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Lärmschutz bei Bauarbeiten – Betonage

OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN

Az.: OVG 2 S 5.96

Beschluss vom 27.03.1996

Vorinstanz: Verwaltungsgericht Berlin, Az.: VG 10 A 138.96


In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin am 27. März 1996 beschlossen:

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. März 1995 geändert.

Der Antrag der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage VG 10 A 126.96 gegen den Bescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie vom 4. März 1996 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für beide Rechtsstufen auf je 4.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller, Mieter einer Wohnung im 5. Obergeschoß des Hauses … Berlin-Kreuzberg, wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Bescheid des Antragsgegners vom 11. März 1996) einer den Beigeladenen vom Antragsgegner erteilten Ausnahmezulassung (Bescheid vom 4. März 1996) von Vorschriften der Lärmverordnung zur Durchführung von Unterwasserbetonagen auf der …-Baustelle, Baulos 4, Baufeld B, am Potsdamer Platz. Nach dem übergeleiteten Bebauungsplan liegen die Grundstücke der … im Kerngebiet der Baustufe V/3.

Durch Beschluss vom 15. März 1996 hat das Verwaltungsgericht Berlin die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 4. März 1996 mit Wirkung vom 18. März 1996 an wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt, die im Klageverfahren angefochtene Ausnahmegenehmigung begegne sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht erheblichen rechtlichen Zweifeln, In formeller Hinsicht sei zweifelhaft, ob die Anwohner ordnungsgemäß angehört worden seien. Ihnen sei lediglich der allgemein gehaltene Antrag der Beigeladenen auf Ausnahmegenehmigung zur Kenntnis gebracht worden, dem sich die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen auch nicht annähernd präzise entnehmen ließen. Weil der Antragsgegner vor Erlass des Bescheides keine Einzelheiten der von ihm beabsichtigten Ausnahmegenehmigung mitgeteilt habe, habe für die Antragsteller keine hinreichende Äußerungsmöglichkeit bestanden. In materieller Hinsicht könne nicht von nur unbedeutenden Störungen durch die Arbeiten im Zusammenhang mit der Unterwasserbetonage ausgegangen werden. Messungen der Beigeladenen hätten anlässlich der am 7./8. März begonnenen Betonage am Immissionsort eine Belastung von etwa 55 dB(A) ergeben; die Ausnahmegenehmigung erlaube Immissionswerte bis zu 66 dB(A) auch während der Nachtzeiten. Auch ein Vorrang des Vorhabens vor schutzwürdigen Belangen Dritter sei nicht ohne weiteres zu erkennen. Es sei schon fraglich, ob die Inanspruchnahme der Nachtruhezeiten im Wege der Ausnahme überhaupt erforderlich sei. Die Beigeladenen hätten unterschiedliche Betonagezeiten angegeben. Durch die erheblichen Größenunterschiede der Felder erscheine zudem die zur Begründung der Entscheidung herangezogene Annahme nicht zweifelsfrei, die Aufteilung in nur 19 Felder könne aus statischer Sicht gerade noch akzeptiert werden. Ob gleichwohl etwa im Hinblick auf unvorhersehbare technische Schwierigkeiten die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung unter Einschluss der Nachtzeiten für die gesamte Dauer der vorgesehenen Betonierungsarbeiten unter dem Aspekt technischer Notwendigkeit gerechtfertigt gewesen sei, könne letztlich dahinstehen. Jedenfalls habe der Antragsgegner von dem ihm bei unterstelltem Vorrang des Vorhabens der Beigeladenen noch eröffneten Gestaltungsermessen nicht fehlerfrei Gebrauch gemacht. Die Lärmmessungen hätten schon ohne die Betonarbeiten eine nicht unbedeutende Vorbelastung durch Baulärm auch in den Ruhe- und Nachtzeiten ergeben, so dass die Behörde angesichts der von ihr selbst vorgefundenen Vorbelastung der Anwohner ermessensfehlerhaft handele, wenn sie – weitere – Immissionsquellen für die Abendruhe- und Nachtzeit legalisiere, ohne zugleich mit einem sinnvollen und erfolgversprechenden Konzept gegen den illegalen Baulärm – etwa durch Verknüpfung im Genehmigungsbescheid oder durch flankierende Maßnahmen – vorzugehen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen, die die Auffassung des Verwaltungsgerichts in allen Punkten für fehlerhaft halten. Der Antragsgegner ist dem Verwaltungsgericht ebenfalls entgegengetreten. Die Antragsteller berufen sich auf den angefochtenen Beschluss und ergänzen ihr bisheriges Vorbringen; sie weisen insbesondere darauf hin, dass es nicht gerechtfertigt sei, den finanziellen Interessen der Beigeladenen, die sich nicht an das Gesetz hielten, Vorrang vor ihrem Grundrecht auf Gesundheit zu geben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten des Gerichts und des Verwaltungsvorganges des Antragsgegners, der vorgelegen hat und Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

