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Kündigung – unerlaubte Arbeitsunterbrechung

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg

Az: 2 Sa 2015/11

Urteil vom 01.12.2011


I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.08.2011 – 43 Ca 6400/11 – geändert:

1.

Die Klage wird unter Einschluss des Auflösungsantrages abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreites werden dem Kläger auferlegt.

II.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die die Beklagte, ein Unternehmen der Backwarenindustrie, am 08.04.2011 gegenüber dem seit dem 13.01.1997 bei ihr als Kraftfahrer beschäftigten Kläger ausgesprochen hat.

Dem lag zugrunde, dass der Kläger, der am 10.07.2010 eine Abmahnung wegen eines unbegründeten Aufenthaltes an einer Tankstelle erhalten hatte und am 05.04.2011 von dem Fuhrparkleiter darauf angesprochen worden war, dass er – wiederum – sich unberechtigt während der Arbeitszeit an einer Tankstelle aufgehalten hat, am 07.04.2011 während seiner Arbeitszeit mit seinem Fahrzeug auf das Gelände der …………gefahren war, erst gegen 11:00 Uhr in den Hof am Betriebssitz eingefahren war, dort den Wagen entladen hat und eine Arbeitszeit bis 11:30 Uhr aufgezeichnet hatte, ohne die Pause an der Tankstelle zu erwähnen. In einem am Folgetag stattgefundenen Gespräch mit der Personalleiterin und dem Juniorchef leugnete der Kläger zunächst, am Vortage an jener Tankstelle gewesen zu sein; nachdem er mit einem Zeugen, einem Kollegen, konfrontiert worden war, hat der Kläger seinen Aufenthalt an der Tankstelle bestätigt und diesen mit „Magenproblemen“ begründet.

Die Beklagte nahm dies zum Anlass, eine außerordentliche Kündigung wegen Arbeitszeitbetruges, zumindest des Tatverdachtes hierauf, auszusprechen. Demgegenüber hat der Kläger erklärt, er habe sich am 07.04.2011 maximal 25 Minuten an der Tankstelle aufgehalten und wegen seiner Magenprobleme eine Toilette aufgesucht. Es sei unüblich, die Pausen oder sonstige Unterbrechungen auf dem Arbeitszettel zu notieren. Er habe den Vorfall in dem Gespräch bestritten, weil er sich geschämt habe, seine Magenprobleme zu offenbaren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die dort gewechselten Schriftsätze sowie auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.08.2011 den gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichteten Feststellungsanträgen des Klägers entsprochen. Sowohl die fristlose als auch die fristgemäße Kündigung seien unwirksam. Die Beklagte habe erhebliche Vertragspflichtverletzungen des Klägers nicht hinreichend dargetan. Im Bezugspunkt des vorgeworfenen Arbeitszeitbetruges von 90 Minuten habe die Beklagte nicht hinreichend dargetan, dass der Kläger bereits ab 09:30 Uhr nicht mehr gearbeitet habe. Diesbezüglich seien nur Mutmaßungen unter Bezugnahme auf Üblichkeiten bei anderen Fahrern geäußert worden. Der von der Beklagten genannte Zeuge habe den Kläger erst gegen 10.00 Uhr gesehen, auch ein Mitarbeiter an der Tankstelle habe einen Aufenthalt des Klägers bereits um 09:30 Uhr nicht bestätigt. Es könne dahinstehen, ob der Kläger bereits um 10:00 Uhr an der Tankstelle gewesen sei; er habe sich jedenfalls allenfalls 27 Minuten bis 45 – 50 Minuten dort aufgehalten. Soweit die Beklagte ausführe, die auf dem Arbeitszettel eingetragene Zeit von 03.00 Uhr bis 11:30 Uhr sei reine Arbeitszeit, sei dies nicht nachvollziehbar. Die Beklagte verstoße vielmehr ihrerseits gegen Arbeitszeitgesetze, weil sie keine Ruhepausenregelung wirksam eingeführt habe. Auch wenn der Kläger nach durchgearbeiteten 7 Stunden Arbeitszeit wegen Magenproblemen eine Notdurft verrichtet habe, sei dies kein Kündigungsgrund. Die Magenprobleme seien zwar von der Beklagten bestritten, sie selbst sei aber darlegungs- und beweispflichtig für die Kündigungsgründe. Die Beklagte habe eindeutige Weisungen hinsichtlich der Ausfüllung der Arbeitszettel nicht dargetan; die eingereichten Arbeitszettel dokumentierten auch bei den übrigen Fahrern keine Pausen. Angesichts der klaren Verstöße der Beklagten gegen die Arbeitszeitgesetze sei eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Klägers nicht zu erkennen. Kündigungsgründe hätten nicht vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 49 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses am 07.09.2011 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 05.10.2011 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und zugleich begründet hat.

