Tragen der mit Süßwaren beladenen Transportkästen – z. T. auch in ungünstiger, d. h. rückenbelastender Körperhaltung (bückend) – gegeben sind.

(1.2) Dennoch bewertet der Sachverständige die Ergonomie der Arbeitsabläufe und -bedingungen unter dem Strich als zufriedenstellend.

(1.3) Er führt weiter aus, dass bei der Ursachenanalyse der Rückenerkrankungen des Klägers von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen sei. Die Arbeitsbedingungen könnten nicht als Hauptursache gewertet werden. Andererseits sei aber „als Risikofaktor für die Entstehung von Bandscheibenschäden und Rückenschmerzen mit Sicherheit auch das massive Übergewicht von Herrn W mit einzubeziehen.

(1.4) Der Kläger selbst gibt in diesem Zusammenhang dem Gutachter gegenüber u.a. an: „Das Arbeiten mit dem Hubwagen sei für ihn kein Problem gewesen und habe so gut wie keinen Kraftaufwand erfordert … während oder nach dem Ziehen eines Hubwagens habe er hier nie Rückenbeschwerden oder sonstige Beschwerden im Bereich der Muskulatur oder der Gelenke verspürt.“

Und weiter: „In den letzten Jahren habe er [der Kläger] zeitweise Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich gehabt und sei wiederholt deswegen krankgeschrieben worden. Er sei ansonsten bei der Ausübung seiner Arbeit bei H nicht wesentlich von Rückenschmerzen betroffen gewesen. Herr W äußerte in diesem Zusammenhang: Wenn ich Rückenschmerzen gehabt hätte, dann hätte ich diese Arbeit nicht machen können, in den knapp 14 Jahren.

Auf die Frage, wie er sich die Entstehung seiner Beschwerden und die Krankheitsfälle denn selbst erkläre, gab Herr W an, mehrfach seien Rückenbeschwerden durch eine falsche Bewegung ausgelöst worden. So z. B. als er zuhause einmal in der Dusche ausgerutscht sei oder sich nachts „beim Schlafen verdreht“ habe und dann morgens mit Rückenschmerzen wach geworden sei. Er erinnere sich noch an ein anderes schmerzauslösendes Ereignis, als er vor ca. vier Jahren eine Waschmaschine getragen habe. Rückenschmerzen seien „auf der Arbeit“ nie entstanden, er habe sich am Arbeitsplatz „nie verrissen“. Eigentlich seien die Auslöser immer dem privaten Bereich zuzuordnen gewesen.“(Wiedergabe nach Seite 4 des Sachverständigengutachtens)

(1.5) In Anbetracht dieser vom Kläger persönlich dem Gutachter gegenüber getroffenen Feststellungen kann er mit dem im vorliegenden Verfahren schriftsätzlich vorgebrachten Einwand, Rückenerkrankungen könnten bei der Begründung der krankheitsbedingten Kündigung nicht zu seinen Lasten verwendet werden, weil sie maßgeblich von der Beklagten verursacht worden seien, nicht ernsthaft gehört werden.

(2) Entsprechendes gilt für die schriftsätzlich aufgestellte Behauptung, zu den von der Beklagten zu verantwortenden krankheitsverursachenden Arbeitsbedingungen gehörten auch die im erheblichen Umfang anfallenden Überstunden. Dem Gutachter gegenüber hat der Kläger persönlich geäußert, „seit 4 – 5 Jahren habe er keine Überstunden mehr gemacht“(Gutachten S. 10).

(3) Schließlich sind auch die Erkältungskrankheiten des Klägers aus der Vergangenheit bei der Zukunftsprognose zu berücksichtigen:

(3.1) Zwar hat der Gutachter bei seinem Ortstermin im Betrieb der Beklagten, der an einem 3. November stattfand, im Arbeitsbereich des Klägers je nach Standort Zugluft festgestellt. Aber: „Befragt nach seinem persönlichen Empfinden hinsichtlich der klimatischen Bedingungen am Begehungstag äußerte Herr W , er empfinde diese eher als angenehm. Er hätte sich an diesem Tag auch für „Fenster auf“ ausgesprochen. Herr W betonte nochmals, ein Problem sei für ihn verstärkt im Sommer gegeben. Für ihn seien dann die erhöhten Raumtemperaturen besonders unangenehm, da er sowieso schon zu verstärktem Schwitzen neige“ (Gutachten S.13).

