Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Kreuzungskollision: Haftungsfragen und Unfallursachen im Fokus
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie wird die Haftung bei einem Kreuzungsunfall zwischen Linksabbieger und Geradeausfahrendem verteilt?
- Welche Sorgfaltspflichten hat ein Linksabbieger an einer Kreuzung zu beachten?
- Welche Beweismittel sind nach einem Kreuzungsunfall besonders wichtig?
- Welche Rolle spielt die Betriebsgefahr bei der Haftungsverteilung im Kreuzungsverkehr?
- Wie wirkt sich eine Ampelschaltung auf die Vorfahrtsregelung bei Kreuzungsunfällen aus?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Weitere Beiträge zum Thema
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
- Datum: 06.10.2023
- Aktenzeichen: 14 U 47/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Zivilrecht
Beteiligte Parteien:
- Klägerin: Partei, die weiteren Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall fordert. Argumentiert, dass kein Verkehrsverstoß durch ihren Zeugen Pa. vorliegt.
- Beklagte: Partei, die gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg Berufung eingelegt hat. Argumentiert, dass der Betrag der Schadensregulierung zu hoch sei und verweist auf vermeintliches Fehlverhalten des Zeugen Pa.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Die Klägerin verlangt von der Beklagten weiteren Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der zu einem materiellen Schaden von 90.236,00 € führte. Die Beklagte hatte außergerichtlich eine 50:50 Quote zur Schadensregulierung angewandt. Nun verlangt die Klägerin die restlichen 45.118,00 €.
- Kern des Rechtsstreits: Klärung, ob die Beklagte mehr als die von ihr regulierten 50% des Schadens übernehmen muss, insbesondere in Anbetracht der Vorfahrtsverletzung durch den Zeugen P. der Beklagten.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte haftet zu 100% für die Unfallfolgen.
- Begründung: Es wurde festgestellt, dass der Zeuge Pa. keinen Verkehrsverstoß begangen hat. Das Vorrecht gegenüber einem Linksabbieger bleibt bestehen, und ein Fahrstreifenwechsel führt nicht zu Mithaftung. Der Zeuge P. hat gegen die Pflichten eines Linksabbiegers verstoßen.
- Folgen: Die Beklagte muss den vollen Schadensersatzbetrag zahlen. Sie trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, eine Revision wurde nicht zugelassen.
Kreuzungskollision: Haftungsfragen und Unfallursachen im Fokus
Eine Kreuzungskollision ist ein häufiges Ereignis im Straßenverkehr, das oft schwerwiegende Unfallfolgen haben kann. Insbesondere wenn ein Linksabbieger vor einem entgegenkommenden Fahrzeug abbiegt, stellen sich umgehend Fragen zur Unfallursache und zur Rechtslage. Die Verkehrsregelungen verlangen in dieser Situation eine besondere Achtsamkeit und die Beachtung der Wartepflicht für den Linksabbieger. Eine fehlerhafte Wahrnehmung der Verkehrssituation kann zu einem gefährlichen Zwischenfall führen, was auch die Haftungsfragen erheblich kompliziert.
Im Hinblick auf die Verkehrsdynamik und das Fahrverhalten der beteiligten Fahrer spielen verschiedene Faktoren eine Rolle bei der Analyse solcher Unfälle. Eine fundierte Unfallanalyse ist entscheidend, um die Verantwortlichkeiten und möglichen Schäden zu klären, insbesondere im Kontext der Verkehrssicherheit und Unfallverhütung. In der folgenden Betrachtung wird ein konkreter Fall beleuchtet, der die Thematik der Kreuzungskollision detailliert aufgreift.
Der Fall vor Gericht
Umstrittene Vorfahrt nach Kreuzungsunfall mit LKW

Bei einem Zusammenstoß zwischen einem LKW und einem PKW auf der Kreuzung G.straße/Ausschläger B. entstand der geschädigten Partei ein Schaden von 90.236 Euro. Während die Versicherung zunächst nur die Hälfte der Summe regulierte, entschied das Oberlandesgericht Hamburg nun, dass der Unfallschaden vollständig vom LKW-Fahrer zu tragen ist.
