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Kündigung – Unwirksamkeit wegen fehlender Betriebsratsanhörung

Bundesarbeitsgericht

Az: 2 AZR 623/04

Urteil vom 10.11.2005


In Sachen hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2005 für Recht erkannt:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. September 2004 – 5 Sa 358/04 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:
Die Parteien streiten – soweit für die Revision noch von Interesse – über die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer weiteren ordentlichen Kündigung sowie über einen hilfsweise von der Beklagten gestellten Auflösungsantrag.

Der am 25. April 1943 geborene, mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger war seit dem 1. August 1999 bei der Beklagten tätig. In dem schriftlichen „Geschäftsführervertrag“ vom 28. Juli/16. August 1994 ist ua. festgelegt:

– „… Das Aufgabengebiet des Geschäftsführers umfasst in Abstimmung mit der Gesellschaftsversammlung alle mit dieser Position verbundenen Arbeiten.

– Der Geschäftsführer ist zur Vornahme der nachstehend bezeichneten Rechtsgeschäfts oder zur Vollmachterteilung für die Vornahme derartiger Geschäfte nur mit vorheriger Zustimmung der Gesellschafterversammlung befugt: Änderungen des Provisionssystemes;

– Generelle Änderung der Produktpalette und der Vertriebsstrategie;

– …

– Ausgaben über DM 5.000,– soweit diese nicht in der Jahresplanung vorgesehen sind;

– …

– Übernahme von Bürgschaften und Garantien im Wert über DM 10.000,– und Eingehung von Wechselverbindlichkeiten über DM 10.000,–, …

– Abschluss von Verträgen, durch die die Gesellschaft auf mehr als ein Jahr gebunden wird oder deren Gegen- und Haftungswert im Jahr DM 10.000,– übersteigt;

– …

Die konkrete Zuständigkeitsbeschreibung der Tätigkeit von Herrn W erfolgt in allen Zweifelsfällen durch die Gesellschafterversammlung.“

Die Einstellung des Klägers förderte die Bundesanstalt für Arbeit mit 255.000,– DM. Der Bundesanstalt für Arbeit teilte die Beklagte mit, der Kläger weise „eindeutig eine Arbeitnehmereigenschaft“ auf und könne nur „mit Zustimmung der Geschäftsführung wichtige Entscheidungen treffen“, die „beiden Geschäftsführer übten das Direktionsrecht aus“.

Die Beklagte hatte das Vertragsverhältnis des Klägers bereits am 26. August 2002 zum 31. März 2003 gekündigt. Auf die Kündigungsschutzklage des Klägers stellte das Arbeitsgericht Mainz mit rechtskräftiger Entscheidung vom 30. Juli 2003 fest, dass die Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbestanden hat.

Die Eintragung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten wurde am 23. April 2003 im Handelsregister gelöscht, nachdem er mit Beschluss der Gesellschafter vom 20. März 2003 mit Wirkung vom 15. März 2003 als Geschäftsführer abberufen worden war. Mit Ablauf des 31. März 2003 war er freigestellt worden. Die Parteien haben im Prozess übereinstimmend erklärt, der Kläger sei Arbeitnehmer gewesen, seinem Anstellungsverhältnis habe ein Arbeitsverhältnis zugrunde gelegen.

Die Beklagte gehört zur Unternehmensgruppe „G“ und betreibt einen gemeinsamen Betrieb in N mit anderen Unternehmen dieser Unternehmensgruppe. Sie vertreibt vor allem Weine und Sekt an Wiederverkäufer. Dabei werden die Produkte regelmäßig mit Kundenanforderungen (zB Etiketten) ausgestattet.