(3.2) Der Gutachter erläutert aus medizinischer Sicht, dass ein Zusammenhang zwischen Zugluft und dem gehäuften Auftreten von Erkältungsinfekten „nicht ohne Weiteres als evident anzunehmen“ ist. Da allerdings auf schweißnasser Haut die Verdunstungskälte den Kühleffekt durch Zugluft nochmals verstärke, „könne bei Herrn W insbesondere in den Sommermonaten, in dem dieser die Klimaproblematik kritisch sehe, da er sowieso schon zu verstärktem Schwitzen bei körperlicher Anstrengung neige, ein begünstigender Effekt für das Entstehen eines viralen Erkältungsinfekts nicht ausgeschlossen werden“. In seiner Zusammenfassung konzediert der Gutachter: „Aus Sicht des Gutachters ist die Möglichkeit der Mitverursachung eines Atemwegsinfekts im Sommer durch einen zugluftbedingten Auskühleffekt (verstärkt auf schweißnasser Haut) hier nicht sicher auszuschließen.“ An anderer Stelle betont der Gutachter aber auch, dass beim Kläger nur in den Jahren 2003 und 2006 überhaupt eine gewisse Häufung an Erkältungskrankheiten festzustellen ist, so dass sich „trotz gleichbleibender Umgebungsbedingungen am Arbeitsplatz bei Herrn W eine sehr stark schwankende Erkrankungshäufigkeit“ zeige. Auch dies relativiert die Bedeutung der Arbeitsplatzbedingungen für die Erkältungskrankheiten des Klägers.

(3.3) Dem Gutachten zufolge werden also nur die sommerlichen Erkältungskrankheiten des Klägers – hiervon gab es nach der Statistik im gesamten Zeitraum 2001 bis 2007 nur drei – durch den am Arbeitsplatz auftretenden Zuglufteffekt mit verursacht. Dabei spielt aber auch noch maßgeblich die persönliche Konstitution des Klägers eine Rolle, der nach eigenem Bekunden – und evident auch durch seine Adipositas begünstigt – ohnehin zu starkem Schwitzen neigt. Schließlich kann der Kläger das Raumklima an seinem Arbeitsplatz auch mit beeinflussen, da die Beklagte es den dort tätigen Arbeitnehmern selbst überlässt zu entscheiden, wann die Fenster geöffnet werden und wann nicht.

(3.4) In Anbetracht all dessen sind deshalb auch die beim Kläger aufgetretenen Erkältungskrankheiten als prognoserelevant anzusehen.

ee. Selbst wenn man indessen – was die Berufungskammer allerdings nicht für geboten erachtet – die sommerlichen Erkältungskrankheiten des Klägers außer Acht ließe, ergäbe sich keine entscheidende Verbesserung der statistischen Situation der Ausfallzeiten im Referenzzeitraum 2001 bis 29.06.2007 zugunsten des Klägers.

ff. Nach Maßgabe der von der Beklagten somit zu Recht zugrunde gelegten Zahlen war der Kläger im Zeitraum 2001 bis 29.06.2007 an durchschnittlich 44 Arbeitstagen pro Jahr arbeitsunfähig erkrank. Daraus resultiert eine Größenordnung an Ausfallzeiten, die nahezu das 1,5-fache des gesetzlichen sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums pro Jahr beträgt.

gg. Selbst wenn man zugunsten des Klägers die sommerlichen Erkältungskrankheitszeiten aus der Statistik herausrechnete, verbliebe immer noch ein weit über sechs Wochen jährlich hinausgehender durchschnittlicher Ausfallumfang.

4.a. Hieraus resultiert auf der zweiten Prüfungsstufe eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen schon allein durch die erheblichen Belastungen mit Entgeltfortzahlungen, die nach der nach dem oben Gesagten nicht zu beanstandenden Berechnung der Beklagten 5.460,07 – pro Jahr erreichen und damit mehr als zwei Bruttomonatsgehälter.

b. Zu Recht verweist die Beklagte aber auch auf die arbeitsorganisatorischen Schwierigkeiten, die durch die zahlreichen krankheitsbedingten Ausfälle des Klägers, die sich oft nur über wenige Tage erstrecken, verursacht werden. Gerade weil es sich um häufige Kurzerkrankungen handelt, ist auch die Kompensation durch andere Arbeitskräfte deutlich erschwert.

