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Lehrer beleidigt Schüler – Schmerzensgeld


Oberlandesgericht Zweibrücken

Az.: 7 O 1150/93

Urteil vom 06.05.1997


Tenor

In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatzes und Schmerzensgeldes hat der 6. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken auf die mündliche Verhandlung vom 20. März 1997 für Recht erkannt:

I. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Schlußurteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 31. Mai 1996 – 7 O 1150/93 – wird zurückgewiesen.

II. Das beklagte Land hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Wert der Beschwer des beklagten Landes wird auf 2 245,84 DM festgesetzt.


Tatbestand

Die Kläger haben das beklagte Land und ursprünglich auch den Beklagten zu 1), früher Lehrer an der Grundschule in ….., auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen mit der Begründung, der Beklagte zu 1) habe in vielfältiger Weise seine Pflichten als Pädagoge verletzt, insbesondere habe er den Kläger zu 1) während des Unterrichts fortgesetzt schwer beleidigt und gehänselt, was zu psychischen und anderen gesundheitlichen Schäden geführt habe.

Der Kläger zu 1) besuchte im Schuljahr 1992/93 die 3. Klasse der Grundschule in ….. Der Beklagte zu 1) war sein Klassenlehrer. Der Kläger zu 1) ist hyperaktiv und leidet unter anderem an einer Störung der visuellen Wahrnehmungsfähigkeit sowie an einer Koordinationsstörung. Er befindet sich deshalb seit 1990 ständig in ärztlicher Behandlung, was dem Beklagten zu 1) bekannt war. Wegen seiner Erkrankung wurde er häufig von seinen Mitschülern gehänselt. Im Februar 1993 wechselte der Kläger zu 1) im Einvernehmen mit der Schulbehörde aus Anlaß der hier streitigen Vorfällen in die Grundschule …. . Der Beklagte zu 1) wurde an eine andere Schule versetzt.

Die Kläger haben vorgetragen, im Herbst des Jahres 1992/93 habe ein Mitschüler ein Poster mit in die Schule gebracht, auf dem ein Affe abgebildet gewesen sei. Dieses habe er im Klassenzimmer aufgehängt. Als der Beklagte zu 1) das Poster gesehen habe, habe er gesagt, „das Bild sei aber schön, wollen wir dem Bild einen Namen geben?, wollen wir das Affenbild … nennen?.“ Daraufhin habe die Klasse mit ja geantwortet und alle hätten gelacht.

Am 19. Januar 1993 habe der Beklagte einen erkennbar an den Kläger zu 1) gerichteten Brief zweier Mitschülerinnen vor der Klasse verlesen, der folgenden Inhalt hatte, was unstreitig ist: „… Du bist mein Liebling! Du bist zwar saudumm, darum lieben wir Dich! Weil Du nur 2 mm groß bist?! Alles Gute bei Deiner weiteren Liebe! Deine XXX

Die letzte Zeile des Briefes sind die Namen der beiden Verfasserinnen in umgekehrter Reihenfolge der Buchstaben.

Durch das Verlesen dieses Briefes habe der Beklagte zu 1) den Kläger zu 1) dem Gelächter und Gespött der Klasse preisgegeben. Seit dem 20. Januar 1993 habe der Kläger wieder eingenäßt, nachts geweint, sei ängstlich und unruhig gewesen und habe im Schlaf geredet. Er habe jede Nacht Alpträume gehabt und sei nur unter dem Druck seiner Eltern bereit gewesen, die Schule weiter zu besuchen.

Die Beklagten haben einen Zusammenhang der Unterrichtsmethoden des Beklagten zu 1) mit den gesundheitlichen Schäden des Klägers bestritten. Der Vorfall mit dem Affenbild habe sich anders zugetragen: Der Vorschlag, das Bild „…“ zu nennen, sei von einem Mitschüler gekommen, worauf der Beklagte zu 1) dem widersprochen und die Haltung dieses Mitschülers als „nicht schön“ bezeichnet habe. Mit dem Verlesen des Briefes sei der Kläger einverstanden gewesen, was er durch Kopfnicken bestätigt habe; beim Verlesen habe er selbst herzhaft gelacht. In der Folgezeit habe er den Unterricht besucht, ohne daß ihm irgendetwas anzumerken gewesen sei.

Die 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) hat nach Beweisaufnahme mit Teilurteil vom 17. Juni 1994 die Klage abgewiesen, soweit sie gegen den Beklagten zu 1) gerichtet war und auch insoweit, als die Klägerin zu 2) Ansprüche gegen das beklagte Land geltend gemacht hat. Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Teilurteils vom 17. Juni 1994 verwiesen.