Seit Frühjahr/Sommer 2002 bestand zwischen der Beklagten und der Firma M GmbH (im Folgenden: M), einem Getränkefachhandel, eine Geschäftsverbindung, die vom Kläger angebahnt worden war. Der Kläger hatte mit M mündlich die Belieferung von 75 Getränkemärkten mit Wein und Sekt vereinbart. Die zu liefernden Wein- und Sektflaschen, die nicht aus der Eigenproduktion der Beklagten stammten, waren vereinbarungsgemäß mit einem Firmenlogo der M versehen worden. Die Vereinbarung sah für M keine zahlenmäßig fixierte Abnahmeverpflichtung vor. Nachdem die Beklagte an ca. 45 Märkte der M Weine und Sekt geliefert und M die Waren bezahlt hatte, beendete M die Geschäftsbeziehungen und rief keine Waren mehr ab. Die Beklagte konnte ca. 6.590 mit dem Firmenlogo der M versehene Flaschen nicht mehr an M ausliefern und veräußern.

Das Integrationsamt erteilte mit Bescheid vom 27. August 2003, der Beklagten am 29. August 2003 zugegangen, seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Den Betriebsrat des gemeinsamen Betriebs hörte die Beklagte am 1. September 2003 an. Er widersprach am 5. September 2003 der beabsichtigten Kündigung.

Mit Kündigungsschreiben vom 4. September 2003, dem Kläger am 5. September 2003 persönlich überreicht, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31. März 2004. Mit weiterem Schreiben vom 15. September 2003 kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut zum 31. März 2004, nachdem das Integrationsamt einer fristgemäßen Kündigung mit Bescheid vom 11. September 2003 zugestimmt hatte. Eine nochmalige Anhörung des Betriebsrats zu dieser ordentlichen Kündigung erfolgte nicht.

Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigungen vom 4. September 2003 und 15. September 2003 seien schon wegen der fehlerhaften Beteiligung des für den gemeinsamen Betrieb gewählten Betriebsrats unwirksam. Die Beklagte hätte vor der zweiten ordentlichen Kündigung den Betriebsrat erneut anhören müssen. Es liege zudem weder ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung noch ein verhaltensbedingter Grund zur fristgemäßen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Er habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Die Vertragsgestaltung mit M, über die die Geschäftsführung im Einzelnen informiert gewesen sei, entspreche den üblichen Gepflogenheiten des Gewerbes und der Beklagten. Selbst bei Vorliegen eines Pflichtenverstoßes hätte die Beklagte ihn vor Ausspruch der Kündigung zunächst abmahnen müssen.

Der Kläger hat – soweit es auf Grund der Rücknahme der hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 5. September 2003 für die Revision noch von Interesse ist – zuletzt beantragt

festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 4. September 2003 und 15. September 2003 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, zum 31. März 2004 aufzulösen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Anträge vorgetragen: Die Kündigungen seien sowohl aus wichtigem Grund als auch aus verhaltens- bzw. personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Der Kläger habe mit seinem eigenmächtigen Verhalten seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag schwer verletzt. Er sei zwar zum Abschluss von Verträgen mit Kunden berechtigt, jedoch nicht ermächtigt gewesen, derart umfangreiche Dispositionen ohne vorherige Zustimmung der Geschäftsführer zu treffen. Er habe es versäumt, den Vertrag schriftlich zu fixieren und eine Abnahmepflicht zu vereinbaren. Auch habe er M weiter beliefert, obwohl nach der Verkostung des zu liefernden und extern eingekauften Weines durch den Geschäftsführer Ne eine extrem schlechte Qualität dieser Produkte festgestellt und ihm eine weitere Auslieferung verboten worden sei. Durch sein pflichtwidriges Handeln sei ein erheblicher Schaden für die Beklagte entstanden. Erst nach einer Kontrolle im August 2003 habe die Geschäftsführung erfahren, dass der Kläger das Geschäft mit M ausgeführt habe. Auf Grund der Schwere der Vertrauensverletzung und des Missbrauchs von Vollmachten habe der Kläger auch nicht mit einer Billigung durch die Geschäftsführung rechnen können. Deshalb habe sie den Kläger nicht erst abmahnen müssen.