Unfallhergang an der Ampelkreuzung
Am 28. August 2021 näherte sich ein PKW-Fahrer bei Grünlicht der Kreuzung. Vor ihm stand ein Sattelzug im mittleren Fahrstreifen, der trotz grüner Ampel nicht anfuhr. Der PKW-Fahrer wechselte daraufhin die Spur, um an dem stehenden Fahrzeug vorbeizufahren. Zeitgleich bog ein LKW aus dem Gegenverkehr nach links ab und kollidierte mit dem geradeaus fahrenden PKW.
Rechtliche Bewertung der Vorfahrtsregelung
Das Gericht stellte klar, dass der geradeaus fahrende PKW-Fahrer grundsätzlich auf sein Vorrecht gegenüber Linksabbiegern vertrauen durfte. Die besondere Sorgfaltspflicht beim Fahrstreifenwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO ändere nichts an diesem Vorrecht aus § 9 Abs. 3 StVO. Der Spurwechsel erfolgte zudem deutlich vor der Kreuzung, um das stehende Fahrzeug zu passieren.
Haftungsverteilung nach gerichtlicher Prüfung
Die Versicherung des LKW argumentierte, der PKW-Fahrer sei mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren und habe durch seinen Spurwechsel zur unübersichtlichen Verkehrslage beigetragen. Das Gericht folgte dieser Argumentation nicht. Es sah keine Pflicht des PKW-Fahrers, seine Geschwindigkeit zu reduzieren, da er nicht mit kreuzendem Linksabbiegerverkehr rechnen musste. Allein das Stehenbleiben des Sattelzugs bei grüner Ampel rechtfertige keine erhöhte Sorgfaltspflicht.
Vollständige Haftung des Linksabbiegers
Das Oberlandesgericht Hamburg bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts und wies die Berufung der Versicherung zurück. Die Betriebsgefahr des geradeausfahrenden PKW tritt vollständig hinter dem Verstoß des LKW-Fahrers gegen seine Pflichten als Linksabbieger zurück. Die Versicherung wurde zur Zahlung der restlichen 45.118 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die Kosten des Berufungsverfahrens muss ebenfalls die beklagte Versicherung tragen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Oberlandesgericht Hamburg stärkt die Position von geradeausfahrenden Verkehrsteilnehmern an Kreuzungen. Auch bei einem Spurwechsel vor der Kreuzung zur Umfahrung eines stehenden Fahrzeugs bleibt ihr Vorrecht gegenüber Linksabbiegern bestehen. Ein stehendes Fahrzeug bei Grün verpflichtet nicht automatisch zu besonderer Vorsicht oder Geschwindigkeitsreduzierung. Die alleinige Haftung des abbiegenden LKW-Fahrers zeigt, dass die Vorfahrtsregeln auch in komplexen Verkehrssituationen Vorrang haben.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Als Verkehrsteilnehmer können Sie bei grüner Ampel grundsätzlich darauf vertrauen, dass Linksabbieger Ihren Vorrang respektieren – auch wenn Sie die Spur wechseln müssen, um an einem stehenden Fahrzeug vorbeizufahren. Wenn Sie in einen ähnlichen Unfall verwickelt werden, haben Sie gute Chancen, Ihre Schadensersatzansprüche vollständig durchzusetzen, sofern Sie bei Grün gefahren sind und keine besonderen Warnzeichen für eine gefährliche Situation vorlagen. Ein stehendes Fahrzeug bei Grün allein ist noch kein Grund, der Sie zu erhöhter Vorsicht oder reduzierter Geschwindigkeit verpflichtet. Bewahren Sie nach einem Unfall Ruhe und dokumentieren Sie die Ampelschaltung sowie die Position aller beteiligten Fahrzeuge.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie wird die Haftung bei einem Kreuzungsunfall zwischen Linksabbieger und Geradeausfahrendem verteilt?
Bei einer Kollision zwischen einem Linksabbieger und einem Geradeausfahrer des Gegenverkehrs spricht zunächst der erste Anschein für eine Haftung des Linksabbiegers. Dies basiert auf der besonderen Sorgfaltspflicht des Linksabbiegers nach § 9 III StVO.
