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Kündigung (krankheitsbedingte) – leidensgerechter Arbeitsplatz

Hessisches Landesarbeitsgericht

Az: 16 Sa 389/09

Urteil vom 25.01.2010


Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 15.01.2009 – 12 Ca 246/088 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist, die Verpflichtung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung sowie über Annahmeverzugslohnansprüche.

Die Beklagte ist ein Automobilhersteller und beschäftigt regelmäßig (weitaus) mehr als 20 Arbeitnehmer. Der am … geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 5. September 1977, zuletzt als Montagearbeiter, beschäftigt. Die Höhe der vom Kläger in der Zeit vom 1. Juni 2007 bis 31. Mai 2009 bezogenen Vergütung ergibt sich aus den von der Beklagten erstellten Arbeitsbescheinigungen (Blatt 182 bis 185 der Akten). Das Arbeitsverhältnis des Klägers wird ab 1. Juli 2009 als Altersteilzeitarbeitsverhältnis bis 31. Mai 2011 fortgeführt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte der Metall- und Elektroindustrie für das Land Hessen Anwendung. Dessen § 23 Nr. 4 lautet: In Betrieben mit in der Regel mindestens 20 wahlberechtigten Beschäftigten kann einem Beschäftigten, der das fünfundfünfzigste, aber noch nicht das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet und dessen Arbeitsverhältnis in dem Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mindestens 10 Jahre ununterbrochen bestanden hat, das Arbeitsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Mit Bescheid vom 26. Februar 2008 (Blatt 10,11 der Akten) stellte das hessische Amt für Versorgung und Soziales Darmstadt bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 30 fest. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch und sodann Klage vor dem Sozialgericht … (Aktenzeichen S 8 SB 365/08) ein. Mit Wirkung vom 9. März 2009 stellte die Bundesagentur für Arbeit den Kläger mit Bescheid vom 28. Mai 2009 (Blatt 331 der Akten) einem Schwerbehinderten gleich.

Der Kläger wurde in der Motorenendaufrüstung eingesetzt. In der Zeit vom 28. August 2007 bis 23. September 2007 und vom 28. September 2007 bis 9. November 2007 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Bis 11. Dezember 2007 wurde der Kläger mit leichten Reinigungs- und Kehrtätigkeiten betraut. Eine Arbeitsplatzbegehung am 11. Dezember 2007 führte hinsichtlich der Tätigkeit „Motoren aufsetzen“ zu der Beurteilung „nicht OK“. Das Attest der Werksärztin Dr. med. … (Blatt 70 der Akten) enthält folgende Einschränkungen hinsichtlich der weiteren Verwendung des Klägers:

– kein ständiges oder wiederholtes tiefes Bücken,
– keine Beanspruchung der Bauchmuskulatur,
– keine ständige Hebe-/Trageleistung über 5 kg.