Die Beklagte und Berufungsklägerin begründet ihre Berufung damit, dass der Kläger einen Arbeitszeitbetrug begangen habe. Er habe eine Stunde Arbeitszeit aufgeschrieben, ohne hierfür gearbeitet zu haben. Der Kläger habe die Tankstelle jedenfalls um 10:00 Uhr aufgesucht und den Betriebshof erst um 11:00 Uhr erreicht. Wenn er Magenprobleme gehabt habe, so habe er die sich gegenüber der Tankstelle befindliche Filiale der Beklagten aufsuchen können; dies wäre jedenfalls naheliegend gewesen. Die Darstellung des Klägers sei deswegen unglaubwürdig, insoweit sei eine Beweislastumkehr eingetreten. Die Unglaubwürdigkeit der Ausführung des Klägers ergebe sich auch daraus, dass er in seiner Anhörung am 08.04.2011 sowohl den Aufenthalt an der Tankstelle bestritten und schließlich von einer Notdurft nichts erwähnt habe. Es sei richtig, dass bei der Beklagten keine schriftlichen Vorgaben für die Fahrer im Hinblick auf die Eintragung von Pausen bestünden. Mündlich seien diese aber bei der Einstellung auf die Notwendigkeit der Aufzeichnung hingewiesen worden. Einige Fahrer hätten auch offenbar gar keine Pausen gemacht, um mehr Geld zu verdienen. Teilweise seien auch gesonderte Zettel im Hinblick auf die Einlegung von Pausen an das Büro gegeben worden. Die Beklagte sei sich bewusst geworden, dass hier auf ihrer Seite eine ausgiebige Aufarbeitung stattzufinden habe. Das bedeute aber andererseits nicht, dass sich der Kläger auf Kosten der Beklagten habe bereichern dürfen. Das Verhalten des Klägers wiege schwer, weil er nur neun Monate vorher eine Abmahnung wegen eines gleichartigen Vorfalles erhalten habe. Auch sei er nur drei Tage vor dem Kündigungsvorfall noch einmal auf einen ähnlichen Vorfall angesprochen worden. Der Beklagten sei im Nachhinein ohnehin bekannt geworden, dass der Kläger täglich in einer der Filialen sich Kaffee und Brötchen genommen und Zeitung gelesen habe. Zumindest die fristgemäße Kündigung sei gerechtfertigt.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.08.2011 die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, die Berufungsschrift enthalte nur diverse Vermutungen ohne Beweisantritte. Der Vorwurf des Arbeitszeitbetruges sei weder zutreffend noch durch die Beklagte belegt. Die hier fragliche Donnerstagstour sei für ihn jedenfalls länger gewesen, dies insbesondere auch deswegen, weil sein Fahrzeug als eines der letzten beladen worden sei. Er habe in den Filialen noch warten müssen, bis Leergut wieder auf den Transporter verbracht worden sei. Die Beklagte habe keinen Beweis über die Dauer seines Aufenthaltes an der Tankstelle; er habe keine falschen Eintragungen zu seinen Gunsten vorgenommen. Es sei richtig, dass in der Filiale gegenüber der Tankstelle eine Toilette vorhanden sei, diese sei jedoch nicht vollständig abgeschlossen, so dass er davon abgesehen habe, im Hinblick auf seine Magenprobleme dorthin zu gehen. Ihm sei bei seiner Einstellung gerade nicht gesagt worden, dass Pausenzeiten auf die Arbeitszettel zu notieren seien. Es habe gar kein Einstellungsgespräch mit der Personalleiterin gegeben.

Er werde nunmehr von Kollegen gemobbt, beispielsweise von dem Kollegen, der als Zeuge gegen ihn aufgetreten sei. Die Beklagte habe auch mehrfach erklärt, er werde bei ihr nicht mehr arbeiten.

