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Kündigung – Weitergabe von Lösungen durch Lehrer

ArbG Freiburg (Breisgau)

Az.: 12 Ca 187/08

Urteil vom 22.07.2009


1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. April 2008, zugegangen am 29. April 2008, sein Ende gefunden hat.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 4 215,45 (i. W. EURO viertausendzwei- hundertfünfzehn 45/100) brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2008 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Kläger trägt 1/4, die Beklagte 3/4 der Kosten des Rechtsstreits.

5. Der Wert des Streitgegenstandes der Entscheidung wird auf € 16 861,80 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitig ausgesprochenen fristlosen Kündigung, Weiterbeschäftigung und Zahlung eines Monatsgehalts.

Der Kläger ist 55 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Er war beim beklagten Land als Lehrer angestellt. Im Jahre 1981 nahm er eine Tätigkeit als Nebenlehrer mit hälftigem Deputat im Fach Sport auf. Im August 1989 wurde der Kläger in ein Angestelltenverhältnis in den öffentlichen Dienst übernommen. Seit September 1996 unterrichtet er nach erfolgreichem Abschluss einer Weiterbildungsmaßnahme neben dem Fach Sport das Fach Mathematik. Zum 1. August 1998 wurde der Kläger auf seinen Antrag hin aus persönlichen Gründen an das L-Gymnasium in R. versetzt. Hier war er bis zum Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder und der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Anwendung. Gem. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVL-L ist der Kläger ordentlich unkündbar. Das Monatseinkommen beträgt € 4 215,45 brutto. Der Kläger ist am L-Gymnasium insbesondere im Bereich Fußball engagiert. Hier betreut er mehrere Fußballjahrgänge. Zudem ist er im Fußballverein in Z. sehr stark engagiert. Hier fungiert er ebenfalls als Trainer für mehrere Jahrgänge.

Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 25. April 2008, zugegangen am 29. April 2008, fristlos gekündigt (Bl. 5 d. A.). Die Kündigung wurde durch einen vom Kläger beauftragten Rechtsanwalt gem. § 174 BGB zurückgewiesen. Nach Angaben des Klägers erfolgte die Zurückweisung am 6. Mai 2009, nach Angaben der Beklagten am 7. Mai 2009.

Der Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Schuljahr 2007/2008 leitete der Kläger als Lehrer den Abiturkurs im Fach Sport. Am 9. April 2008 wurden die schriftlichen Abiturprüfungen abgelegt. Der Kläger war zugleich Fußballtrainer von A., der das Gymnasium in Sch. besuchte und dort am Abiturkurs im Fach Sport teilnahm. Er sollte am 9. April 2008 ebenfalls an der schriftlichen Abiturprüfung im Fach Sport teilnehmen. A. bat den Kläger im Rahmen einer Fußballveranstaltung um Mithilfe bei der schriftlichen Abiturprüfung. Der Kläger sagte seine Hilfe zu. Am Morgen des 9. April 2009 wurden die Prüfungsaufgaben mit den amtlichen Lösungshinweisen um 7.00 Uhr, nämlich vor Beginn der schriftlichen Abiturprüfung um 8.30 Uhr, geöffnet. Dem Kläger gelang es, unbemerkt auf dem Fotokopiergerät des L-Gymnasiums eine Kopie der amtlichen Lösungshinweise für die Aufgaben im Fach Sport zu fertigen. Sodann fuhr er in seinem Pkw zu einem zuvor mit dem Schüler A. verabredeten Treffpunkt an der Landstraße zwischen den Orten R. und Z. Dort übergab er dem Schüler A. die Mehrfertigung der amtlichen Lösungshinweise. Anschließend kehrte der Kläger in seine Schule zurück. Der Schüler A. benutzte die ihm übergebenen Kopien der amtlichen Lösungsblätter zur Bearbeitung der schriftlichen Abiturprüfung. Dadurch erlangte er bei der Prüfung die volle Punktzahl (Anlage B 5, Bl. 59 d.A.). Am Morgen des 10. April 2008 ging beim Gymnasium Sch. ein anonymer Brief ein (Anlage B3, Bl. 52 d. A.). In diesem Brief wurde der Verdacht geäußert, dass der Schüler A. die Abiturprüfung mit Hilfe der schriftlichen Lösungshinweise bearbeitet habe. Im Zuge der Ermittlungen legte der Schüler A. mit Schreiben vom 21. April 2008 ein schriftliches Geständnis ab, in dem er den Sachverhalt zugab (Anlage B1, Bl. 50 d. A.). Dem Geständnis des Schülers A. folgte sodann am 22. April 2008 ein Geständnis des Klägers gegenüber dem als Zeugen vernommenen Schulleiters des L-Gymnasiums in R.

Der zuständige Bezirkspersonalrat wurde unter konkreter Angabe des Sachverhalts mit E-Mail vom 21. April 2008 angehört (Anlage B5, Bl. 55 ff. d. A.). Der Bezirkspersonalrat wies auf eine mögliche psychische Erkrankung hin und schlug vor, dass das Fehlverhalten im Hinblick auf die Länge der Dienstzeit und des bisher fehlerfrei geführten Arbeitsverhältnisses mit einer Abmahnung gerügt werden sollte (Anlage B6, Bl. 61 f. d. A.).

Die Kündigung vom 25. April 2008 wurde von „ORR O.“ (ORR = Oberregierungsrat) unterzeichnet. Der als Zeuge vernommene Herr O. ist als verbeamteter Volljurist beim örtlich und sachlich zuständigen Regierungspräsidium F. als Verwaltungsreferent tätig. Für ihn ist beim Arbeitsgericht Freiburg eine Vollmacht hinterlegt. Das Regierungspräsidium F. ist wie folgt aufgebaut: An der Spitze steht der Regierungspräsident. Das Regierungspräsidium unterteilt sich sodann in neun Abteilungen. Im Zuge der Verwaltungsreform wurde das Oberschulamt in das Regierungspräsidium integriert. Es ist nunmehr in der Abteilung VII des Regierungspräsidiums (Schule und Bildung) aufgegangen. Der vormalige Präsident des Oberschulamtes ist nunmehr Schulpräsident, mithin Leiter der Abteilung VII. Die Abteilung VII ist wiederum in sieben Referate unterteilt (Referat 71 – 77). Das Referat 72 ist dabei zuständig für „Personal- und Verwaltungsangelegenheiten der Lehrkräfte“. Referatsleiter ist Ltd. RD M. Dem Referatsleiter sind insgesamt acht Verwaltungsreferenten untergeordnet, so auch der Zeuge O. Dem Verwaltungsreferenten arbeiten sodann Sachbearbeiter zu. Ausweislich des zum Zeitpunkt der Kündigung geltenden Geschäftsverteilungsplanes des Regierungspräsidiums F. (Stand: Januar 2008) waren sechs Verwaltungsreferenten für die „Personal- und Verwaltungsangelegenheiten der Lehrkräfte einschließlich Bearbeitung/Vollzug von Funktionsstellenbesetzungsverfahren an allgemeinbildenden Gymnasien und beruflichen Schulen“ betraut.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die streitgegenständliche Kündigung unwirksam ist. Es liege kein wichtiger Grund zur fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der Kläger sei ein allseits beliebter und sehr engagierter Lehrer. Er sei maßgeblich am guten Ruf des L-Gymnasiums beteiligt. Er habe sich bisher keine Verfehlungen zu Schulden kommen lassen. Er habe sich für außerschulische Veranstaltungen, wie z. B. Schullandheimaufenthalte oder „Jugend trainiert für Olympia“ angeboten. Außerhalb der Schule sei er beim Fußballverein Z. e.V. engagiert. Dort sei er seit 35 Jahren Trainer und Übungsleiter. Der Aufbau des Z. e.V. mit dem Sport-Jugendzentrum sei sein Lebenswerk. Sein Fehlverhalten könne er sich nicht erklären. Er wisse selbst nicht, wie er hierzu fähig gewesen sei. Er habe dem von ihm geförderten Schüler A. die Hilfe zukommen lassen wollen, die er von seinem eigenen Vater, einem Gast- und Landwirt, nicht erhalten und ersehnt habe. Er leide an Überlastungsproblemen mit Schlafstörungen. Er sei zudem depressiv. Er befinde sich in psychologisch-fachärztlicher Behandlung und werde medikamentös behandelt. Einschlägige Atteste und Begutachtungen hätten dies bestätigt. Es habe sich um eine nicht mehr beherrschbare Kurzschlussreaktion gehandelt bzw. um die Zuspitzung eines Burn-out-Syndroms. Eine Wiederholungsgefahr sei beim Kläger nicht erkennbar.

Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde. Sein Fehlverhalten sei somit ausreichend sanktioniert.

Die Kündigung sei gem. § 174 BGB ordnungsgemäß zurückgewiesen worden. Der Kündigung war keine Vollmacht beigefügt. Die Vorschrift finde auch im öffentlichen Dienst Anwendung. Es werde daher bestritten, dass das Regierungspräsidium Freiburg vom beklagten Land ermächtigt worden sei, die streitgegenständliche Kündigung auszusprechen. Es werde bestritten, dass der Schulpräsident vom Regierungspräsidenten als Abteilungsleiter ermächtigt worden sei, die streitgegenständliche Kündigung auszusprechen. Es werde auch bestritte, dass der Unterzeichner der streitgegenständlichen Kündigung vom Schulpräsidenten oder Regierungspräsidenten ermächtigt worden sei, die streitgegenständliche Kündigung auszusprechen. Es liege kein Fall einer gesetzlichen oder organschaftlichen Vertretung vor. Auf die Vorlage einer Vollmacht habe daher nicht verzichtet werden können. Es werde auch bestritten, dass die Aufgabenzuweisung nach dem Geschäftsverteilungsplan des Regierungspräsidiums Freiburg eine Kündigungsberechtigung des unterzeichnenden Oberregierungsrats O. beinhalte.

Die Zurückweisung sei nicht gem. § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil die Vollmacht dem Kläger mitgeteilt worden sie. Herr O. sei in dem Telefongespräch am 22.04.2009 nicht als zuständiger Jurist vorgestellt worden. Dieser sei zudem allenfalls als Sachbearbeiter zu qualifizieren. Die Federführung in Personalfragen sei i. d. R. dem Behördenleiter vorbehalten. Es sei auch so, dass Herr O. alle Verhandlungen zumindest vom Schulpräsidenten abzusegnen habe.

Die Zurückweisung erfolgte auch unverzüglich. Die Kündigung ging am 29. April 2008 zu. Die Zurückweisung erfolgte durch Rechtsanwalt J. am 6. Mai 2008.

Zur Wahrung von Ausschlussfristen wurde die Mai-Vergütung i. H. v. € 4 215,45 im Hinblick auf § 24 Abs. 1 TVL-L eingeklagt. Da die Kündigung unwirksam sei, habe der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern ungekündigt fortbesteht.

2. Die Beklagte wird im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag Ziff. 1 verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Lehrer weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 4 215,45 brutto zuzüglich Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2008 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, Klagabweisung.

Die Beklagte hält die streitgegenständliche Kündigung für wirksam. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei unbegründet. Der Klagerweiterung bezüglich der Vergütung für Mai werde nicht zugestimmt. Im Einzelnen:

Es liege ein wichtiger Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Der Kläger habe dem Schüler A. nicht spontan geholfen. Er sei vielmehr planmäßig und berechnend vorgegangen. Die Tat habe eine durchdachte Vorbereitung und Verabredung mit dem Schüler A. erfordert. Der Kläger habe mit der unerlaubten Weitergabe der amtlichen Lösungshinweise in besonderem Maße gegen seine Kernpflichten als Lehrer verletzt. Sein Vorgehen zeuge von krimineller Energie. Sein Verhalten spiegele zudem eine besondere Abgebrühtheit und Gleichgültigkeit wieder. Hinsichtlich der Schwere der Verletzung der Kernpflichten als Lehrer handle es sich um einen einzigartigen Vorgang, der als angemessene Reaktion eine fristlose Kündigung rechtfertige.

Der pauschale Vortrag eines Burn-out-Syndroms sei unglaubhaft. Der Zustand beruflicher Ausgebranntheit und Erschöpfung führe zu keiner planmäßig berechnenden und genauestens vorbereiteten Tat. Entgegen dem beschriebenen Krankheitsbild habe der Kläger zusätzlichen Arbeits- und Planungsaufwand aufgebracht. Ein Kausalzusammenhang zwischen den Symptomen der Erkrankung und den Auswirkungen sei nicht beschrieben.

Im Rahmen einer Interessenabwägung sei das öffentliche Interesse an der Integrität des öffentlichen Schulwesens entscheidend. Unlauteren und rechtswidrigen Beeinflussungen von Prüfungsergebnissen müsse vorgebeugt werden. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger gem. § 353 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht habe. Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers rechtfertigten ebenfalls eine sofortige Kündigung. Durch das Verhalten sei das unabdingbare Vertrauen der Beklagten in die persönliche Zuverlässigkeit des Klägers unwiederbringlich zerstört. Die Beklagte könne sich nicht sicher sein, dass der Kläger sich künftig uneingeschränkt vertragstreu verhalten werde. Der Kündigung habe auch keine Abmahnung vorausgehen müssen. Bei schweren Verletzungen wie der vorliegenden sei die Rechtswidrigkeit des Handelns ohne weiteres erkennbar.

Die Zurückweisung der Kündigung durch den Kläger mit Schreiben vom 6. Mai 2009 führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 174 BGB. Die Vorschrift sei auf gesetzliche und gleichzustellende Vertreter nicht anwendbar. Der unterzeichnende Zeuge O. habe die Kündigung nicht als rechtsgeschäftlicher Bevollmächtigter, sondern kraft seines Amtes als Beamter im höheren Dienst des beklagten Landes und damit als gesetzlicher Vertreter oder jedenfalls einem diesem gleichzustellenden Vertreter ausgesprochen. Er sei nämlich nicht durch privaten Rechtsakt, sondern aufgrund öffentlich-rechtlicher Normen, nämlich §§ 11 Nr. 1, 12 Abs. 1 und 3 Landesbeamtengesetz ernannt worden. Auch die Aufgabenzuweisung nach dem Geschäftsverteilungsplan erfolge aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften und nicht aufgrund der Grundlage eines privatrechtlichen Rechtsakts.

Die Zurückweisung sei ferner gem. § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Der die Kündigung unterzeichnende Zeuge O. sei als Beamter im höheren Verwaltungsdienst u. a. mit der Aufgabe der Personalverwaltung bei der dienstvorgesetzten und personalführenden Behörde des Klägers betraut. Er sei damit in eine Stellung berufen, die üblicherweise mit einer Vertretungsmacht zur Aussprache von Kündigungen ausgestattet sei. Die Zurückweisung sei daher gem. § 174 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Hinzu komme, dass der Kläger persönlich von der Befugnis des Unterzeichners ihm zu kündigen, am Vormittag des 22. April 2008 im Rahmen eines Telefonats in Kenntnis gesetzt worden sei. Der Zeuge O. sei hier als zuständiger Jurist vorgestellt worden. Darin liege eine Mitteilung der Vertretungsmacht des Unterzeichners gem. § 174 Satz 2 BGB.