Der Betriebsrat sei überflüssigerweise am 1. September 2003 angehört worden. Eine erneute Anhörung zur zweiten, ordentlichen Kündigung sei entbehrlich gewesen. Diese Kündigung stehe in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Anhörung des Betriebsrats zur ersten Kündigung. Beide Kündigungen beruhten auf demselben Sachverhalt. Es lägen auch keine neuen Tatsachen vor. Die zweite Kündigung sei nur notwendig geworden, weil die Zustimmung des Integrationsamtes zur hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung noch nicht vorgelegen habe.

Zumindest sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Das Vertrauen der Geschäftsführung in den Kläger sei auf Grund seines Verhaltens erschüttert. Im Übrigen zeige sein unkaufmännisches Vorgehen seine Ungeeignetheit für die Position eines Vertriebsleiters.

Der Kläger hat zur Begründung der Zurückweisung des Hilfsantrags auf den fehlenden Auflösungsgrund verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung und die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine der Klage stattgebenden Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Beklagte habe das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht wirksam gekündigt. Auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Mainz vom 30. Juli 2003 stehe fest, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungen am 5. und 15. September 2003 ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden habe. Für die außerordentliche Kündigung vom 4. September 2003 liege kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vor. Zwar komme die von der Beklagten vorgetragene Vertragspflichtverletzung – als richtig unterstellt -, nämlich die Überschreitung von Kompetenzen bei der Anbahnung und Abwicklung des M-Geschäfts, als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung an sich in Betracht. Bei der notwendigen umfassenden Interessenabwägung sei aber zu berücksichtigen, dass die Beklagte den Kläger vor Ausspruch der Kündigung nicht abgemahnt habe.

Die ordentliche Kündigung vom 15. September 2003 sei nach § 1 Abs. 1 KSchG und nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hätte den Betriebsrat des einheitlichen Betriebs zur zweiten ordentlichen Kündigung des Klägers erneut anhören müssen. Sie habe den schlüssigen Vortrag des Klägers zum einheitlichen Betrieb der G Unternehmensgruppe und der Beklagten in N nicht rechtserheblich bestritten. Der Kläger habe hinreichende Tatsachen für die Existenz eines einheitlichen Leitungsapparats und für eine konkrete Führungsvereinbarung dargetan. Das am 1. September 2003 eingeleitete Anhörungsverfahren beim Betriebsrat sei durch den Ausspruch der außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 4. September 2003 verbraucht gewesen. Der Betriebsrat hätte deshalb vor dem Ausspruch der zweiten Kündigung erneut angehört werden müssen. Unabhängig davon sei die Kündigung auch nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz finde auf den gemeinsamen Betrieb in N mit seinen insgesamt ca. 450 Arbeitnehmern Anwendung. Ein Kündigungsgrund iSv. § 1 Abs. 2 KSchG liege nicht vor. Die Beklagte habe es auch insoweit versäumt, den Kläger vor dem Ausspruch der Kündigung abzumahnen.

Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag der Beklagten sei unbegründet. Die Beklagte habe keine hinreichenden Tatsachen für einen Auflösungsgrund vorgetragen. Einer gerichtlichen Auflösung stehe weiter entgegen, dass die Kündigung schon nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei.

B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung.

Die außerordentliche Kündigung vom 4. September 2003 ist unwirksam, weil kein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist. Die ordentliche Kündigung vom 15. September 2003 ist schon nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG unwirksam, weil der Betriebsrat zu ihrem Ausspruch nicht ordnungsgemäß angehört worden ist. Der Auflösungsantrag war zurückzuweisen, da er unbegründet ist.

I. Die außerordentliche Kündigung vom 4. September 2003 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wirksam beendet.