Der Kläger zu 1) hat beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, das jedoch mindestens 1 600,00 DM betragen solle, das beklagte Land weiter zu verurteilen, an ihn 974,28 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit aus 645,84 DM zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, auch im übrigen die Klage abzuweisen. Die 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) hat nach Beweisaufnahme nach Maßgabe des Beweisbeschlusses vom 17. November 1995 durch Vernehmung des Kinderarztes …. das beklagte Land mit Schlußurteil vom 31. Mai 1996 verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 1 600,00 DM sowie weitere 645,84 DM, jeweils nebst 4 % Zinsen hieraus seit 19. Mai 1993 zu zahlen und im übrigen die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Schlußurteils Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 7. Juni 1996 zugestellte Urteil hat das beklagte Land mit am 1. Juli 1996 eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Berufung eingelegt, die es innerhalb gewährter Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 1. Oktober 1996, eingegangen am 4. November 1996, begründet hat.

Das beklagte Land bekämpft das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Berufungsbegründung und macht insbesondere geltend, bei dem zur Schädigung des Klägers führenden Ereignis habe es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 548 RVO gehandelt. Schadensersatzansprüche seien daher ebenso wie ein Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen. Vorsätzliches Handeln des Beklagten zu 1) habe das Landgericht im rechtskräftigen Teilurteil zu Recht verneint, weshalb der nur im Falle vorsätzlicher Herbeiführung eines Arbeitsunfalles ausnahmsweise bestehende Anspruch nicht gegeben sei.

Das beklagte Land beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil als richtig und meint, von einem Unfallereignis im Sinne der RVO könne vorliegend nicht gesprochen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vortrag der Parteien wird auf den Inhalt der im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Berufung des beklagten Landes ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Soweit in der Berufungsschrift auch die – frühere – Klägerin zu 2) als Berufungsbeklagte bezeichnet worden ist, hat das beklagte Land noch innerhalb der Berufungsfrist klargestellt, daß das Rechtsmittel nur gegen den Kläger zu 1) gerichtet sein soll.

Die Berufung des beklagten Landes ist indes nicht begründet. Das Landgericht hat das Land zu Recht verurteilt, an den Kläger 1.600,00 DM als angemessenes Schmerzensgeld sowie weitere 645,84 DM als Schadensersatz, jeweils nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen. Der Kläger hat nach Art. 34 GG i.V.m. §§ 839 Abs. 1, 847 BGB Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz.

1. a) Der beamtete und zunächst ebenfalls beklagte Lehrer … hat fahrlässig eine ihm gegenüber dem Kläger obliegenden Amtspflicht verletzt, in dem er einen für den Kläger bestimmten und diesen verhöhnenden Brief zweier Mitschülerinnen in der Klasse verlesen hat.

Jeder hoheitlich handelnde Beamte ist verpflichtet, sich bei der Amtsausübung aller Eingriffe in fremde Rechte zu enthalten, die eine unerlaubte Handlung im Sinne des bürgerlichen Rechts, so auch des § 823 Abs. 1 BGB darstellen. Ein Beamter, der in Ausübung seines öffentlichen Amtes in diesem Sinne eine unerlaubte Handlung begeht, verletzt dadurch zugleich eine ihm dem Träger des Rechts oder Rechtsguts gegenüber obliegende Amtspflicht. Zu den gemäß § 823 Abs. 1 BGB geschützten sonstigen Rechten zählt auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (ständige Rechtsprechung des BGH: vgl. BGHZ 69, 128, 138; BGH NJW 1981, 675, 676 und BGH NJW 1994, 1950, 1951).

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Die Fürsorge – und Obhutspflicht eines Lehrers gegenüber Schülern geht über die allgemeine Amtspflicht eines Beamten hinaus. Dadurch, daß die Schüler verpflichtet sind, die Schule zu besuchen, resultiert für Lehrer während der Schulzeit die Amtspflicht, die Schulkinder vor Schäden an Gesundheit und Vermögen wie auch vor Verletzung anderer grundrechtlich geschützter Güter zu schützen. Sie dürfen weder selbst grundrechtsverletzende Handlungen vornehmen noch solche dulden. Deshalb darf der Lehrer auch nicht dazu beitragen, daß das Persönlichkeitsrecht eines Schülers dadurch verletzt wird, daß gegen einen einzelnen Schüler gerichtete ehrverletzende Äußerungen verbreitet werden. Diese Amtspflicht dient dem Schutz der Grundrechte der Schüler, da sie sich während der Schulzeit in der Obhut der Schule befinden. Sie besteht also gerade den Schülern gegenüber.

