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Kündigung (außerordentliche) – Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern

 LAG Hamm

Az.: 13 Sa 76/09

Urteil vom 22.06.2009


Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.12.2008 – 2 Ca 2442/08 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung; der Kläger begehrt seine Weiterbeschäftigung.

Der am 23.03.1961 geborene, ledige Kläger war seit dem 26.04.1979 bei der D5 T2 bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, bevor das Arbeitsverhältnis mit Wirkung ab 01.01.2006 gemäß § 613 a BGB auf die Beklagte, die ca. 1.500 Mitarbeiter beschäftigt, überging. Der Kläger kam zuletzt im Rahmen einer 34-Stunden-Woche als „Customer Service Manager im Bereich Finance“ mit einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.900,– Euro zum Einsatz.

Nach einer am 28.04.2008 stattgefundenen tätlichen Auseinandersetzung mit dem Zeugen …, der bis zum Frühjahr 2006 Vorgesetzter des Klägers gewesen war, wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 05.05.2008 an den in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat mit der Absicht, dem Kläger „außerordentlich und hilfsweise fristgemäß zu kündigen“.

Zur Begründung wird darin unter anderem ausgeführt:

A. Das Arbeitsverhältnis ist seit geraumer Zeit erheblich belastet.

Bereits im Jahr 1996 wurden Herrn … heftige verbale Angriffe gegenüber einem damaligen Kollegen, der vorübergehend den Vorgesetzten vertrat, sowie ein Faustschlag in dessen Gesicht vorgehalten. Der Kündigungsschutzklage wurde insbesondere deshalb stattgegeben, weil das Fehlverhalten als erstmaliges Fehlverhalten zu werten sei.

Am 12.05.2006 geht die Mitarbeiterin Frau … … zu Dienstbeginn über den Büroflur an der offen stehenden Bürotür von Herrn … vorbei. Als Frau … Herrn … grüßt, springt dieser von seinem Bürostuhl auf, eilt zur Tür und schreit über den Flur:

„Sprich mich nicht mehr an. Du hast mir eine Abmahnung eingebracht. Das ist unmöglich. Weißt du, was das für mich bedeutet? Das ist unverschämt.“

Noch während Frau … Herrn … antwortete, warf dieser die Bürotür zu und verschloss sie von innen.

Im weiteren Verlauf des Vormittags, 12.05.2006, wird der unmittelbare Vorgesetzte Herr … von mehreren Mitarbeiterinnen angesprochen. Diese äußern ihre Angst, dass das Verhalten von Herrn … weiter eskaliert und sie dadurch in Gefahr kommen.

Als Sofortmaßnahme sendet der Vorgesetzte eine Mail an die Mitglieder seiner Gruppe. Die Kollegen werden aufgefordert, sich nicht mehr alleine in den Büros aufzuhalten. Es soll darauf geachtet werden, dass immer mindestens ein weiterer Kollege oder eine weitere Kollegin in Hörweite ist.

B. Aktuell hat sich Herr … in einer Weise verhalten, die eine weitere Zusammenarbeit ausschließt.

Im Zuge der Vorbereitung des innerbetrieblichen Umzugs am Standort …, …, war es am 28.04.2008 die Aufgabe der Mitarbeiterin Frau …, sämtliches Mobiliar zu listen und für die Weiterverwendung zu sortieren. Herr … … unterstützte sie dabei. Nach der Sichtung mehrerer Büros und der Befragung von mehr als 10 Kollegen, ereignete sich folgender Vorfall.

Gegen 15:50 Uhr klopfte Hr. … an die Bürotür von Herrn … und trat ein. Herr … war allein. Nach einer Begrüßung fragte Herr …, welche Stühle nach dem Umzug unseres Betriebsteils in seinem jetzigen Büro verbleiben würden. Herr … antwortete ihm, dass er die Frage nicht verstanden hätte. Währenddessen hantierte Herr … an seinem Telefon. Daraufhin fragte Herr …, welche Stühle nicht mit umziehen würden. Herr … sprach nun lauter und sagte, dass das Gespräch beim Betriebsrat jetzt auf der Box sei. Dann gab Herr … Herrn … wieder zu verstehen, dass er die Frage abermals nicht verstanden hätte.