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben. Die Wertung des Landesarbeitsgerichts ist frei von Rechtsfehlern und nicht zu beanstanden. Es kann deshalb dahinstehen, ob die außerordentliche Kündigung auch wegen Fristversäumung nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam ist.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Der in § 626 Abs. 1 BGB verwandte Begriff des wichtigen Grundes ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Seine Anwendung durch die Tatsachengerichte kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter diese Rechtsnorm Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob seine Würdigung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. des Senats 21. Juni 1994 – 2 ABR 28/94 -BAGE 80, 185; 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/90 – BAGE 67, 75; zuletzt etwa 16. Dezember 2004 – 2 ABR 7/04 – AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7).

b) Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs hält das angefochtene Urteil den Angriffen der Revision stand. Zwar kann auf Grund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend beurteilt werden, ob der Kläger überhaupt seine vertraglichen Pflichten erheblich verletzt hat und damit ein wichtiger Grund an sich gegeben wäre. Jedenfalls rechtfertigt die von der Beklagten geltend gemachte und vom Landesarbeitsgericht unterstellte Pflichtverletzung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht.

aa) Es ist davon auszugehen, dass zwischen den Parteien zum Kündigungszeitpunkt ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Revision hat die unter Bezugnahme auf die rechtskräftige Entscheidung des Arbeitsgerichts Mainz vom 30. Juli 2003 erfolgten, umfassenden Feststellungen und Wertungen des Landesarbeitsgerichts zum Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, die den Anlass für die Revisionszulassung bildeten, nicht angegriffen.

Das Landesarbeitsgericht ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass auf Grund der rechtskräftigen Feststellungen des Arbeitsgerichts Mainz im Vorprozess das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses der Parteien zugrunde zu legen war. Die Rechtskraft des der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgebenden Urteils des Arbeitsgerichts Mainz im Vorprozess hindert die Beklagte, sich in einem späteren Rechtsstreit zwischen denselben Prozessparteien wie dem vorliegenden Verfahren darauf zu berufen, ein Arbeitsverhältnis habe zwischen den Parteien nicht bestanden. Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 KSchG ist, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten, konkreten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin aufgelöst worden ist (vgl. BAG 12. Januar 1977 – 5 AZR 593/75 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 3 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 11; 12. Juni 1986 – 2 AZR 426/85 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 17 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 31; 27. Januar 1994 – 2 AZR 484/93 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 28 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 48; 25. März 2004 – 2 AZR 399/03 – AP BMT-G II Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 4; zuletzt 12. Mai 2005 – 2 AZR 426/04 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 53 = EzA KSchG § 4 Nr. 70). Mit der Rechtskraft eines Urteils im Kündigungsschutzprozess steht jedoch auch weiter fest, ob im Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung ein Arbeitsverhältnis zwischen den streitigen Parteien bestanden hat oder nicht. Die Rechtskraftwirkung gemäß § 322 ZPO schließt im Verhältnis der Parteien zueinander eine hiervon abweichende gerichtliche Feststellung in einem neuen Verfahren aus (vgl. BAG 12. Januar 1977 – 5 AZR 593/75 – und 12. Juni 1986 – 2 AZR 426/85 – beide aaO).

Ausgehend hiervon wäre es – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – an der Beklagten gewesen, ggf. für den Zeitraum nach dem Zugang der Kündigung des Vorprozesses darzulegen, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auf Grund geänderter Vertragsbedingungen oder auf Grund eines Beendigungstatbestands nicht mehr bestanden hat. Da es an einem solchen Vortrag fehlt und die Beklagte – wie ihr gesamtes Prozessverhalten zeigt – auch die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers nicht mehr bestreitet, sondern sogar ausdrücklich bestätigt, ist zwingend vom Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien auch zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 5. September bzw. 15. September 2003 auszugehen.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat weiter zutreffend angenommen, dass kein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger, wovon nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht ausgegangen werden kann, überhaupt seine vertraglichen Pflichten schuldhaft erheblich verletzt hat. Auch die von der Beklagten angeführte, mögliche Pflichtenverletzung würde eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen.

