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Kündigungsschutzklage – nachträgliche Zulassung

Landesarbeitsgericht Bremen

Az: 2 Ta 4/03

Beschluss vom 26.05.2003


Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bremerhaven vom 16.01.2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Beklagte.

Der Beschwerdewert beträgt 6.000,– €.

Gründe:
I.
Der Kläger arbeitete seit dem 01.11.1999 als Distributionsarbeiter bei der Beklagten. Die Beklagte kündigte mit Schreiben 16.10.2002 das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2002. Sie stellte das Kündigungsschreiben durch Übergabe-Einschreiben dem Kläger zu. Dieser fand am 18.10.2002 einen entsprechenden Benachrichtigungszettel in seinem Briefkasten vor, und holte das Kündigungsschreiben am 19.10.2002, einem Samstag, bei der Post ab. Der Kläger wandte sich daraufhin als Gewerkschaftsmitglied an die Gewerkschaft ver.di und erhielt einen Beratungstermin für den 31.10.2002. Zu diesem Besprechungstermin war der zuständige Gewerkschaftssekretär nicht anwesend, woraufhin der Kläger eine Kopie seines Kündigungsschreibens in der Geschäftsstelle der Gewerkschaft zurückließ und dort den Hinweis erhielt, in der darauf folgenden Woche werde ihn der Gewerkschaftssekretär anrufen. Nachdem dieser sich nicht beim Kläger gemeldet hatte, rief der Kläger selbst am 07.11.2002 den Gewerkschaftssekretär an. Dieser verwies den Kläger auf geringe Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage. Darüber hinaus wies er den Kläger auf einen Fristablauf für die Erhebung der Kündigungsschutzklage mit dem 08.11.2002 hin. Am 08.11.2002 wandte sich der Kläger an die Beratungsstelle der Arbeitnehmerkammer und erhielt dort die Auskunft, dass eine Kündigungsschutzklage bereits verfristet sei. Er begab sich daraufhin erneut zur Geschäftsstelle der Gewerkschaft, wo er jedoch keinen Einlass erhielt. Am darauf folgenden Montag, den 11.11.2002, wandte sich der Kläger erneut an die Arbeitnehmerkammer und wurde dort von Herrn Rechtsanwalt Barth beraten, der am 03.12.2002 dem Arbeitsgericht Bremerhaven anzeigte, den Kläger im Kündigungsschutzprozess zu vertreten. Auch dieser nahm einen bereits eingetretenen Fristablauf an und erläuterte die Möglichkeit, einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zu stellen. Der Kläger hat daraufhin am 13.11.2002 in der Rechtsantragsstelle eine Kündigungsschutzklage mit entsprechendem Antrag gestellt. Dem Antrag war ein handschriftlicher Merkzettel beigefügt, den Rechtsanwalt Barth erstellt hatte. Darauf stand u. a.:

„Kündigungsschutzklage + Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand*.

Kündigung v. 16.10.02. Zugang 18.10.02; FE 08.11. 02

*Grund laut Hr. S. :

Gewerkschaft hatte sich geweigert Rechtsschutz zu geben bzw. hat eine Terminvereinbarung verhindert.“

Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, die Zustellung der Kündigung sei am 18.10.2002 erfolgt, die Frist für die Einreichung der Kündigungsschutzklage sei deshalb am 08.11.2002 abgelaufen. Der Kläger habe alles in seiner Macht Stehende getan, um Rechtshilfe für die Einreichung der Klage zu bekommen. Dass er am 08.11.2002 falsche Auskunft über den bereits eingetretenen Fristablauf erhalten habe, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen, zumal die Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts zum Zeitpunkt dieser Beratung bereits geschlossen gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Kündigungsschutzklage nachträglich gem. § 5 KSchG zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag auf nachträgliche Zulassung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, nach dem Vortrag des Klägers habe er im Hinblick auf die Auskunft des Gewerkschaftssekretärs, die Klagefrist laufe ab, er müsse sich bis zum 08.11.2002 entscheiden, genügend Gelegenheit gehabt, die Kündigungsschutzklage einzureichen. Relevante Beratungsfehler habe der Kläger in diesem Zusammenhang weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Das Arbeitsgericht Bremerhaven hat am 16.01.2003 Folgendes beschlossen:

Auf Antrag der klagenden Partei vom 13.11.2002, wird die Kündigungsschutzklage des Klägers vom 13.11.2002 nachträglich zugelassen.

