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Kündigungsfrist – Abweichung durch einzelvertragliche Vereinbarung

Hessisches Landesarbeitsgericht

Az: 16 Sa 1036/09

Urteil vom 14.06.2010


Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 30. April 2009 – 12 Ca 469/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung zum 31. Oktober 2008 oder zum 30. November 2008 geendet hat.

Die Beklagte betreibt ein Transportunternehmen und beschäftigt in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten im Sinne von § 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB. Der am ………….geborene, ledige Kläger war bei ihr als Lkw-Fahrer zu einer Bruttomonatsvergütung von ca. 1470,00 EUR beschäftigt.

Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien, wegen dessen Inhalt im Einzelnen auf Blatt 5 bis 9 der Akten verwiesen wird, enthält unter anderem folgende Regelungen:

§ 7 ordentliche Kündigung

1. Soweit die Voraussetzungen des § 622 Abs. 5 BGB vorliegen, kann das Arbeitsverhältnis von beiden Vertragsparteien mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende gekündigt werden.

§ 13 Hinweis auf Tarifverträge und sonstige Regelungen

Auf das Arbeitsverhältnis findet kein Tarif Anwendung. Betriebsvereinbarungen sind keine abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 (Blatt 33 der Akten) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Oktober 2008. Nachdem der Kläger die Entgegennahme des Kündigungsschreibens am 1. Oktober 2008 verweigerte, übersandte die Beklagte dieses dem Kläger per Einschreiben, das er am 4. Oktober 2008 beim Postamt abholte.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis habe aufgrund der Kündigung erst zum 30. November 2008 geendet. Er hat behauptet, das Arbeitsverhältnis bestehe seit 1. Januar 2004.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 1. Oktober 2008 nicht zum 31. Oktober 2008 sondern erst zum 30. November 2008 aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen dem Kläger ordnungsgemäße Lohnabrechnung für den Monat November 2008 zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei dem Kläger bereits am 1. Oktober 2008 und nicht erst am 4. Oktober 2008 zugegangen. Sie hat behauptet, das Arbeitsverhältnis habe am 1. Juni 2004 begonnen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es könne dahinstehen, ob dem Kläger die Kündigung am 1. oder am 4. Oktober 2008 zugegangen sei. Da das Arbeitsverhältnis zum Kündigungszeitpunkt länger als zwei Jahre aber noch keine fünf Jahre bestanden habe, sei es gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB nur mit einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende kündbar. Die in § 7 Nr. 1 Arbeitsvertrag enthaltene Verkürzung der Kündigungsfrist sei unwirksam. Das Arbeitsverhältnis habe länger als zwei Jahre bestanden; eine einzelvertragliche Vereinbarung über die Verkürzung der Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB sei unwirksam. Wegen der Begründung der Entscheidung des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe (Blatt 74, 75 der Akten) verwiesen.

Gegen das ihr am 8. Mai 2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit einem am 4. Juni 2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 6. Juli 2009 begründet. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 BGB nicht verkürzt werden dürfe, treffe nicht zu. Richtig sei zwar, dass § 622 Abs. 5 BGB hinsichtlich der Verkürzung auf Abs. 1 verweise. Unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz würden damit die Arbeitsvertragsparteien von den in Abs. 4 genannten Verkürzungsmöglichkeiten durch Tarifvertrag ausgenommen. Die Regelung des § 622 Abs. 4 BGB zeige, dass auch die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB verkürzbar seien. Soweit in der Kommentarliteratur in Bezug auf § 622 Abs. 5 BGB zwischen Kündigungsfrist und Kündigungstermin unterschieden werde, finde dies im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Nachvollziehbar sei die gesetzliche Regelung nur, wenn die Verkürzungsmöglichkeit auch auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB Anwendung finde. Nur dies mache auch rechtspolitisch Sinn, da kleinen Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden solle, sich flexibler des Arbeitsmarktes in Zeiten der Hochkonjunktur aber auch der Krise bedienen zu können.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 30. April 2009 – 12 Ca 469/08 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass hinsichtlich eines länger als zwei Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses eine Verkürzung der Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 5 BGB unwirksam ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

1. Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 1. Oktober 2008, unabhängig davon ob diese am 1. oder am 4. Oktober 2008 zuging, erst zum 30. November 2008 aufgelöst wurde. § 7 Nr. 1 Arbeitsvertrag ist unwirksam, weil einzelvertraglich die Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB nicht verkürzt werden können. Eine Auslegung von § 622 Abs. 5 BGB ergibt, dass danach nur von der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB abgewichen werden darf (Erfurter Kommentar/Müller-Glöge, 10. Aufl., § 622 BGB Rn. 41; APS-Linck, 3. Aufl., § 622 Rn. 161; KR-Spilger, 9. Aufl, § 622 Rn. 142; Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR, 7. Aufl., § 622 BGB Rn. 42; Fiebig/Gallner/Nägele, Kündigungsrecht, 3. Aufl., § 622 Rn. 25). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, die ausdrücklich auf Abs. 1 verweist. Darin kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass von den verlängerten Kündigungsfristen des Abs. 2 nicht nach § 622 Abs. 5 BGB abgewichen werden darf. Hierfür spricht auch der Sinn und Zweck der Regelung. Die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB beruhen auf der Einschätzung des Gesetzgebers, dass Arbeitnehmer, die längere Zeit in einem Beschäftigungsverhältnis standen, im Falle eines Arbeitsplatzverlustes eine erhöhte soziale Schutzbedürftigkeit aufweisen und es dem Arbeitgeber deshalb zuzumuten ist, eine längere Kündigungsfrist einzuhalten. Dieser Gesetzeszweck würde leer laufen, wenn durch einzelvertragliche Regelung hiervon abgewichen werden könnte. Soweit § 622 Abs. 4 BGB durch Tarifvertrag abweichende Regelungen von Abs. 2 zulässt, beruht dies darauf, dass den Tarifvertragsparteien aus Art. 9 Abs. 3 GG ein weiter Einschätzungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die sachlichen Gegebenheiten und die betroffenen Interessen eingeräumt ist. Bei Tarifverträgen kann im Übrigen regelmäßig angenommen werden, dass eine bestimmte Einzelregelung im Zusammenhang eines von annähernd gleich starken Gegenspielern ausgehandelten Geben und Nehmens steht (BAG 23.4.2008 – 2 AZR 21/07 – AP Nr. 65 zu § 622 BGB, Rn. 24). Dies rechtfertigt es, in Bezug auf die Vereinbarung von Kündigungsfristen den Tarifvertragsparteien mehr Gestaltungsspielraum als den Parteien des Arbeitsvertrages einzuräumen. Den Interessen der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass sie im Geltungsbereich eines Tarifvertrages die Übernahme der tariflichen Regelung einzelvertraglich vereinbaren können, § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB. Hiervon haben die Parteien des Rechtsstreits jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung meint, es frage sich welchen Sinn die Bezugnahme des § 622 Abs. 5 auf dessen Abs. 1 mache, wenn § 622 Abs. 5 BGB eine Verkürzung der Kündigungsfrist des Abs. 1 erlaube, die aber wiederum vier Wochen nicht unterschreiten dürfe, ergibt sich dieser daraus, dass Abs. 5 die einzelvertragliche Vereinbarung einer vierwöchigen Kündigungsfrist ohne festen Endtermin ermöglicht und insoweit zu einer Verkürzung der Kündigungsfrist führt. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt dies auch in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck, denn Abs. 5 Nr. 2 schreibt nur eine Mindestkündigungsfrist von vier Wochen fest, nicht aber – wie Abs. 1 – bestimmte Kündigungstermine.

Schließlich überzeugt das Argument der Beklagten nicht, § 622 Abs. 5 Nr. 2 BGB müsse auch auf die verlängerten Kündigungsfristen des Abs. 2 Anwendung finden, weil bei Beginn des Arbeitsverhältnisses nicht absehbar sei, ob das Arbeitsverhältnis zwei Jahre bestehe und es ansonsten zwingend vor Ablauf der zwei Jahre gekündigt werden müsse, um in den Genuss der Regelung des Abs. 5 Nr. 2 zu kommen. Die Parteien des Arbeitsvertrages haben die Möglichkeit, ausschließlich in Bezug auf die Grundkündigungsfrist von der Verkürzung Möglichkeit des Abs. 5 Gebrauch zu machen und es im Übrigen bei der Anwendung des § 622 Abs. 2 BGB zu belassen.

Mit der Beklagten ist davon auszugehen, dass mit der Regelung des § 622 Abs. 5 BGB Kleinunternehmen die Möglichkeit gegeben werden soll, flexible Regelungen hinsichtlich der Kündigungsfristen zu vereinbaren. Dies gilt aber aufgrund des eindeutigen Verweises von Abs. 5 auf Abs. 1 nur in Bezug auf die Grundkündigungsfrist.

Betrug die hier einzuhaltende Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Nr. 1 BGB aufgrund der Betriebszugehörigkeit des Klägers von mehr als zwei aber weniger als fünf Jahren einen Monat zum Monatsende, wurde die Kündigung vom 1. Oktober 2008, auch wenn sie dem Kläger am selben Tag zugegangen sein sollte, erst zum 30. November 2008 wirksam.

2. Wie das Arbeitsgericht ebenfalls richtig erkannt hat, ergibt sich der Anspruch des Klägers auf Erteilung der Lohnabrechnung für November 2008 aus § 108 Abs. 1 GewO.

III.

Die Beklagte hat die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen, § 97 ZPO.

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