Der Kläger beantragt deswegen weiter, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber die Summe von 15.000,00 EUR nicht unterschreiten solle.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf den Schriftsatz der Beklagten und Berufungsklägerin vom 05.10.2011 (Bl. 64 ff. d.A.) und auf denjenigen des Klägers und Berufungsbeklagten vom 11.11.2011 (Bl. 86 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG, 511 ZPO statthafte Berufung ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, 519 ZPO eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist daher zulässig.

2. Die Berufung hatte in der Sache Erfolg.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 08.04.2011 mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Der Beklagten stand ein wichtiger Grund zur Seite, der ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als unzumutbar erscheinen lassen durfte.

2.1 Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass gemäß § 626 Abs. 1 BGB das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist (BAG vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027).

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1227; BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 39/05 – NZA 2006, 484). Dies gilt für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzliche falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit von am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmern vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung stehenden Formulare wissentlich oder vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar.

2.2 Gemessen an diesen vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätzen erwies sich die streitgegenständliche fristlose Kündigung als gerechtfertigt.

2.2.1 Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass – wie es das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat – der Kläger am 07.04.2011 mindestens für einen Zeitraum von 27 Minuten. möglicherweise aber für einen Zeitraum von 45 – 50 Minuten während der Arbeitszeit sich an der E.-Tankstelle in der ….. aufgehalten hat. Er hat in dieser Zeit nicht gearbeitet, sondern ist erst gegen 11:00 Uhr in den Betriebshof eingefahren, hat seinen Wagen entladen und seine Arbeitszeit um 11:30 Uhr beendet und entsprechendes auf den Arbeitszettel geschrieben. Er hat damit dokumentiert, in dieser Zeit ausschließlich Arbeitsleistung erbracht zu haben, obgleich er für den genannten Zeitraum an der Tankstelle in der…. aufhältig war und dort gerade keine Arbeitsleistung erbrachte.

Auch wenn das Berufungsgericht – wie bereits das Arbeitsgericht – davon ausgeht, dass der Beklagten erhebliche Versäumnisse bei der Erfassung der Arbeits- und insbesondere der Pausenzeiten vorzuhalten sind, steht doch im Ergebnis fest, dass der Kläger seinerseits die Beklagte darüber getäuscht hat, dass er in der Zeit von 10:00 Uhr bis mindestens 10:27 Uhr, möglicherweise darüber hinausgehend Arbeitsleistungen erbracht hat, obwohl dies in Wirklichkeit nicht der Fall war.

Legt ein Arbeitnehmer, der seine Arbeit außerhalb der Betriebsstätte zu erbringen hat, Pausen ein, die er nicht dokumentiert, so dass aus vom Grundsatz her unbezahlten Pausen bezahlte Pausen werden, so täuscht er den Arbeitgeber über die tatsächlich geleistete Arbeit und über die Vergütungspflicht, die den Arbeitgeber nur für diese Arbeit trifft. Der Sache nach ist diese Fallgestaltung vergleichbar mit derjenigen, die das Bundesarbeitsgericht in seinen genannten Entscheidungen zugrunde gelegt hat, nämlich der falschen Aufzeichnung von Arbeitszeiten auf einem Gleitzeitbogen.

Dass der Kläger die auf dem Gelände der Tankstelle ………verbrachte Zeit zulässigerweise als „Pause“ genutzt hätte, ist nicht zu erkennen. Der Kläger hat sich hierauf in seiner eigenen Einlassung am Folgetag jedenfalls nicht bezogen. Der Kläger hat in seiner Einlassung am Folgetag vielmehr zunächst bestritten, sich überhaupt an der Tankstelle ……aufgehalten zu haben. Erst als ihm ein Tatzeuge entgegengestellt worden ist, hat er den Umstand schließlich eingeräumt und sich in diesem Zusammenhang auf „Magenprobleme“ berufen. Dieser Darstellung des Klägers ist das Berufungsgericht unter Berücksichtigung von § 286 ZPO nicht nahegetreten. Hätte der Kläger tatsächlich „Magenprobleme“ gehabt, hätte er dies ohne Weiteres bei dem Gespräch einräumen können. Dass er sich dafür „geschämt“ haben will, ist nicht naheliegend. Insbesondere ist seine diesbezügliche Einlassung nicht schlüssig, weil er sich in diesem Falle unmittelbar und sofort hätte darauf berufen können.