Das Arbeitsgericht Bremerhaven hat seine Entscheidung damit begründet, dass sich der Kläger in vorliegenden Fall mehrfach bemüht habe, bei an sich zuverlässigen Auskunftsstellen Rechtsberatung zu erhalten. Die dabei gegebenen Auskünfte seien jedoch rechtsfehlerhaft gewesen. Das Kündigungsschreiben sei erst durch Abholung auf dem Postamt am 19.10.2002 zugegangen. Demgemäß sei die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage erst am 11.11.2002 um 24 Uhr abgelaufen. Es könne dem Kläger nicht angelastet werden, dass er sowohl bei der ihn beratenden Gewerkschaft, als auch bei der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer fehlerhafte Auskünfte erhalten habe.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen ist der Beklagten am 30.01.2003 zugestellt worden. Deren sofortige Beschwerde ging am 11.02.2003 beim LAG Bremen ein.

Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht, die diversen Berater über alle relevanten Umstände hinsichtlich einer Kündigungsschutzklage informiert zu haben. Es sei daher nicht nachvollziehbar, ob ein Beratungsfehler vorliege oder ob der Kläger die Berater falsch informiert habe. Dafür spreche einiges, da mehrere Rechtsberater den Fristablauf falsch berechnet hätten.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers nimmt für den Kläger zum Beschluss des Arbeitsgerichts wie folgt Stellung: Das Gericht lasse in seinen Ausführungen im Hinblick auf die angeblich fehlerhafte Auskunft des Prozessbevollmächtigten des Klägers in seiner Eigenschaft als rechtsberatende Honorarkraft der Arbeitnehmerkammer Bremen gegenüber dem Kläger die Berücksichtigung der ab 01.07.2002 geltenden Neufassung der ZPO vermissen. Nach § 132 Abs. 1 Satz 2 BGB erfolge die Zustellung nach den Vorschriften der ZPO. Die bisherige Rechtsprechung des BAG, auf die das Arbeitsgericht Bremerhaven sich beziehe, habe dies nicht berücksichtigen können. Die nunmehr geltende Neufassung der ZPO sehe jedoch vor, dass nach § 181 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 ZPO eine Ersatzzustellung durch Niederlegung möglich sei, wenn die Voraussetzungen einer Zustellung nach §§ 178 Abs. 1 Nr. 3 oder 180 ZPO nicht vorlägen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster und zweiter Instanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nächst Anlagen verwiesen.

II.

1. Die Beschwerde der Beklagten ist statthaft. Sie entspricht der gesetzlich vorgesehenen Form und ist in der Frist des § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