(1) Die Beklagte hat allerdings schon nicht hinreichend konkret darlegt, welche Pflichten der als „Vertriebsleiter“ eingesetzte Kläger bei dem Geschäftsabschluss mit der Firma M verletzt haben soll. Sie legt noch nicht einmal näher dar, ob und ggf. welchen konkreten Einschränkungen oder Weisungen der Kläger bei Geschäftsabschlüssen unterworfen war (zB hinsichtlich des Lieferumfangs, des Geschäftswerts oder ähnlichem). Ihr schlichter Hinweis auf die Bedingungen des Geschäftsführervertrags reicht hierzu nicht aus, zumal nach diesem Vertrag eine „konkrete Zuständigkeitsbeschreibung“ durch die Gesellschafterversammlung noch erfolgen sollte. Ferner ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger mit dem Abschluss des Vertrags mit M die Vertriebsstrategie der Beklagten generell geändert oder dadurch Ausgaben von über DM 5.000,– veranlasst hätte, die in der Jahresplanung nicht vorgesehen waren. Gleiches gilt im Hinblick auf die Übernahme von Bürgschaften oder der Eingehung von Wechselverbindlichkeiten. Schließlich lässt sich auf Grund der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen auch nicht hinreichend beurteilen, ob mit dem Abschluss des Vertrags eine Vertragsbindung von mehr als einem Jahr eingegangen wurde oder der Gegen- und Haftungswert des Rechtsgeschäfts den Wert von jährlich DM 10.000,– übersteigen würde.

Hinzu kommt, dass die Beklagte die zur Rechtfertigung dienenden substanziierten Einlassungen des Klägers nicht ausgeräumt hat, in einer Vielzahl von Geschäften seien von der Beklagten keine Abnahmeverpflichtungen mit Kunden vereinbart worden und zudem seien die Geschäftsführer der Beklagten über den Vertragsabschluss mit M hinreichend informiert gewesen und hätten ihn gebilligt.

Dies gilt umso mehr, als sie auch behauptet hat, der Geschäftsführer Ne habe nach einer Verkostung des Weines eine weitere Auslieferung verboten. Dies legt zumindest nahe, die Geschäftsführung habe zu diesem Zeitpunkt von dem Geschäftsabschluss und dessen Inhalt Kenntnis gehabt. Insoweit hätte es eines weiteren konkreten Sachvortrags der Beklagten zum möglichen Pflichtenverstoß des Klägers bedurft. Sie hätte ggf. entsprechende – konkrete – Weisungen darlegen müssen, von denen der Kläger abgewichen sein soll. Deshalb ist auch nicht ohne weiteres erkennbar, welche „Dispositionsbefugnisse“ der Kläger missbraucht haben soll. Zwar könnte eine Vertragspflichtverletzung aus dem Umstand folgen, dass er den Vertrag mit M weisungswidrig abgeschlossen hätte. Für einen weisungswidrigen Geschäftsabschluss – der entweder der allgemeinen Geschäftsanweisung oder einer konkreten Geschäftsanweisung widersprach – fehlt jedoch ein hinreichend konkreter Sachvortrag.

Die Beklagte wirft dem Kläger im Ergebnis letztlich nur vor, er habe ein „ungünstiges“ Geschäft abgeschlossen, bei dem sie infolge der gekündigten Geschäftsbeziehung mehrere tausend Flaschen Wein zu viel eingekauft und vorgehalten habe. Welche konkrete Pflicht der Kläger damit verletzt haben soll, folgt aus dem Vortrag nicht. Soweit die Beklagte auf die nicht üblichen „Sonderkonditionen“ verweist, hätte sie unter Berücksichtung des substanziierten Vortrags des Klägers zu den üblichen Konditionen für die von der Beklagten abgeschlossenen Verträge konkret vortragen und darlegen müssen, dass die hier im Streit stehenden Konditionen entweder nicht oder nur unter bestimmten (welchen?) Voraussetzungen eingeräumt werden dürfen.