5.a. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen auf der dritten Prüfungsstufe fällt zugunsten des Klägers dessen Interesse an der Aufrechterhaltung seines Arbeitsplatzes als seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage naturgemäß erheblich ins Gewicht. Auch kann der Kläger im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung auf einen im Arbeitsverhältnis erworbenen sozialen Besitzstand verweisen, der auf einer immerhin schon 13-jährigen Betriebszugehörigkeit beruht.

b. Andererseits stellt das Arbeitsverhältnis ein Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung dar, welches im Falle des Klägers in erheblichem Umfang auf Kosten der Beklagten gestört ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Störung des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung schon über lange Zeit hinzieht. Wie bereits ausgeführt weist der Kläger in den Jahren 2001 bis 2007 durchschnittliche krankheitsbedingte Ausfallzeiten von 44 Arbeitstagen pro Jahr aus. Aber auch in den Jahren davor waren bereits erhebliche, wenn auch damals für sich betrachtet noch nicht eine Kündigung rechtfertigende Ausfallzeiten zu verzeichnen.

c. Zwar hatte der Kläger an seinem Arbeitsplatz teilweise schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens können die Verhältnisse am Arbeitsplatz aber nur mit einem kleinen Teil der Ausfallzeiten, nämlich im Sommer auftretender Erkältungskrankheiten, in Zusammenhang gebracht werden und stellen auch insoweit nur eine Nebenursache dar, während andererseits nicht zuletzt die Konstitution des Klägers hierbei eine mindestens gleichbedeutende Rolle spielt. Bei einer Gesamtwürdigung ergibt sich somit auch nicht ansatzweise das Bild eines treuwidrig handelnden Arbeitgebers, der das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers wegen krankheitsbedingter Ausfallzeiten beenden will, für die er aufgrund der Gestaltung der Arbeitsplätze letztlich selber die Verantwortung trüge. Der Beklagten kann vielmehr keine erheblich ins Gewicht fallende Mitverursachung der Ausfallsituation zugeschrieben werden.

d. Die Kündigung scheitert schließlich auch nicht daran, dass die Beklagte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insofern verletzt hätte, als sie die Kündigung durch eine Versetzung des Klägers auf einen anderen Arbeitsplatz hätte vermeiden können.

aa. Dies folgt schon daraus, dass die Bedingungen am jetzigen Arbeitsplatz des Klägers nur für einen kleinen Teil der Ausfallzeiten, nämlich die sommerlichen Erkältungskrankheiten, mit ursächlich sein können und hier auch nur als eine von mehreren Ursachen in einem multifaktoriellen Geschehen.

bb. Zum anderen ist aber auch nicht ersichtlich, dass an dem vom Kläger favorisierten Alternativarbeitsplatz in der Färberei in maßgeblicher Hinsicht andere Bedingungen herrschen als an seinem jetzigen Arbeitsplatz.

cc. Es kann somit auch dahingestellt bleiben, ob der Kläger überhaupt, wie dies von der Beklagten in Zweifel gezogen wird, für einen Arbeitsplatz in der Färberei persönlich/fachlich geeignet wäre.

e. Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch folgendes zu bedenken: Es entspricht seit langem einer in der Allgemeinheit weithin bekannten Erkenntnis, dass eine Adipositas, wie sie bei dem Kläger seit mindestens 2001 attestiert ist, einen ganz erheblichen gesundheitlichen Risikofaktor darstellt. Dies wird im vorliegenden Fall auch durch das medizinische Sachverständigengutachten bestätigt, ausdrücklich im Hinblick auf die Rückenerkrankungen, evident aber auch im Zusammenhang mit der Neigung zu erhöhtem Schwitzen bei körperlichen Anstrengungen, die unter gewissen Umständen sommerliche Erkältungskrankheiten begünstigen. Für diese Art Risikofaktor ist der Arbeitnehmer selbst verantwortlich. Dem Kläger ist es jedoch nicht gelungen, in der langen Zeit von 2001 bis 2007 diesen Risikofaktor in nennenswerter Weise zu verringern.

f. Als Fazit einer Abwägung der beiderseitigen Interessen ist somit festzuhalten: Im Zeitpunkt des Ausspruchs der hier streitigen Kündigung war das arbeitsvertragliche Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung nachhaltig gestört. Mit einer Fortsetzung dieses Zustands in der Zukunft musste gerechnet werden. Der Beklagten konnte daher ein Festhalten am Arbeitsverhältnis letztlich nicht mehr länger zugemutet werden.

6. Daher erweist sich die Kündigung als rechtwirksam und die Berufung als unbegründet. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers besteht nicht.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist bei der Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls nicht ersichtlich.

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