Der zulässigen Beschwerde der Beigeladenen war stattzugeben. Der auf § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO gestützte Antrag der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage VG 10 A 126.96 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. März 1996 hat keinen Erfolg. Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung mit dem Bescheid vom 11. März 1996 zu Recht nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse und im überwiegenden Interesse der Beigeladenen besonders angeordnet und dies unter Beachtung des § 80 Abs. 3 VwGO begründet.

Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, dass die Antragsteller als von dem Lärm der Baustelle am Potsdamer Platz betroffene Nachbarn (vgl. § 3 Abs. 1 BlmSchG) antragsbefugt in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sind. Die bei der im Baufeld B durchgeführten Unterwasserbetonage insbesondere von den Betonpumpen und den Betonmischfahrzeugen ausgehenden Lärmbelastungen werden von § 22 Abs. 1 BlmSchG erfasst (vgl. Koch/Scheunig [Hrsg.], GK-BImSchG, Stand: Juni 1995, § 22 Rdnr. 30; Förster/Grundei u.a., Bauordnung für Berlin 1985, 4. Aufl. 1986, § 12 Rdnr. 4). Nach dieser Vorschrift sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, und die nach dem Stand der Technik unvermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die aufgrund des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes sowie des § 23 Abs. 2 BlmSchG erlassene Verordnung zur Bekämpfung des Lärms (LärmVO) in der Fassung vom 6. Juli 1994 (GVBI. S. 231) konkretisiert entsprechend § 23 Abs. 1 BlmSchG die Anforderungen des § 22 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BlmSchG. Die Antragsteller machen einen Verstoß gegen diese Vorschriften geltend.

Der Senat vermag der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu folgen, die angefochtene Ausnahmegenehmigung vom 4. März 1996 begegne „sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht erheblichen rechtlichen Zweifeln“, so dass ihre sofortige Vollziehung nicht im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse der Beigeladenen liege. Der Senat ist bei der ihm nur möglichen summarischen Prüfung vielmehr zu der Überzeugung gelangt, dass die Klage der Antragsteller in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird und deshalb den Beigeladenen das Gebrauchmachen von der ihnen erteilten Ausnahmegenehmigung für die sich unter Umständen bis in die Nachtzeit erstreckenden Betonagearbeiten im Baufeld B nicht bis zum Abschluss des Klageverfahrens verwehrt werden kann. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO war gerechtfertigt. Das öffentliche Interesse am Schutz der Nachtruhe der Antragsteller muss gegenüber dem öffentlichen Interesse an dem zügigen Ablauf der koordinierten Bauarbeiten aller Baustellen am Potsdamer Platz zwecks baldiger Schließung der großen Baulücke in der Mitte der Hauptstadt sowie gegenüber den überwiegenden Interessen des Bauherrn unter den noch zu erörternden besonderen Umständen dieses Falles deshalb zurücktreten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass die von den Antragstellern angefochtene Ausnahmezulassung nach § 8 Abs. 1 LärmVO in dem Verfahren VG 10 A 126.96 Bestand haben wird, erheblich größer ist als die umgekehrte Möglichkeit (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 20. Dezember 1991, OVGE 19, 231, 232 f. = BRS 52 Nr. 166 = LKV 1992, 201 = GE 1992, 491 – Kant-Dreieck -).