Die Zurückweisung sei nicht unverzüglich erfolgt. Der Kläger habe bereits im Vorfeld Kontakt mit einem Rechtsanwalt aufgenommen. Die Zurückweisung sei erst am 7. Mai 2008 erfolgt, d. h. mehr als eine Woche nach Erhalt des Kündigungsschreibens. Angesichts der Umstände des vorliegenden Falls, nämlich der bereits am 22. April 2008 erfolgten Information des Klägers über die zu erwartende Kündigung durch die Beklagte, sei die Zurückweisung als verspätet zu werten.

Zudem verstoße die Zurückweisung gegen Treu und Glauben. Eine Unsicherheit auf Seiten des Klägers hinsichtlich der Kündigungsbefugnis des Unterzeichners sei nicht vorhanden gewesen. Die fristlose Kündigung sei ausdrücklich unter Angabe des weiteren Ablaufs (Personalratsanhörung, Zeitpunkt der Kündigung) angekündigt worden. Der Kläger sei daher nicht schutzbedürftig gewesen.

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Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsprotokolle verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen M. und O.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig (dazu A.) und im Wesentlichen begründet. Es liegt zwar ein wichtiger Grund zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor (dazu B.). Die Kündigung ist allerdings wegen ordnungsgemäßer Zurückweisung gem. § 174 BGB unwirksam (dazu C.). Die Klage auf Zahlung der Vergütung für den Monat Mai 2008 ist aufgrund Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung ebenfalls begründet (dazu D.). Der Weiterbeschäftigungsantrag war wegen Ausspruch einer zweiten, nicht offensichtlich unwirksamen Kündigung zurückzuweisen (dazu E.).

A.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) und b) ArbGG eröffnet. Das Arbeitsgericht ist in erster Instanz gem. § 8 Abs. 1 ArbGG sachlich zuständig. Der Beschäftigungsort des Klägers lag im Bezirk des angerufenen Gerichts. Das Arbeitsgericht Freiburg ist gem. § 29 ZPO örtlich zuständig. Der Beschäftigungsort des Klägers lag im Landkreis Rottweil. Ausweislich III. und IV. Nr. 1 des Geschäftsverteilungsplans des Arbeitsgerichts Freiburg fällt der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Kammer 12.

B.

Dem Kläger kann gem. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVL-L nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Er hat das 40ste Lebensjahr bereits vollendet und ist seit mehr als 15 Jahren beim beklagten Land als Lehrer beschäftigt. Die Tarifvertragsparteien haben sich bei der gewählten Terminologie an § 626 BGB orientiert. Der Kündigungs- und Prüfungsmaßstab des § 34 Abs. 2 Satz 1 TVL-L und des § 626 BGB sind somit identisch. Nach ständiger Rechtsprechung ist die fristlose Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB begründet, wenn ein bestimmter Sachverhalt vorliegt, der ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden (dazu I.), verhältnismäßig ist und dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Durchführung einer umfassenden Interessenabwägung unter Einbeziehung aller einzelfallbezogenen Umstände nicht zumutbar ist (dazu II.).

I.

Ob ein wichtiger Grund an sich vorliegt, ist in Anlehnung an die Typologie der Kündigungsgründe nach dem KSchG zu ermitteln. Neben betriebs- und personenbedingten Gründen stehen verhaltensbedingte Kündigungsgründe bei der außerordentlichen Kündigung im Vordergrund. Sie setzt einen Verstoß gegen eine arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflicht voraus, der an sich geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Ein solcher Grund liegt hier in der unerlaubten Weitergabe der Lösungshinweise durch den Kläger an den Schüler A. W. vor. Im Einzelnen:

1. Straftaten, die innerhalb des Arbeitsverhältnisses begangen werden, sind zugleich Vertragsverletzungen und können eine Kündigung ohne Abmahnung rechtfertigen (ErfK/Müller-Glöge, 9. Aufl., 2009, § 626 BGB, Rn. 29 und 133). Hierunter fallen nicht nur Vermögensdelikte zu Lasten des Arbeitgebers, sondern auch strafbare Verstöße gegen Verschwiegenheitspflichten (vgl. BAG, Urteil vom 23.10.2008, 2 ABR 59 / 07, BeckRS 2009 61699). Diese Fallgruppe – Straftat im Arbeitsverhältnis – ist vorliegend einschlägig. Der Kläger hat unbefugt und vorsätzlich die amtlichen Lösungshinweise für die Abiturprüfung an Dritte weitergegeben. Unstreitig handelt es sich bei den amtlichen Lösungshinweisen um geheimhaltungsbedürftige Unterlagen, die nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen. Die unbefugte Weitergabe stellt eine Straftat gem. § 353 b Abs. 1 Satz Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 StGB dar. Folgerichtig wurde der Kläger strafrechtlich verurteilt.

2. Ein wichtiger Grund an sich kann auch bei einem schweren Verstoß gegen vertragliche Verschwiegenheitspflichten vorliegen (ErfK/Müller-Glöge, § 626 BGB, Rn. 154). Auch ohne ausdrückliche Regelung sind einem Arbeitsverhältnis, wie § 241 Abs. 2 BGB zeigt, zahlreiche Nebenpflichten immanent. Hierzu zählt insbesondere die Pflicht, Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse – im öffentlichen Dienst: Dienstgeheimnisse – zu wahren. Eine entsprechende Verschwiegenheitspflicht ist ausdrücklich in § 3 Abs. 2 TVL-L enthalten. Dass die amtlichen Lösungshinweise der Geheimhaltung unterliegen, ist zumindest als Nebenpflicht auch ohne ausdrückliche Regelung dem Arbeitsverhältnis des Klägers als Lehrer immanent. Das wird dem Kläger als Lehrer mit 28jähriger Berufserfahrung bewusst gewesen sein. Die Pflicht, die amtliche Lösung für die Abituraufgaben nicht Dritten zugänglich zu machen, ist für den gesamten Schulbetrieb von überragender Bedeutung. Der vorsätzliche Verstoß hiergegen stellt korrespondierend zur Bedeutung der geheimhaltungsbedürftigen Lösungshinweise einen erheblichen Verstoß gegen die Kernpflichten eines Lehrers dar, ist mithin als wichtiger Grund an sich geeignet, die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.

II.

Liegt ein wichtiger Grund i. S. d. § 34 Abs. 2 Satz 2 TVL-L i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB vor, ist die außerordentliche Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn sie verhältnismäßig ist (dazu 1.) und der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Durchführung einer umfassenden Interessenabwägung zumutbar ist (dazu 2.).

1. Die fristlose Kündigung muss ultima ratio für den Kündigungsberechtigten sein. Dies ist nicht der Fall, wenn der mit der außerordentlichen Kündigung verfolgte Zweck durch mildere Mittel erreicht werden kann (vgl. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., 2005, Rn. 613f). In Betracht kommen die ordentliche Kündigung bzw. die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, eine Abmahnung oder Versetzung (zur Versetzung milderes Mittel, vgl. BAG, Urteil vom 31. März 1993, 2 AZR 492 / 92, NZA 1994, 409, 412).

Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen ist nicht ersichtlich, welche milderen Mittel der Beklagten zur Seite gestanden hätten. Der mit der unbefugten Weitergabe der amtlichen Lösungshinweise für die Abiturprüfungen verbundene Verlust in das Vertrauen des Klägers wird nicht dadurch behoben, dass er nur außerordentlich mit sozialer Auslauffrist gekündigt wird, er abgemahnt oder versetzt wird. Er bliebe weiterhin Lehrer, nähme mithin die schulische Verantwortung für Kinder wahr. Ebenso untauglich ist die klägerseits angeregte Beschränkung der Unterrichtungspflicht auf untere Schulklassen. Auch hier werden Klassenarbeiten geschrieben und Noten verteilt. Auch hier setzt sich der Vertrauensverlust fort bzw. wird nicht behoben durch eine Beschränkung der Unterrichtsverpflichtung. Einer Abmahnung bedurfte es ebenfalls nicht. Der Kläger konnte unter keinem Gesichtspunkt davon ausgehen, dass die Beklagte einen derart schweren Verstoß billigt oder einmalig duldet. Der Kläger hat vergleichbar mit einer stehlenden oder unterschlagenden Verkäuferin gegen seine Kernpflichten verstoßen und damit das in ihn gesetzte Vertrauen unwiederbringlich zerstört (vgl. BAG, Urteil vom 5. April 2001, 2 AZR 217 / 00, NZA 2001, 837 unter II 2 d. der Entscheidungsgründe; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.02.2009, 7 Sa 2017 / 08). Eine fristgerechte Kündigung, eine Versetzung oder Abmahnung kommen als mildere Mittel nicht in Betracht.

2. Ausgangspunkt der Interessenabwägung sind die kündigungsauslösende Pflichtverletzung, die Schwere des Verstoßes und die Folgen. Ggf. bestehende Entschuldigungsgründe sind zu berücksichtigen, ebenso wie der Grad des Verschuldens. Bei Durchführung sind des Weiteren nur arbeitsvertraglich relevante Umstände einzubeziehen. Von Bedeutung ist im Rahmen der Interessenabwägung die Dauer der Betriebszugehörigkeitszeit. Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG kann einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer, der sich bisher vertragstreu verhalten hat, ein Fehlverhalten eher nachzusehen sein (vgl. BAG, Urteil vom 31.03.1993, 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409, 412). Von untergeordneter Bedeutung sind hingegen Unterhaltspflichten (vgl. BAG, Urteil vom 05.04.2001, 2 AZR 159/00, NZA 2001, 954, 957). Im Übrigen sind alle sonstigen vertrags-, betriebs- und personenbezogenen Interessen sowie verfassungsrechtliche Wertentscheidungen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus. Im Einzelnen:

a) Zu Gunsten des Klägers ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass der Kläger das 50ste Lebensjahr überschritten hat und schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hat. Ferner sind das bisher unstreitig gestörte Arbeitsverhältnis, das im Kern unstreitige schulische und außerschulische Engagement des Klägers und dessen Unterhaltspflichten zu berücksichtigen. Zu Gunsten des Klägers können ferner die Auswirkungen des Bekanntwerdens der Pflichtverletzung auf das Privatleben und die Gesundheit des Klägers berücksichtigt werden. Zu Gunsten des Klägers könnte gewertet werden, dass er inzwischen strafrechtlich verurteilt wurde, die Pflichtverletzung mithin ausreichend sanktioniert ist.

b) Auch bei wohlwollender Berücksichtigung der unter a) aufgezeigten Aspekte kann die Interessenabwägung nur zu Lasten des Klägers ausfallen. Im Einzelnen:

aa) Die Weitergabe der amtlichen Lösungen der Abiturprüfung stellen einen besonders schweren Verstoß gegen elementarste Kernpflichten eines Lehrers dar. Fairness, Chancengleichheit, aber auch Leistung und Anerkennung der Leistung bei der Notenvergabe sind für den Schulbetrieb von überragender Bedeutung. Der Kläger hat mit seinem Fehlverhalten einen erheblichen Schaden verursacht, der über den Einzelfall hinausgeht. Wie schon der anonyme Brief, die Resonanz in der Presse und die Reaktion der Beteiligten zeigt, liegt ein besonders schwerwiegendes das Vertrauen in eines faires und gerechtes Schulsystem erschütterndes Fehlverhalten vor. Die Hochschulreife stellt für die Schüler eine Weichenstellung in ihrem Leben dar. Vom Abitur hängt ab, ob sie studieren können oder ob sie einen guten Ausbildungsplatz bekommen. Das bestandene Abitur ist die „Eintrittskarte“ in ein Leben mit zahlreichen Chancen und Möglichkeiten. Die existentielle Bedeutung der Hochschulreife für die Schüler hat der Kläger einfach beiseite gewischt. Ein Einzelfall in dieser Art ist aufgrund der überragenden Bedeutung der Hochschulreife geeignet, das Vertrauen in die Redlichkeit der Lehrer und in ein gerechtes Schulsystem insgesamt zu erschüttern.

bb) Der Vorfall hat auch im Einzelfall zu erheblichen negativen Auswirkungen geführt. Nicht nur dass der Schüler A. zuerst die volle Punktzahl erhielt, mithin in einer nicht hinnehmbare Art und Weise gegenüber anderen Schülern bevorzugt wurde. Mit Aufdeckung des Betrugs ist seine Arbeit mit null Punkten bewertet worden. Das Fehlverhalten des Klägers hatte somit nicht nur negative Auswirkungen auf das Vertrauen in das Schulsystem, sondern hat auch im Einzelfall zu erheblichen Verwerfungen geführt.

cc) Neben der Schwere des Verstoßes wirkt sich insbesondere die Art und Weise der Pflichtverletzung zu Lasten des Klägers aus. Unstreitig vorgetragen ist, dass die amtlichen Lösungen erst kurz vor den Abiturprüfungen geöffnet werden dürfen. Diese Sicherheitsschranke hat der Kläger vorsätzlich und planvoll überwunden, indem er im unmittelbaren Anschluss daran heimlich Kopien von den amtlichen Lösungshinweisen erstellte, diese heimlich aus der Schule schaffte, um sich dann heimlich mit dem Schüler A. an einer zuvor verabredeten Stelle auf einer Landstraße zwischen zwei Orten zu treffen. Das Vorgehen des Klägers zeugt von krimineller Energie. Es erforderte ersichtlich eine detaillierte und konkrete Planung, die die Überwindung von Sicherheitsmaßnahmen beinhaltete. Die tatsächliche Durchführung innerhalb eines zeitlich engen Rahmens und der ständigen Gefahr, „erwischt“ zu werden – z.B. beim Kopieren oder Verlassen der Schule -, spricht nicht nur für ein kühnes und nervenstarkes, sondern auch für ein ignorantes, eigenmächtiges und selbstherrliches Verhalten des Klägers.

dd) Die klägerseits vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen lassen weder das Verschulden entfallen, noch lassen sie die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ausfallen.