Grundsätzliche Haftungsverteilung
Der Linksabbieger trägt in der Regel die volle Haftung, da er als Wartepflichtiger den Vorrang des Gegenverkehrs zu beachten hat. Diese Haftung ergibt sich aus §§ 7 I, 18 I StVG und basiert auf der Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters sowie der Verschuldenshaftung des Fahrers.
Besondere Umstände und Ausnahmen
Die Haftungsverteilung kann sich jedoch bei bestimmten Umständen ändern. Eine Mithaftung des Geradeausfahrenden kommt in Betracht bei:
- Deutlich überhöhter Geschwindigkeit
- Verletzung des Sichtfahrgebotes nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO
- Missachtung einer roten Ampel
Ampelgeregelte Kreuzungen
An ampelgeregelten Kreuzungen mit Grünpfeil gelten besondere Regelungen. Hier greift der Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger nicht automatisch. Die Haftungsverteilung hängt dann von der konkreten Ampelschaltung und dem Verhalten beider Verkehrsteilnehmer ab.
Haftungsabwägung
Die endgültige Haftungsverteilung erfolgt durch eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile unter Berücksichtigung:
- Der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr
- Des konkreten Unfallhergangs
- Der Beweislage einschließlich Zeugenaussagen
Bei der Beurteilung ist es unerheblich, wie weit der Abbiegevorgang zum Unfallzeitpunkt bereits fortgeschritten war. Der vorfahrtsberechtigte Geradeausfahrende darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer sein Vorfahrtsrecht beachten.
Welche Sorgfaltspflichten hat ein Linksabbieger an einer Kreuzung zu beachten?
Ein Linksabbieger muss den Abbiegevorgang rechtzeitig und deutlich durch Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers ankündigen. Dabei ist das Fahrzeug bis zur Fahrbahnmitte einzuordnen, auf Einbahnstraßen möglichst weit links.
Grundlegende Wartepflichten
Die zentrale Pflicht besteht darin, dass entgegenkommende Fahrzeuge grundsätzlich Vorrang haben. Dies gilt besonders für Rechtsabbieger aus der Gegenrichtung, die zwingend durchgelassen werden müssen. Die Wartepflicht beginnt bereits dann, wenn der Linksabbieger die Annäherung und Abbiegeabsicht des entgegenkommenden Fahrzeugs erkennen kann.
Verhalten an Ampeln
An ampelgeregelten Kreuzungen gilt: Auch bei Grünlicht besteht die Wartepflicht gegenüber dem Gegenverkehr. Eine Ausnahme besteht nur bei einem grünen Abbiegepfeil – dieser zeigt an, dass der Gegenverkehr durch Rotlicht angehalten ist.
Besondere Sorgfaltspflichten
Die Sorgfaltspflicht erstreckt sich auf den gesamten Kreuzungsbereich. Der Linksabbieger muss:
- Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen den nachfolgenden Verkehr beachten
- Die Verkehrssituation frühzeitig einschätzen
- Auf Schienenfahrzeuge, Fahrräder und zu Fuß Gehende besondere Rücksicht nehmen
- Bei eingeschränkter Sicht seine Sorgfalt entsprechend erhöhen
Rechtliche Konsequenzen
Die Missachtung der Wartepflicht beim Linksabbiegen wird als besonders schwerwiegender Verkehrsverstoß eingestuft. Die Wartepflicht endet erst, wenn sich der vorfahrtsberechtigte Verkehrsteilnehmer vollständig in den Verkehr auf der Straße, in die er abbiegt, eingeordnet hat.
Bei zwei Linksabbiegern aus entgegengesetzter Richtung müssen diese voreinander abbiegen, außer wenn die Verkehrslage oder Kreuzungsgestaltung ein vorheriges Vorbeifahren erfordern.
Welche Beweismittel sind nach einem Kreuzungsunfall besonders wichtig?
Bei einem Kreuzungsunfall mit einem Linksabbieger müssen Sie unverzüglich die Unfallstelle absichern und dann systematisch Beweise sichern.