b) Der ursprünglich mitbeklagte Lehrer hat diese Amtspflicht fahrlässig verletzt, da er hätte erkennen müssen, daß er einen für ihn nicht bestimmten Brief mit verhöhnendem Inhalt für den Adressaten in der Klasse nicht hätte verlesen und den Adressaten damit dem Spott der Klasse preisgeben dürfen. Es kann dagegen aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht angenommen werden, daß der frühere Beklagte zu 1) sich darüber hinaus der Pflichtwidrigkeit bewußt war oder im Augenblick des Handelns ein Verstoß gegen eine Amtspflicht einkalkuliert und gleichwohl gehandelt hätte. Vielmehr handelt es sich nach allem um eine spontane pädagogische Fehlleistung, die der Lehrer selbst rückblickend als „Eselei“ bezeichnet hat.

c) Durch diese rechtswidrige und schuldhafte Amtspflichtverletzung ist das Persönlichkeitsrecht des Kindes erheblich verletzt worden. Soweit der Kläger geltend macht, daß durch diese Amtspflichtverletzung auch ein Personenschaden in Form von körperlichen Auswirkungen entstanden ist, kann dieser zwar wegen der Haftungsprivilegierung des beklagten Landes nach § 639 Abs. 1 RVO ein Schmerzensgeldanspruch nicht begründen (dazu unten aa). Auch weitergehende Schadensersatzansprüche sind, soweit sie auf Körper- und Gesundheitsschäden gegründet sind, ausgeschlossen. Es bleibt jedoch ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen der vom Kläger zu 1) ebenfalls geltend gemachten Persönlichkeitsverletzung (dazu unten bb). Dabei kann für die Entscheidung des Senats offenbleiben, ob neben der Ehrverletzung auch eine Verletzung des Briefgeheimnisses vorlag.

aa) Obwohl eine fahrlässige Amtspflichtsverletzung des früheren Beklagten zu 1) vorliegt, ist der nach Art. 34 GG auf das Land als Anstellungskörperschaft übergeleitete Anspruch dann nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, wenn die anderweitige Ersatzmöglichkeit der Unfallversicherung zum Tragen kommt. Soweit also die Unfallversicherung einzutreten hat, kommt dem Land die Haftungsprivilegierung des § 636 Abs. 1 RVO mit der Konsequenz zugute, daß wegen der anderweitigen Ersatzmöglichkeit die Amtshaftung entfällt. Denn das Verhältnis der Haftungssysteme ist gesetzgeberisch in der Weise geregelt, daß die Staatshaftung gegenüber der Kollektivhaftung der gesetzlichen Unfallversicherung subsidiär ist. Die Haftungsablösung durch die §§ 636 ff. RVO beruht auf dem Gedanken der Ersetzung der Individualhaftung des Schädigers durch die Kollektivhaftung der Unfallversicherung. Ihr liegt ein gesetzgeberisch ausbalanciertes Verhältnis von Vor- und Nachteilen für unfallbedingte Körper- und Gesundheitsverletzungen zugrunde. Die Vorteile der Haftungsprivilegierung sind darin begründet, daß der Geschädigte von der Erbringung eines Verschuldens- und Schadensnachweises befreit und auch mit dem Mitverschuldensvorwurf nicht belastet ist. Er genießt damit den „Vorteil einer institutionalisierten Erfassung und Regulierung des Versicherungsfalles“ (so der BGH in NJW 1986, 1938). Nachteilig ist demgegenüber für den Geschädigten, daß er auf Schmerzensgeld wegen unfallbedingt ausgelösten Körper- und Gesundheitsverletzungen verzichten muß und auch über die Versicherungsleistung hinaus Schadensersatz nicht beanspruchen kann. Diese nachteilige Konsequenz tritt nach § 636 Abs. 1 RVO nur dann nicht ein, wenn der Schädiger den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß der Vorsatz das Bewußtsein umschließen, daß der Schaden eintreten kann (vgl. BGHZ, 34, 375; Wagner, Der Arbeitsunfall, § 636 RVO Rdnr. 10; Schnitzerling, Aktuelle Rechtsprechung zur Haftung der Erzieher, Lehrer und Schüler im Rahmen der gesetzlichen Schülerunfallversicherung, RiA 1980, 114, 118). Vorsätzliches Handeln kann dem früheren Beklagten zu 1) indes – wie vorstehend bereits ausgeführt – nicht angelastet werden. Soweit der Kläger daher wegen der erlittenen körperlichen Auswirkungen Schmerzensgeld geltend macht, ist sein Anspruch wegen der Haftungsprivilegierung des Landes nach § 636 RVO ausgeschlossen. Denn die erlittenen Körper- und Gesundheitsverletzungen sind Schäden, die durch die Unfallversicherung abgedeckt werden. Die auf die Arbeitswelt zugeschnittene Vorschrift des § 636 RVO muß auf den Schulbereich sinngemäß zur Anwendung gebracht werden. Dies hat zur Folge, daß es sich bei dem durch ein pädagogisches Versagen ausgelösten Personenschaden um einen Unfall im Sinne des § 548 RVO handelt. Inhaltlich ist der vom Gesetzgeber nicht definierte Unfallbegriff von Rechtsprechung und Lehre ausgeformt worden. Danach handelt es sich bei einem von außen auf den Körper einwirkenden plötzlichen Ereignis, durch das der Betroffene in seiner körperlichen oder geistigen Gesundheit geschädigt wird, um einen Unfall im Sinne des Unfallversicherungsrechts der RVO. Durch welche Art von äußerer Einwirkung der Gesundheits- bzw. Körperschaden ausgelöst wird, ist danach unerheblich. Deshalb ist es konsequent, wenn auch Beleidigungen und Beschimpfungen als Unfallursachen angesehen werden, sofern sie bei dem Versicherten einen seelischen Schock und als Folge dessen einen Gesundheitsschaden ausgelöst haben (so ausdrücklich Etmer, RVO Band 3, Unfallversicherung, Stand 1989, § 548 Rdnr. 3; vgl. auch BVerwG NJW 1970, 1247). Unter „plötzlich“ im Sinne der Definition des Unfallbegriffs ist jedes zeitlich begrenzte Ereignis zu verstehen. Hierzu genügt auch ein Ereignis innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums (vgl. Aulmann, Unfallversicherung, Lexikon des Rechts, Band 4, 11/550, Stand Mai 1993 m.w.N.).