1.

Das Anhörungsgebot des § 28 Abs. 1 VwVfG, wonach vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, hat der Antragsgegner nicht verletzt. In ihrem „Antrag auf Ausnahmegenehmigung für Arbeiten in Nacht- und Ruhezeiten“ vom 22. Dezember 1995 haben die Beigeladenen die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen hinreichend konkret angegeben. Der vom Verwaltungsgericht als nicht ausreichend bezeichnete Satz „Die Arbeiten … möchten wir auch in der Nachtzeit ausführen“ bezieht sich nicht auf das hier in Rede stehende Baufeld B, sondern – und insoweit auch nur zusammenfassend – auf die gemeinsame Baugrube, Los 8, für die eine Ausnahmezulassung vom Antragsgegner gerade nicht erteilt worden ist. Hinsichtlich der Baugrube B, Baulos 4, werden die erforderlichen Tatsachen im Antrag benannt: „Baulos 4 … Bedingt durch die Erschwernisse beim Aushub infolge des unerwartet harten Mergels haben sich diese Arbeiten verzögert und können nur unter Berücksichtigung von Nachtarbeit bis etwa Ende April 1996 abgeschlossen werden. Es handelt sich um den Einbau von Rl-Pfählen und Unterwasserbeton. Die Rl-Pfähle werden mit Hydraulikvibratoren in den Boden der Baugrube von zwei schwimmenden Pontons eingerüttelt“. Es folgen dann Angaben zu Lärmmessungen und zu einer möglichen Reduzierung der erreichten Werte sowie weitere konkrete Angaben zur Unterwasserbetonage (Betonmenge, Betonpumpen mit Standort). Dieser Antrag ist den Antragstellern zur Stellungnahme zugeleitet worden, ohne dass diese sich etwa mit der Bitte um Detaillierung oder mit Einwendungen, wie es andere Anwohner getan haben, an den Antragsgegner gewandt hätten. Das Anhörungsrecht dient dem Finden der richtigen Entscheidung, insbesondere sollen Fehler bei der Tatsachenermittlung vermieden werden. Die Antragsteller haben nicht zu erkennen gegeben, dass sie sich zum entscheidungserheblichen Sachverhalt äußern und so auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss nehmen wollten. Daraus, dass der Antragsgegner vor seiner abschließenden Entscheidung im Interesse aller Beteiligten noch weitere Ermittlungen angestellt hat, um alle Belange ausreichend berücksichtigen zu können, kann nicht hergeleitet werden, der das Verfahren einleitende Antrag vom 22. Dezember 1995 sei keine ausreichende Anhörungsgrundlage gewesen. Auch im weiteren Verfahren ist nicht erkennbar geworden, was die Antragsteller noch an Einzelheiten hätten vortragen können und welche Auswirkungen dies auf die Entscheidung der Behörde hätte haben sollen.

2.