Es wird nicht ausgeschlossen, dass der Kläger unter einem Burn-out-Syndrom oder gar Depressionen leidet. Psychische Erkrankungen sind eine ernste gesundheitliche Einschränkung, die eingehender medizinischer und ggf. medikamentöser Behandlung bedarf. Es ist nicht auszuschließen, dass der Vorfall die Erkrankung ausgelöst hat. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem klägerseits vorgetragenen Krankheitsbild und der Pflichtverletzung ist allerdings nicht erkennbar. Ein Burn-out-Syndrom und Depressionen führen zu einer Niedergeschlagenheit und zu einem Insichkehren. Der betroffene Mensch zieht sich zurück. Die Realität wird mehr und mehr verdrängt. Die der streitgegenständlichen Kündigung zugrunde liegende Pflichtverletzung steht allerdings in keinerlei Zusammenhang mit dem beschriebenen Krankheitsbild. Der Kläger entwickelte allein oder mit dem Schüler A. einen wohl durchdachten Plan, der die Überwindung von Sicherheitsmaßnahmen beinhaltete, und der „nervenstark“ durchgezogen wurde. Das ist das Gegenteil von Burn-Out und Depressionen. Letztlich konnte nicht festgestellt werden, warum der Kläger sich überhaupt so verhalten hat. Er selbst erklärte, dass er nicht wisse, wie er zu der Handlung fähig gewesen sei. Bereits aus dieser Aussage ist ersichtlich, dass die Erkrankung nur eine Schutzbehauptung ist.

c) Die fristlose Kündigung ist keine Sanktion für ein Fehlverhalten. Entscheidend ist, ob mit einer Wiederholungsgefahr zu rechnen ist. Nach gefestigter Rechtsprechung kommt es ausnahmsweise nicht auf eine Wiederholungsgefahr an, wenn eine derart schwerwiegende Pflichtverletzung vorliegt, die zu einer bleibenden Störung des Vertrauensverhältnisses führt (vgl. BAG, Urteil vom 11. März 1999, 2 AZR 507 / 98, NZA 1999, 587). Hierunter fallen insbesondere Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers. Im Übrigen bedarf es einer negativen Prognose, die aus der Schwere der Pflichtverletzung und aus der Art und Weise der Vertragsverletzung geschlussfolgert werden kann (BAG, Urteil vom 21. November 1996, 2 AZR 357 / 95, NZA 1997, 487, 490).

Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen bedarf es vorliegend keiner positiven Feststellung der Wiederholungsgefahr. Die Schwere des Pflichtverstoßes und die Art und Weise, wie sich der Kläger über seine Kernpflichten als Lehrer hinweggesetzt hat, machen die Notwendigkeit der Feststellung einer Wiederholungsgefahr in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des BAG hinfällig. Letztlich kommt es darauf nicht an. Aus der Schwere des Pflichtverstoßes kann auf eine Negativprognose geschlussfolgert werden. Der Kläger hat die unlautere „Hilfe“ einem Schüler zukommen lassen, dem er sich persönlich verbunden fühlt. Das Verhalten hat gezeigt, dass der Kläger nicht zwischen Beruf und Privatleben trennen kann. Die Beklagte müsste bei Rückkehr des Klägers in den Schuldienst stets befürchten, dass z. B. Noten weiterhin nach Sympathie oder Vereinszugehörigkeit verteilt werden. Die Motive des Klägers waren auch nicht altruistischer Natur, sondern beinhalteten die Benachteilung der von ihm betreuten Schüler und aller anderen Schüler in Baden-Württemberg, die an der Abiturprüfung teilnahmen.

Nach alledem ist festzuhalten: Es liegt ein an sich wichtiger Grund zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Die umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller einzelfallabhängigen Umstände fällt zu Lasten des Klägers aus.

C.

Die streitgegenständliche Kündigung ist gem. § 174 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Vorschrift findet bei Kündigungen im öffentlichen Dienst Anwendung (dazu I.). Die Zurückweisung erfolgte unverzüglich i. S. d. § 174 Satz 1 BGB (dazu II.). Das Zurückweisungsrecht war nicht gem. § 174 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Der Zeuge O., der die Kündigung unterzeichnet hatte, ist in keiner Stellung, die üblicherweise mit einem Kündigungsrecht verbunden ist (dazu III. 1.). Der Kläger ist zudem nicht über eine ggf. bestehende Kündigungsberechtigung in Kenntnis gesetzt worden (dazu III. 2.). Die Zurückweisung der Kündigung mangels Vorliegen einer Vollmacht ist nicht rechtsmissbräuchlich (dazu IV.).

I.

1. Nach allgemeiner Meinung findet § 174 BGB im öffentlichen Dienst Anwendung (statt aller KR-Friedrich, 8. Aufl. 2007, § 13 KSchG, Rn. 287 c). Entscheidet sich ein öffentlicher Arbeitgeber für die privatrechtliche Ausgestaltung eines Beschäftigungsverhältnisses, handelt es sich konsequenterweise insgesamt um eine bürgerlich-rechtliche Vertragsbeziehung, dessen Beendigung ebenfalls an bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu messen ist. Kündigt der öffentliche Arbeitgeber, liegt darin ein einseitiges Rechtsgeschäft auf dem Gebiet des Privatrechts vor, § 174 BGB ist somit anwendbar. Soweit beklagtenseits auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, z.B. des Landesbeamtengesetzes, abgestellt wird, ist darauf zu verweisen, dass diese die Verwaltungstätigkeit des Regierungspräsidiums bzw. des beklagten Landes betreffen. Der öffentlich-rechtliche Charakter dieser Vorschriften schlägt aber gerade nicht auf den bürgerlich-rechtlichen Charakter des Arbeitsverhältnisses durch (vgl. BAG v. 29. Juni 1989, 2 AZR 482 / 88, AP Nr. 7 zu § 174 BGB unter II. 2 e) bb) der Entscheidungsgründe). Es ist auch nicht ersichtlich, wie die Geltung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften für das privatrechtlich ausgestaltete Arbeitsverhältnis aufgrund der Tatsache, dass es sich vorliegend um einen öffentlichen Arbeitgeber oder bei dem Kündigenden um einen Beamten im Landesdienst handelt, rechtstechnisch derogiert werden sollte. Die Anwendbarkeit bürgerlich-rechtlicher Vorschriften beruht gerade auf der Entscheidung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis privat-rechtlich auszugestalten. Die Anwendbarkeit des § 174 BGB ist mithin Folge dieser Entscheidung und kann nicht durch Vorschriften, die die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit betreffen, in Frage gestellt werden. Auch das KSchG spricht für die Anwendbarkeit bürgerlich-rechtlicher Vorschriften. Wie beispielsweise aus § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KSchG und § 23 Abs. 2 KSchG zu entnehmen ist, unterfällt der Staat, wenn er wie ein privater Arbeitgeber handelt, den kündigungsschutzrechtlichen, mithin privatrechtlichen Vorschriften (vgl. BAG, Urteil vom 29. Juni 1989, 2 AZR 482 / 88, AP Nr. 7 zu § 174 BGB unter II. 2 e) dd) der Entscheidungsgründe).

2. Der Anwendbarkeit des § 174 BGB steht entgegen, dass die streitgegenständliche Kündigung von einem Beamten im Landesdienst ausgesprochen wurde. Ist die privat-rechtliche Natur des Arbeitsverhältnisses für die Anwendbarkeit der Vorschrift maßgebend, kann es nicht darauf ankommen, ob die Kündigung von einem Angestellten oder von einem Beamten ausgesprochen wurde. In diesem Sinne hat auch das BAG in der Entscheidung vom 20. August 1997 (2 AZR 518 / 96, AP BGB 620 Kündigungserklärungen Nr. 11) § 174 auf eine von einem Regierungsdirektor/Referatsleiter einer Behörde ausgesprochenen Kündigung für anwendbar erklärt.

II.

Die Zurückweisung erfolgte unverzüglich i. S. d. § 174 Satz 1 BGB. Die Kündigung ging dem Kläger unstreitig am 29. April 2008 zu. Die Zurückweisung mangels Vollmacht erfolgte auf Vortrag des Klägers am Nachmittag des 6. Mai 2008, nach Vortrag der Beklagten erst am 7. Mai 2008, mithin innerhalb von sieben bzw. acht Kalendertagen und innerhalb von vier bzw. fünf üblichen Arbeitstagen nach Zugang. Zu berücksichtigen ist ferner, dass es sich beim 1. Mai 2008 um einen Feiertag handelt.

1. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Verzögern (§ 121 BGB). Es wird kein sofortiges Handeln des gekündigten Arbeitnehmers verlangt. Dem Arbeitnehmer ist eine gewisse Zeitspanne zur Überlegung und Einholung rechtskundigen Rats zuzugestehen. Maßgeblich für die Dauer der Überlegungs- und Handlungsfrist sind die Umstände des Einzelfalles. Eine Zeitspanne von einer Woche ist i. d. R. – soweit ein Wochenende dazwischen liegt – als unverzüglich i. S. d. Gesetzes angesehen (s. KR-Friedrich, 8. Auflage, 2007, § 13 Rn. 285, ErfK/Preis, 9. Aufl., 2009, § 620 Rn. 26 m. jw. zahlreichen Nw. aus der Rspr.).

2. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Zurückweisung nicht unverzüglich erfolgte. Der Kläger habe sich schon vor Erhalt der Kündigung entschlossen, Rechtsrat einzuholen. Ihm sei die Kündigung auch zeitmäßig angekündigt worden. Die Zurückweisung sei daher nicht unverzüglich i. S. d. Gesetzes erfolgt. Dem ist nicht zuzustimmen. Es kann dabei offen bleiben, ob die Zurückweisung dem Regierungspräsidium bereits am Nachmittag des 6. Mai 2009 oder erst am 7. Mai 2009 zuging.

a) Die Zurückweisung erfolgte unter Berücksichtigung des dazwischen liegenden Wochenendes und des Feiertages am 1. Mai 2009 ohne schuldhaftes Verzögern. Zieht man das Wochenende bei Berechnung der Überlegungsfrist ab, verbleiben vier bzw. fünf übliche Arbeitstage zwischen Zugang und Zurückweisung der Kündigung. Einzelfallbezogen könnte noch berücksichtigt werden, dass der Freitag nach dem Feiertag sehr oft als Brückentag freigenommen wird. Zieht man bei lebensnaher Betrachtung den Freitag als Brückentag ab, verbleiben drei bzw. vier übliche Arbeitstage zur Zurückweisung.

b) Bei der Bemessung der Überlegungsfrist sind die rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen. So musste aus Klägersicht geprüft werden, ob die Kündigung im Gegenzug zum in Aussicht gestellten Verzicht auf eine Strafanzeige akzeptiert wird. Zu berücksichtigen ist ferner die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger. Er war fast 30 Jahre im Schuldienst tätig. Seine gesamte berufliche und persönliche Existenz gründet hierauf. Auch musste die Kündigung vom damaligen Rechtsvertreter des Klägers erst im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 174 BGB überprüft werden. Ein schuldhaftes Verzögern ist nicht erkennbar, wenn klägerseits vier bzw. fünf übliche Arbeitstage zur Prüfung der Zurückweisung der Kündigung gem. § 174 BGB in Anspruch genommen werden, die beklagtenseits nicht gesehen und dessen Anwendbarkeit im Rechtsstreit abgelehnt wurde. Bei gegenteiliger Ansicht müsste vom damaligen Rechtsvertreter des Klägers erwartet werden, dass er innerhalb kürzester Zeit die Anwendbarkeit des § 174 BGB erkennt und prüft und sofort die praktisch richtigen Schlüsse zieht und umsetzt, während die Beklagte die Anwendbarkeit in Abrede stellt. Mit anderen Worten: Klägerseits würde eine Prüfungs-, Handlungs- und Entscheidungskompetenz in kürzester Zeit vorausgesetzt, die beklagtenseits vor Ausspruch der Kündigung nicht vorhanden war.

Im Hinblick auf die vorgenannten Erwägungen ist die Zurückweisung, unabhängig davon, ob sie nun am 6. oder 7. Mai 2008 erfolgte, ohne schuldhaftes Verzögern i. S. d. § 174 Satz 1 BGB erfolgt.

III.

Die Zurückweisung der Kündigung mangels Vorlage einer Vollmacht war nicht gem. § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Im Einzelnen:

1. Es bestehen Zweifel, ob der Zeuge O. überhaupt ordnungsgemäß ermächtigt wurde, Kündigungen auszusprechen. Klägerseits wurde dies ausdrücklich bestritten. Der vorgelegte Geschäftsverteilungsplan weist dem Zeugen O. lediglich den Aufgabenbereich „Personal- und Verwaltungsangelegenheiten“ zu. Ob dieser Aufgabenbereich auch das Kündigungsrecht beinhaltet, ist im Geschäftsverteilungsplan nicht geregelt. Eine anderweitige Bevollmächtigung ist nicht vorgetragen. Eine lediglich intern ausgeübte Praxis oder eine intern beschlossene, aber nicht veröffentlichte oder allgemein bekannt gemachte Kündigungsberechtigung ersetzt keine ausdrückliche Bevollmächtigung zum Ausspruch von Kündigungen (vgl. BAG, Urteil vom 20. August 1997, 2 AZR 518 / 96, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11 unter II. 3. b) aa) der Entscheidungsgründe). Letztlich kommt es hierauf nicht an. Die Kündigungsberechtigung kann im Rahmen des Geschäftsverteilungsplanes als (intern) erteilt unterstellt werden.

2. Die Vorlage einer Vollmacht bei Kündigungsausspruch war nicht ausgeschlossen, weil der Kläger von einer Kündigungsberechtigung des Zeugen O. i. S. d. § 174 Satz 2 BGB in Kenntnis gesetzt worden sein soll. Die Beklagte greift mit ihrem Verweis auf die berufliche und hierarchische Stellung des Zeugen O. (dazu a) und das Telefonat vom 22. April 2008, über dessen Inhalt und Verlauf Beweis erhoben wurde, nicht durch (dazu b).

a) Die Kenntnisgabe einer Vollmacht kann konkludent erfolgen (Münchener Kommentar/Schramm, BGB, 5. Aufl., 2006, § 174 Rn. 8). Daher ist eine Vollmachtsvorlage nicht erforderlich, wenn der Kündigende eine Stellung bekleidet, die typischerweise mit einer Kündigungsberechtigung bzw. einer entsprechenden Vollmachtserteilung verbunden ist. Das ist beispielsweise der Fall bei einem Personalabteilungsleiter (BAG, Urteil vom 30. Mai 1972, 2 AZR 298 / 71, NJW 1972, 1877) oder bei einem Prokuristen (BAG, Urteil vom 11. Juli 1991, 2 AZR 107 / 91, NZA 1992, 449). Beim Personalabteilungsleiter erfolgt die Kenntnisgabe i. S. d. § 174 BGB durch die Berufung des Kündigenden in die entsprechende Stellung und die Kenntnisnahme der Berufung durch die Belegschaft. In dem vorgenannten Sinne ist die Beklagte der Ansicht, dass der Zeuge O. erkennbar in eine Position berufen sei, die mit der Kündigungsberechtigung verbunden sei. Das Zurückweisungsrecht sei daher gem. § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Dem ist nicht zuzustimmen. Es stellt sich – unabhängig von der Kenntnisgabe und -nahme der behaupteten Kündigungsberechtigung – die Frage, ob der Zeuge O. in eine mit einem Personalabteilungsleiter vergleichbare Position berufen wurde.

