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Kurzarbeitergeld – Ersatzpflicht des Arbeitgebers bei Pflichtverletzung bei der Beantragung

Sächsisches Landesarbeitsgericht – Az.: 3 Sa 996/01 – Urteil vom 30.08.2002

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 12.10.2001 – 17 Ca 5395/01 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

1. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um restliches Kurzarbeitergeld für den Monat April 2001.

Der Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit 01.05.1985 als Arbeiter beschäftigt, derzeit als Baumaschinist/Vorarbeiter zu einem Stundenlohn von (im Jahre 2001) DM 23,71 brutto.

Die Parteien sind tarifgebunden.

Für den 17. und 18. April 2001, einem Dienstag und Mittwoch, hatte die Beklagte mit Genehmigung des Arbeitsamtes Kurzarbeit „Null“ angeordnet.

Die Beklagte teilte dem Arbeitsamt das Ist-Entgelt des Klägers im Monat April 2001 einschließlich der für acht Stunden Arbeit am Sonntag, den 08. April 2001, angefallenen tariflichen Sonntagsarbeitszuschläge in Höhe von DM 227,57 brutto mit. Auf dieser Grundlage setzte das Arbeitsamt das Kurzarbeitergeld für den Kläger auf DM 40,47 netto fest. Dieser Betrag wurde über die Beklagte an den Kläger ausbezahlt (vgl. Lohnabrechnung Bl. 37 d. A.). Gegen den Bescheid des Arbeitsamtes legte die Beklagte keinen Widerspruch ein.

Mit Schreiben vom 05.06.2001 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen weiteren Kurzarbeitergeldbetrag geltend, und zwar gemäß dem Schreiben vom 29.06.2001 in Höhe von DM 70,14. Aufgrund einer Rückfrage beim Arbeitsamt bestätigte dieses der Beklagten, dass tarifliche Zuschläge, auf welche der Arbeitnehmer Anspruch habe, dem Ist-Entgelt hinzuzurechnen wären.

Mit am 01.08.2001 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe Anspruch auf weiteres Kurzarbeitergeld in Höhe von DM 70,14, da bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes unzulässigerweise der Sonntagszuschlag für die Arbeit am 08.04.2001 einbezogen worden sei. Für die Differenz hafte die Beklagte.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger restliches Kurzarbeitergeld für April 2001 in Höhe von DM 70,14 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 DÜG hieraus ab 15.07.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat entgegnet, die Berechnung des Kurzarbeitergeldes entspräche den Vorschriften des SGB III. Im Übrigen läge auch kein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten vor.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 12.10.2001 die Beklagte zur Zahlung von DM 70,14 brutto nebst beantragter Zinsen an den Kläger verurteilt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf DM 70,14 festgesetzt. Es hat in den Entscheidungsgründen, auf welche im Übrigen Bezug genommen wird (Bl. 44 bis 48 d. A.) u. a. ausgeführt, dass dem Kläger ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zustehe, weil diese versäumt habe, gegen die unzutreffende Berechnung des Kurzarbeitergeldes durch das Arbeitsamt Widerspruch einzulegen. Dazu sei die Beklagte aufgrund bestehender Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Berechnung des Kurzarbeitergeldes verpflichtet gewesen. Die Höhe des Schadensersatzes bemesse sich nach der Differenz des ausgezahlten Kurzarbeitergeldes und dem richtigerweise zu zahlenden Kurzarbeitergeld. Bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes hätten tarifliche Zuschläge für Sonntagsarbeit als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt außer Betracht zu bleiben.