Auch in materieller Hinsicht bietet bei der hier gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung die Klage in der Hauptsache keine hinreichende Erfolgsaussicht. Nach § 1 LärmVO ist es verboten, von 22.00 bis 6.00 Uhr Lärm zu verursachen, durch den andere Personen in ihrer Nachtruhe gestört werden können (Schutz der Nachtruhe); § 2 LärmVO bestimmt, dass es an Werktagen von 6.00 bis 7.00 Uhr und von 20.00 bis 22.00 Uhr sowie an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen verboten ist, Lärm zu verursachen, durch den andere Personen in ihrer Ruhe objektiv unzumutbar gestört werden können (Schutz während der Ruhezeiten). Lärm im Sinne der §§ 1 und 2 kann, wie im vorliegenden Fall, von Geräuschen nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen im Sinne des § 3 Abs. 5 BlmSchG herrühren (§ 3 LärmVO). Von diesen und weiteren Verboten der Lärmverordnung kann die zuständige Behörde nach § 8 Abs. 1 Ausnahmen für Einrichtungen, Betätigungen oder Veranstaltungen widerruflich zulassen, wenn die Störung unbedeutend ist oder das beantragte Vorhaben im Einzelfall Vorrang vor den schutzwürdigen Belangen Dritter haben muss. Die Zulassung von Ausnahmen kann an Bedingungen und Auflagen geknüpft werden (§ 8 Abs. 4 LärmVO).

Zutreffend ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass für den im Kerngebiet liegenden Immissionsort … sowohl nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm – Geräuschimmissionen – vom 19. August 1970 (ABI. I S. 1185) – AVV Baulärm – als auch nach der VDI 2058 Blatt 1 zur Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft die Immissionsrichtwerte tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) betragen. Nach den Messungen der Beigeladenen wird der zulässige Nachtwert mit 55 dB(A) überschritten; die Ausnahmegenehmigung des Antragsgegners lässt in Nebenbestimmung II.9 auch in der Nachtzeit Immissionswerte bis 66 dB(A) zu. Damit kommt der erste Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 1 LärmVO für eine Ausnahmezulassung nicht in Betracht; die Störung ist nicht unbedeutend.

Die angefochtene Ausnahmegenehmigung ist jedoch bei summarischer Prüfung deshalb rechtmäßig, weil das beantragte Vorhaben, die Unterwasserbetonage, Los 4, Baufeld B, der …-Baustelle am Potsdamer Platz auch in Ruhe- und Nachtzeiten entsprechend der zweiten Alternative des § 8 Abs. 1 LärmVO unter Berücksichtigung der Modalitäten des Projekts Vorrang vor den schutzwürdigen Belangen Dritter und damit auch der Antragsteller haben muss.

Den fachtechnischen Darlegungen der Beigeladenen vom 22. Februar 1996 (Verwaltungsvorgang Blatt 48), der Darstellung der … zur … „Unterwasserbetonsohle“ (Verwaltungsvorgang Blatt 55) und insbesondere der gutachterlichen Stellungnahme der Amtlichen Materialprüfanstalt für das Bauwesen beim Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz der TU Braunschweig vom 1. März 1996 (Verwaltungsvorgang Blatt 84) ist zu entnehmen, dass jedes einzelne der 19 Betonierfelder der 20 000 m2 großen, 19 m unter Gelände liegenden Baugrubensohle des Baufeldes B mit Hilfe von Tauchern (Grundwasser 15 m) ohne Unterbrechung in einem Guß hergestellt werden muss, und die Arbeiten nicht nach den zeitlichen Abschnitten der in der Lärmverordnung vorgeschriebenen Ruhe- und Nachtzeiten unterbrochen werden dürfen, falls sie wegen unvorhergesehener Verzögerungen bis in die Abend- oder Nachtstunden fortgesetzt werden müssen. Unterbrechungen würden zum Erhärten des Betons und damit zum Entstehen zusätzlicher Arbeitsfugen führen, die aus tragwerksplanerischer Sicht die spätere Sicherheit beeinträchtigen könnten. Dementsprechend können die bauausführenden Firmen nicht präzise vorhersagen, wann die Arbeiten jeweils abgeschlossen sein werden. Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt, als es aufgrund der unterschiedlichen Schätzungen zur möglichen Dauer der Arbeiten Zweifel an deren Notwendigkeit äußerte. Abgesehen davon, dass die Betonierfelder unterschiedlich groß sind, beruhten die Angaben auf Erfahrungswerten aus früheren kleineren Betonagen; Veränderungen aufgrund besonderer Bodenbeschaffenheit (besonders harter Mergel), außergewöhnlicher Temperaturen oder technischer Störungen lassen sich nicht ausschließen. Aus den genannten technischen Darstellungen ergibt sich, dass die Einteilung in höchstens 19 Betonierfelder allein sachgerecht ist. Abschnitte von 1 500 m2 sind nach den Angaben der Materialprüfanstalt ein Kompromiss, der aus tragwerksplanerischer Sicht und Herstellsicherheit vertretbar ist; nur bei dieser Größe sei eine sichere Schließung der Fugen zu erwarten. Das Bauvorhaben auf dem Potsdamer Platz ist in seiner Größenordnung und Bauweise neuartig; es mussten neue Bautechniken entwickelt werden, für die es bisher keine Erfahrungswerte gab. Die Frage der technischen Notwendigkeit der hier gewählten Baumaßnahme ist vom Bauherrn und den bauausführenden Unternehmern mitzuentscheiden; die Amtliche Materialprüfanstalt hat deren Darlegungen im einzelnen bestätigt. In den dem Senat vorliegenden Unterlagen wird überzeugend festgestellt, dass die Bildung kleinerer Abschnitte, die ohne Inanspruchnahme der Nachtzeit betoniert werden könnten, die Gefahr eines Bruchs der Sohle erheblich vergrößern würde. Diese Gefahr besteht beim Abpumpen des Baugrubenwassers und kann zu einem schlagartigen Absinken des umgebenden Grundwasserspiegels mit den entsprechenden Auswirkungen auf Umwelt und die Nachbarbebauung (Setzungen) führen. Danach lässt sich das Vorhaben der Beigeladenen aus zwingenden technischen Gründen nur unter Inanspruchnahme von Ruhe- und Nachtzeiten verwirklichen, und zwar nach den Angaben der Beigeladenen bei einem Baubeginn um 6.00 Uhr im Regelfall maximal bis 1.00 Uhr.