Ein Arbeitsversuch des Klägers an der Operation „Sequenzierung Stoßstange“ scheiterte, da der Kläger auch bei dieser Tätigkeit über Beschwerden klagte. Mangels anderer Einsatzmöglichkeit stellte die Beklagte den Kläger sodann zunächst von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Nachdem eine Standortabfrage erfolglos geblieben war, unternahm der Kläger ab 6. Februar 2008 einen Arbeitsversuch in der Integrationsabteilung auf einem so genannten Schonarbeitsplatz. Aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten wurde der Kläger ausschließlich bei der „Sequenzierung Kraftstoffleitung“ und der „Sequenzierung Motorlager“ eingesetzt. Der Kläger ordnete Kraftstoffleitungen in so genannte Sequenzierwagen ein. Das Befüllen eines Sequenzierwagens mit Kraftstoffleitungen benötigt etwa 45 bis 60 Minuten. Anschließend ist der gefüllte Sequenzierwagen, der nun ein Gewicht von 250 bis 300 kg aufweist, über eine Wegstrecke von 5 bis 6 m an die Abfolge der Produktionslinie zu schieben. Während dieses Arbeitsversuchs wurde dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, den Schicht- und Kolonnenführer, sofern dieser verfügbar war, beim Schieben der Sequenzierwagen (Dollies) um Hilfe zu bitten. Dieser übernahm sodann zeitweise das Schieben der Dollies, wenn er keine anderen Tätigkeiten durchzuführen hatte. Da der Kläger auch bei diesen Tätigkeiten über Schmerzen klagte, fand am 19. Februar 2008 eine Begehung dieses Arbeitsplatzes unter Teilnahme des werksärztlichen Dienstes statt. Diese führte zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit „Sequenzierung Kraftstoffleitung“ aus arbeitsmedizinischer Sicht einen leistungsgerechten Einsatz darstellt, nicht jedoch das Schieben der Dollies. Die Tätigkeit in der Motorlagersequenzierung wurde als „zumutbar bis nicht OK“ bewertet (Blatt 85 der Akten). Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger anlässlich dieser Arbeitsplatzbegehung jegliche Sequenziertätigkeit ablehnte und eine Weiterarbeit unter die Bedingung stellte, dass ihm sitzende Tätigkeiten zugewiesen würden. Die Beklagte stellte den Kläger sodann von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Sie führte am 28. März 2008 -ohne Ergebnis- eine Standortabfrage für einen attestgerechten Einsatz des Klägers durch.

Mit Schreiben vom 22. April 2008 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zum Ausspruch einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist an (Blatt 108 bis 111 der Akten). Dieser Maßnahme widersprach der Betriebsrat unter dem 25. April 2008 (Blatt 112 der Akten). Mit Schreiben vom 30. April 2008 (Blatt 16 der Akten) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30. November 2008. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 21. Mai 2008 beim ArbGer eingegangenen Klage.

Vom 28. April 2008 bis 23. Mai 2008 war der Kläger erneut arbeitsunfähig erkrankt. Am 26. Mai 2008 stellte er sich erneut dem werksärztlichen Dienst der Beklagten vor, der folgende Einschränkungen feststellte:

– kein ständiges oder wiederholtes tiefes Bücken,
– keine Beanspruchung der Bauchmuskulatur,
– keine ständige Hebe-/Trageleistung über 7 kg,
– Arbeit im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen bzw. Stehhilfe oder gelegentliche Sitzgelegenheit.

Sodann begab sich der Kläger zur Personalabteilung der Beklagten und sprach dort mit Frau A . Diese vermerkte auf der arbeitsmedizinischen Stellungnahme (Bl. 115 d.A.): „B. sprach heute mit seiner Tochter hier vor. Ihm wurde mitgeteilt, dass zur Zeit kein entsprechender Arbeitsplatz vorhanden ist und eine erneute Standortabfrage eingeleitet wird. B. wurde nach Rücksprache mit T. B wieder nach Hause geschickt.

26.5.2008 Ra.“

Seit 1. Juni 2008 zahlte die Beklagte dem Kläger keine Arbeitsvergütung mehr.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Er könne leidensgerecht an der Sequenzierung von Kraftstoffleitungen eingesetzt werden; lediglich das Schieben der Dollies könne er nicht ausführen. Es sei der Beklagten jedoch möglich und zumutbar, dies durch einen anderen Mitarbeiter erledigen zu lassen. Seine gesundheitlichen Einschränkungen beruhten auf der mehr als 30 jährigen Tätigkeit für die Beklagte. Der Kläger hat die Kündigung nach § 174 BGB zurückgewiesen und bestritten, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde. Die Beklagte befinde sich in Annahmeverzug. Der Kläger habe anlässlich der Arbeitsplatzbegehung am 19. Februar 2008 nicht jegliche Sequenziertätigkeit abgelehnt und die Weiterarbeit unter die Bedingung einer sitzenden Tätigkeit gestellt. Vielmehr habe er lediglich geäußert, dass er die Dollies nicht beschwerdefrei schieben kann und ansonsten den Arbeitsplatz gern ausfüllt.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 30. April 2008 mit Ablauf des 30. November 2008 sein Ende gefunden hat,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn als Arbeiter zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses weiter zu beschäftigen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2837,16 € brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 1. Juli 2008, abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1409,19 € zu zahlen,
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3558,85 € brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 1. August 2008, abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1409,19 €, zu zahlen,
5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2944,16 € brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 1. September 2008, abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1409,19 €, zu zahlen,
6. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2778,52 € brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 1. Oktober 2008, abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1409,19 €, zu zahlen,
7. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2806,50 € brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 1. November 2008, abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1409,19 €, zu zahlen,
8. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2924,80 € brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 1. Dezember 2008, abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1409,19 €, zu zahlen,
9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.137,45 € brutto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab 1. Januar 2009, abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 1409,19 €, zu zahlen,