Herr … stellte die Frage ein drittes Mal. Die Antwort von Herrn …: …, dann sind da Aufkleber drauf.

Wir weisen darauf hin, dass die Anbringung farbiger Aufkleber die übliche Kennzeichnung für umzuziehende Möbelstücke ist.

Nachdem Herr … daraus folgerte, dass er sich umschauen sollte, fragte er, ob er eine private Jacke von einer der Stühle hochnehmen dürfe.

Nun fragte Herr … wieso Herr … ihr Privateigentum anfassen wollte. Er sagte dann, dass er jetzt gehen wolle. Daraufhin bat ihn Herr …, dass er seine Jacke vom Stuhl hochheben möge.

Unerwartet fragte Herr … Herrn …, wieso er ihn „doof“ nenne. Auf die verdutzte Frage seitens Herrn … nach der Intention, sprang Herr … auf, griff den Schlüssel von Herrn …, schubste die Bürotür zu und kam auf Herrn … zu.

Er rief Herrn … an: „So, jetzt reicht’s – und sprang mit erhobenen Fäusten tretend auf Herrn … zu. Herr … erwehrte sich des Angriffs. Es folgten ein zweiter und ein dritter Angriff mit Tritten und Fausthieben, welche Herr … mit dem linken Schienbein und seinen Händen abzuwehren suchte.

Herr … bat Herrn …, er möge sich nicht unglücklich machen. Daraufhin folgte ein vierter Angriff. Nun bat Herr … Herrn …, dass er ihm seinen Schlüssel wiedergeben möge, er wolle gehen. Ein Verlassen des Raumes war Herrn … bis dahin nicht möglich, weil Herr … seit dem Beginn seiner Attacke den einzigen Weg zur Tür versperrte.

Daraufhin riss Herr … die Bürotür auf, warf den Schlüssel von Herrn … auf den Gang, boxte ihm noch einmal in den Bauch und verließ gegen 16:05 Uhr das Gebäude.

Nach der polizeilichen Aufnahme der Ereignisse begab sich Herr … zur Untersuchung in die Städtischen Kliniken …. Hier wurde ein stark geprelltes linkes Schienbein diagnostiziert.

Diese Sachverhaltsdarstellung beruht auf den Aussagen des Herrn ….

Wegen des weiteren Inhalts des Anhörungsschreibens wird auf dessen Kopie als Anlage zum Beklagtenschriftsatz vom 18.07.2008 verwiesen (Bl. 77 ff. d.A.).

Was die am Tattag um 16.20 Uhr herbeigerufene Polizei angeht, hat diese festgehalten, dass der „Geschädigte … … eine blutende Schürfwunde am linken Bein“ aufwies. Laut Bericht des Klinikums … ebenfalls vom 28.04.2008 wurden bei dem Zeugen … u.a. eine Schürfung auf dem Schienbein links und eine Schwellung festgestellt.

Nachdem der Betriebsrat mit Schreiben vom 07.05.2008 gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken und einer ordentlichen Kündigung widersprochen hatte (Bl. 84 d.A.), sprach die Beklagte am 09.05.2008 eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage.

Er hat behauptet, am 28.04.2008 habe er dem Zeugen … auf die Frage, ob er sich im Zimmer umschauen könne, gesagt: „Nein, sie bleiben draußen“; das sei auf das völlig zerrüttete Verhältnis zwischen ihnen zurückzuführen gewesen. Zu dem Zeitpunkt sei er mit der Handy-Box der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden … verbunden gewesen.

Nachdem der Zeuge … kurz den Raum verlassen habe, um ein Telefonat entgegenzunehmen, habe er diesem beim Wiedereintritt gesagt, er habe erneut den Anschluss der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden angewählt. Der Zeuge … sei dann gezielt auf einen Stuhl zugegangen und habe gefragt, ob er die auf dem Stuhl liegende Jacke anfassen dürfe. Er, der Kläger, habe erwidert, er solle dies unterlassen. Als er, der Kläger, der nach Hause habe gehen wollen, dann um den Schreibtisch herum zum Stuhl gegangen sei, um seine Jacke zu nehmen, habe der Zeuge … ihn mit einem Schlüsselbund (3 Schlüssel und zwei Chipkarten) attackiert und in die rechte Brustseite gestoßen. Nachdem er diesem das Schlüsselbund abgenommen habe, sei er mehrfach mit den Fäusten geschlagen worden, wobei er versucht habe, die Attacken mit den Armen abzuwehren.