a) Nach § 5 Abs. 1 KSchG ist eine verspätete Kündigungsschutzklage dann nachträglich zuzulassen, wenn der gekündigte Arbeitnehmer trotz aller ihm nach Lage der Dinge zumutbaren Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben. Bei der Beurteilung der Frage des Verschuldens ist demnach der konkret betroffene Arbeitnehmer in seiner ganz individuellen Situation und nach seinen persönlichen Fähigkeiten zu beurteilen, wobei ein subjektiver Maßstab anzulegen ist (vgl. KR-Friederich, a.a.O. Rdz. 11; Berkowsky, NZA 1979 S. 352 (354); Kittner-Däubler-Zwanziger, KSchG 5. Aufl. § 5 Rdz. 4; LAG Bremen Beschluss vom 31. Oktober 2001, Az: 4 Ta 76/01 = BB 2002, 892 und vom 23.07.1999 Az.: 4 Ta 48/99). Umstritten ist jedoch, ob dem gekündigten Arbeitnehmer ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Hierzu werden in der Rechtsprechung und -literatur kontroverse Auffassungen vertreten (vgl. zum Meinungstand: ErfK/Ascheid, 3.Aufl. § 5 KSchG Anm. 5 mit umfangreichen Nachweisen). Neben dem LAG Hamm und dem LAG Hamburg hat in neuerer Zeit auch die 5. Kammer des LAG Niedersachsen die Zurechnung von Anwaltsverschulden abgelehnt (Beschluss des LAG Niedersachsen vom 27. Juli 2000 – 5 Ta 799/99 – = LAGE § 5 KSchG Nr. 98). Die überwiegende Anzahl der Landesarbeitsgerichte bejaht dies jedoch (u.a. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9. August 2001, Az: 4 Ta 7/01). Auch das LAG Bremen (aaO; Beschluss vom 14.11.2002 – Az.: 2 Ta 50/02) geht hiervon aus. Vereinzelt wird auch anders als im Beschluss des LAG Bremen vom 14.11.2002 angenommen, dem Arbeitnehmer sei auch ein Verschulden seiner Rechtsschutz gewährenden Gewerkschaft zuzurechnen (Sächsisches LAG, Beschluß vom 9. Mai 2000, Az: 4 Ta 120/00 = RzK I 10d Nr. 104; LAG Düsseldorf, Beschluß vom 30. Juli 2002, Az: 15 Ta 282/02 = EzA-SD 2002, Nr. 19).

aa) Die Beschwerdekammer vertritt zu den zitierten Auffassungen folgenden Standpunkt: Sie bleibt bei der Praxis des LAG Bremen, wonach § 85 Abs. 2 ZPO auch im Rahmen von § 5 KSchG anzuwenden ist. Da in dieser Frage im Rahmen eines Verfahrens auf nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage keine Klärung durch das BAG erfolgen kann, weil § 5 KSchG keine Rechtsbeschwerde gegen den Zulassungs- bzw. Nichtzulassungsbeschluss vorsieht, folgt das Beschwerdegericht der Mehrzahl der Landesarbeitsgerichte auch um zu vermeiden, dass sich die Spruchpraxis der Instanzgerichte weiter veruneinheitlicht. Grundsätzlich ist demnach dem klagenden Arbeitnehmers ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten bei der Entscheidung über die nachträgliche Zulassung zuzurechnen.

bb) Die Zurechnung eines Verschuldens solcher Personen, die für den Arbeitnehmer vor Klageerhebung tätig werden, ohne Prozessbevollmächtigte zu sein, ist allerdings i.d.R. abzulehnen. Sie wird dem in § 5 KSchG zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers nicht gerecht. Sieht man § 5 KSchG und § 85 Abs. 2 ZPO im Zusammenhang, so definiert § 85 Abs. 2 ZPO eine Ausnahme, die zur Verweigerung der nachträgliche Zulassung führt, obwohl der Arbeitnehmer alle ihm zumutbare Sorgfalt aufgewendet hat, seine Klage rechtzeitig zu erheben. Über den Wortlaut des § 85 Abs. 2 ZPO hinaus kann deshalb die Zurechnung nicht erweitert werden. Das Verschulden anderer, nicht mit der Führung des Prozesses beauftragter Personen kann allenfalls dann berücksichtigungsfähig sein, wenn dem Arbeitnehmer vorzuhalten ist, er habe bei der Auswahl derer, die er im Vorfeld der Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten beteiligt, nicht die notwendige Sorgfalt walten lassen. Geboten erscheint vielmehr eine Rückkehr zur Praxis der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die lange Jahre bestimmend auch für die Judikatur der Arbeitsgerichte war. Bei der Fehlerzurechnung im Rahmen von § 85 Abs. 2 ZPO stellt sie entscheidend auf zwei Tatbestandsmerkmale ab: Zum einen muss ein wirksam zu Stande gekommener Mandatsvertrag gegeben sein, zum anderen sind nur die Fehler der Partei zuzurechnen, die in der Zeit des Mandatsverhältnisses vom Prozessbevollmächtigten zu verantworten sind.