Das Bundesverfassungsgericht hat die negativen Folgen der Haftungsprivilegierung, insbesondere die Folge, daß damit auch Schmerzensgeldansprüche und weitergehende von der Unfallversicherung nicht gedeckte Schadensersatzansprüche, soweit sie sich auf Körper- und Gesundheitsverletzungen beziehen, ausgeschlossen sind, als mit der Verfassung vereinbar angesehen (vgl. BVerfG NJW 1995, 1607 und BVerfG NJW 1973, 502).

bb) Der Schmerzensgeldanspruch aus Anlaß einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts wird indes von der Haftungsprivilegierung der RVO nicht erfaßt. Denn auf die Haftung wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist die Kollektivhaftung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zugeschnitten. Bei der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Verlesen eines an den Geschädigten gerichteten ehrverletzenden Briefes vor einer breiten Öffentlichkeit handelt es sich um eine Rechtsgutverletzung, die durch die Unfallversicherung nicht abgedeckt ist. In seinem Beschluß vom 7. November 1992 (BVerfG NJW 1973, 502, 504) hat das Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck gebracht, daß sich die Rechtfertigung der Haftungsprivilegierung nach § 636 RVO nur auf die Besonderheiten bei Körper- und Gesundheitsverletzungen beziehe. Soweit die Rechtsprechung bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Schmerzensgeldanspruch aus Art. 1 und 2 GG herleitet, hat das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung mit der Erwägung gebilligt, daß bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Schadensfolgen in erster Linie auf immateriellem Gebiet liegen und der Schutz dieses Rechts ohne Anspruch auf Geldersatz weitgehend unwirksam wäre, weil auf das wirksamste und oft einzige Mittel verzichtet würde, das geeignet sei, die Respektierung des Persönlichkeitsrechts des einzelnen zu sichern. Im Anschluß an diese Rechtsprechung bleibt daher der Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts von dem Haftungsprivileg des § 636 RVO unberührt.

c) Auch die weitere Voraussetzung für die Gewährung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist im vorliegenden Streitfalle erfüllt. Eine Geldentschädigung ist zwar nur dann zu gewähren, wenn es sich um eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung handelt und die erlittene Beeinträchtigung auf andere Weise nicht befriedigend ausgeglichen werden kann (BGH NJW 1981, 676 und BGH NJW 1994, 1950, 1952). Eine solche schwerwiegende und nicht anderweitig kompensationsfähige Persönlichkeitsverletzung liegt hier vor.

Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also von dem Ausmaß der Verbreitung der rechtswidrig verursachten Veröffentlichung, der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen – und Rufschädigung des Handelnden sowie von dem Grad des Verschuldens des Schädigers ab (BGH NJw 1994, aaO). Nach den glaubhaften Bekundungen des Kinderarztes … hat sich der Kläger zu 1) dadurch, daß ihn die Klasse ausgelacht habe, weil der Klassenlehrer einen Brief gezeigt habe und in diesem Zusammenhang das Wort „dumm“ oder ein ähnlicher Ausdruck gefallen sei, sehr gekränkt gefühlt. Daß der Vorfall auf den damals 9 Jahre alten Kläger eine länger anhaltende tiefgreifende frustrierende Auswirkung hatte, hat der Zeuge … gleichfalls überzeugend bekundet. Da für ein Kind der Klassenverband eine Öffentlichkeit darstellt, vor der es bestehen möchte, liegt es auf der Hand, daß die Kundgabe eines verhöhnenden Briefes vor der Klasse mit einer für das Kind schwerwiegenden Breitenwirkung verbunden ist. Wenn zudem der Lehrer als aus der Sicht des minderjährigen Kindes „übergeordnete Autorität“ das Kind dem Hohn und Spott der Klasse aussetzt, führt dies zu einer persönlichkeitsverletzten Ausgrenzung aus dem Klassenverband, die schwer wiegt.

Soweit das beklagte Land die Ansicht geäußert hat, die Bekundungen des Zeugen … seien nicht verwertbar-, vermag dem der Senat nicht beizupflichten. Der Zeuge hat in erster Linie nur Tatsachen bekundet, die er infolge seiner Sachkunde als Kinderarzt wahrgenommen hat. Für die Beurteilung der für den Senat allein in Rede stehenden Persönlichkeitsrechtsverletzung kommt es im übrigen auf ärztliche Sachkunde nicht in dem selben Maße an, wie wenn körperliche Auswirkungen zu beurteilen wären. Denn daß eine Persönlichkeitsverletzung gegeben ist und sich der Kläger in seiner Ehre nach dem vom Beklagten zu 1) zugestandenen Sachverhalt zutiefst verletzt fühlen konnte, ist nicht zweifelhaft. Und daß er nach dem Hohn und Spott, dem er ausgesetzt war, Angst vor dem Gang in den Klassenverband hatte, ist ebenfalls naheliegend. Durch die von dem Zeugen wiedergegebenen Äußerungen des Kindes und die Beobachtungen des Zeugen sind die weitreichenden psychischen Wirkungen der Ehrverletzung zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Darauf, ob die körperlichen Auswirkungen und die Depressionen des Kindes auch noch auf andere Ursachen zurückzuführen sein können, kommt es nicht an.

Wegen der schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung hat der Kläger zu 1) ein Genugtuungsbedürfnis. Zu berücksichtigen ist bei der Bemessung dieses Genugtuungsinteresses auch der

Umstand, daß der Kläger zu 1) um die Wiedergutmachung vor Gericht streiten mußte und seine Rechte erst nach Jahren durchsetzen kann, weil durch die späte Richtigstellung der Störungszustand für die Vergangenheit nicht mehr zu beseitigen ist (vgl. BGHZ 66, 182). Der zuerkannte Schmerzensgeldbetrag ist mit 1.600,00 DM auch allein unter dem Aspekt der Persönlichkeitsrechtsverletzung angemessen.

2. Der Kläger hat schließlich auch Anspruch auf Ersatz des Betrages von 645,84 DM für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Zusammenhang mit Fragen des Schulwechsels. Dieser Anspruch ist eine Schadensfolge der Persönlichkeitsrechtsverletzung, die dem beklagten Land unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung als adäquat-kausale Schadensfolge zuzurechnen ist. Angesichts der verfahrenen Situation war der Schulwechsel im Interesse des Klägers angezeigt, da mit einer kurzfristigen Rehabilitation und eine Bereinigung der für den Kläger entstandenen psychischen Zwangslage nicht zu rechnen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Den Wert der Beschwer des beklagten Landes hat der Senat gemäß 5 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt.


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