Der Zeuge … habe sich offenbar selbst verletzt, weil er aus Wut oder Unvorsichtigkeit vor einen Tisch getreten habe. Das Schlüsselbund habe er schließlich auf den Flur geworfen. Anschließend habe er den PC heruntergefahren, während der Zeuge … stehen geblieben sei. Auf dem Weg zur Tür habe ihm dieser hinterhergerufen „Jetzt fliegst du endgültig“.

Abschließend hat der Kläger darauf hingewiesen, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende … habe auf ihrer Handy-Box gehört, dass der Zeuge … zu ihm im Rahmen der verbalen Auseinandersetzung gesagt habe „Du hast doch einen Vogel“.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche, hilfsweise fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 09.05.2008 aufgelöst worden ist;

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziffer 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sachbearbeiter-Verträge weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den dem Betriebsrat mitgeteilten Sachverhalt gestützt. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen, dass ausweislich einer Skizze des Büros des Klägers ein Angriff durch diesen erst möglich gewesen sei, nachdem dieser aufgesprungen und die Bürotür geschlossen habe; zuvor seien die beiden Personen durch den Schreibtisch getrennt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen … und Parteivernehmung des Klägers. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift vom 11.12.2008 (Bl. 137 ff. d.A.).

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.12.2008 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, dass der Kläger den Zeugen … am 28.04.2008 mit Schlägen und Tritten traktiert habe, ohne zuvor angegriffen worden zu sein. Die Aussage des Zeugen sei in sich schlüssig und widerspruchsfrei und widerlege die lebensfremde und kaum nachvollziehbare Einlassung des Klägers. Der mehrfache tätliche Angriff rechtfertige die außerordentliche Kündigung.

Auch die gebotene Interessenabwägung führe unter Berücksichtigung der Geschehnisse in der Vergangenheit mit zwei Kündigungsschutzverfahren und verschiedenen Abmahnungen angesichts der gravierenden Pflichtverletzung zu keinem anderen Ergebnis.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.

Er meint, die erstinstanzliche Beweiswürdigung sei fehlerhaft. Er hält an seiner Darstellung des Geschehens am 28.04.2008 fest. Das Arbeitsgericht habe seine Schilderung nicht als „unwahrscheinlich“ qualifizieren dürfen, ohne weitere Befragungen vorzunehmen. Von Seiten des Zeugen … gebe es auch keine einleuchtende Erklärung dazu, warum er trotz der im Jahre 2006 verfassten E-Mail allein ausgerechnet das Büro von ihm, dem Kläger, aufgesucht habe.

Auch die weiteren Angaben des Zeugen zum Geschehensablauf und zu den erlittenen Verletzungen seien teilweise unterschiedlich, nicht miteinander vereinbar und damit widersprüchlich gewesen – wie auch die Erklärung zu den Arbeitsunfähigkeitszeiten.

Im Übrigen bleibe die Betriebsratsanhörung bestritten. So habe man diesem nicht mitgeteilt, dass er, der Kläger, seine Arbeitsunfähigkeit (zunächst für den 28. und 29.04.2008; dann bis zum 13.05.2008) nach dem Vorfall durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen nachgewiesen habe. Auch sei der Betriebsrat nicht von den Einzelheiten der Abmahnung vom 14.03.2006 unterrichtet worden. Im Übrigen werde der behauptete Eingang des an den Betriebsrat gerichteten Anhörungs- und dessen Stellungnahmeschreibens bestritten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 11.12.2008 – 2 Ca 2442/08 – abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche, hilfsweise fristgemäße Kündigung der Be- klagten vom 09.05.2008 aufgelöst worden ist,

2. für den Fall des Obsiegens mit dem vorstehenden Antrag die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sachbearbeiter „Customer Service Manager“ weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen und die Darlegung des Arbeitsgerichts. Durch eine Serie von Fausthieben und Fußtritten habe der Kläger den Zeugen … am 28.04.2008 erheblich verletzt und dadurch einen Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschaffen – nicht zuletzt auch angesichts mehrerer gleichgelagerter Vorgänge in der Vergangenheit.