Die Vertretung beginnt nach ständiger Rechtsprechung des BGH mit der Annahme des Mandats, d. h. nach Zustandekommen eines Vertrages (BGHZ 47, 322; 50, 83 zum aufgehobenen §§ 232 ZPO, bestätigend für § 85 Abs. 2 ZPO: BGH VersR 1982, 950; BGH Beschluß vom 13.12.1995, Az: XII ZB 173/95 = FamRZ 1996, 408-409; vgl. zu § 232 ZPO Stein/Jonas/Pohle ZPO 19. Aufl., Anm. II. 1. b); zu § 85 ZPO Zöller-Vollkommer ZPO 23. Aufl., Anm. 22). Der BGH bekräftigt in den zitierten Entscheidungen ausdrücklich, dass ein vor Zustandekommen eines wirksamen Vertretungsverhältnisses liegendes Verschulden dem später das Mandat übernehmenden Prozessbevollmächtigten und damit der Partei nicht rückwirkend im Rahmen von § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Das gleiche gilt für Hilfspersonal des späteren Prozessbevollmächtigten, auch für andere Rechtsanwälte einer Sozietät, wenn sie nicht beauftragt sind. Eine andere Bewertung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sich eine verschuldete Fehlleistung auf solche Personen zurückführen lässt, die selbst im Rahmen eines wirksamen auf die Führung eines Prozesses gerichteten Auftrages tätig geworden sind (vgl LAG Frankfurt Beschluß vom 15. November 1988 – 7 Ta 347/88 = LAGE § 5 KSchG Nr. 41). Die Zurechnung von Verschulden der rechtsschutzgewährenden Gewerkschaft kann daher nur erfolgen, wenn zwischen dem Rechtsschutz suchenden Mitglied und der Gewerkschaft ein Vertragsverhältnis zu Stande gekommen ist, das dieser faktisch die Rolle eines Verkehrsanwaltes zuweist. Voraussetzung dafür ist aber ein Auftrag des Mitgliedes, in der zuvor genannten Weise tätig zu werden. Hierfür reicht deren Tätigkeit im Rahmen von Beratung des Mitgliedes oder bei der Abwicklung von Rechtsschutzanträgen nicht aus ( KR-Friedrich 5. Aufl. § 5 KSchG Anm. 75 m.w.Nw.) Insbesondere dann nicht, wenn eine nicht zur Prozessführung nach der Satzung der Fachgewerkschaft befugte Person tätig wird (vgl. ErfK/Ascheid a.a.O Anm, 6).

cc) Soweit die Arbeitsgerichtsbarkeit Fehler der Rechtsschutz gewährenden Gewerkschaft über das Mandatsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem prozessbevollmächtigten Rechtssekretär dem Arbeitnehmer zurechnet, weicht sie nach Auffassung der Beschwerdekammer ohne ausreichenden Grund von der Rechtsprechung des BGH ab. Diese rechnet, wie oben erwähnt, Fehler von Personen, die in Vorbereitung eines Mandatsverhältnisses tätig werden, der Partei nicht zu (Zöller-Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 85 ZPO, Anm. 20 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; BGH v. 13.12.1995 a.a.O.; so auch KR-Friedrich a.a.O). Insoweit ist die Konstruktion des Sächsischen LAG (a.a.O), die die Mitarbeiter der Fachgewerkschaft zum Hilfspersonal macht, dessen Tätigkeit von dem Prozessbevollmächtigten der Rechtsstelle zu organisieren und zu überwachen ist, und dessen Fehler deshalb dem Arbeitnehmer zuzurechnen sind, mit der Rechtsprechung des BGH nicht in Übereinstimmung zu bringen. Der Mandatsvertrag kommt erst mit der Annahme des Mandats durch den Prozessbevollmächtigten der Rechtsstelle zustande. Allenfalls dann, wenn zwischen dem Mitglied und der Fachgewerkschaft ein eigenständiges Vertragsverhältnis entstanden ist, das dem mit einem Korrespondenzanwalt gleicht, könnte eine Fehlerzurechnung zur klagenden Partei erfolgen. Der BGH hat dies – ohne es allerdings als entscheidungserheblich anzusehen – in einem Fall erwogen, in dem die Prozessbevollmächtigten der Rechtsstelle des DGB ein klagabweisendes Urteil an die Fachgewerkschaft gegeben haben mit dem Auftrag zu prüfen, ob Rechtsschutz für ein Rechtsmittel gewährt werden kann und wenn ja, dies in die Wege zu leiten (BGH Urteil vom 10. Januar 2002, Az: III ZR 62/01 = NJW 2002, 1115 ff.). Diese Überlegungen hat das LAG Düsseldorf (a.a.O.) übertragen auf die Frage der Zurechnung eines Verschuldens der zum Zwecke der Rechtsschutzgewährung für eine Kündigungsschutzklage aufgesuchten Fachgewerkschaft, die die Unterlagen für die Klage nicht rechtzeitig an die DGB-Rechtsstelle weitergeleitet hat, auf deren Rechtsschutzsekretäre die Vollmacht des klagenden Mitgliedes lautete. Begründet wurde dies damit, dass die Fachgewerkschaft, wolle sie sich lediglich als Bote in Bezug auf die für die Klage benötigten Unterlagen verstehen, dies hätte gegenüber dem Mitglied klarstellen müssen. Dadurch wird im Grunde ein stillschweigender Vertrag über die Erteilung eines Mandats auf „Planung und Abwicklung“ eines durch einen anderen Prozessbevollmächtigten zu führenden Prozesses und damit ein einem Verkehrsanwalt entsprechendes Mandat unterstellt.