Das Berufungsgericht ist insoweit vom Vorliegen eines Arbeitszeitbetruges durch den Kläger im Umfange von mindestens 27, möglicherweise jedoch 45 – 50 Minuten ausgegangen. Dies stellt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Kündigungsgrund „an sich“ dar.

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2.2.2 Die sodann vorzunehmende Interessenabwägung im Einzelfall fällt zulasten des Klägers aus. Dabei ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass für die Arbeitszeitunterbrechung am 07.04.2011 kein erkennbarer Grund vorhanden war. Der Kläger hat sich diesbezüglich zwar auf „Magenprobleme“ berufen; aus den soeben dargelegten Gründen vermochte die Kammer dem jedoch nicht näherzutreten. Ein derartiges Fehlverhalten im Bereich der Arbeitszeitdokumentation wiegt schwer, weil der Arbeitgeber gerade dann, wenn die Arbeitstätigkeit nicht in der Betriebsstätte ausgeführt wird, auf die unbedingte Zuverlässigkeit der Arbeitnehmer und der von ihnen veranlassten Dokumentation der Arbeitszeit angewiesen ist. Der Arbeitgeber kann die Einhaltung der Arbeitszeit in solchen Fällen eben nicht „in eigener Regie“, also durch Maßnahmen an und in der Betriebsstätte kontrollieren. Er ist auf die unbedingte Ehrlichkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen, die ihre Arbeitszeit außerhalb des Betriebsgeländes erbringen. Eine Täuschungshandlung eines Arbeitnehmers in diesem Bereich führt zu einem schweren Vertrauensverlust.

Von besonderem Gewicht zulasten des Klägers war für das Berufungsgericht insbesondere der Umstand, dass er den Aufenthalt an der Tankstelle in dem Gespräch mit der Personalleiterin und dem Juniorchef am Folgetage zunächst gänzlich geleugnet und erst auf Vorhalt einer Zeugenaussage eingeräumt hat.

Nach der früheren langjährigen Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts war das „Nach-Tat-Verhalten“ des Arbeitnehmers, also seine Einlassungen nach der Pflichtverletzung und vor Ausspruch der Kündigung, von hohem Gewicht für die vorzunehmende Interessenabwägung. Insbesondere das Verhalten im Zusammenhang mit arbeitgeberseitigen Aufklärungsmaßnahmen konnte sich durchaus und in erheblichem Umfang belastend im Rahmen der Interessenabwägung auswirken. So hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts noch in der Entscheidung vom 24.11.2005 (2 AZR 39/05 – NZA 2006, 484)) ausgeführt, dass das Landesarbeitsgericht in dem dortigen Fall zutreffend berücksichtigt habe, dass der Kläger seinen Pflichtenverstoß zunächst geleugnet und dann mehrfach vorsätzlich die Unwahrheit gesagt habe. Es halte sich im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz, wenn das Landesarbeitsgericht angesichts solcher Umstände davon ausgegangen sei, das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiege das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Allerdings hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 10.06.2010 (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Pfandbon) den Umstand, dass auch die dortige Klägerin bei den Aufklärungsmaßnahmen des Arbeitgebers mehrfach und beharrlich gelogen hatte, nicht in die von ihm als Revisionsgericht dann selbst vorgenommene Interessenabwägung einbezogen. Er hat dort – unter Berufung auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1955 – nur festgestellt, dass das Prozess vorbringen der dortigen Klägerin nicht auf den Kündigungsgrund zurückwirken könne. Darum geht es aber in Fallgestaltungen wie den vorliegenden nicht. Denn das hier in Rede stehende Verhalten spielt sich nach Begehung der Pflichtwidrigkeit, aber gerade vor Ausspruch der Kündigung ab; es hat also mit „prozessualem Verteidigungsvorbringen“ gar nichts zu tun, wohl aber mit den Umständen, die einen Arbeitgeber, der ein Verhalten des Arbeitnehmers nach Pflichtwidrigkeit bei der Aufklärung derselben zu würdigen hat, in seinen Kündigungsentschluss einstellen muss. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts seine diesbezüglichen Ausführungen in der entsprechenden Entscheidung vom 10.06.2010 auf die speziellen und besonderen Umstände des dort entschiedenen Falles bezogen hat. Das Berufungsgericht geht jedenfalls davon aus, dass das Verhalten des Arbeitnehmers nach der Pflichtwidrigkeit, insbesondere das Verhalten im Zusammenhang mit vom Arbeitgeber vorgenommenen Aufklärungsmaßnahmen, nach wie vor Gegenstand der Interessenabwägung im Einzelfall sein können, und dass sie sich hier in erheblichem Maße und besonders schwerwiegend zulasten des Klägers auswirken.