hilfsweise
für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein wohlwollend formuliertes qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die außerordentliche Kündigung sei wirksam. Dem Kläger sei die Ausübung seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit dauerhaft unmöglich geworden. Hinsichtlich des Arbeitsplatzes an der Sequenzierung von Kraftstoffleitungen könne der Kläger lediglich eine Teiltätigkeit, nämlich das Sequenzieren von Kraftstoffleitungen als solches, nicht jedoch das Schieben der Dollies ausführen. Die Beklagte hat behauptet, aus arbeitsorganisatorischen Gründen sei dieser Arbeitsplatz nicht teilbar. Weder der Kolonnenführer noch andere Mitarbeiter könnten dauerhaft für den Kläger das Schieben der Dollies übernehmen. Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe sich anlässlich der Arbeitsplatzbegehung am 19. Februar 2008 strikt geweigert, die Sequenziertätigkeiten weiter auszuführen und auf einer sitzenden Tätigkeit bestanden. Die Beklagte hat die Kündigung auch damit gerechtfertigt, dass der Kläger wiederholt dem werksärztlichen Dienst keine Befundunterlagen vorgelegt habe.

Das ArbGer hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Die Beklagte vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, eine Umorganisation der „Sequenzierung Kraftstoffleitungen“ dahingehend, dass ein anderer Mitarbeiter das Schieben der Dollies übernehme, sei nicht möglich. Der genaue Zeitpunkt des Anfallens dieser Teiltätigkeit innerhalb des betrieblichen Ablaufs sei nicht planbar, weil er davon abhängig sei, wie schnell der Mitarbeiter die ihm obliegenden Sequenziertätigkeiten durchführt. Von weitaus größerem Gericht sei zudem die Tatsache, dass nicht planbar sei, ob der Kolonnenführer aufgrund seiner Koordinations- und Überwachungsaufgaben zu genau dem Zeitpunkt zur Verfügung stehe, wenn das Schieben des Sequenzierwagens erforderlich ist. Für die Fortsetzung der Produktion sei es unumgänglich, dass der Sequenzierwagen zum richtigen Zeitpunkt zur Linie transportiert wird. Das gleiche gelte, wenn man das Schieben der Sequenzierwagen einem anderen Mitarbeiter übertragen würde. Letztlich müsse die Beklagte einen Mitarbeiter zusätzlich einstellen, was ihr nicht zuzumuten sei. Auch vor dem Hintergrund der strikten Weigerung des Klägers den Arbeitsplatz an der Sequenzierung von Kraftstoffleitungen auszufüllen, seien ihr weitergehende Umorganisationsmaßnahmen nicht zumutbar. Eine anderweitige leidensgerechte Tätigkeit liege bei der Beklagten nicht vor. Der Kläger trage auch selbst nicht vor, wie er sich eine leidensgerechte Beschäftigung vorstelle. Die beharrliche Weigerung des Klägers vom 19. Februar 2008, jegliche weitere Sequenziertätigkeit durchzuführen, zeige, dass eine Abmahnung keinen Erfolg gehabt hätte. Die Kündigung sei auch unter dem Gesichtspunkt begründet, dass der Kläger die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in erheblichem Maße verletzt habe, indem er sich nicht der medizinisch indizierten Operation seines Leistenbruchs unterzogen habe. Die Beklagte sei auch nicht zur Entgeltzahlung aufgrund Annahmeverzuges verpflichtet. Dem Vorbringen des Klägers lasse sich nicht entnehmen, dass er seine Arbeitsleistung in ausreichender Form angeboten hat. Der Kläger behaupte lediglich, dass er am 26. Mai 2008 seine Arbeit persönlich angeboten habe. Daraus könne entgegen den Feststellungen des Arbeitsgerichts nicht geschlossen werden, dass er, sofern er seine Arbeitsleistung am 26. Mai 2008 tatsächlich angeboten habe, was bestritten werde, sämtliche Tätigkeiten