OLG Bamberg, Az.: 5 U 289/05, Verfügung vom 06.04.2006
Gründe
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das Endurteil des Landgerichts Würzburg vom 28. September 2005 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss aus folgenden Gründen zurückzuweisen:
Die Berufung des Beklagten zu 2) hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das Urteil – soweit es den Beklagten zu 2) betrifft – beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§§ 513 Abs. 1, 529, 546 ZPO).
Das Landgericht hat zu Recht die Haftung des Beklagten zu 2) für die Folgen des Verkehrsunfalls vom 05.11.2003 unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung gemäß §§ 7, 17 StVG, 253 Abs. 2 BGB bejaht und sich im angefochtenen Urteil ausführlich und überzeugend mit den in diesem Zusammenhang auftretenden Anwendungs- und Zurechnungsfragen auseinandergesetzt. Der Senat folgt diesen Ausführungen und nimmt – zur Vermeidung von Wiederholungen – ausdrücklich auf die Begründung des angefochtenen Urteils Bezug.
Im Hinblick auf die Berufungsbegründung, die im Wesentlichen den erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und nur eine andere rechtliche Wertung vornimmt, ist folgendes auszuführen:
a) Die Rüge eines Verfahrensfehlers durch eine nicht gerechtfertigte „Verfahrensabspaltung“ greift nicht durch. Eine Prozesstrennung steht grundsätzlich im (allerdings auf Pflichtgemäßheit nachprüfbaren) Ermessen des Gerichtes (§ 145 Abs. 1 ZPO). Es kann dahinstehen, ob vorliegend die – offenbar von der Problematik des § 152 VVG beeinflusste – Entscheidung der Kammer, vorab über die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte zu 1) und erst nachfolgend über die gegen den Beklagten zu 2) zu entscheiden, ermessensfehlerfrei war. Der Beklagte zu 2) hat jedenfalls nicht dargetan – und es ist auch nicht sonst ersichtlich -, dass seine Verurteilung auf dieser „Verfahrensabspaltung“ beruhe. Inwieweit Rechte des Beklagten zu 2), sich umfassend gegen die Klage zu verteidigen, verletzt sein sollen, trägt die Berufungsbegründung nicht vor. Die Frage der Haftung des Beklagten zu 2) war und ist unabhängig von einer (Mit-)Haftung der Beklagten zu 1) zu beurteilen. Der Beklagte zu 2) konnte sich gegen die gegen ihn gerichtete Klage in erster Instanz und kann sich in zweiter Instanz eigenständig, d. h. mit eigenem Sachvortrag und eigenen Beweisangeboten in vollem prozessual zulässigen Umfang verteidigen. Den bloßen – nicht näher begründeten – Vorwurf, sein rechtliches Gehör sei verletzt worden, kann der Senat nicht nachvollziehen. Auf die Möglichkeit, den „Verfahrensfortgang im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) zu beeinflussen“ (Seite 5 der Berufungsbegründung = Blatt 381 d. A.) hatte und hat der Beklagte zu 2) keinen Anspruch.
b) Auch der Senat sieht den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 StVG als eröffnet an. Der klägerische Schaden ist „beim Betrieb“ sowohl des Fahrzeuges T. als auch des Fahrzeuges T2., deren Halter der Beklagte zu 2) war, entstanden. Nach dem bei Beantwortung dieser Frage entscheidend zu berücksichtigenden Schutzzweck des § 7 StVG ist hierzu erforderlich, dass der Schaden durch die dem Kfz-Betrieb typisch innewohnende Gefährlichkeit adäquat verursacht wurde. Dies ist vorliegend der Fall. Es haben sich die von den Fahrzeugen ausgehenden Gefahren bei der Schadensentstehung ausgewirkt, weil der Schaden in nahem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang der Kraftfahrzeuge entstanden ist und diese den Verkehr erheblich beeinflusst haben.