Fotodokumentation
Fotografieren Sie die Endstellung der Fahrzeuge aus mehreren Perspektiven, bevor diese bewegt werden. Achten Sie besonders auf:
- Die Position der Fahrzeuge zueinander und zur Fahrbahnmarkierung
- Sichtbare Fahrzeugschäden aus verschiedenen Blickwinkeln
- Bremsspuren und Glassplitter auf der Fahrbahn
- Verkehrsschilder und Ampeln im Kreuzungsbereich
Polizeiliche Unfallaufnahme
Die Hinzuziehung der Polizei ist bei Kreuzungsunfällen dringend anzuraten. Die Beamten sichern wichtige Beweise wie:
- Unfallspuren auf der Fahrbahn
- Zeugenaussagen und Personalien
- Erste Einschätzungen zum Unfallhergang
- Dokumentation der Verkehrssituation
Zeugenaussagen
Sprechen Sie potenzielle Zeugen direkt an und notieren Sie deren Kontaktdaten. Besonders wertvoll sind:
- Unbeteiligte Fußgänger oder andere Verkehrsteilnehmer
- Anwohner oder Geschäftsinhaber in der Nähe
- Insassen anderer Fahrzeuge
Technische Dokumentation
Erstellen Sie eine detaillierte Unfallskizze mit allen relevanten Angaben:
- Exakte Positionen der Fahrzeuge
- Fahrtrichtungen mit Pfeilen markiert
- Abstände zu festen Bezugspunkten
- Verkehrszeichen und Ampeln
- Straßenverlauf und Fahrbahnmarkierungen
Achten Sie auch auf mögliche Videoaufzeichnungen durch Überwachungskameras an umliegenden Gebäuden oder Tankstellen. Diese können später als wichtiges Beweismittel dienen.
Welche Rolle spielt die Betriebsgefahr bei der Haftungsverteilung im Kreuzungsverkehr?
Die Betriebsgefahr ist ein wichtiger Faktor bei der Haftungsverteilung nach Verkehrsunfällen an Kreuzungen, auch wenn kein Verschulden vorliegt. Bei einer Kollision zwischen zwei Kraftfahrzeugen wird grundsätzlich eine Betriebsgefahr von 20-30% angenommen, selbst wenn einen Unfallbeteiligten kein Verschulden trifft.
Grundsätzliche Haftungsverteilung
Bei einem Unfall unter Beteiligung zweier Pkw haftet im Ausgangspunkt jeder Halter aufgrund seiner Betriebsgefahr zu 50%, sofern keine relevanten Unterschiede zwischen den beteiligten Kraftfahrzeugen bestehen. Die Betriebsgefahr kann jedoch je nach Fahrzeugart unterschiedlich hoch sein. Ein LKW hat beispielsweise aufgrund seiner Masse und Größe eine höhere Betriebsgefahr als ein PKW.
Besonderheiten im Kreuzungsverkehr
Im Kreuzungsverkehr wird die Betriebsgefahr durch verschiedene Faktoren beeinflusst:
Die Vorfahrtsverletzung eines Wartepflichtigen wiegt besonders schwer und kann dazu führen, dass die Betriebsgefahr des Vorfahrtsberechtigten vollständig zurücktritt. Dies gilt besonders dann, wenn der Wartepflichtige eine bessere Sicht hatte als der Vorfahrtsberechtigte.
Praktische Auswirkungen
Wenn Sie als Linksabbieger mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidieren, kann sich die Haftungsverteilung wie folgt gestalten:
Bei einer Vorfahrtsverletzung durch den Linksabbieger kann dieser zu einer Quote von 2/3 haften, während der Vorfahrtsberechtigte nur zu 1/3 haftet. Diese Verteilung berücksichtigt sowohl das Verschulden als auch die jeweilige Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge.
Wie wirkt sich eine Ampelschaltung auf die Vorfahrtsregelung bei Kreuzungsunfällen aus?
Die Ampelschaltung hat stets Vorrang vor allen anderen Verkehrszeichen und der allgemeinen Vorfahrtsregel „rechts vor links. Bei einer funktionierenden Ampelanlage regelt ausschließlich diese den Verkehrsfluss an der Kreuzung.
Hierarchie der Verkehrsregelung
Eine klare Rangfolge bestimmt die Vorfahrt an Kreuzungen: An oberster Stelle stehen die Anweisungen der Polizei, gefolgt von der Ampelregelung. Erst wenn beide nicht vorhanden sind, gelten die Verkehrsschilder, und nur in Abwesenheit aller vorgenannten Regelungen greift die „rechts vor links“-Regel.