angeboten hat, die mit seiner körperlichen Konstitution zu vereinbaren sind. Aufgrund der Tatsache, dass der Kläger sich noch im Februar 2008 strikt geweigert habe, jegliche Sequenziertätigkeit durchzuführen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sofern er am 26. Mai 2008 tatsächlich seine Arbeitsleistung angeboten hat, sich dieses Angebot auf jegliche leidensgerechte Tätigkeit erstreckte. Vielmehr folge aus den Äußerungen des Klägers vom Februar 2008, dass er lediglich eine sitzende Tätigkeit als leidensgerecht akzeptieren werde und die Ausübung jeglicher anderer Tätigkeit, insbesondere der Sequenziertätigkeit ablehnen werde. Höchst vorsorglich sei zu berücksichtigen dass der Kläger Annahmeverzugsvergütung nicht in der geltend gemachten Höhe beanspruchen könne. Der Kläger erhalte ein verstetigtes Monatseinkommen in Höhe von 2670,75 €, bestehend aus tariflichen Grundentgelt, der Opel-Zulage und regelmäßigen betrieblichen Zulagen. Die Höhe der von ihm geltend gemachten Beträge habe der Kläger nicht im Einzelnen dargelegt.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 15. Januar 2009,12 Ca 246/08, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das ArbGer habe richtig erkannt, dass die Argumente der Beklagten, das Schieben der Sequenzierwagen müsse planbar sein und könne nicht von einem anderen Mitarbeiter übernommen werden, nicht nachvollziehbar und widersprüchlich seien. Der Kläger habe auch nicht seine Mitwirkungspflichten verletzt, sondern sich 1997 und im Herbst 2007 den erforderlichen Operationen unterzogen.

Wegen des beiderseitigen Parteivorbringens wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2 c Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II. Die Berufung ist nicht begründet.

1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten ist nach § 626 BGB -wie das ArbGer zutreffend erkannt hat- unwirksam.

a) Zwar ist eine Krankheit als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB nicht grundsätzlich ungeeignet. An eine Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ist zwar schon bei einer ordentlichen Kündigung ein strenger Maßstab anzulegen. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber auch unzumutbar im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sein kann. Da die Einhaltung der Kündigungsfrist dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar sein dürfte, wird eine Kündigung aus wichtigem Grund aber nur ganz ausnahmsweise zum Beispiel bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarung in Betracht kommen können, wobei grundsätzlich die der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist (BAG, 27. November 2003-2 AZR 601/02, Randnummer 50 mit weiteren Nachweisen). Mit dieser Maßgabe ist die krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, „an sich“ geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt für die krankheitsbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Schon nach dem Ultima-ratio-Grundsatz muss der Arbeitgeber vor Ausspruch einer solchen Kündigung vor allem bei älteren Arbeitnehmern prüfen, ob der Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nicht durch organisatorische Maßnahmen (Änderung des Arbeitsablaufs, Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Umverteilung der Aufgaben begegnet werden kann (BAG 12. Juli 1995-2 AZR 762/94 Rn. 16). Die Unfähigkeit des Arbeitnehmers, einen Teil der geschuldeten Arbeitsleistung zu erbringen kann allenfalls in Ausnahmefällen eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen (BAG 12. Juli 1995-2 AZR 762/94 Randnummer 17).