Gegen das ihr am 18.10.2001 zugestellte Urteil richtet sich die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung der Beklagten, welche beim Landesarbeitsgericht am 14.11.2001 einging. Die Beklagte hat die Berufung am 10.12.2001 ausgeführt wie folgt: Sonntagsarbeit sei in ihrem Unternehmen, welches überwiegend mit Gleisbauarbeiten im Personennahverkehr befasst sei, üblich. Die Zuschläge für Sonntagsarbeit seien deshalb als Entgelt, jedoch nicht als einmaliges Entgelt für Arbeiten zur Unzeit zu behandeln. Das Arbeitsamt habe deshalb das Kurzarbeitergeld zutreffend berechnet.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 12.10.2001 – 17 Ca 5395/01 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verweist auf die seiner Ansicht nach zutreffenden Gründe des Urteils erster Instanz. Sonntagsarbeit sei nicht betriebsüblich. Der Kläger sei im Jahre 2001 nur zwei- bis dreimal zur Sonntagsarbeit herangezogen worden. Eine Betriebsvereinbarung über Sonntagsarbeit existiere nicht. Die Sonntagszuschläge seien deshalb bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes nicht zu berücksichtigen.

Im Übrigen entspräche die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze bei den Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die vom Arbeitsgericht zugelassene und damit statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, nämlich ordnungsgemäß eingelegt und begründet worden. Sie entspricht insbesondere den Anforderungen des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a. F.

Nach dieser Vorschrift muss die Berufungsbegründung konkret auf den Streitstand zugeschnitten sein und erkennen lassen, aus welchen Gründen das Ersturteil in rechtlicher oder/und tatsächlicher Hinsicht unrichtig sein soll. Notwendig ist somit, dass dargestellt wird, welche Punkte des angefochtenen Urteils bekämpft werden und welche Gründe der Berufungskläger ihnen entgegensetzt (Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 520, Rz. 29).

Indem die Beklagte dargelegt hat, dass sie die Rechtsansicht des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Einordnung von Sonntagszuschlägen als einmalige Zahlung für falsch hält, weil Sonntagsarbeiten häufiger anfallen, hat sie diesen Anforderungen genügt. Wären nämlich Sonntagszuschläge nicht als einmalige Zahlungen im Sinne des § 179 Abs. 1 Satz 4 SGB III einzuordnen, wäre die Klage mangels eines Schadens abzuweisen, weil das Arbeitsgericht den Schaden mit der Anwendung des § 179 Abs. 1 Satz 4 SGB III begründet hat.

II.

Die Berufung ist begründet. Die zulässige Klage ist abzuweisen, da sie unbegründet ist. Denn dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Nachzahlung von Kurzarbeitergeld bzw. ein Schadensersatzanspruch in entsprechender Höhe nicht zu.

1.

Der Arbeitgeber ist in die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes treuhänderisch eingeschaltet. Aufgrund einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag ist der Arbeitgeber verpflichtet, denjenigen Betrag an den Arbeitnehmer auszuzahlen, der ihm vom Arbeitsamt als Kurzarbeitergeld überwiesen wird.

Dieser Pflicht ist die Beklagte nachgekommen.

2.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts besteht ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht. Der hier allein denkbare Schadensersatzanspruch aufgrund positiver Vertragsverletzung setzt zunächst eine Pflichtverletzung der Beklagten voraus. Tatsachen, die eine solche Pflichtverletzung der Beklagten begründen könnten, hat der Kläger trotz entsprechender gerichtlicher Hinweise nicht vorgebracht. Vielmehr befasst sich der Kläger über beide Instanzen ausschließlich mit der Frage, wie die Höhe des Kurzarbeitergeldes zu bemessen sei.

a)

Allein der Umstand, dass ein unter Umständen zu geringes Kurzarbeitergeld ausgezahlt wurde, begründet keine Pflichtverletzung, weil die Berechnung des Kurzarbeitergeldes durch das Arbeitsamt erfolgt. Ein Berechnungsfehler des Arbeitsamtes ist der Beklagten aber nicht zuzurechnen.

b)

Der Arbeitgeber ist allerdings verpflichtet, die Kurzarbeit beim Arbeitsamt ordnungsgemäß zu beantragen und die für die Berechnung des Kurzarbeitergeldes notwendigen Erklärungen, die das Arbeitsamt instandsetzen, das Kurzarbeitergeld zu berechnen, abzugeben. Dieser Pflicht ist die Beklagte unstreitig nachgekommen.

c)

Eine Pflichtverletzung der Beklagten kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil diese es versäumt habe, Widerspruch gegen den Kurzarbeitergeldbescheid des Arbeitsamtes einzulegen.