aa) Dafür spricht, wie beklagtenseits ausgeführt, dass das Regierungspräsidium gegenüber den Schulen und damit auch gegenüber den dort beschäftigten Arbeitnehmern als höhere und aufsichtsführende Behörde auftritt. Ein intern ordnungsgemäß bevollmächtigter und extern auftretender Ansprechpartner dieser Behörde könnte somit auch für den Kläger ersichtlich als kündigungsberechtigt angesehen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger der Schulleiter als Fachvorgesetzter übergeordnet ist, während die Personalverantwortung im Regierungspräsidium liegt. Aus Sicht des Klägers ist somit das Regierungspräsidium die organisatorisch übergeordnete, fachlich und personell zuständige Behörde, wie es eben früher das Oberschulamt war. Für diese Sichtweise spricht auch die „Bekanntmachung“ des Innenministeriums über die Organisation der Regierungspräsidien „vom 27. April 2004″ (GABl. 2004, 682). Sie war im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs noch in Kraft (bis 31. Dezember 2008). Bereits danach ist die Organisation des Regierungspräsidiums Freiburg ersichtlich, die in Abteilung VII die Zuständigkeit für „Schule und Bildung“ und im untergeordneten Referat 72 die „Personal- und Verwaltungsangelegenheiten“ bündelt. Letztlich könnte argumentiert werden, dass die mit dem Organisationserlass vorgegebene Struktur die Kündigungsberechtigung im Referat 72 bündele und eine ausreichende Kenntnisnahme und -gabe für die Öffentlichkeit und die an den Schulen beschäftigten und personell untergeordneten Mitarbeiter enthalte. Auch spricht die Qualifikation des Zeugen O. und seine Stellung als Regierungsoberrat für eine Kündigungsberechtigung „qua Amt“.

bb) Letztlich greifen die vorgenannten Argumente nicht durch. Bevor allerdings ein Vergleich mit einem Personalabteilungsleiter gezogen wird, sollten die Begrifflichkeiten, insbesondere im Hinblick auf den Inhalt und Umfang der Personalverantwortung eines Personalabteilungsleiter in Abgrenzung zu einem Sachbearbeiter oder Fachabteilungsleiter, definiert werden.

(1) Richtet der Arbeitgeber für seinen Betrieb oder sein Unternehmen eine Abteilung ein, weist er dieser die Bearbeitung von Personalangelegenheiten inklusive Kündigungsberechtigung zu und erhält diese Abteilung einen eigenen Leiter, ist der Leiter bei Erkennbarkeit der Berufung für die Belegschaft ein Personalabteilungsleiter, dessen Kündigung nicht gem. § 174 Satz 2 BGB zurückgewiesen werden kann (vgl. BAG, Urteil vom 30. Mai 1978, 2 AZR 633 / 76, a. a. O. unter II. 4. der Entscheidungsgründe). Bleiben hingegen die Fachabteilungsleiter kündigungsberechtigt, ist die Stellung des Personalabteilungsleiters gerade nicht mit einem Kündigungsrecht verbunden (vgl. BAG, Urteil vom 7. November 2007, 2 AZR 493 / 01, BeckRS 2003 40314). Ist in dem vorgenannten Sinne der Personalabteilungsleiter kündigungsberechtigt, ist zwischen seiner Position von den ihm untergeordneten Personalsachbearbeitern abzugrenzen. Sie sind i. d. R. für das „Alltagsgeschäft“ zuständig, die in einer Personalabteilung anfallen können. Sprechen Mitarbeiter dieser Hierarchieebene eine Kündigung aus, müssen sie i. d. R. eine Vollmacht vorlegen. Ihre Stellung ist i. d. R. nicht mit einer konkludenten Kündigungsberechtigung verbunden (so bereits vgl. BAG, Urteil vom 30. Mai 1978, 2 AZR 633 / 76, a. a. O.; vgl. auch BAG, Urteil vom 29. Juni 1989, 2 AZR 482 / 88, AP Nr. 7 zu § 174 BGB und LAG Berlin, Urteil vom 9. August 1988, 3 Sa 56 / 88, BeckRS 1988, 30456074).

(2) Ausgehend von der dargestellten organisatorischen, hierarchischen und kompetenzrechtlichen Definition der Stellung eines Personalabteilungsleiters ist festzustellen, dass der Zeuge O. nicht in eine solche Position berufen wurde. Vorliegend ist die Abteilung VII generell zuständig für Schule und Bildung. Der Abteilung VII ist auch die Personalkompetenz für die Angestellten im Schulbereich zugewiesen, da eine zentrale Personalabteilung innerhalb des Regierungspräsidiums Freiburg ausweislich des Organisationserlasses nicht besteht. Innerhalb der fachlich zuständigen Abteilung VII hat das Innenministerium mit Hilfe des Organisationserlasses vom 27. August 2004 das Referat 72 gebildet und dort die Personalverantwortung gebündelt. Dem Referat steht ein Referatsleiter vor. Diese Vorgehensweise entspricht der Schaffung einer Personalabteilung samt Personalabteilungsleiter durch den Arbeitgeber, wie es in der Privatwirtschaft üblich ist. Es spricht viel dafür, dass Kündigungen durch den zuständigen Referatsleiter gem. § 174 Satz 1 BGB nicht zurückgewiesen werden können (beachte aber BAG, Urteil vom 20. August 1997, 2 AZR 518 / 96, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 11: Das BAG lehnte in dieser Entscheidung die Vergleichbarkeit eines Referatsleiters einer Behörde mit einem Personalabteilungsleiter ab. Allerdings sprach in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ein fachlich nicht zuständiger Referatsleiter die Kündigung aus. Vielmehr vertrat der die Kündigung aussprechende Referatsleiter den verstorbenen Referatsleiter kraft einer lediglich tatsächlich praktizierten Vertretungsregelung. Letztlich kann diese Frage mangels Entscheidungsrelevanz offen bleiben. Dem Referatsleiter sind wiederum Verwaltungsreferenten untergeordnet. Diese tauchen nicht in dem Organisationserlass des Innenministeriums auf. Auch der Verweis der Beklagten auf den Internetauftritt des Regierungspräsidiums Freiburg ist nicht behilflich. In dem dort veröffentlichten Organigramm ist der Zeuge O. ebenfalls nicht aufgeführt. Ausgehend von der Struktur der Behörde ist somit nicht ersichtlich, dass der Zeuge O. in eine Position berufen ist, die mit der eines Personalabteilungsleiters vergleichbar ist. Er mag zuständig sein für das Alltagsgeschäft im Personalbereich. Er ist damit allerdings nicht vergleichbar mit einem Personalabteilungsleiter, sondern eher mit einem Personal- oder Rechtsreferenten einer Personalabteilung. Zwar ist für Mitarbeiter dieser Hierarchiestufe eine konkludente Kündigungsberechtigung kraft hierarchischer Stellung nicht auszuschließen. Sie ist aber nur in sehr engen Grenzen zulässig. Nach der Entscheidung des BAG vom 29. Juni 1989

„sind die für einen mit Kündigungsberechtigung ausgestatteten Personalabteilungsleiter im Urteil vom 30. Mai 1972 (BAG, 24, 273 = AP Nr. 1 zu 3 174 BGB) aufgestellten Grundsätze auf Personalsachbearbeiter nicht auszudehnen, es sei denn, es stünde zweifelsfrei fest, dass der Personalsachbearbeiter zur selbständigen Abgabe von Kündigungserklärungen bevollmächtigt ist“ (2 AZR 482 / 88, a. a. O. unter II. 2. f) bb) der Entscheidungsgründe).

