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Lebensversicherungsverträge: Stornoabzugsrechtsprechung und Anwendungsbereich

Bundesgerichtshof

Az: IV ZR 258/03

Urteil vom 18.07.2007


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juli 2007 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 8. Oktober 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Rückvergütung aus sechs zum 1. März 1998 abgeschlossenen und später gekündigten Verträgen über kapitalbildende Lebensversicherungen.

Die damals in die Verträge einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) enthalten in § 6 Regelungen über den Rückkaufswert bei Kündigung, die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung und einen Stornoabzug sowie in § 15 über die Verrechnung von Abschlusskosten. Diese Bestimmungen entsprechen gleichartigen Klauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen anderer Lebensversicherer, die der Senat durch zwei Urteile vom 9. Mai 2001 wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärt hat (BGHZ 147, 354 und 373). Die Beklagte hat diese Senatsurteile zum Anlass genommen, §§ 6 und 15 AVB im Wege des Treuhänderverfahrens nach § 172 Abs. 2 VVG durch inhaltsgleiche, ihrer Meinung nach nunmehr transparent formulierte Bestimmungen zu ergänzen. Sie hat dies der Klägerin durch Schreiben vom 14. Februar 2002 mitgeteilt. Die Klägerin hat der Bedingungsänderung widersprochen und mit Schreiben vom 16. Mai 2002 die Verträge gekündigt. Die Beklagte hat daraufhin die Verträge zum 30. April 2002 abgerechnet und erklärt, wegen der kurzen Vertragslaufzeit seien noch keine Rückkaufswerte vorhanden.

Die Klägerin hält die Klauselersetzung nach § 172 Abs. 2 VVG ebenso wie eine ergänzende Vertragsauslegung für unzulässig und die Verträge daher insgesamt für nichtig. Die Beklagte sei verpflichtet, die ohne Rechtsgrund erhaltenen Beiträge in Höhe von 5.368,65 EUR zurückzuzahlen und zu verzinsen. Diesen in den Vorinstanzen abgewiesenen Anspruch verfolgt die Klägerin mit der Revision weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I. Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe weder einen bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge noch einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung eines Rückkaufswertes. Trotz Unwirksamkeit von § 6 Abs. 3 und § 15 AVB in der Fassung vom 1. März 1998 sei der Vertrag nach § 6 Abs. 1 AGBG im Übrigen wirksam geblieben. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 AGBG lägen nicht vor. Vielmehr habe die Beklagte die durch die Unwirksamkeit der Klauseln entstandene Vertragslücke nach § 172 Abs. 2 VVG im Wege des Treuhänderverfahrens rückwirkend wirksam und für die Klägerin gemäß § 6 Abs. 2 AGBG zumutbar geschlossen. Auch nach § 6 Abs. 3 und 6 AVB in der neuen Fassung bestehe bei Kündigung kein Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge, sondern nur auf den Rückkaufswert. Dieser betrage bedingungsgemäß unstreitig 0 EUR.

II. Soweit das Berufungsgericht den Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge abgewiesen hat, ist ihm zuzustimmen. Seine Auffassung, auch ein Anspruch auf einen Rückkaufswert bestehe nicht, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Die Senatsurteile vom 9. Mai 2001 (aaO) haben dazu geführt, dass die davon betroffenen und andere Lebensversicherer, die gleichartige Klauseln verwendet hatten, diese im Treuhänderverfahren nach § 172 Abs. 2 VVG durch inhaltsgleiche, ihrer Meinung nach nunmehr transparent formulierte Bestimmungen ersetzt haben. Durch Urteil vom 12. Oktober 2005 (BGHZ 164, 297) hat der Senat die im Zusammenhang damit aufgeworfenen und in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantworteten Rechtsfragen entschieden. Er hat im Einzelnen ausgeführt, dass § 172 Abs. 2 VVG auch auf die kapitalbildende Lebensversicherung anwendbar ist, welche Voraussetzungen für die Durchführung des Treuhänderverfahrens gegeben sein müssen und welchen Maßstäben die Klauselersetzung inhaltlich genügen muss.

