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Kündigung: Betriebsratsanhörung und Stellungnahmefrist

Bundesarbeitsgericht

Az: 2 AZR 965/06

Urteil vom 03.04.2008


In Sachen hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2008 für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 9. August 2006 – 9 Sa 1251/05 – wird zurückgewiesen, soweit das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2. Juni 2004 nicht aufgelöst wurde.

Im Übrigen wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf die Revision der Beklagten aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:
Der Kläger macht die Unwirksamkeit zweier außerordentlicher, hilfsweise fristgerecht ausgesprochener Kündigungen geltend und begehrt Prozessbeschäftigung. Die Beklagte erstrebt Klageabweisung und hilfsweise Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Der Kläger trat im März 2000 als Kraftfahrer für die Direktion und den Betrieb in die Dienste der Beklagten, die ein Unternehmen der Pharmaindustrie betreibt. Nach dem Anstellungsvertrag ist dem Kläger die Ausübung einer beruflichen Nebentätigkeit nicht gestattet.

Der Kläger hatte gelegentlich im Betrieb erwähnt, seine Frau wolle ein Café eröffnen. Nachdem er sich ab 10. März 2004 wiederholt krank gemeldet hatte, wandte sich die Beklagte an das Kreisverwaltungsreferat München, das der Beklagten mit Schreiben vom 25. Mai 2004 mitteilte, die Kleingaststätte T in M, werde mit der täglichen Öffnungszeit 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr seit 30. April 2004 vom Kläger betrieben.

Die Beklagte beauftragte daraufhin am 27. Mai 2004 eine Detektei damit, herauszufinden, ob und in welchem Umfang der Kläger in diesem Lokal tätig sei. Nach dem Vortrag der Beklagten hat ein Mitarbeiter der Detektei den Kläger am Freitag, 28. Mai 2004 eine Stunde lang im Lokal observiert; der Kläger habe „hinter der kleinen Bar“ gestanden, Gäste bedient, Getränke eingeschenkt, den Geschirrspüler geleert und ähnliche Tätigkeiten verrichtet.

Nach Darstellung der Beklagten führte ihr seinerzeitiges Vorstandsmitglied H am 1. Juni 2004 mit den Betriebsratsmitgliedern Dr. S, L, Frau V und Dr. von R ein Gespräch, in welchem er über den „Sachverhalt“ informierte und ihnen zugleich Anhörungsschreiben vom 1. Juni 2004 über die beabsichtigte außerordentliche und ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger übergab. Der Betriebsratsvorsitzende, Herr D, und die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, Frau B, waren am 1. Juni 2004 abwesend. Nach dem Gespräch vom 1. Juni 2004 habe sich – so der Vortrag der Beklagten – das Betriebsratsmitglied Dr. S Herrn H gegenüber in der Weise geäußert, dass dieser den Schluss gezogen habe, der Betriebsrat habe sich bereits nach interner Beratung abschließend geäußert und stimme der Kündigung zu.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 2. Juni 2004 außerordentlich, hilfsweise fristgerecht zum 31. Juli 2004.

Am Freitag, 4. Juni 2004 fand eine Betriebsratssitzung statt, die vom Betriebsratsvorsitzenden, Herrn D, geleitet wurde. Dieser änderte auf den beiden Anhörungsschreiben das maschinenschriftlich eingetragene Datum „1. Juni 2004“ für die Empfangsbestätigung und für die Unterschriftsleistung des Betriebsratsvorsitzenden handschriftlich auf den „4. Juni 2004“ ab.

Nach Zugang der schriftlichen Stellungnahme des Betriebsrats vom 4. Juni 2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erneut durch Schreiben vom 7. Juni 2004 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. Juli 2004.