Die Annahme einer stillschweigenden Mandatserteilung wird allerdings der üblichen, rechtlich zu interpretierenden Situation nicht gerecht. Verkehrsanwalt ist der Rechtsanwalt, der den Verkehr der Partei mit dem Prozessbevollmächtigten vermittelt. Er ist selbstständiger Bevollmächtigter der Partei neben dem Prozessbevollmächtigten, der als Bindeglied zwischen der Partei und dem Prozessbevollmächtigten fungiert. (Gerold/Schmidt u.A. Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Kommentar, 14. Aufl. § 52 Anm. 1 ff.). Das Mandatsverhältnisses zu einem Verkehrsanwalt entsteht durch einen konkreten Auftrag der Partei. Der Auftrag muss auf Vermittlung des Verkehrs mit dem – bereits bestellten oder noch zu bestellenden – Prozessbevollmächtigten gerichtet sein.

Eine Mandatierung der Angestellten der Fachgewerkschaft im Sinne von § 52 BRAGO (Verkehrsanwalt) könnte nur dann allgemein angenommen werden, wenn der typische Geschehensablauf einen eindeutigen, übereinstimmenden Willen der Fachgewerkschaft und des Rechtsschutz suchenden Mitgliedes belegen würde. Dies ist nach Auffassung der Beschwerdekammer jedoch nicht der Fall. Das Mitglied will von seinen Mitgliedsrechten, die in der Satzung seiner Gewerkschaft verankert sind, Gebrauch machen. Es fordert Rechtsschutz. Die Fachgewerkschaft ihrerseits will prüfen, ob ein entsprechender Anspruch besteht und sie eine Deckungszusage erteilen kann. Da die Satzungen der Fachgewerkschaften in der Regel mehrere Möglichkeiten, Rechtsschutz zu gewähren, vorsehen – nämlich entweder durch eigene Beauftragte, die DGB-Rechtsstelle (Rechtsschutz GmbH) oder durch Anwälte – kommt Umstand, wem Prozessvollmacht erteilt wird, entscheidende Bedeutung zu. Sollen danach nicht die hierzu befugten Angestellten der Fachgewerkschaften, sondern die DGB-Rechtsstelle oder ein Anwalt tätig werden, sind letztere Bevollmächtigte. Nur deren Handlungen sind nach den oben genannten Grundsätzen ab Annahme des Mandats – bei der DGB Rechtsstelle in der Regel durch Eingang des Rechtsschutzauftrages – der Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Die vorgeschaltete Ermittlung des Sachverhaltes durch die Fachgewerkschaft ist kein eindeutiges Indiz dafür, dass sie vergleichbar einem Korrespondenzanwalt tätig werden will. Die rechtsschutzgewährende Gewerkschaft stellt die Informationen zusammen, die es ihr ermöglichen, über die Gewährung von Rechtsschutz zu entscheiden. Dies sind in der Regel mehr Informationen, als für eine schlüssige Kündigungsschutzklage notwendig sind. Die Weitergabe dieser Informationen an den mit der Prozessvertretung Beauftragten ist daher nur eine einer sinnhaften Verwaltungsübung geschuldete Hilfstätigkeit. Weitere Indizien dafür, dass das Mitglied einen rechtsgeschäftlichen Willen bei der Ausfüllung der Unterlagen habt, der darauf gerichtet ist, jemand als Vermittler zu beauftragen, dem es hierfür keine Vollmacht erteilt hat, sind i.d.R. nicht ersichtlich. Die rechtsschutzgewährende Gewerkschaft ist im Vorfeld der Klageerhebung daher eher mit einer Rechtsschutzversicherung, als mit einem Korrespondenzanwalt zu vergleichen. Wenn die Fachgewerkschaft nicht ausdrücklich bevollmächtigt ist, Prozesshandlungen vorzunehmen, kann ihre Untätigkeit daher weder als zurechenbarer Fehler direkt noch als unterlassene Prozesshandlung des späteren Prozessbevollmächtigten rechtlich behandelt werden.