Aus ähnlichen Erwägungen hat der Verordnungsgeber im übrigen selbst, ohne dass es einer Ausnahmezulassung bedürfte, Sonderregelungen für Maßnahmen des Brücken- und Bahnbaues getroffen, die nach Feststellung der für das Bauwesen zuständigen Senatsverwaltung aus verkehrlichen oder aus technischen Gründen nur während der Verbotszeiten der §§ 1 und 2 LärmVO ausführbar sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 LärmVO) sowie für Maßnahmen des Verkehrswegebaues sowie des Leitungs- und Kanalbaues in Verkehrswegen, soweit dadurch nach Feststellung der für das Bauwesen zuständigen Senatsverwaltung eine wesentlich kürzere Bauzeit erreicht wird (§ 7 Abs. 2 LärmVO). In § 7 Abs. 2 LärmVO, einer für Ruhezeiten an Werktagen geltenden Regelung lässt der Verordnungsgeber erkennen, dass die sich für die Anwohner der Baustellen ergebenden unvermeidbaren Lärmbelästigungen insbesondere deshalb zumutbar sind, weil sich auch umweltentlastende Effekte ergeben können, wenn durch den Zweischichtbetrieb die Bauzeit und damit die durch die Baumaßnahme verursachten Beeinträchtigungen des Verkehrs verkürzt werden. In den Ausführungsvorschriften zur LärmVO vom 8. Juli 1987 (DBI. VI, S. 24) wird zudem als Fall des Vorrangs vor den schutzwürdigen Belangen Dritter ausdrücklich Großbetonagearbeiten genannt (Nr. 40 Abs. 4 Buchst, b); die neuen AV-LärmVO werden in Nr. 14.1 eine entsprechende Regelung enthalten.