Der Senat hat die von der dortigen Beklagten mit Zustimmung des Treuhänders vorgenommene Vertragsergänzung durch inhaltsgleiche Bestimmungen für unwirksam erklärt (aaO S. 312 ff.). Für die Klausel über den Stornoabzug ergibt sich dies bereits nach § 306 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 2 AGBG i.V. mit §§ 174 Abs. 4, 176 Abs. 4 VVG. Nach den letztgenannten gesetzlichen Vorschriften setzt die Berechtigung zu einem Abzug eine Vereinbarung voraus, an der es bei Unwirksamkeit der Klausel fehlt. Die inhaltsgleiche Ersetzung der unwirksamen Klauseln über den Rückkaufswert bei Kündigung und die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung sowie über die Verrechnung der Abschlusskosten, für die das Gesetz keine konkrete Ersatzregelung zur Verfügung stellt, hat der Senat für unwirksam gehalten, weil sie die gesetzliche Sanktion der Unwirksamkeit nach § 9 Abs. 1 AGBG, jetzt § 307 Abs. 1 BGB unterläuft und schon deshalb mit den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu vereinbaren ist. Insoweit hat der Senat die durch die Unwirksamkeit der ursprünglichen Klauseln entstandene Regelungslücke im Wege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen. Danach darf die Rückvergütung bei Kündigung einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser wird bestimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals.

2. Daraus ergibt sich für den hier zu entscheidenden Fall Folgendes:

a) Die Voraussetzungen für die Durchführung des Treuhänderverfahrens waren gegeben, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat. Es hat insbesondere die ursprünglich vereinbarten Bestimmungen über den Rückkaufswert bei Kündigung und die Verrechnung der Abschlusskosten zu Recht als unwirksam angesehen, weil sie mit den vom Senat durch die Urteile vom 9. Mai 2001 (aaO) für unwirksam erklärten Klauseln weitgehend identisch sind. Derselben Meinung waren der Treuhänder und die Beklagte, die in den Vorinstanzen mehrfach auf die Unwirksamkeit der §§ 6 und 15 AVB hingewiesen hat. Erstmals im Revisionsverfahren vertritt die Beklagte die Auffassung, die Tabellen der garantierten Rückkaufswerte – die einen Rückkaufswert ab Ende Februar 2004 ausweisen und über Rückkaufswerte in den Jahren davor nichts enthalten – hätten die gebotene Transparenz geschaffen. Das trifft schon deshalb nicht zu, weil in den Klauseln selbst kein Hinweis auf die für den Versicherungsnehmer mit der vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile enthalten ist (dazu BGHZ 147, 354, 363 f., 366 und BGHZ 147, 373, 380).

b) aa) Die inhaltsgleiche Klauselersetzung ist unwirksam. Die ergänzende Vertragsauslegung durch den Senat führt dazu, dass die Versicherungsverträge wirksam sind, ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Beitragsrückzahlung nicht besteht, die Klägerin aber nach Maßgabe des Senatsurteils vom 12. Oktober 2005 (aaO) Anspruch auf einen Mindestrückkaufswert hat, der vom Berufungsgericht noch festzustellen ist. Ein Stornoabzug kommt nicht in Betracht.

bb) Trotz der von der Beklagten gegen das Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 erhobenen Einwendungen hält er daran fest, dass die §§ 174 Abs. 2, 176 Abs. 3 VVG über die beitragsfreie Versicherungssumme und den Rückkaufswert keine konkrete und sachgerechte Lückenfüllung i.S. von § 306 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 2 AGBG ermöglichen (Senatsurteil aaO S. 313 f., 323; vgl. auch BVerfG VersR 2006, 489, 491, 493 ff.) und die Klausel über den Stornoabzug (die hier nicht einmal die Größenordnung für den Versicherungsnehmer erkennbar macht und ohne versicherungsmathematische Kenntnisse nicht verständlich ist) ersatzlos entfällt.

Die Rechtsform der Beklagten als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit rechtfertigt auch keine andere Beurteilung, soweit es um den Mindestrückkaufswert und die beitragsfreie Versicherungssumme geht. Sie betreffen das Austauschverhältnis der Partner des Versicherungsvertrages, das in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten – offenbar für Mitglieder wie für Nichtmitglieder – in gleicher Weise geregelt ist wie bei Versicherungsaktiengesellschaften. Allgemeine Versicherungsbedingungen eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, die das Versicherungsverhältnis betreffen, sind vom Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes und der §§ 305 ff. BGB nicht ausgenommen (vgl. BGHZ 136, 394, 396 ff.). Für das Versicherungsverhältnis trifft die im Senatsurteil vom 12. Oktober 2005 (aaO S. 320 ff.) nach objektiv-generalisierenden Gesichtspunkten vorgenommene Interessenabwägung auch für den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit zu, selbst wenn die Versicherungsnehmer zugleich Mitglieder sind (vgl. zur Feststellung des Schlussüberschusses beim Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit BVerfG VersR 2005, 1127, 1134). Soweit Verschiebungen im Wert der Mitgliedschaft eintreten sollten, gelten für die Abwägung der jeweiligen Interessen der Versicherungsnehmer die gleichen Erwägungen, zumal der wirtschaftliche Wert, den der Versicherungsnehmer während der laufenden Vereinsmitgliedschaft bezieht, eher gering ist (vgl. BVVerfG VersR 2005, 1109, 1124).

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