Auch die Berufung räumt ein, dass hierzu eine Fahrzeugberührung nicht erforderlich ist. Dies entspricht der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung, der auch der Senat folgt. Die vom Beklagten zu 2) zitierten Entscheidungen – auch des Senates – stehen dem nicht entgegen. Mit Recht hat bereits das Landgericht die den Urteilen OLG Celle DAR 1973, 187, und BGH VersR 1961, 263, zu Grunde liegenden Sachverhalte als mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar gesehen. Während dort nämlich die Fahrzeuge ausschließlich als Lichtquelle (BGH, a. a. O. – Moped) bzw. als „Unfallwarneinrichtung“ (OLG Celle, a. a. O. – Polizeifahrzeug) aufgestellt waren, wurden vorliegend die Fahrzeuge verwendet, um (Fahrzeug T.) zunächst durch Verlangsamung seiner Fahrt, dann durch Anhalten auf der Fahrbahn, einen künstlichen Stau aufzubauen, also einen direkten Eingriff in den fließenden Verkehr vorzunehmen bzw. (Fahrzeug T2.) mit hoher Geschwindigkeit fahrend den später zu Tode gekommenen Fahrzeugführer B. zu verfolgen, wodurch ebenfalls direkt Einfluss auf den im angrenzenden Bereich der Bundesautobahn fahrenden Verkehr genommen wurde.
Auch die übrigen zitierten Entscheidungen sprechen im Streitfall nicht gegen die Halterhaftung des Beklagten zu 2). Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm und Koblenz beschäftigen sich mit der Frage, ob Unfälle zwischen Polizei- und Fluchtfahrzeugen im hoheitlichen Einsatz wegen der besonderen Pflichtenlage der Polizeibeamten rechtlich unvermeidbar (§ 7 Abs. 2 StVG a. F. ) waren. Diese Frage ist vorliegend nicht relevant, da es nicht um den Schaden des Fahrers bzw. Halters des Fluchtfahrzeuges, sondern um die Folgen geht, die den Kläger als Unbeteiligten an der Verfolgung getroffen haben. Es kann daher auch offen bleiben, ob die genannte Rechtsprechung unter der Geltung des § 7 Abs. 2 StVG n. F. (dieser ist im Streitfall anzuwenden – Art. 229, § 8 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB) weiter gilt. Auch die Entscheidungen des Senates, die der Beklagte zu 2) in der Berufungsbegründung aufführt, beschäftigen sich nur mit der Haftungsverteilung im Verhältnis zwischen Flüchtenden und Verfolgern bzw. mit der Anwendbarkeit des § 152 VVG. Anlass in jenen Fällen zur Frage der Betriebsgefahr der involvierten Polizeifahrzeuge Stellung zu nehmen, bestand nicht. Diesen Entscheidungen lässt sich nicht etwa entnehmen, dass der Senat dort eine Haftung gegenüber unbeteiligten Dritten, die im Rahmen der Verfolgung zu Schaden gekommen sind, verneint hätte.
c) Die Kausalität zwischen Betriebsgefahr und Unfallereignis ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Adäquanz als auch unter dem des rechtlichen Zurechnungszusammenhanges gegeben. Auf die zu diesen Problemen zutreffenden Ausführungen des Landgerichts kann verwiesen werden.