Die Kammer hat den Kläger im Rahmen des § 141 ZPO als Partei angehört und Beweis erhoben durch eine (erneute) Vernehmung des Zeugen …. Hinsichtlich der Ergebnisse wird verwiesen auf die Sitzungsniederschriften vom 22.05. und 22.06.2009 (Bl. 236 und 262 ff. d.A.).

Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Entgegen der Ansicht des Klägers hat nämlich das Arbeitsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung seine Klage abgewiesen, weil die am 09.05.2008 beklagtenseits erklärte außerordentliche, fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses wirksam ist.

I.

Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB sind gegeben. Danach kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

In dem Zusammenhang entspricht es der ständigen, zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ( z.B. 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06 – DB 2009, 964; 06.10.2005 – 2 AZR 280/04 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 25 ), dass Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern grundsätzlich einen wichtigen Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses bilden können.

Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.

1) Nach dem Ergebnis der von der Kammer erneut vorgenommenen ausführlichen Anhörung des Klägers und der Vernehmung des Zeugen … steht fest, dass der Kläger am 28.04.2008 kurz vor 16.00 Uhr ohne verständlichen Grund auf seinen ehemaligen Vorgesetzten mit Angriffswillen zugegangen ist und diesem in vier Attacken mit Fäusten und Tritten nicht unerhebliche Verletzungen beigebracht hat, namentlich eine blutende Schürfwunde am linken Schienbein.

So hat der Zeuge … zunächst anschaulich geschildert, warum er an dem Tag kurz vor Dienstschluss noch das Büro des Klägers betreten hat, nämlich um als Hilfe der dafür zuständigen Mitarbeiterin … nicht gekennzeichnete Stühle im Zuge eines bevorstehenden Umzugs aus dem Raum zu entfernen, wie er es schon den ganzen Tag über gemacht hatte. Dazu passt die Darstellung des Klägers anlässlich seiner erstinstanzlichen Vernehmung am 11.12.2008, dass sich der Zeuge … zu einem Stuhl begeben hat und es im Folgenden um einen Aufkleber auf den Stühlen gegangen ist. Ebenso ist unstreitig, dass die Jacke des Klägers so auf dem vor dem Schreibtisch sich befindlichen Stuhl lag, dass man einen zur Kennzeichnung angebrachten Aufkleber auf der Lehne nicht sehen konnte. Daraufhin hat dann der Zeuge … den Kläger – auch noch unstreitig – gefragt, ob er die Jacke anheben könne. Aus Sicht des Zeugen und der von ihm zu erledigenden Aufgabe ist das dargestellte Vorgehen bis dahin sachlich gerechtfertigt und gut nachvollziehbar, ohne dass Elemente eines provozierenden Verhaltens erkennbar sind.

Wenn sich daraufhin der Kläger zum Stuhl begab und damit auf den dort stehenden Zeugen zuging, fragt man sich, warum er stattdessen dem Zeugen nicht erlaubt hat, kurz durch Anheben der Jacke die Kennzeichnung des Stuhls zu überprüfen, statt verhindern zu wollen, dass der Zeuge die Jacke anfasste.

Wenn es in dieser konkreten Situation sodann zu einer erheblichen tätlichen Auseinandersetzung kam, kann dies nach Überzeugung der Kammer nur auf einen Angriff des Klägers zurückzuführen sein. Der Zeuge … hat nämlich anschaulich und inhaltlich ergiebig geschildert, dass der Kläger die bis dahin wegen des bevorstehenden Abtransports von S3 offene Bürotür geschlossen hat, bevor er auf ihn zuging. Anschließend ist es dann zu insgesamt vier körperlichen Attacken durch den Kläger gekommen, und zwar zunächst mit Fäusten auf die Brust und das Gesicht und sodann auch mit Tritten, die mit dem linken Schienbein abgewehrt wurden. Gerade zum Letzteren passt die kurze Zeit später erfolgte polizeiliche Feststellung einer blutenden Schürfwunde am linken Bein und der ärztliche Bericht des Klinikums … über eine Schürfung auf dem Schienbein links und einer Schwellung.