Besonderheiten bei Abbiegevorgängen
Bei Linksabbiegern an einer ampelgeregelten Kreuzung gilt: Verfügt die Fahrspur über eine eigene Ampel mit Abbiegepfeil, entfällt der übliche Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger bei einem Unfall. In diesem Fall muss der Unfallgegner nachweisen, dass der Linksabbieger bei Rot in die Kreuzung eingefahren ist.
Technische Störungen und Fehlschaltungen
Bei einem sogenannten „feindlichen Grün“ – wenn die Ampel versehentlich für kreuzende Fahrtrichtungen gleichzeitig Grün zeigt – haftet der Betreiber der Ampelanlage für entstehende Schäden. Fällt die Ampelanlage komplett aus, treten automatisch die Verkehrsschilder in Kraft. Sind keine Schilder vorhanden, gilt die „rechts vor links“-Regel.
Kreuzungsräumung
Ein Verkehrsteilnehmer, der sich noch in der Kreuzung befindet, wenn die Ampel auf Rot umschaltet, hat keinen automatischen Vorrang beim Räumen der Kreuzung. Eine Verständigung mit anderen Verkehrsteilnehmern ist erforderlich, bevor die Kreuzung geräumt werden darf.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Betriebsgefahr
Die Betriebsgefahr bezeichnet das allgemeine Risiko, das vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs ausgeht – auch ohne dass ein Verschulden vorliegt. Sie ist im Straßenverkehrsgesetz (§ 7 StVG) verankert und führt zu einer verschuldensunabhängigen Haftung des Fahrzeughalters. Bei einem Unfall wird die Betriebsgefahr beider beteiligten Fahrzeuge gegeneinander abgewogen. Wenn ein Fahrer jedoch grob fahrlässig oder vorsätzlich handelt, tritt die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs meist vollständig zurück. Beispiel: Bei einer Vorfahrtsverletzung haftet der Verursacher meist zu 100%, obwohl auch vom anderen Fahrzeug eine Betriebsgefahr ausging.
Sorgfaltspflicht
Die Sorgfaltspflicht beschreibt die rechtliche Verpflichtung eines Verkehrsteilnehmers, sich so zu verhalten, dass keine anderen Personen gefährdet oder geschädigt werden. Sie ist in § 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt. In bestimmten Verkehrssituationen, wie beim Linksabbiegen oder Spurwechsel, gelten erhöhte Sorgfaltspflichten. Der Verkehrsteilnehmer muss dann besonders aufmerksam sein und sich vergewissern, dass sein Fahrmanöver sicher durchgeführt werden kann. Beispiel: Ein Linksabbieger muss besonders sorgfältig auf den Gegenverkehr achten.
Wartepflicht
Die Wartepflicht bezeichnet die gesetzliche Verpflichtung eines Verkehrsteilnehmers, anderen Verkehrsteilnehmern Vorrang zu gewähren. Sie ist in verschiedenen Paragraphen der StVO geregelt, besonders relevant ist § 9 Abs. 3 StVO für Linksabbieger. Diese müssen entgegenkommenden Geradeausverkehr durchlassen. Die Missachtung der Wartepflicht führt meist zu einer vollen Haftung bei Unfällen. Ein Verstoß liegt vor, wenn der Wartepflichtige losfährt, obwohl er den Vorfahrtsberechtigten bereits erkennen kann oder hätte erkennen müssen.
Unangepasste Geschwindigkeit
Unangepasste Geschwindigkeit liegt vor, wenn ein Fahrzeugführer seine Fahrgeschwindigkeit nicht den gegebenen Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen anpasst. Dies ist in § 3 Abs. 1 StVO geregelt. Auch wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten wird, kann eine Geschwindigkeit unangepasst sein, wenn besondere Umstände mehr Vorsicht erfordern. Beispiel: Bei schlechter Sicht oder in unübersichtlichen Verkehrssituationen muss langsamer gefahren werden als die erlaubte Höchstgeschwindigkeit.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 3 StVO: Dieser Paragraph regelt das Verhalten von Fahrzeugführern, die links abbiegen. Sie müssen dem Verkehr von rechts Vorrang gewähren, was bedeutet, dass sie sich besonders vergewissern müssen, dass der Kreuzungsbereich frei ist, bevor sie abbiegen. Im vorliegenden Fall stellt das Oberlandesgericht fest, dass der Zeuge P. gegen diese Vorschrift verstoßen hat, was zur Mithaftung der Beklagten führt.