b) Das Arbeitsverhältnis des Klägers kann nach § 23 Nr. 4 des Manteltarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie für das Land Hessen nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden, da in dem Betrieb der Beklagten mindestens 20 wahlberechtigte Beschäftigte tätig sind und der Kläger zum Kündigungszeitpunkt das fünfundfünfzigste, aber noch nicht das fünfundsechzigste Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis in dem Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mindestens 10 Jahre ununterbrochen bestanden hat.

Wie das ArbGer zutreffend erkannt hat, liegt bei dem Kläger -obwohl er seine bis zur Arbeitsunfähigkeit im Herbst 2007 ausgeübte Tätigkeit in der Motorenendaufrüstung nicht mehr ausführen kann- keine dauernde Leistungsunmöglichkeit vor, weil ihm die Ausübung der Teiltätigkeit in der Sequenzierung von Kraftstoffleitungen möglich ist. Zwar kann er die Teiltätigkeit des Schiebens der Dollies nicht ausüben. Es ist der Beklagten jedoch möglich und zumutbar den Arbeitsablauf dahingehend umzuorganisieren, dass ein anderer Mitarbeiter dies übernimmt. Auch unter Berücksichtigung des vertieften Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz erschließt sich der Kammer nicht, aus welchen Gründen dies ausgeschlossen sein sollte. Unstreitig fällt das Schieben des Sequenzierwagens lediglich alle 45 bis 60 Minuten an. Der Wagen muss über eine Strecke von fünf bis 6 m an die Produktionslinie geschoben werden, was nur wenige Sekunden in Anspruch nimmt. Zwar kann ein befüllter Sequenzierwagen nicht zunächst am Arbeitsplatz des Klägers stehen gelassen werden, bis ein anderer Mitarbeiter Zeit hat, diesen nach vorne zu schieben, da der Wagen an der Produktionslinie zeitgenau benötigt wird. Auch unter Berücksichtigung des Beklagtenvorbringens in der Berufungsinstanz erschließt sich der Kammer nicht, warum nicht beispielsweise der Kolonnenführer oder ein sonstiger Arbeitskollege auf Zuruf des Klägers den Wagen nach vorne schieben kann. Zwar muss die betreffende Person in dieser -wenige Sekunden dauernden Zeit- ihren Arbeitsplatz verlassen. Es ist jedoch die Aufgabe des Kolonnenführers, Mitarbeiter seines Bereichs bei kurzzeitigen Verhinderungen, beispielsweise bei Toilettengängen, zu vertreten. Für das Schieben des befüllten Sequenzierwagens über die Strecke von fünf bis 6 m bis fällt deutlich weniger Zeit an, als für die Vertretung eines Mitarbeiters während eines Toilettenganges. Im Hinblick darauf, dass der betreffende Vorgang nur alle 45 bis 60 Minuten anfällt und nur wenige Sekunden dauert und Arbeitskollegen im Arbeitsbereich des Klägers vorhanden sind, die einspringen können, ist es aus Sicht der Kammer unerheblich, dass das Schieben des befüllten Sequenzierwagens nicht im Vorhinein hinsichtlich seiner zeitlichen Lage genau planbar ist. Der Beklagten musste kein Schriftsatznachlass zu der Frage eingeräumt werden, ob es möglich ist durch eine Anweisung des Vorgesetzten den Arbeitsablauf dahingehend umzuorganisieren, dass das Schieben des Wagens des Klägers von einem anderen Kollegen übernommen wird. Die Frage der Umorganisation des Arbeitsablaufs in der Sequenzierung von Kraftstoffleitungen war bereits erstinstanzlich Gegenstand des beiderseitigen Parteivorbringens. Sowohl das Arbeitsgericht befasste sich eingehend in dem Urteil mit dieser Frage, wie auch die Berufungsbegründung. Weiterer Hinweise seitens der Berufungskammer bedurfte es daher nicht.