Wenn der Kläger demgegenüber erklärt hat, dass aus seiner Sicht der Zeuge … unverletzt geblieben sei und er eine zunächst erwogene Verletzung am Schreibtisch bemerkt hätte, wird deutlich, dass seine diesbezügliche Sachverhaltsschilderung mit bestimmten polizeilich und ärztlich festgestellten Tatsachen nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Im Übrigen ist nicht der geringste Anhaltspunkt ersichtlich, warum der mit einem sachlichen Anliegen gekommene Zeuge … urplötzlich mit einem Schlüsselbund auf die rechte Brustseite des Klägers, mit dem er schon fast eineinhalb Jahre dienstlich nichts mehr zu tun hatte, eingeschlagen sowie diesen mit Fäusten traktiert und auch einmal getreten haben soll. Völlig unverständlich wäre in einer solchen Situation – trotz eines möglicherweise beruhigend wirkenden Blutdruckmittels – auch die anschließende Reaktion gewesen, nämlich nach den aus Klägersicht gravierenden Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit zunächst einmal den PC herunterzufahren, während der Zeuge … dabeigestanden haben soll. Vielmehr hätte man erwartet, dass der Kläger, um sich weiteren Angriffen zu entziehen, sofort den Büroraum verlassen hätte, um Hilfe zu holen, statt nur das Schlüsselbund des Zeugen auf den Flur zu werfen.

Soweit der Zeuge … in seiner zweitinstanzlichen Vernehmung die in der ersten Instanz unzutreffenden Äußerungen zu den Arbeitsunfähigkeitszeiten korrigiert hat, spricht dies nicht gegen seine Glaubwürdigkeit. So hat er erstinstanzlich auf Nachfrage auch erklärt, er wisse nicht mehr ganz genau, wie das mit der Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Wenn er jetzt in dieser nicht unmittelbar zum Beweisthema gehörenden Frage vor der erkennenden Kammer eine nachvollziehbare Erläuterung dazu abgegeben hat, weshalb er erst ab dem 05.05.2008 arbeitsunfähig krankgeschrieben worden ist, wird dadurch seine Glaubwürdigkeit nicht erschüttert.

Nach alledem steht fest, dass der Kläger am Nachmittag des 28.04.2008 den Mitarbeiter … ohne nachvollziehbaren Anlass über mehrere Minuten mit den Fäusten auf die Brust und das Gesicht geschlagen und anschließend noch mehrmals getreten hat. Fragt man nach der Motivationslage, könnte dabei eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, dass sich der Kläger, wie er selbst vorgetragen hat, durch die E-Mail des Zeugen … vom 12.05.2006 von seinem damaligen Vorgesetzten als jemand dargestellt fühlte, der insbesondere weiblichen Beschäftigten gefährlich werden könnte.

Nach alledem ist an sich ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegeben.

2) Die weiter vorzunehmende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls führt zu keinem anderen Ergebnis, weil das Beendigungsinteresse der Beklagten das Bestandsinteresse des Klägers überwiegt ( vgl. z.B. BAG, 27.04.2006 – 2 AZR 415/05 – AP BGB § 626 Nr. 203 ).

Allerdings kommt der Tatsache, dass der ledige Kläger im Kündigungszeitpunkt bereits 47 Jahre alt war und unter Anrechnung von Vordienstzeiten über 29 Jahre im Arbeitsverhältnis stand, zu seinen Gunsten eine beträchtliche Bedeutung zu. Es ist auch zu berücksichtigen, dass er es gerade angesichts der Umstände seines Ausscheidens nicht leicht haben wird, eine neue Beschäftigung zu finden.

