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Lebensversicherung – Auszahlung Rückkaufswert

Oberlandesgericht Bremen

Az: 3 U 45/07

Urteil vom 19.02.2008

Vorinstanz: Landgericht Bremen, Az.: 6 O 1839/06


In dem Rechtsstreit hat der 3. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 05.02.2008 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 18.10.2007 wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
Der Kläger hatte bei der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen, im Jahre 1985 eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen. Die vereinbarte Laufzeit endete im Jahre 2005. Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Großlebensversicherung (AVB) der Beklagten zu Grunde. § 11 Ziff. 1 Satz 1 AVB hat folgenden Wortlaut: „Die Gesellschaft kann den Inhaber des Versicherungsscheines als verfügungs- insbesondere empfangsberechtigt ansehen.“

Ende 2002 oder Anfang 2003 wurde der Versicherungsvertrag gekündigt und die Beklagte aufgefordert, den Rückkaufswert auf ein in dem Kündigungsschreiben benanntes Konto zu überweisen. Darauf hin überwies die Beklagte einen Betrag von EUR 5.491,97 auf dieses Konto. Inhaberin des Kontos war die Ehefrau des Klägers.

Der Kläger hat behauptet, dass seine Ehefrau unter Verwendung seines Namens und ohne Berechtigung den Versicherungsvertrag gekündigt und den überwiesenen Betrag für sich verwendet habe. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Betrag auszuzahlen, weil die Kündigung unwirksam gewesen sei. Der Kläger hat von der Beklagten die Auszahlung des Rückkaufswertes verlangt und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 5.451,97 nebst näher genannte Zinsen zu zahlen.

Durch Urteil vom 16.10.2007 hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Mit der Berufung begehrt die Beklagte die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und verfolgt ihren erstinstanzlichen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

II.
Die Berufung ist statthaft (§ 511 Abs. 1 ZPO), im Übrigen zulässig (§§ 511 Abs. 2, 517, 519, 520 ZPO) und auch begründet. Der vom Kläger gegen die Beklagte in Höhe des Rückkaufswertes geltend gemachte Anspruch auf Leistung aus dem Versicherungsvertrag besteht nicht. Die Beklagte hat nach Kündigung des Versicherungsvertrages mit befreiender Wirkung gemäß §§ 4, 11 AVB i.V.m. § 176 VVG und § 808 BGB geleistet.

1. Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist der Originalversicherungsschein der Beklagten im Zuge der Kündigung des Versicherungsvertrages ausgehändigt worden. […]

2. Nachdem der Beklagten das Original des Versicherungsscheins im Zuge der Kündigung vorgelegt wurde, ist sie mit Zahlung des seinerzeitigen Rückkaufwertes auf das im Kündigungsscheiben angegebene Konto entgegen der vom Landgericht Bremen in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung gemäß §§ 11, 4 AVB i.V.m. §§ 362, 808 BGB frei geworden. Insbesondere durfte der Versicherungsvertrag auch unter den hier gegebenen Bedingungen vorzeitig gekündigt werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGH, VersR 2000, 709 m.w.N.). Eine Ausnahme erfährt dieser Grundsatz jedoch, wenn die Rechtssprache mit einem in den Bedingungen verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet. Trifft das zu, so ist im Zweifel anzunehmen, dass auch die Bedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen (BGH, a.a.O., m.w.N.). Für die Inhaberklausel gemäß § 11 ALB 86 („Den Inhaber des Versicherungsscheins können wir als berechtigt ansehen, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen…“) hat der BGH entscheiden, dass der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins nicht nur als berechtigt ansehen kann, Leistungen in Empfang zu nehmen. Er könne ihn vielmehr auch als berechtigt ansehen, „über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen“. Dass dem Versicherer damit eine weiterreichende Berechtigung zugewiesen werde als diejenige, mit befreiender Wirkung an den Urkundeninhaber zu leisten, ergebe sich für den Versicherungsnehmer schon daraus, dass gerade diese konkret bezeichnete Berechtigung mit dem Zusatz „insbesondere“ versehen sei und damit zugleich als ein Beispiel für ein Verfügen über Rechte aus dem Vertrag ausgewiesen werde. Dabei führe die Wendung „über Rechte… verfügen“ den Versicherungsnehmer erkennbar in den Bereich der Rechtssprache. Dass es insoweit allein auf die rechtliche Bedeutung ankommen solle, verdeutliche gerade das als Verfügung angesprochene Beispiel der Empfangnahme der Leistung, die umgangssprachlich nicht oder nur schwerlich mit dem Verfügen über ein Recht gleichgesetzt werde. Nach dem damit für die Auslegung maßgeblichen rechtlichen Verständnis des Verfügungsbegriffs erfasse die Klausel das aktive Einwirken auf Rechte, mithin solche Rechtshandlungen des Inhabers des Versicherungsscheins, die die Rechte aus dem Versicherungsvertrag betreffen. Dazu rechne nicht nur die als Beispiel benannte – grundsätzlich Verfügungsmacht voraussetzende – Empfangnahme der vertraglich versprochenen Leistung mit für den Schuldner befreiender Wirkung, sondern auch sonstige Rechtshandlungen wie die Kündigung des Versicherungsvertrags zur Erlangung des Rückkaufswerts gemäß § 176 VVG (BGH, a.a.O.; vgl. auch Prölss/Martin/Kollhosser, VVG, 27. Aufl., § 11 ALB 86 Rn. 3). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung.

Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall allerdings, dass der Wortlaut der hier in Rede stehenden Klausel von dem in § 11 ALB 86, über die der BGH zu entscheiden hatte, abweicht. Zwar ist die Regelung in § 11 AVB im Hinblick auf die Verfügungsbefugnis über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag weniger deutlich gefasst, als die in § 11 ALB 86. Die Auffassung des Landgerichts, dass sich aus dem engen Kontext der Wortbestandteile „verfügungs- insbesondere empfangsberechtigt“ ergebe, dass es insoweit lediglich um das Recht der Beklagten gehe, mit befreiender Wirkung an den Inhaber der Police („empfangsberechtigt“) oder auf dessen Geheiß an einen Dritten („verfügungsberechtigt“) zahlen zu dürfen, ist unter Berücksichtigung der vorgenannten Rechtsprechung des BGH nicht haltbar. Bei den Bezeichnungen „Verfügung“ oder „Verfügungsberechtigung“ handelt es um Ausdrücke, mit denen die Rechtssprache fest umrissenen Begriff verbindet. Verfügungen sind Rechtsgeschäfte, die unmittelbar darauf gerichtet sind, auf ein bestehendes Recht einzuwirken, es zu verändern, zu übertragen oder aufzuheben (BGHZ 1, 294, 304; 101, 24; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., Überbl. v. § 104, Rn. 16, jeweils m.w.N.). Nach dem insoweit maßgeblichen rechtlichen Verständnis des Verfügungsbegriffs erfasst nicht nur § 11 ALB 86, sondern auch die Klausel in § 11 AVB das aktive Einwirken auf Rechte, die den Versicherungsvertrag betreffen, einschließlich der Kündigung des Versicherungsvertrags zur Erlangung des Rückkaufswerts. § 11 AVB enthält gegenüber § 11 ALB 86 insoweit zwar eine sprachlich gestraffte, inhaltlich aber identische Regelung.

Da nicht ersichtlich ist, dass – soweit die Kündigung tatsächlich von der Ehefrau des Klägers erklärt worden sein sollte – der Beklagten ein rechtsmissbräuchliches Verhalten (etwa positive Kenntnis der fehlenden materiellen Berechtigung des Inhabers des Versicherungsscheins, vgl. Prölss/Martin/Kollhosser, a.a.O., Rn. 3) vorgeworfen werden kann, ist die Beklagte durch Auszahlung des Rückkaufswertes nach Vorlage des Versicherungsscheins auf das im Kündigungsschreiben angegebene Konto nach § 11 Nr. 1, 4 AVB, §§ 362, 808 BGB von ihrer Leistungsverpflichtung frei geworden.

3. § 11 Satz 1 AVB enthält auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne von § 307 BGB bzw. § 9 AGBGB. Insoweit wird ebenfalls auf die oben genannte Entscheidung des BGH (VersR 2000, 709, 710 f.) verwiesen.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

5. Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 ZPO).

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