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Zur Vermeidung einer Kündigung hätte die Beklagte daher dem Kläger die Teiltätigkeit des Sequenzierens der Kraftstoffleitungen zuweisen müssen. Sofern der Kläger sich bei der Arbeitsplatzbegehung im Februar 2008 -was er bestreitet- generell geweigert haben sollte, diesen Arbeitsplatz auszufüllen, wäre es -worauf das ArbGer wiederum zutreffend hinweist- erforderlich gewesen, den Kläger abzumahnen. Daran fehlt es. Entgegen der Auffassung der Beklagten war eine Abmahnung auch nicht entbehrlich, weil der Kläger sich am 19. Februar 2008 strikt geweigert habe, jegliche Sequenziertätigkeit auszuüben. Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt regelmäßig eine vorherige Abmahnung voraus, da ein möglicher einmaliger Pflichtenverstoß noch keine negative Prognose rechtfertigt. Eine Abmahnung ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um solch eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, 12.1.2006 – 2 AZR 21/06 Rn. 55). Daran fehlt es hier. Selbst wenn der Kläger bei der Arbeitsplatzbegehung sich strikt geweigert haben sollte, jegliche Sequenziertätigkeit auszuführen und auf einer sitzenden Tätigkeit bestanden haben sollte, zeigt der Gesamtzusammenhang dieses Ereignisses, in dem es darum ging, diesen Arbeitsplatz darauf zu überprüfen, ob er für den Kläger leidensgerecht ist, dass der Kläger lediglich zum Ausdruck bringen wollte, aus seiner Sicht sei die Tätigkeit in der Sequenzierung nicht leidensgerecht. Auch wenn dies aus arbeitsmedizinischer Sicht eine Fehleinschätzung war, war dem Kläger die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht ohne weiteres erkennbar.

Auch hinsichtlich der Nichtvorlage der Befundunterlagen wäre eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen.

Der Kläger hat seine Mitwirkungspflicht nicht dadurch verletzt, dass er nach dem Vortrag der Beklagten – entgegen dem Rat seiner Vorgesetzten und Kollegen – sich nicht einer Operation unterzogen habe. Zum einen trägt der Kläger in der Berufungserwiderung (S. 6, Bl. 326 d.A.) vor, dass er 1997 und im Herbst 2007 operiert wurde. Zum anderen ist es eine höchstpersönliche Entscheidung des Arbeitnehmers, die entscheidend unter medizinischen Gesichtspunkten zu treffen ist, ob eine Operation durchgeführt werden soll. Vorgesetzte und Arbeitskollegen können dies regelmäßig nicht beurteilen. Entscheidend ist hier, dass selbst unter Berücksichtigung des bestehenden Gesundheitszustands des Klägers (ohne –weitere?- Operation) nach zumutbarer Umorganisation des Arbeitsablaufs für die Beklagte die Möglichkeit besteht, den Kläger vertragsgemäß zu beschäftigen.

2. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist begründet, da die Kündigung unwirksam ist und der Kläger mit der Teiltätigkeit in der Sequenzierung der Kraftstoff-Leitungen beschäftigt werden kann.

3. Der Kläger kann nach § 611 BGB in Verbindung mit § 615 S. 1 BGB die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für die Zeit von Juni bis Dezember 2008 verlangen. Im bestehenden Arbeitsverhältnis hat der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung tatsächlich anzubieten. Unterlässt der Arbeitgeber die ihm mögliche und zumutbare Zuweisung leidensgerechter und vertragsgemäßer Arbeit, steht die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen. Der Leistungswille fehlt dann, wenn der Arbeitnehmer die betreffende Arbeit abgelehnt hat. Sofern der Arbeitnehmer jedoch allgemein die Arbeit angeboten hat, ist davon auszugehen, dass er alle vertragsgemäßen Tätigkeiten angeboten hat (BAG 27. August 2008 -5 AZR 16/08 Randnummer 14,15).