Entscheidend gegen ihn fällt aber ins Gewicht, dass er ohne nachvollziehbaren Anlass einen ehemaligen Vorgesetzten, mit dem er schon über eineinhalb Jahre keinen regelmäßigen dienstlichen Kontakt mehr hatte, während der Arbeitszeit unversehens mit Schlägen und Tritten beträchtlich verletzt hat. Selbst wenn in diesem Zusammenhang von Seiten des Zeugen … die Äußerung „Du hast doch einen Vogel“ gefallen sein soll, rechtfertigt dies in keinster Weise das beträchtliche und über mehrere Minuten andauernde gewaltsame Vorgehen gegenüber einem anderen Mitarbeiter.

In einer solchen Situation ist es sachgerecht, wenn sich der Arbeitgeber zur Verhinderung vergleichbarer Vorfälle mit konkreten Risiken für die Gesundheit der Arbeitnehmer von dem mit Angriffswillen vorgegangenen Beschäftigen sofort trennt. Dies gilt umso mehr, als der Kläger sich nach seiner eigenen Einlassung in der Vergangenheit schon mehrmals zum Beispiel durch das Schneiden von Grimassen vom Zeugen … provoziert fühlte, das Verhältnis zu ihm als „völlig zerrüttet“ einstuft und bereits dessen Erscheinen in seinem Büro am 28.04.2008 als Provokation empfand.

Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass ihm bereits im Zuge zweier vorangegangener Kündigungen auch aggressive bzw. unbeherrschte Verhaltensweisen gegenüber anderen Mitarbeitern zur Last gelegt wurden. So hat er zum Beispiel im Vorfeld einer ersten Kündigung vom 08.05.1996 gegenüber einem Mitarbeiter geäußert „Ich mach dich kalt“.

II.

Die Anhörung des Betriebsrates im Vorfeld der Kündigung ist auch ordnungsgemäß erfolgt (§ 102 Abs. 1 BetrVG).

1) Was den Zugang des an den Betriebsrat per E-Mail gerichteten Anhörungsschreibens vom 05.05.2008 angeht, hat der Kläger zwar zu Recht die Frage aufgeworfen, warum die Blätter 2 bis 7 oben jeweils das Datum „17.07.2008“ tragen. Dafür hat aber die Beklagte zum einen eine nachvollziehbare Erklärung des Inhalts gegeben, dass bei dem erfolgten Ausdruck der einschlägigen Datei ab dem Blatt 2 das tagesaktuelle Datum gesetzt werde. Entscheidend ist aber, dass sich der Betriebsrat ausweislich seiner schriftlichen Stellungnahme vom 07.05.2008 in der an diesem Tag stattgefundenen außerordentlichen Sitzung „mit (dem) Schreiben vom 05. Mai 2008“ befasst hat. Dem Gremium muss das Anhörungsschreiben also vorgelegen haben, bevor es zu den „aufgeführten Vorfällen“ zugunsten des Klägers Stellung genommen hat, in dem es Bedenken äußerte bzw. einen Widerspruch erklärte.

Ob das Stellungnahmeschreiben des Betriebsrats der Beklagten zugegangen ist, spielt im Rahmen der arbeitgeberseits einzuhaltenden Pflicht zur ordnungsgemäßen Anhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG keine Rolle, sondern ist allenfalls im Rahmen des § 102 Abs. 2, Abs. 3 BetrVG relevant. Davon abgesehen ergibt sich aus der ersten Zeile oberhalb des eigentlichen Schreibens des Betriebsrates vom 07.05.2008, dass an diesem Tag um 17.31 Uhr eine Fax-Übermittlung an „AB HR“ in D3 stattgefunden hat, bevor sodann das Kündigungsschreiben am 09.05.2008 von D3 aus verfasst wurde.

2) Was die weiteren Einwendungen angeht, nämlich die unterbliebene Darlegung der Einzelheiten der Abmahnung vom 14.03.2006 und die attestierte Arbeitsunfähigkeit seit dem 29.04.2008, kamen diesen Aspekten – wie aus den obigen Erwägungen unter I. der Gründe ersichtlich – für die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung keine Bedeutung zu und mussten deshalb im Rahmen des Grundsatzes der subjektiven Determination arbeitgeberseits dem Betriebsrat nicht zwingend mitgeteilt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

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