Der Kläger hält die Kündigungen für unwirksam. Er hat die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe mit im Einzelnen zT wechselnden Einlassungen bestritten. Der Betriebsrat sei zu beiden Kündigungen nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 2. Juni 2004, zugegangen am 3. Juni 2004, weder außerordentlich zum 2. Juni 2004, noch fristgerecht zum 31. Juli 2004 beendet wird.

2. Festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 7. Juni 2004, zugegangen am 7. Juni 2004, weder außerordentlich zum 7. Juni 2004, noch fristgerecht zum 31. Juli 2004 beendet wird.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens bei unveränderten Arbeitsbedingungen als Kraftfahrer für die Direktion und für den Betrieb oder in einer anderen gleichwertigen Position weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt, hilfsweise hat sie Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung, die 3.476,78 Euro nicht übersteigen sollte, begehrt. Sie hält die Kündigungen für rechtswirksam, gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Das Arbeitsverhältnis sei jedenfalls gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Die vertraglich geschuldete Tätigkeit setze Verlässlichkeit und Vertrauen in die persönliche Integrität des Klägers voraus. Diese Anforderungen erfülle der Kläger auf Grund des Kündigungsvorwurfs und wegen mehrfacher Verstöße gegen die prozessuale Wahrheitspflicht im laufenden Verfahren nicht.

Der Kläger hat beantragt,

den Auflösungsantrag abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat nach den Feststellungsanträgen des Klägers erkannt und den Beschäftigungsantrag des Klägers sowie den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers auch dem Beschäftigungsantrag des Klägers Erfolg zuteil werden lassen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag ebenso weiter wie den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet, soweit es die Kündigung vom 7. Juni 2004 und den Beschäftigungsantrag betrifft. Im übrigen ist sie unbegründet. Soweit sie nicht zurückzuweisen ist, führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

A. Das Landesarbeitsgericht hat beide Kündigungen für unwirksam nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG gehalten. Das Anhörungsschreiben vom 1. Juni 2004 sei dem Betriebsrat an diesem Tage zugegangen. Da die Kündigung bereits am 3. Juni 2004 dem Kläger zugegangen sei, sei keine der Fristen des § 102 BetrVG gewahrt. Der Betriebsrat habe auch nicht vor der Kündigung wirksam abschließend Stellung genommen. Die Kündigung vom 7. Juni 2004 habe einer erneuten Anhörung bedurft. Da eine solche nicht stattgefunden habe, sei sie ebenfalls unwirksam. Dem Auflösungsantrag stehe schon entgegen, dass die Kündigungen nach § 102 BetrVG unwirksam seien. Da die Kündigungen unwirksam seien, müsse die Beklagte den Kläger auch weiterbeschäftigen.

B. Dem folgt der Senat nur teilweise. Die Kündigung vom 2. Juni 2004 ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Insoweit ist die Revision zurückzuweisen. Ob die Kündigung vom 7. Juni 2004 wirksam ist, steht noch nicht fest. Dementsprechend steht auch noch nicht fest, ob die Klage im Übrigen und der Auflösungsanspruch begründet sind. Insoweit ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

I. Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, wonach die Kündigung der Beklagten vom 2. Juni 2004 nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob das Anhörungsschreiben der Beklagten dem Betriebsrat bereits am 1. Juni 2004 zuging.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG muss der Betriebsrat dem Arbeitgeber etwaige Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung innerhalb einer Woche schriftlich mitteilen. Bei einer außerordentlichen Kündigung muss der Betriebsrat die Bedenken unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Tagen dem Arbeitgeber ebenfalls schriftlich mitteilen. Eine vor Ablauf der Frist ausgesprochene Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam (st. Rspr., vgl. BAG 12. Januar 2006 – 2 AZR 242/05 – AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9), es sei denn, der Betriebsrat hat zuvor eine abschließende Stellungnahme zur Kündigungsabsicht abgegeben (BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 316/04 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 150 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 16; 16. Januar 2003 – 2 AZR 707/01 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 129 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 2; FESTL BetrVG 23. Aufl. § 102 Rn. 50 ff.; Stahl-hacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 450; KDZ-Kittner KSchR 6. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 152, 206, 208; HaKo-Nägele 3. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 131; HWK/Ricken 2. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 60; APS/Koch 3. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 145 ff.).