Es kann dahinstehen, ob der Kläger am 19. Februar 2008 jegliche Sequenziertätigkeit abgelehnt hat. Er hat am 26. Mai 2008 gegenüber der Mitarbeiterin der Personalabteilung der Beklagten, Frau A , die Tätigkeiten, die er gesundheitlich auszuüben im Stande ist, angeboten. Zwar bestreitet die Beklagte in der Berufungsbegründung (Seite 17, Blatt 301 der Akten) dass der Kläger am 26. Mai 2008 seine Arbeit persönlich angeboten habe. Die weiteren Ausführungen zeigen jedoch, dass damit nicht bestritten werden soll, dass der Kläger am 26. Mai 2008 beim werksärztlichen Dienst der Beklagten vorstellig geworden ist und sodann Frau A aufgesucht hat. Die Beklagte wendet sich vielmehr gegen die vom ArbGer vorgenommene rechtliche Wertung, hierin ein tatsächliches Arbeitsangebot zu erkennen, insbesondere im Hinblick auf die streitigen Äußerungen des Klägers aus dem Februar 2008. Aus dem Aktenvermerk von Frau A vom 26. Mai 2008 (Bl. 115 d.A.), dessen Richtigkeit die Beklagte nicht in Abrede stellt und den sie selbst als Anlage zu ihrem Schriftsatz vom 1. September 2008 in das Verfahren eingeführt hat, ergibt sich, dass der Kläger an diesem Tag bei ihr vorgesprochen hat und sie ihm mitteilte, dass zur Zeit kein entsprechender, d.h. den arbeitsmedizinischen Vorgaben, die an diesem Tag festgestellt wurden, Arbeitsplatz vorhanden ist. Dies zeigt, dass sie den Kläger sinngemäß dahin verstanden hat, er wolle nach Maßgabe der arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 26. Mai 2008 beschäftigt werden. Dies ergibt sich aus der Formulierung ihrer dem Kläger gegebenen Antwort: „kein entsprechender Arbeitsplatz vorhanden“. Unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts konnte der Kläger auch nur so verstanden werden. Damit war klar, dass der Kläger an diesem Tag allgemein eine leidensgerechte Beschäftigung begehrte. Da hierunter auch die Teiltätigkeit in der Sequenzierung von Kraftstoffleitungen fällt, wurde diese von seinem tatsächlichen Angebot umfasst. Selbst wenn der Kläger am 19. Februar 2008 die Sequenziertätigkeit vorbehaltlos abgelehnt und eine sitzende Tätigkeit gefordert haben sollte, musste er am 26. Mai 2008 nicht ausdrücklich klarstellen, dass er von dieser Haltung abrückt. Dies ist nämlich jedenfalls stillschweigend darin zu sehen, dass er im Zusammenhang mit der soeben erfolgten arbeitsmedizinischen Stellungnahme einen „entsprechenden Arbeitsplatz“ erbat, der gerade nicht eine ausschließlich sitzende Tätigkeit verlangt und deshalb auch die Teiltätigkeit in der Sequenzierung von Kraftstoffleitungen einschließt.

Dem Kläger steht die Annahmeverzugsvergütung auch in der begehrten Höhe zu. Insoweit gilt das Lohnausfallprinzip. Der Arbeitnehmer ist so zu vergüten, als ob er gearbeitet hätte. Der Anspruch umfasst daher das Bruttogehalt einschließlich Provisionen, Zulagen, Prämien, Gratifikationen. Wie sich aus den vom Kläger eingereichten Arbeitsbescheinigungen ergibt, unterlag seine Vergütung starken Schwankungen. Soweit die Beklagte vorträgt, der Kläger habe ein verstetigtes Monatsentgelt in Höhe von 2670,75 € erhalten, steht dies im Widerspruch hierzu. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Kläger im Anspruchszeitraum im Falle seiner Beschäftigung weniger verdient haben würde als im Jahr zuvor.

Der Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

III. Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

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