Dass der Kläger solchen konkreten Weisungen unterworfen gewesen wäre, hat die Beklagte nicht dargetan.

(2) Selbst wenn man aber mit dem Landesarbeitsgericht eine Pflichtverletzung des Klägers unterstellen würde, würde eine solche Pflichtverletzung den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund gleichwohl nicht rechtfertigen können. Unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände und der Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien wäre der Beklagten eine Weiterbeschäftigung des Klägers jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar.

Im Rahmen der für § 626 Abs. 1 BGB notwendigen Interessenabwägung sind insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen (Senat 21. Januar 2001 – 2 AZR 325/00 – AP BAT § 54 Nr. 5 = EzA BAT § 54 Unkündbare Angestellte Nr. 11).

Selbst wenn der behauptete – einmalige – Pflichtenverstoß (weisungswidrige Anbahnung und Durchführung des M-Geschäfts), der nicht in Schädigungsabsicht erfolgte, vorliegen würde, wären dessen Auswirkungen und der eher geringe Grad des Verschuldens des Klägers nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu begründen. Um weiteren Pflichtverstößen während des Laufs der Kündigungsfrist zu begegnen, hätte die Beklagte durch eine entsprechende Weisung für zukünftig zu tätigende Geschäftsabschlüsse oder durch einen ausdrücklichen Genehmigungsvorbehalt für alle Geschäftsabschlüsse bzw. ab einem bestimmten Wert die nicht eindeutigen Befugnisse des Klägers aus dem zugrunde liegenden Vertrag klarstellen können. Sie hätte damit auch möglichen Pflichtverletzungen des Klägers zumindest für den Ablauf der Kündigungsfrist wirksam begegnen können. Es sind auch keine Anhaltspunkte gegeben, dass sich der Kläger solchen konkreten Weisungen zuwider verhalten hätte.

2. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, ist die ordentliche Kündigung vom 15. September 2003 schon nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Eine Anhörung des Betriebsrats ist vor Ausspruch der Kündigung nicht erfolgt. Die zuvor erfolgte Anhörung des Betriebsrats zur außerordentlichen (und damals noch hilfsweise ordentlichen) Kündigung vom 4. September 2003 machte eine erneute Anhörung nicht entbehrlich.

a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Nach Satz 1 der Norm ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG entfaltet nur für die Kündigung Wirksamkeit, für die es eingeleitet worden ist. Der Arbeitgeber hat demnach grundsätzlich für jede Kündigung ein Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG durchzuführen. Will er beispielsweise eine außerordentliche Kündigung und hilfsweise ordentliche Kündigung aussprechen, hat er dies dem Betriebsrat bei Einleitung des Anhörungsverfahrens mitzuteilen. Der Arbeitgeber muss klarstellen, er beabsichtige sowohl den Ausspruch einer außerordentlichen als auch einer – hilfsweise -ordentlichen Kündigung (Senat 11. November 1989 – 2 AZR 88/89 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 55 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 78; 20. September 1984 – 2 AZR 633/82 -AP BGB § 626 Nr. 80 = EzA BGB § 626 nF Nr. 91).

Einer – erneuten – Anhörung des Betriebsrats bedarf es schon immer, wenn der Arbeitgeber bereits nach Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung erklärt hat, dh., wenn die erste Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist und der Arbeitgeber damit seinen Kündigungswillen bereits verwirklicht hat und nunmehr eine neue (weitere) Kündigung aussprechen will. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf den gleichen Sachverhalt stützt. Dieses Gestaltungsrecht und die damit im Zusammenhang stehende Betriebsratsanhörung ist mit dem Zugang der Kündigungserklärung verbraucht (Senat 16. September 1993 – 2 AZR 267/93 – BAGE 74, 185; 5. September 2002 – 2 AZR 523/01 – AP LPVG Sachsen § 78 Nr. 1). Dies gilt insbesondere auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vorsorglich erneut kündigt. Etwas anderes kommt nur in den Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluss noch nicht verwirklicht hat. Nur dann kann eine erneute Beteiligung des Betriebsrats entbehrlich sein, wenn das frühere Anhörungsverfahren ordnungsgemäß war, der Betriebsrat der Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat und eine Wiederholungskündigung in angemessenem zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen und auf denselben Sachverhalt gestützt wird (vgl. BAG 16. September 1993 – 2 AZR 267/93 -).