Die – theoretische – Möglichkeit, an dem auf der Fahrbahn stehenden Polizeifahrzeug vorbeizufahren, steht dem nicht entgegen. Das Einsatzfahrzeug hatte unstreitig zunächst durch Langsamfahren unter Einsatz von Blaulicht und Warnblinkanlage den rückwärtigen Verkehr verlangsamt und dann in der Mitte der Fahrbahn gestoppt und durch diese Fahrweise die Kausalkette bis zum späteren Unfall in Lauf gesetzt. Diese Fahrweise konnte von den nachfolgenden Verkehrsteilnehmern nur dahingehend verstanden werden, ihre Fahrzeuge ebenfalls anzuhalten und ggf. auf Weisung der Polizeibeamten zu warten. Kein vernünftig und überlegt handelnder Autofahrer hätte ohne entsprechende Anweisung unter Umfahrung des Einsatzfahrzeuges seine Fahrt fortgesetzt. Indem die nachfahrenden Autofahrer ebenfalls die Fahrt verlangsamten und anhielten – was im Übrigen von den Bediensteten des Beklagten zu 2) beabsichtigt war –, hat sich die in Gang gesetzte Kausalkette fortgesetzt und sich die Gefahr, in einen Unfall verwickelt zu werden, erhöht, sodass an der Ursächlichkeit der vom Fahrzeug T. ausgehenden Betriebsgefahr für den Schaden des Klägers nicht zu zweifeln ist. Diese wirkte auch bis zur Kollision fort, da es nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit lag, dass sich in der Warteposition hinter dem Polizeifahrzeug ein des Deutschen nicht mächtiger Fahrer befand, der die dann erteilte Aufforderung zur Weiterfahrt nicht gleich verstand und befolgte. Die von der Berufung herausgestellte Tatsache, dass dem Kläger „nur durch das Fahrmanöver des tschechischen Fahrzeuges“ (Berufungsbegründung Seite 10 – Blatt 386 d. A.) das Passieren des Polizeifahrzeuges unmöglich wurde, unterbricht deshalb den Kausalverlauf nicht.
Sie steht aber auch nicht – ebenso wenig wie das später gezeigte Fahrverhalten des Fahrzeugführers B. – der haftungsrechtlichen Zurechnung der von den Polizeifahrzeugen verursachten Gefahrenlage zu deren Betrieb entgegen. In dem Verharren des Klägers an der Anhaltestelle und in dem Sich-Annähern mit hoher Geschwindigkeit des später Getöteten B. sind keine außergewöhnlichen, außerhalb der Erfahrung liegenden, auf selbständigem, freiem Entschluss beruhenden Einwirkungen zu sehen, die mit der späteren Kollision nur in äußerlichem, zufälligem Zusammenhang stünden. Das Anhalten des Klägers war – wie bereits ausgeführt – vielmehr durch die Fahrweise des Polizeifahrzeugs und die der anderen Verkehrsteilnehmer veranlasst (= „herausgefordert“ – vgl. Hentschel Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., Einleitung RZ 100) und erhöhte die Gefahr jeglicher Kollision mit nachfolgenden Fahrzeugen.
Diese Gefahr hat sich realisiert durch die Fahrweise des Fahrzeugführers B., die dem Beklagten zu 2) im Rahmen der Betriebsgefahr seiner Einsatzfahrzeuge zuzurechnen ist. Wie oben ausgeführt war nämlich dessen Flucht- und Fahrverhalten nicht außergewöhnlich, sondern lag als Reaktion eines Verfolgten auf das Verhalten der die Einsatzfahrzeuge führenden Beamten des Beklagten zu 2) durchaus im Erfahrungsbereich (vgl. z. B. der vom Landgericht Bückeburg zu beurteilende Unfall vom 23. 05. 2003 – NJW 2005, 3014 ff.).
In der Verfolgung selbst hat die Kammer mit Recht die Verwirklichung einer Betriebsgefahr des Fahrzeuges T2. gesehen. Auch wenn sich der dieses Fahrzeug führende Beamte seinerseits zu Eingehung eines – auch hohen – Risikos herausgefordert fühlen durfte – wie der Beklagte zu 2) meint –, führte die Verfolgung jedoch auch geradezu zwangsläufig zur später durch den Schadenseintritt verwirklichten Gefährdung unbeteiligter Dritter, hier des Klägers, für die der Fahrzeughalter, nämlich der Beklagte zu 2), einzustehen hat.
d) Dass es ohne die „Bremserfahrt“ des Einsatzfahrzeuges T. ebenfalls zu einer Kollision zwischen Klägerfahrzeug und Fahrzeug des Fahrers B. gekommen wäre (Berufungsbegründung Seite 10 – Blatt 386 d. A.) ist nicht nachgewiesen. Entgegen der Ansicht des Beklagten zu 2) trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast nicht der Kläger, sondern er selbst, weil es sich um die Frage eines hypothetischen Kausalverlaufes bzw. einer sogenannten Reserveursache handelt (vgl. Palandt, BGB, 65. Auflage, Rdz. 101 zu § 249 BGB).