Auch ein Ermessensfehler des Antragsgegners bei Erlass der angefochtenen Ausnahmezulassung ist nicht zu erkennen. Der Antragsgegner durfte bei seiner Entscheidung nach § 8 Abs. 1 LärmVO auch berücksichtigen, dass die material- und kostenaufwendige Unterwasserbetonage für den Grundwasserhaushalt und damit für den Umweltschutz die nach dem Stand der Technik schonendste Bauweise darstellt. Die Beigeladenen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass die einzige andere Alternative für die jetzige Bauweise, nämlich die Absenkung des Grundwasserspiegels, mit entsprechenden Gefahren für die Bebauung in der Umgebung und für die Natur des Tiergartens verbunden ist. Der Antragsgegner hat seine Entscheidung unter angemessener Berücksichtigung der erheblichen Belastungen, die die Anwohner der Großbaustelle Potsdamer Platz zu ertragen haben, getroffen und die zahlreichen weiteren von den Beigeladenen beantragten Ausnahmen von der Lärmverordnung für die Nachtzeit nicht gewährt, insbesondere auch nicht die Rüttelinjektionspfahlherstellung in der Baugrube B und sämtliche Baumaßnahmen in der gemeinsamen Baugrube, Baulos 8. Die Ausnahmezulassung ist nur widerruflich und nur befristet bis zum 30. April 1996 mit zahlreichen Nebenbestimmungen zum Schütze der Belange der Anwohner erteilt worden. Die Maschinen und Geräte, insbesondere die 15 Fahrmischer und die beiden Betonpumpen, müssen dem neuesten Stand der Lärmminderungstechnik entsprechen (Nebenbestimmung II.2).

Der Vorrang des aus technischen Gründen nicht anders ausführbaren Vorhabens der Beigeladenen gegenüber den schutzwürdigen Belangen der Antragsteller ist auch deshalb gerechtfertigt, weil trotz der Höchstgrenze von 66 dB(A) nach bisherigen Messungen nur 55 dB(A) durch die Bauarbeiten der Beigeladenen im Baufeld B erreicht worden sind, weil für einige Stunden der Nachtzeit bei den jetzigen Witterungsverhältnissen das Schließen der Fenster zumutbar ist und weil insbesondere durch die Nebenbestimmung II.10 sichergestellt ist, dass nach einem Betonagetag, an dem nach 22.00 Uhr betoniert wurde, am darauf folgenden Tag in der Zeit von 6.00 bis 7.00 Uhr und von 20.00 bis 6.00 Uhr nicht betoniert werden darf. Die Betonagezeitprotokolle sind täglich bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie nachzuweisen.

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Die vom Verwaltungsgericht als nicht vollständig bezeichnete Regelung in der Nebenbestimmung 11.14 untersagt in der Zeit von 20.00 bis 7.00 Uhr Kreissägearbeiten, Kettensägearbeiten, Fräsarbeiten, Schweiß- und Schleifarbeiten, Bohr-, Stemm- und Aufriebarbeiten, schlagende Arbeiten, Aufbrucharbeiten, Erd- und Erdbewegungsarbeiten, Verladearbeiten, Schalarbeiten, Schutttransporte und Bodenverdichtungsarbeiten. Verstöße hiergegen stellen Ordnungswidrigkeiten dar und können mit Geldbußen bis zu 100 000 DM geahndet werden (vgl. § 9 Abs. 1 und 2 LärmVO). In den der Ausnahmezulassung angefügten Hinweisen des Antragsgegners wird hervorgehoben, dass bei Nichteinhaltung der Nebenbestimmung die Ausnahmezulassung sofort widerrufen werden und die Einhaltung der Nebenbestimmung auch mit Zwangsmitteln nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz erzwungen werden kann. Nach § 6 Abs. 2 VwVG kann Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung einer rechtswidrigen Tat, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht, oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig ist. Bei den den hauptsächlichen Lärm verursachenden Transportmischfahrzeugen ist der Nachweis zu führen, dass nur solche Fahrzeuge eingesetzt werden, die das Kennzeichen für besonders lärmarme Betriebsweisen tragen (Nebenbestimmung 11.16). In dem vorgelegten Verwaltungsvorgang des Antragsgegners sind ein Fahrzeugverzeichnis der Fahrmischer sowie Ablichtungen der Fahrzeugscheine dieser Fahrzeuge enthalten. Eine wirksame Kontrolle und Überwachung ist somit möglich. Die Betonpumpenanlagen sind nach Nebenbestimmung II.20 durch eine Schallschutzumhausung in Richtung Anwohner abzuschirmen. Der Antragsgegner hat danach ermessensfehlerfrei gehandelt, wenn er mit den zahlreichen Nebenbestimmungen sicherstellt, dass die Lärmbelästigung für die Anwohner auf das unumgängliche Mindestmaß beschränkt wird.