dd) Eine eher restriktive Handhabung des § 81 Abs. 2 ZPO und damit eine Orientierung an der Rechtsprechung des BGH erscheint auch deshalb notwendig, damit es nicht zu Wertungswidersprüchen zwischen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zu § 85 Abs. 2 ZPO und eventuell sich anschließenden Schadensersatzprozessen kommt, die vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu führen sind. Insofern sind die zuweilen gegebenen Hinweise in die nachträgliche Zulassung verweigernden Beschlüssen der Arbeitsgerichte, es bestehe die Möglichkeit, sich am Prozessbevollmächtigten schadlos zu halten, kein wirklicher Trost für den mit seiner Kündigungsschutzklage scheiternden Arbeitnehmer, wie das Urteil des BGH vom 10. Januar 2002 (a.a.O.) zeigt.

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist für den Erfolg der Beschwerde maßgeblich, ob dem Kläger die fehlerhafte Auskunft, die er am 11.11.2002 bei einem Besuch der Arbeitnehmerkammer Bremerhaven erhalten hat, nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Dies ist nur dann möglich, wenn der dortige Berater bereits während der Beratung das Mandat für die Führung eines Kündigungsschutzprozesses angenommen hat.

aa) Die unter organisatorischen und inhaltlichen Mängeln leidende Rolle der Fachgewerkschaft im Vorfeld der Klagerhebung ist dem Kläger aus zweierlei Gründen nicht zuzurechnen. Zum Einen ist der ihn telefonisch beratende Gewerkschaftssekretär nicht zur Führung eines Kündigungsschutzprozesses bevollmächtigt worden. Das Hinterlassen des Kündigungsschreibens in Gewerkschaftsbüro kann allenfalls als Bitte um Rechtsschutz und Beratung gewertet werden. Zum andern ist dessen fehlerhafte Auskunft über den Fristablauf nicht ursächlich für die Fristversäumung gewesen. Sie hat den Kläger veranlasst, noch am 08.11.2002 bei der Arbeitnehmerkammer zu erscheinen, wo ihm eröffnet wurde, die Frist sei bereits abgelaufen. Dies wiederum veranlasste den Kläger zum vergeblichen Versuch, noch einmal Kontakt mit seiner Gewerkschaft aufzunehmen. Ob der Kläger seiner Gewerkschaft oder der ihn am 08.11.2002 beratenden Mitarbeiterin der Arbeitnehmerkammer fehlerhafte oder unvollständige Angaben über den Zugang der Kündigung gemacht hat, kann daher offen bleiben.

bb) Entscheidend für die Versäumung der Klagefrist war die Beratung am 11.11.2002 in der Arbeitnehmerkammer Bremerhaven. Sie hat die letzte und entscheidende Ursache dafür gesetzt, dass der Kläger nicht noch am letzten Tag der Klagefrist des § 4 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben hat. Die Beratung am 11.11.2002 jedenfalls war objektiv falsch – ohne dass Anhaltspunkte dafür gegeben sind, der Kläger habe seinen Berater darüber falsch informiert, wann er das Kündigungsschreiben in Händen gehalten hat.

Wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der ihn am 11.11.2002 bei der Arbeitnehmerkammer Bremerhaven beraten hat, im Schriftsatz vom 17.12.2002 – die Angaben des Klägers in der Klagschrift bestätigend – mitteilte, hat der Kläger am 18.10.2002 eine Benachrichtigung von der Post erhalten und am nächsten Tag, dem 19.10.2002 das Kündigungsschreiben von der Post abgeholt. Er hat ausdrücklich in seiner Stellungnahme zum Beschluss des Arbeitsgerichts Bremerhaven die Auffassung vertreten, das Kündigungsschreiben sei mit dem Einwurf des Benachrichtigungsscheins der Post nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zugegangen. In seinem Merkzettel für den Kläger, den dieser mit der Antragsschrift vorgelegt hat, hat er auch als Fristende den 08.11.2002 bezeichnet, wie es sich bei fehlerhafter Annahme des Zugangs am 18.10.2002 ergäbe.

Diese rechtliche Einschätzung ist falsch. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus den Vorschriften des BGB über den Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Denn erst bei Abholung ist die Kündigung als empfangsbedürftige Willenserklärung in den Herrschaftsbereich des Klägers gelangt. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte er sie zur Kenntnis nehmen (Dörner u.a. BGB Handkommentar 2. Aufl. § 130 Anm. 4).

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ging offenbar – wie seine schriftsätzliche Stellungnahme zum Beschluss des Arbeitsgerichts Bremen zeigt – davon aus, dass die Zustellungsvorschriften der ZPO anzuwenden sind, die bei Niederlegung eines Schriftstückes dessen Zustellung fingieren. Diese gelten nach dem klaren Wortlaut des § 132 BGB im zivilrechtlichen Verkehr jedoch nur für Zustellung durch den Gerichtsvollzieher (Palandt BGB 61. Aufl. § 132 Anm. 2).

cc) Diesen Fehler muss sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO nicht zurechnen lassen. Es erscheint zwar lebensfremd, den einheitlichen Lebensvorgang der Beratung der Partei, die diese veranlassen, bestimmte Prozesshandlungen vorzunehmen mit daran anschließender Prozessvertretung durch den Berater danach zu zergliedern, in welcher Eigenschaft der Beratende fehlerhafte Ratschläge gegeben hat. Gleichwohl hat der Kläger hierfür nach den oben ausgeführten Grundsätzen nicht einzustehen.

Weder dem Vortrag des Klägers in der Antragschrift noch dem Umstand, dass der Berater später als Prozessbevollmächtigter aufgetreten ist, kann mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden, dass ein Mandatsverhältnisses bereits am 11.11.2002 begründet worden ist. Ein etwaiges Inaussichtstellen, den Kläger später vertreten zu können oder zu wollen, reicht nicht aus. Etwaige Zweifel daran, dass Beratung und Übernahme des Mandats zeitlich auseinanderfallen, hat der Kläger durch Vorlage der Vollmachturkunde vom 03.12.2002 beseitigt..

Es ist daher anzunehmen, dass die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Klägers erst nach fehlerhafter Beratung in der Arbeitnehmerkammer erfolgt ist.

dd) Zu den gesetzlichen Aufgaben der Arbeitnehmerkammer in Bremen gehört auch die Rechtsberatung ihrer Mitglieder. Eine fehlerhafte Beratung durch diese Institution kann dem Kläger nicht zugerechnet werden, weil er begründet davon ausgehen konnte, diese werde ihn zutreffend beraten. Ein Sorgfaltsverstoß kann ihm daher nicht vorgehalten werden.

Die Beschwerde der Beklagten war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Als Beschwerdewert war das 3-fache Monatseinkommen des Klägers anzunehmen.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht gegeben.

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