2.2.3 Die fristlose Kündigung erweist sich auch nicht deswegen als unwirksam, weil dem Arbeitgeber mildere Reaktionsmöglichkeiten zumutbar gewesen wären (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227). Mildere Reaktionen, insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung, kommen dann als alternative Gestaltungsmittel in Betracht, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227). Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung jedenfalls nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gegeben hat, eine Vertragsstörung für die Zukunft zu beseitigen (BAG vom 24.03.2011 – 2 AZR 282/10 – NZA 2011, 1029 [BAG 24.03.2011 – 2 AZR 282/10]). Diese Aussage des Zweiten Senats des Bundsarbeitsgerichts ist missverständlich: Es geht nicht darum, eine Vertragsstörung zukünftig zu „beseitigen“, vielmehr geht es darum, einer Vertragsstörung für die Zukunft „vorzubeugen“. In diesem Sinne kann eine Abmahnung als milderes Mittel im Zusammenhang mit dem das Kündigungsrecht prägenden Prognoseprinzip angesehen werden.

Des Ausspruchs einer entsprechenden Abmahnung im Streitfalle bedurfte es indes nicht. Denn der Kläger war bereits am 10.07.2010 einschlägig abgemahnt worden; insbesondere ist zu berücksichtigen, dass er nur zwei Tage vor dem Vorfall von dem Fuhrparkleiter exakt auf einen Vorfall angesprochen worden ist, der dem Kündigungsvorfall gleichzusetzen ist. Wiederum ging es darum, dass der Kläger während der Arbeitszeit an der auch den Kündigungsvorfall kennzeichnenden E.-Tankstelle in der R.Straße angetroffen worden war und hierüber dem Arbeitgeber keine Mitteilung gemacht hatte. Insofern musste davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger diese Umstände nicht als Warnung hat dienen lassen; ungeachtet der Ansprache durch den Fuhrparkleiter hat er zwei Tage später exakt dasjenige Verhalten erneut gezeigt, was dieses Mal zur Kündigung geführt hat. Das Berufungsgericht ist daher davon ausgegangen, dass sich der Kläger hier nicht hat „belehren“ lassen und dass auch die jeweiligen Vorhalte durch den Arbeitgeber gerade nicht dazu geführt haben, dass der Kläger in der Zukunft sein Verhalten geändert hätte. Dass dies im konkreten Fall anders wäre, ist nicht zu erkennen.

Auch die zugunsten des Klägers in die Interessenabwägung einzubeziehenden Umstände vermochten dabei das Übergewicht der Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu überspielen. Sicher ist richtig, dass die familiären Verhältnisse des Klägers zu seinen Gunsten zu berücksichtigen waren; ebenso der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis mittlerweile mehr als 14 Jahre bestanden hat. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der schon erwähnten Entscheidung vom 10.06.2010 (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227) davon gesprochen, dass sich mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses ein „Vertrauenskapital“ ansammeln könnte; in folgenden Entscheidungen, beispielsweise in der Entscheidung vom 16.12.2010 (BAG vom 16.12.2010 – 2 AZR 485/08 – NZA 2011, 571 [BAG 16.12.2010 – 2 AZR 485/08]) hat es diesen Gedanken aber nicht mehr aufgegriffen, obwohl auch die dortige Klägerin eine Betriebszugehörigkeit von rund 13 Jahren aufgewiesen hatte. Angesichts der schwerwiegenden Pflichtverletzung des Klägers im Streitfalle vermochten die zu seinen Gunsten sprechenden Umstände das Gewicht nicht auf seine Seite zu verlagern.

3. Erwies sich die fristlose Kündigung als wirksam, so musste das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Beklagten hin entsprechend abgeändert werden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

4. Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen bei dem vorliegenden Einzelfall nicht gegeben waren.

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