Aus den vom Verwaltungsgericht genannten Messergebnissen vom September 1995 und vom Februar 1996 kann ein Ermessensfehler des Antragsgegners nicht hergeleitet werden; sie betreffen nicht die in dem angefochtenen Bescheid vom 4. März 1996 mit den oben genannten Einschränkungen zugelassene Unterwasserbetonagearbeiten, die nach bisherigen Messungen etwa einen Immissionswert von 55 dB(A) erreichen. Mit der der Beigeladenen erteilten Ausnahmezulassung legalisiert der Antragsgegner nicht „weitere“ Immissionsquellen für die Abendruhe und Nachtzeit, sondern er erteilt mit zahlreichen Nebenbestimmungen widerruflich und befristet bis 30. April 1996 aus zwingenden technischen Notwendigkeiten die erste Ausnahmezulassung; denn nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind weitere Ausnahmen nicht erteilt. Eine für die Fortführung der genehmigten Bauarbeiten dringend erforderliche Ausnahmegenehmigung nach der Lärmschutzverordnung kann bei Vorliegen der im einzelnen geregelten Voraussetzungen nicht mit der Begründung versagt werden, die Anwohner seien mit illegalem Baulärm vorbelastet. Dagegen einzuschreiten ist Aufgabe und Pflicht der zuständigen Behörden; etwaige Versäumnisse können nicht zum Nachteil desjenigen Bauunternehmers ausgelegt werden, der sich um Einhaltung der maßgeblichen Bestimmungen durch Einholung einer Ausnahmezulassung nach § 8 Abs. 1 LärmVO bemüht, mag auch früher ein Verstoß gegen die Lärmvorschriften vorgelegen haben. Es geht im vorliegenden Fall nicht um eine bestimmte „Genehmigungspraxis“, wie etwa in den Fällen, dass eine schon erteilte Genehmigung aus zwingenden Gründen zugunsten eines anderen Unternehmens eingeschränkt werden muss oder weitere Genehmigungen wegen rechtmäßig genehmigter Emittenten abgelehnt werden müssten.

Der Antragsgegner hat im Interesse der Anwohner sämtliche weiter beantragten Ausnahmen abgelehnt und nur eine befristete, widerrufliche und mit zahlreichen auch durchsetzbaren Nebenbestimmungen zum Schutze der Nachtruhe versehene Genehmigung für eine Unterwasserbetonage erteilt, die im Interesse des Umweltschutzes (Grundwasser) geboten ist und aus gutachtlich belegten zwingenden technischen Erfordernissen nur so durchgeführt werden kann, dass auch in den Nachtstunden, gegebenenfalls bis 1.00 Uhr so gearbeitet werden muss (durchgehende Betonage eines Feldes), dass die zulässigen Immissionsrichtwerte von 45 dB(A) voraussichtlich nicht einzuhalten sind. Die vom Antragsgegner getroffene Entscheidung steht mit großer Wahrscheinlichkeit in Einklang mit der in § 8 Abs. 1 LärmVO aufgrund des § 23 Abs. 2 BlmSchG getroffenen Regelung.

Der angefochtene Beschluss war danach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO zu ändern. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 1, § 20 Abs. 3 GKG; bei immissionsschutzrechtlichen Nachbarklagen ist von dem Auffangwert des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG auszugehen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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