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2. Von diesen Grundsätzen ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen und hat sie ohne revisiblen Rechtsfehler angewandt. Jedenfalls die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Anhörungsverfahren sei vor Ausspruch der Kündigung vom 2. Juni 2004 nicht beendet gewesen, erweist sich als revisionsrechtlich einwandfrei.

a) Die Fristen des § 102 Abs. 2 BetrVG waren im maßgeblichen Zeitpunkt nicht abgelaufen.

b) Eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats lag bei Ausspruch der Kündigung vom 2. Juni 2004 nicht vor. Dies hat das Landesarbeitsgericht mit zutreffenden, jedenfalls aber revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen angenommen.

aa) Die von der Beklagten behaupteten Äußerungen des Betriebsratsmitglieds Dr. S hat das Landesarbeitsgericht nicht als ausreichende Darlegung einer von Herrn Dr. S für den Betriebsrat abgegebenen abschließenden Stellungnahme angesehen. Diese Auslegung ist als Teil der Tatsachenfeststellung des angefochtenen Urteils für das Revisionsgericht bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO, vgl. zu § 561 ZPO: BAG 16. Januar 2003 – 2 AZR 707/01 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 129 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 2; zu § 561 ZPO aF: 1. April 1976 – 2 AZR 179/75 – BAGE 28, 81, 82; 1. Dezember 1977 – 2 AZR 426/76 – AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 11 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 21; 12. März 1987 – 2 AZR 176/86 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 47 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 71).

bb) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Landesarbeitsgericht habe dem Umstand Beachtung schenken müssen, dass Herr Dr. S sinngemäß gesagt habe, „seitens des Betriebsrats“ keine Bedenken zu haben. Wörtlich hatte die Beklagte vorgetragen:

„Zu einem späteren Zeitpunkt äußerte sich ihm gegenüber das Betriebsratsmitglied Dr. S sinngemäß, dass er seitens des Betriebsrats gegen die außerordentliche sowie ordentliche Kündigung keine Bedenken hätte“.

Die vom Landesarbeitsgericht getroffene Würdigung, darin keinen ausreichenden Vortrag einer abschließenden Stellungnahme zu sehen, enthält keinen revisiblen Rechtsfehler. Durch die Einfügung des Wortes „sinngemäß“ hat die Beklagte mit dem sich daran anschließenden Aussagesatz nicht mehr zum Ausdruck gebracht, als dass sie bzw. das zuständige Vorstandsmitglied glaubte, Herrn Dr. S in diesem Sinn verstehen zu dürfen. Was er in Wirklichkeit gesagt hat, hat die Beklagte mit ihrem Vorbringen nicht einmal behauptet. Im Übrigen ist der Satz, er, Herr Dr. S, habe „seitens des Betriebsrats“ keine Bedenken, gerade im entscheidenden Punkt mehrdeutig. Es bleibt nämlich unklar, ob der Sprechende, wie es erforderlich wäre, für den Betriebsrat als Gremium spricht oder nur in inhaltsoffener Weise auf seine ohnehin bekannte Verbundenheit mit dem Betriebsrat hinweist. Im letzteren, angesichts der undeutlichen Formulierung näherliegenden Falle hätte die Äußerung lediglich bedeutet, dass er, Dr. S, Herrn H über die nach seiner Einschätzung bestehende oder zu erwartende Haltung des Betriebsrats informierte.

II. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung vom 7. Juni 2004 sei bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat vor der Kündigung nicht angehört habe, wird von den bisherigen Feststellungen hingegen nicht getragen. Das Kündigungsrecht ist nicht, wie das Landesarbeitsgericht meint, durch den Ausspruch der Kündigung vom 2. Juni 2004 „verbraucht“.

I. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG besteht eine Anhörungspflicht des Arbeitgebers vor jeder Kündigung. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen, kann ein Anhörungsverfahren grundsätzlich nur für die Kündigung Wirksamkeit entfalten, für die es eingeleitet worden ist (BAG II. Oktober 1989 – 2 AZR 88/89 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 55 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 78, zu III 4 b der Gründe). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung vorsorglich erneut kündigt. Das durch die ordnungsgemäße Anhörung erworbene Recht zum Ausspruch der Kündigung ist durch den Zugang der Kündigung verbraucht (BAG 10. November 2005 – 2 AZR 623/04 – AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11; 31. Januar 1996 – 2 AZR 273/95 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 80 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 90; KR-Etzel 8. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 57a; FESTL BetrVG 23. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 26; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 384 ff.; HaKo-Nägele 3. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 39, 40; KDZ-Kittner 6. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 67 ff.; HWK/Ricken 2. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 20; einschränkend Diller NZA 2004, 579; APS/Koch 3. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 26 „Förmelei“).

2. Das Landesarbeitsgericht geht zwar von diesen Grundsätzen aus, berücksichtigt aber nicht ausreichend ihren Sinn. Er besteht wesentlich darin, dass der Betriebsrat bei jeder vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung seine ihm gesetzlich eingeräumten Rechte unter Ausschöpfung der dafür vorgesehenen Fristen wahrzunehmen in der Lage sein muss (vgl. Senat 13. November 1975 – 2 AZR 610/74 – BAGE 27, 331). Das Berufungsgericht nimmt nicht hinlänglich Bedacht darauf, dass der Betriebsrat die Anhörungsschreiben vom 1. Juni 2004 in der Tat als solche verstanden hat, die eine nach Abschluss des am 4. Juni 2004 eingeleiteten Anhörungsverfahrens auszusprechende außerordentliche und eine ebenfalls nach Abschluss des am 4. Juni 2004 eingeleiteten Anhörungsverfahrens auszusprechende ordentliche Kündigung betrafen. In beiden Schreiben heißt es, es sei „beabsichtigt“, „nach Abschluss des Anhörungsverfahrens“, für das die jeweils geltenden Fristen ausdrücklich benannt sind, die betreffende Kündigung auszusprechen. Wenn der Betriebsratsvorsitzende den Eingang beider Anhörungsschreiben für den 4. Juni 2004 bestätigte, so hat er damit zum Ausdruck gebracht, dass sich die Anhörung aus seiner Sicht nicht auf bereits ausgesprochene, sondern „nach Abschluss des Anhörungsverfahrens“ auszusprechende Kündigungen bezog. Es konnte daher auch nicht durch die Kündigung vom 2. Juni 2004 verbraucht sein. Dies wird bestätigt dadurch, dass der Betriebsrat beiden noch auszusprechenden Kündigungen auf den betreffenden Anhörungsformularen mit Datum vom 4. Juni 2004 unter Angabe von Gründen widersprach. Dem Sinn des Anhörungsverfahrens, dass dem Betriebsrat vor jeder beabsichtigten Kündigung Gelegenheit gegeben werden muss, auf den Kündigungsentschluss Einfluss zu nehmen und seine gesetzlichen Rechte nach § 102 BetrVG auszuüben, war damit Genüge getan.

a) Dem kann nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, das Anhörungsverfahren sei bereits am 1. Juni 2004 eingeleitet worden und die Anhörungsschreiben hätten sich damit allein auf die Kündigung vom 2. Juni 2004 bezogen.