Da eine Kündigungsberechtigung des Zeugen O. sich vorliegend nur aus dem – der Öffentlichkeit nicht bekannt gegebenen und nicht zugänglichen – Geschäftsverteilungsplan ergeben könnte, ist die Kündigungsberechtigung gerade nicht zweifelsfrei feststellbar i.S. der vorzierten Entscheidung des BAG.

b) Die Beklagte behauptet, dass dem Kläger am 22. April 2009 die Kündigungsberechtigung des Zeugen O. mitgeteilt wurde. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist aber eine Mitteilung einer Kündigungsberechtigung des Zeugen O. nicht ersichtlich. Der Zeuge O. selbst konnte zu dem Beweisthema keine näheren Angaben machen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 22. Juli 2009, Bl. 278 d. A.). Der Zeuge M. konnte sich nur ungenau daran erinnern, dass er beim Lautstellen des Telefons den Zeugen O. entweder als zuständigen Juristen, rechtlichen Vertreter oder schlicht als Regierungspräsidium vorgestellt hatte. Jedenfalls war sich der Zeuge sicher, dass er den Zeugen O. nicht namentlich vorgestellt hatte (Sitzungsprotokoll vom 22. Juli 2009, Bl. 274 d. A.). Die Frage der Kündigungsberechtigung wurde nicht angesprochen. Festzuhalten ist somit, dass im Laufe dieses Gesprächs gegenüber dem Kläger die Kündigungsberechtigung des Zeugen O. weder expressis verbis noch konkludent (z. B. durch die Bezeichnung als zuständiger Jurist) bekannt gemacht wurde.

IV.

1. Zuletzt stellt sich die Frage, ob die Zurückweisung der Kündigung gem. § 174 Satz 1 BGB nach Treu und Glauben ausgeschlossen ist. Die Zurückweisung kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Zurückweisende, obwohl ihm eine Vollmachtsurkunde nicht vorgelegt wurde und der Kündigende keine Stellung mit Kündigungsberechtigung inne hat, die Vollmacht kennt (Münchener Kommentar/Schramm, a. a. O., § 174 BGB Rn. 7). Die Berufung auf die fehlende Vollmacht bzw. die Zurückweisung der Kündigung kann nach § 242 BGB ferner treuwidrig sein, wenn der Zurückweisende in einer bestehenden Geschäftsverbindung die Vertretung bisher anerkannte bzw. die Bevollmächtigung nicht in Frage stellte. Eine Parallele kann ferner gezogen werden zur Zugangsvereitelung einer Kündigung. Wenn die Arbeitsvertragsparteien beispielsweise den Zeitpunkt der Kündigung und die Art und Weise der Übermittlung mittels Übergabeeinschreiben besprochen hatten und der Arbeitnehmer den Zugang durch Ortsabwesenheit vereitelt, kann sich der Arbeitnehmer sodann nicht auf den fehlenden Zugang berufen.

2. Vorliegend sprechen gute Gründe für ein zumindest treuwidriges Verhalten des Klägers. Dem Kläger wurde der weitere Ablauf (Personalratsanhörung und Zeitpunkt der Kündigung) in transparenter Art und Weise angekündigt. Die Kündigung wurde ihm als sicher in Aussicht gestellt. Nach Sinn und Zweck des § 174 BGB bestand somit keine Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit und Berechtigung der Kündigung als solcher. Auch im Hinblick auf den zugrunde liegenden Sachverhalt muss dem Kläger klar gewesen sein, dass eine fristlose Kündigung unausweichlich ist. Die klägerseits erfolgte Zurückweisung der sodann ausgesprochenen Kündigung erfolgte somit allein aus der Erwägung heraus, die Kündigung aus formalen Gründen zu „kippen“. § 174 BGB soll allerdings keine bloße Förmelei bewirken bzw. zu einer solchen ausgehöhlt werden. Eine Treuwidrigkeit der Zurückweisung liegt daher nahe.

3. Gegen die Treuwidrigkeit spricht allerdings, dass der Gekündigte wissen muss, ob ihm berechtigterweise gekündigt wurde. Gerade bei Kündigungen durch Personen unterhalb der Ebene des Referatsleiters/Personalabteilungsleiters wird er verlangen können, dass die Beendigung eines 28 Jahre andauernden Arbeitsverhältnisses, mithin die Grundlage der beruflichen und privaten Existenz einer Familie, nur durch eine hierzu ermächtigte Person erfolgt. Der Kläger hat zudem keinen Einblick in die internen Abläufe. Die auf Seiten des Regierungspräsidiums klaren Ab- und Rücksprachen und intern offenkundige Übereinstimmung, eine Kündigung auszusprechen, waren dem Kläger schlicht nicht bekannt. Im Hinblick darauf erweist sich die Zurückweisung der Kündigung letztlich nicht als treuwidrig. Auch der Vergleich mit einer langjährigen Geschäftsverbindung hinkt. Dem Kläger war zwar das Regierungspräsidium als zuständige Behörde, nicht aber der Zeuge O. als zuständiger Sachbearbeiter bekannt.

D.

Da die Kündigung aus den genannten Gründen unwirksam ist, befand sich die Beklagte mit Ausspruch der Kündigung in Annahmeverzug. Der Antrag auf Zahlung der Vergütung für Mai 2008 ist begründet. Die Beklagte hat der Klagerweiterung zwar nicht zugestimmt, allerdings ist sie sachdienlich i. S. d. § 263 ZPO. Mit der Zulassung der Klagerweiterung konnte ein zweiter Prozess vermieden werden. Für die Sachdienlichkeit spricht ferner § 37 Abs. 1 Satz 2 TVL-L. Danach wird die Ausschlussfrist für wiederkehrende Sachverhalte gewahrt, wenn für den selben Sachverhalt der Anspruch einmalig geltend gemacht wurde.

E.

Der Antrag auf Weiterbeschäftigung war als unbegründet abzuweisen.

Grundsätzlich hat ein gekündigter Arbeitnehmer nach Ablauf des Beendigungszeitpunkts keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Das gilt aber nicht bei Stattgabe der Kündigungsschutzklage. In diesem Fall steht dem Arbeitnehmer der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch zur Seite. Spricht der Arbeitgeber hingegen eine weitere Kündigung aus, beendet dies den Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn die zweite Kündigung auf einen neuen Sachverhalt gestützt und die zweite Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist (BAG, Urteil vom 19. Dezember 1985, 2 AZR 190 / 85, NZA 1986, 566). Die Beklagte hat die zweite Kündigung darauf gestützt, dass der Kläger strafrechtlich verurteilt wurde. Eine strafrechtliche Verurteilung kann, insbesondere bei Angestellten im öffentlichen Dienst, das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers erheblich beeinträchtigen, mithin eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 08. Juni 2000, 2 AZR 638 / 99; Urteil vom 16.09.1999, 2 ABR 68 / 98, NZA 2000, 158).

F.

Die Festsetzung des Urteilsstreitwertes erfolgte in Anlehnung an den für die Gerichtsgebühren maßgebenden Streitwert. So wurde das Bestandsschutzverfahren mit einem Vierteljahreseinkommen berücksichtigt, der Zahlungsantrag wirkt nicht streitwerterhöhend, da er vom Ausgang des Bestandsschutzverfahrens abhängig ist. Der Weiterbeschäftigungsantrag wurde mit einem weiteren Monatsgehalt berücksichtigt. Aus den genannten Erwägungen ergibt sich der Urteilsstreitwert i. H. v. € 16 861,80.

Da der Kläger bezüglich des Weiterbeschäftigungsantrags unterlegen ist, trägt er ¼, die Beklagte ¾ der Kosten des Rechtsstreits.

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