- § 17 StVG: Das Straßenverkehrsgesetz regelt die Haftung bei Verkehrsunfällen und schreibt vor, dass die Verursachungsbeiträge der Beteiligten zu prüfen und abzuwägen sind. Da die Beklagte für den Verkehrsunfall die volle Verantwortung trägt, hat das Gericht dazu entschieden, dass die Klage der Klägerin in vollem Umfang gerechtfertigt ist.
- § 7 Abs. 5 StVO: In diesem Paragraphen wird die besondere Sorgfaltspflicht für Fahrzeugführer geregelt, die bei bestimmten Verkehrssituationen getroffen wird. Während die Beklagte möglicherweise argumentierte, dass die Sorgfaltspflicht des Zeugen Pa. einen Einfluss hat, entschied das Gericht, dass dies deren Vorrechte nicht schmälern kann, da die Klägerin auf ihr Vorrecht vertrauen konnte.
- § 254 BGB (Mitverschulden): Dieser Paragraph behandelt die Frage des Mitverschuldens und der Haftungsaufteilung im Falle einer Klage. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass es keinen nachweisbaren Verkehrsverstoß seitens der Klägerin oder des Zeugen Pa. gab, was bedeutet, dass die Beklagte vollständig verantwortlich ist und kein Mitverschulden vorliegt.
- § 823 BGB (Schadenersatzpflicht): Dieser Paragraph regelt die Schadenersatzansprüche bei unerlaubten Handlungen. Die Klägerin könnte hier direkten Anspruch auf Schadensersatz von der Beklagten geltend machen, da die Beklagte aufgrund des nachgewiesenen Verkehrsverstoßes des Zeugen P. haftbar gemacht wird und die Klägerin Anspruch auf die volle Regulierung ihres Schadens hat.
Weitere Beiträge zum Thema
- Kreuzungskollision: Vorfahrt und irreführendes Verhalten
Ein Verkehrsunfall an einer Kreuzung führte zu einer Haftungsverteilung von 70 % zu Lasten der Beklagten und 30 % zu Lasten des Klägers. Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte die Vorfahrt des klägerischen Fahrzeugs missachtet hatte, jedoch zeigte der Kläger ein irreführendes Fahrverhalten, was zu seiner Teilschuld beitrug. Die Entscheidung betont, dass das Vorfahrtsrecht nicht durch irreführendes Verhalten des Vorfahrtsberechtigten aufgehoben wird. → → Haftungsverteilung bei Kreuzungskollisionen - Haftungsverteilung nach einer Fahrzeugkollision beim Abbiegen
In diesem Fall wurde die Klage des Geschädigten abgewiesen, da das Gericht zu dem Schluss kam, dass der Unfall durch das eigene Verschulden des Klägers verursacht wurde. Der Kläger hatte beim Abbiegen die Vorfahrt des Beklagten missachtet, was zur vollständigen Haftung des Klägers führte. → → Unfallhaftung beim Abbiegen - Vorfahrtsverletzung im Kreuzungsbereich – Haftungsverteilung
Das Gericht entschied, dass die Beklagte zu 1 die Vorfahrt des Klägers missachtet hatte, was zu einer Haftungsverteilung von 80 % zu Lasten der Beklagten und 20 % zu Lasten des Klägers führte. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs wurde mit 20 % bewertet, da kein Verkehrsverstoß des Klägers nachgewiesen werden konnte. → → Haftungsverteilung bei Vorfahrtsverletzungen - Haftungsverteilung: Auffahrunfall nach Vorfahrtmissachtung
In diesem Fall wurde die Klage des Geschädigten abgewiesen, da das Gericht zu dem Schluss kam, dass der Unfall durch das eigene Verschulden des Klägers verursacht wurde. Der Kläger hatte beim Abbiegen die Vorfahrt des Beklagten missachtet, was zur vollständigen Haftung des Klägers führte. → → Vollständige Haftung bei Auffahrunfällen
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 14 U 47/23 – Urteil vom 06.10.2023
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