Durch die Eintragung des Datums „4. Juni 2004“ gab der Betriebsrat gegenüber der Beklagten unmissverständlich zu erkennen, dass aus seiner Sicht für das nunmehrige Anhörungsverfahren die vor dem 4. Juni 2004 insoweit angefallenen Geschehnisse keinerlei Bedeutung mehr hatten.

b) Soweit das Landesarbeitsgericht ausführt, durch Änderung des Datums könne die Rechtslage nicht geändert werden, ist dies nur begrenzt zutreffend. Das „Datum“ als der kalendermäßig bestimmte Zeitpunkt, zu dem sich ein gewisses Ereignis zugetragen hat, kann gewiss nicht – jedenfalls nicht nachträglich – geändert werden. Ebenso wenig dürfte sich in der Regel die Rechtslage dadurch ändern, dass von einem Ereignis, das sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zugetragen hat, behauptet wird, es habe sich zu einem anderen Zeitpunkt zugetragen. Darum geht es aber im vorliegenden Falle nicht. Zwischen den Parteien ist vielmehr unstreitig und es konnte durch die Eintragung des Datums vom 4. Juni 2004 auch, insoweit ist dem Landesarbeitsgericht beizupflichten, nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Anhörungsschreiben von der Beklagten dem Betriebsrat am 1. Juni 2004 zugeleitet wurden. Auch die rechtliche Beurteilung der Frage, wann Zugang dieses Schreibens eintrat, entzieht sich der Beeinflussung durch etwa vorgenommene Nachdatierungen oder Vordatierungen. Sehr wohl ist jedoch durch die Eintragung des Datums zum Ausdruck gekommen, dass der Betriebsrat die Anhörungsschreiben als solche betrachtete, die sich aus seiner Sicht – nunmehr -auf am 4. Juni 2004 noch nicht ausgesprochene Kündigungen bezogen und mit denen ein nun, nämlich am 4. Juni 2004, beginnendes – neues – Anhörungsverfahren eingeleitet wurde. Die Revision macht zu Recht geltend, der Fall sei nicht anders zu beurteilen, als wenn der Betriebsrat die – unausgefüllten -Anhörungsschreiben zurückgegeben und die Beklagte sie dem Betriebsrat erneut ausgehändigt hätte. Auch dann wäre deutlich geworden, dass sich der gedankliche Inhalt der – körperlich identischen – Papiere geändert hatte und sich nunmehr nicht mehr auf Kündigungen bezog, deren Anhörungsverfahren am 1. Juni 2004 eingeleitet worden war, sondern auf solche, die nach dem 4. Juni 2004 ausgesprochen werden sollten.

c) Der Betriebsratsvorsitzende hat, so lässt sich der Vorgang zusammenfassend beschreiben, den beiden Anhörungsschreiben durch die Eintragung des Eingangsdatums „4. Juni 2004“ im Zusammenhang mit der Datierung der Stellungnahme des Betriebsrats auf den 4. Juni 2004 einen anderen, nach seiner Auffassung nunmehr maßgeblichen Inhalt gegeben. Die Beklagte hat dieses Verständnis ihrer Schreiben vom 4. Juni 2004 gebilligt, was nahelag, da es ihr die erneute Erstellung eines Schreibens ersparte, dessen Inhalt genau dem entsprochen haben müsste, das dem kundgegebenen Verständnis des am 1. Juni gefertigten Schreibens gleichkam.

III. Da zur Entscheidung über die Frage, ob die Kündigungen vom 7. Juni 2004 durch einen wichtigen Grund iSd. § 626 BGB bzw. durch verhaltensbedingte Gründe iSd. § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt sind (vgl. BAG 2. März 2006 – 2 AZR 53/05 – AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14) und ob der Betriebsrat inhaltlich ausreichend angehört wurde, vom Landesarbeitsgericht keinerlei Tatsachen festgestellt worden sind, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO) und unterliegt das Berufungsurteil, soweit die Revision nicht zurückzuweisen ist, der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO). Davon ist auch der Beschäftigungsanspruch erfasst, dessen Begründetheit die Begründetheit des Feststellungsantrags voraussetzt.

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