e) Die Haftung des Beklagten zu 2) besteht auch ungeachtet einer eventuellen Haftung für die vom Fahrzeug B. ausgehende Betriebsgefahr seitens der Beklagten zu 1). Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 10.02.2004 – VI ZR 218/03 (abgedruckt u. a. in DAR 2004, 265 ff.) steht dem nicht entgegen. Dort hat der BGH eine Abwägung des Berufungsgerichtes nicht beanstandet, die im Rahmen des § 17 StVG zum Zurücktreten der Betriebsgefahr eines einen Erstunfall verursachenden Fahrzeuges bei ordnungsgemäß abgesicherter Unfallstelle im Zweitunfall führte. Dabei ging es allerdings um eine Abwägung der Verursachungsanteile zwischen zwei Schädigern im Innenverhältnis , nicht aber – wie hier – um eine solche zwischen einem Schädiger (Beklagter zu 2)) und einem Geschädigten (Kläger). Im Außenverhältnis zwischen dem Beklagten zu 2) und dem Kläger dagegen hat der Verursachungsbeitrag des Zweitschädigers B. – für den ggf. die Beklagte zu 1) einzustehen haben wird – außer Betracht zu bleiben.
f) Die Auffassung, dass den Kläger eine Mithaftung treffe (Berufungsbegründung Seite 13, Blatt 389 d. A.), teilt der Senat nicht. Eine Pflicht zur Betätigung der Warnblinkanlage besteht nur im Falle eines Liegenbleibens (§ 15 StVO) jedoch grundsätzlich nicht, um den rückwärtigen Verkehr vor einem Stau zu warnen; in einem solchen Fall darf lediglich gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO Warnblinklicht eingeschaltet werden. Der Vorwurf des Beklagten zu 2), der Kläger habe es möglicherweise versäumt, die Warnblinkanlage zu betätigen, ist daher nicht gerechtfertigt. Der im Rahmen von (Straf-) Verfolgungsmaßnahmen von Beamten des Beklagten zu 2) unschuldig zu Schaden gekommene, völlig Unbeteiligte, jedoch Zeit seines Lebens gezeichnete Kläger haftet für die Unfallfolgen nicht mit. Ob der Unfall für den Kläger ein unabwendbares Ereignis war, kann dahinstehen, weil jedenfalls die nicht erhöhte Betriebsgefahr seines aufgrund der von Bediensteten des Beklagten zu 2) veranlassten Staus stehenden Fahrzeugs bei der Abwägung von so untergeordneter Bedeutung ist, dass sie im Ergebnis unberücksichtigt bleiben muss. Die entscheidenden Unfallursachen hat der Beklagte zu 2) infolge der durch die Fahrweise seiner beiden Kraftfahrzeuge und das Verhalten seiner bediensteten Fahrzeugführer geschaffenen extremen Gefahrenlage auf der Autobahn bei Nacht zu vertreten. Diese Ursachen stehen derart im Vordergrund und überwiegen den etwaigen geringen Beitrag des Klägers so deutlich, dass dieser Beitrag zurücktritt und dem Kläger voller Schadensersatz zusteht.
Aus diesen wesentlichen Gründen hat die Berufung des Beklagten zu 2) keine Aussicht auf Erfolg. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO).
Der Senat beabsichtigt außerdem, dem Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, soweit er an diesem beteiligt ist. Den Wert dieser Beteiligung beabsichtigt der Senat, entsprechend den Angaben in der Berufungsbegründung vom 25. 11. 2005 auf 250.000,00 € festzusetzen.
2. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erhält der Beklagte zu 2) Gelegenheit zur Stellungnahme zu Ziffer 1 bis 17. Mai 2006.
Die Bestimmung einer Berufungserwiderungsfrist für den Kläger ist derzeit nicht veranlasst.