b) Eine ausdrückliche Anhörung des Betriebsrats des gemeinsamen Betriebs der Unternehmensgruppe G und der Beklagten zur ordentlichen Kündigung vom 15. September 2003 ist unstreitig nicht erfolgt. Nach den dargelegten Grundsätzen hätte es aber einer erneuten Anhörung des Betriebsrats zur ordentlichen Kündigung vom 15. September 2003 bedurft.

c) Durch den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung und der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 4. September 2003, die später im Einvernehmen mit dem Kläger zurückgenommen wurde, hatte die Beklagte ihren Kündigungswillen bereits verwirklicht. Damit war die Betriebsratsanhörung vom 1. September 2003 „verbraucht“.

d) Die Anhörung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Klägers vom 4. September 2003 machte eine erneute Anhörung der Arbeitnehmervertretung zur Kündigung vom 15. September 2003 nicht entbehrlich. Entgegen der Auffassung der Revision liegt kein Ausnahmefall einer „Wiederholungskündigung“ vor, in dem eine erneute Anhörung des Betriebsrats überflüssig wäre. Dies gilt schon deshalb, weil die Beklagte nach der Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung vom 4. September 2003 die Kündigung am 5. September 2003 ausgesprochen hatte und diese Kündigungserklärung dem Kläger zugegangen war. Hinzu kommt, dass die Beklagte nach der Zustimmung des Integrationsamts zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung einen erneuten Kündigungsentschluss gebildet hatte und auch eine neue und entscheidungserhebliche Tatsache vorlag. Auch hatte der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung vom 4. September 2003 nicht vorbehaltlos zugestimmt, sondern im Gegenteil ihr sogar widersprochen. Entgegen der Auffassung der Revision stellt sich deshalb eine erneute Anhörung des Betriebsrats auch nicht als eine „bloße überflüssige Förmelei“ dar.

e) Soweit die Revision weiter geltend gemacht hat, das Landesarbeitsgericht habe nur lapidar begründet, der Kläger sei kein leitender Angestellter, erhebt sie keine hinreichende Revisionsrüge. Es ist im Übrigen auch nicht erkennbar, dass die darlegungspflichtige Beklagte in den Vorinstanzen genügend Tatsachen, aus denen sich ggf. eine leitende Angestellteneigenschaft des Klägers ergeben könnte, dargelegt hat.

II. Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag ist unbegründet.

Der Antrag ist schon deshalb unbegründet, weil die Kündigung vom 15. September 2003 nicht nur sozialwidrig, sondern auch aus anderen Gründen, nämlich wegen der fehlenden Anhörung des Betriebsrats (siehe oben Ziff. I), unwirksam ist. Der Arbeitgeber kann eine Auflösung nach § 9 KSchG nur verlangen, wenn die Kündigung lediglich nach § 1 KSchG sozialwidrig ist. Die Lösungsmöglichkeit nach § 9 KSchG bedeutet für den Arbeitgeber eine Vergünstigung, die nur in Betracht kommt, wenn eine Kündigung „nur“ sozialwidrig und nicht auch aus anderen Gründen nichtig ist (st. Rspr., beispw. BAG 9. Oktober 1979 – 6 AZR 1059/77 – BAGE 32, 122; 30. November 1989 – 2 AZR 197/89 – BAGE 63, 351; 10. November 1994 – 2 AZR 207/94 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 24 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 43; 27. September 2001 – 2 AZR 389/00 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41 = EzA ZPO § 322 Nr. 13).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

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