Eine Pflicht des Arbeitgebers zum Widerspruch besteht nur dann, wenn der Kurzarbeitergeldbescheid offensichtlich unzutreffend ist oder der Arbeitnehmer die Berechnung rechtzeitig und substantiiert gerügt hat. Diese Pflicht besteht deshalb, weil die Anordnung von Kurzarbeit im Hinblick auf § 615 BGB für den Arbeitgeber günstig ist und eigene Rechtsmittel des Arbeitnehmers gegen die Bescheide des Arbeitsamtes unzulässig wären, vgl. § 323 Abs. 2 SGB III.

Eine weitergehende Pflicht des Arbeitgebers zur (selbständigen) Einlegung eines Widerspruchs besteht jedoch nicht, weil sich der Arbeitgeber auf die Berechnungen des Arbeitsamtes verlassen darf. Von ihm kann nicht verlangt werden, dass er ohne konkrete Anhaltspunkte die Bescheide durch Sachverständige auf dem Gebiet des Sozialrechts überprüfen lässt. Dies würde die Anforderungen an den Arbeitgeber überspannen.

aa)

Vorliegend war die Berechnung des Arbeitsamtes nicht offensichtlich unzutreffend, da sie unstreitig der gängigen Verwaltungspraxis der Arbeitsämter in Sachsen entspricht. Überdies war es dem durch eine Gewerkschaft vertretenen Kläger selbst nicht möglich, das Kurzarbeitergeld auf Anhieb zutreffend zu berechnen, wie die unterschiedlichen Geltendmachungsschreiben belegen. Dass der Beklagten die abweichende Rechtsauffassung der Gewerkschaft des Klägers aufgrund des Streits hinsichtlich eines anderen Arbeitnehmers bekannt gewesen sein mag, löst keine Widerspruchspflicht bezüglich des Klägers aus. Der Beklagten kann nicht zugemutet werden, aufgrund der Beanstandung eines Mitarbeiters für alle Mitarbeiter Widerspruch einzulegen. Vielmehr obliegt es jedem Arbeitnehmer selbst, die für ihn maßgebliche Berechnung dem Arbeitgeber gegenüber als fehlerhaft zu rügen.

bb)

Der Kläger hat nicht dargelegt, er habe die für falsch gehaltene Berechnung des Arbeitsamtes rechtzeitig gegenüber der Beklagten gerügt. Eine Verpflichtung der Beklagten zum Widerspruch hätte nur solange bestehen können, wie der Widerspruch zulässig gewesen wäre. War die Widerspruchsfrist abgelaufen, bestand keine Pflicht zum Widerspruch mehr, welche hätte verletzt werden können.

Erforderlich ist, dass der Arbeitnehmer die Berechnung unverzüglich rügt, damit der Arbeitgeber noch selbst eine Prüfung vornehmen und gleichwohl den Widerspruch fristgerecht einlegen kann. Erfolgt die Rüge des Arbeitnehmers unverzüglich, aber wegen verspäteter Unterrichtung durch den Arbeitgeber gleichwohl außerhalb der Widerspruchsfrist, so läge in der verspäteten Unterrichtung die Pflichtverletzung des Arbeitgebers. Insoweit fehlt es aber trotz richterlichem Hinweises an jeglichem Vortrag des Klägers, weil dieser dem Gericht nicht mitgeteilt hat, wann er von der Beklagten über die Berechnung des Arbeitsamtes unterrichtet wurde. Es lässt sich daher nicht prüfen, ob seine Rüge fristgemäß war oder er verspätet unterrichtet wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Ein Zulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht. Zwar hat das Arbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits die Berufung zugelassen. Die Bedeutung hat das Arbeitsgericht jedoch in der zwischen den Parteien und ihren Verbänden umstrittenen Auslegung des § 179 Abs. 1 SGB III erblickt. Diese Frage ist jedoch nicht streiterheblich, weil es bereits an den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches aus positiver Vertragsverletzung fehlt. Der Prüfung dieser Voraussetzungen kommt jedoch, da diese einzelfallabhängig sind, keine grundsätzliche Bedeutung zu.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird jedoch hingewiesen.

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