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Leinen- und Maulkorbzwang – Anordnung

VG BERLIN

Az.: VG 11 A 724.05

Beschluss vom 03.11.2005


In der Verwaltungsstreitsache hat die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin am 3. November 2005 beschlossen:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

Der am 20. September 2005 bei Gericht eingegangene, anwaltlich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Bezirksamts Reinickendorf von Berlin – Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsamt – vom 15. September 2005 wieder herzustellen, ist unbegründet.

Das öffentliche Interesse daran, durch die für sofort vollziehbar erklärte Anordnung eines Leinen- und Maulkorbzwanges sicherzustellen, dass von dem Hund der Antragstellerin einstweilen keine Gefahren für Dritte mehr ausgehen, überwiegt das Interesse der Antragstellerin, von den Wirkungen der angefochtenen Verfügung vorerst verschont zu bleiben.

Ob der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO begründet ist, hängt vom Ergebnis einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache ab. Er ist begründet, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache bei summarischer Prüfung erfolgreich sein wird oder wenn bei einem nach summarischer Prüfung voraussichtlich offenen Ausgang die Abwägung der gegensätzlichen Interessen ergibt, dass dem Interesse des Antragstellers für die Dauer des Hauptsacheverfahrens der Vorrang gebührt. Im vorliegenden Fall ist der Antrag unbegründet, denn der Widerspruch der Antragstellern wird nach dem derzeitigen Sachstand nach Auffassung der Kammer voraussichtlich keinen Erfolg haben, weil der angefochtene Bescheid vom 15. September 2005 bei summarischer Prüfung rechtmäßig ist. Im Übrigen würde dem Vollziehungsinteresse selbst bei offenen Erfolgsaussichten Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse gebühren.

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 10 Abs. 1 § i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über das Halten und Führen von Hunden in Berlin (HundeGBIn) vom 29. September 2004 (GVBl. S. 424). Eine „Kampfhundeverordnung“, wie sie die Antragstellerin bzw. ihr Bevollmächtigter anführt, gibt es in Berlin nicht (mehr).

Gemäß § 10 Abs. 1 HundeGBIn hat die zuständige Behörde bei Auffälligkeit eines Hundes durch aggressives Verhalten gegenüber Menschen oder Tieren im Sinne des § 4 Abs. 1 die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine weitere Gefährdung von Menschen und Tieren abzuwehren. Sie kann insbesondere eine Leinenpflicht und die Sicherstellung des Hundes anordnen, die Haltung von Hunden untersagen und die Tötung des Hundes anordnen.

Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 HundeGBIn gelten als gefährliche Hunde im Sinne dieses Gesetzes u.a. solche Hunde, die einen Menschen oder ein Tier durch Biss geschädigt haben, ohne selbst angegriffen oder dazu durch Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden zu sein, oder einen anderen Hund trotz dessen erkennbarer artüblicher Unterwerfungsgestik gebissen haben.

Der Labrador-Mischling „Timmy“ der Antragstellerin hat am 8. August 2005, als er vom Ehemann der Antragstellerin angeleint ausgeführt wurde, den im „Power-Walking-Schritt“ vorbeikommenden Zeugen B. in den Oberschenkel gebissen. Dies sieht die Kammer aufgrund des ärztlichen Attestes des Herrn … vom 15. August 2005 und aufgrund der Feststellungen der zum Tatort gerufenen Polizeibeamten im Tätigkeitsbericht vom 8. August 2005 als erwiesen an. In dem Tätigkeitsbericht der …, an dem zu zweifeln die Kammer derzeit keine Veranlassung sieht, heißt es u.a.:

„Durch den Bissvorfall wurde die Hose des Geschädigten leicht eingerissen, Herr. B. wies eine leichte Bisswunde sowie eine Rötung am Oberschenkel auf.“

Auch der Zeuge … bestätigt in seinem Tätigkeitsbericht eine Bisswunde am linken Oberschenkel des Geschädigten. Das ärztliche Attest steht hiermit im Einklang. Der Ehemann der Antragstellerin, der zu diesem Zeitpunkt am Tatort anwesend war, hat den Feststellungen durch die beiden Polizeibeamten offensichtlich nicht widersprochen. Vielmehr hat er gegenüber dem Beklagten schriftlich bestätigt, dass sich der Hund erschrocken habe, auf die Hinterbeine gegangen und es zu einer Berührung mit dem Geschädigten gekommen sei.

Vor diesem Hintergrund ist der jetzige Vortrag der Antragstellerin, ein Bissvorfall sei nicht belegt, insbesondere sei das erst eine Woche später ausgestellte ärztliche Attest als Beweis ungeeignet, nach Auffassung der Kammer als substanzlose Schutzbehauptung anzusehen.

Aufgrund der übereinstimmenden Schilderungen des Geschädigten B. und des Ehemannes der Antragstellerin ist zur Überzeugung der Kammer davon auszugehen, dass der Geschädigte den Hund nicht im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 HundeGBIn provoziert hat. Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes ist es hierzu nicht ausreichend, dass ein Hund – möglicherweise aufgrund einer im öffentlichen Straßenverkehr nicht ungewöhnlichen Bewegung eines vorbeilaufenden Passanten – einen Schreck bekommen hat und meint, angegriffen zu werden. Nach der Vorschrift kann ein Bissvorfall nur dann als „gerechtfertigt“ und im Sinne des HundeGBIn unerheblich angesehen werden, wenn er durch einen Angriff, Schläge oder in ähnlicher Weise provoziert worden ist. D.h. es sollen solche Verhaltensweisen ausgenommen werden, die sich unter Berücksichtigung der Gesamtsituation als artgerechtes Verteidigungsverhalten auf einen tatsächlichen körperlichen Angriff oder eine einem solchen Angriff gleichwertige Provokation darstellen. Ein im öffentlichen Straßenverkehr übliches Verhalten Dritter (z.B. Radfahren, Joggen usw.) weist nicht die Qualität eines solchen Angriffs auf. Vielmehr ist es aus Gründen der Gefahrenabwehr unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des HundeGBIn geboten, dass ein Hund, der in der Öffentlichkeit ausgeführt wird, mit solchen Situationen sicher umgehen kann und sie auch nicht subjektiv als Angriff empfindet. Ein Hund, der sich durch ein solches, im öffentlichen Verkehr ständig zu erwartendes Verhalten Dritter angegriffen fühlt und hierauf durch Beißen reagiert, ist gefährlich im Sinne des § 4 Abs. 1 HundeGBIn.

Es spielt hierbei keine Rolle, dass es sich offenbar um einen einmaligen Vorfall handelt, denn anders, als z.B. im Falle der bloßen Gefährdung bzw. des gefahrdrohenden Anspringens (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 HundeGBIn) genügt nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 HundeGBIn bereits ein einmaliger Bissvorfall.

Damit handelt es sich bei dem Hund der Antragstellerin nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung um einen gefährlichen Hund im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 HundeGBIn, mit der Folge dass für das Tier gemäß § 6 Abs. 2 und 3 HundeGBIn – kraft Gesetzes – ein genereller Leinen- und Maulkorbzwang gilt. Der Behörde steht bei dieser Sachlage hinsichtlich ihres Einschreitens ein Ermessen nicht zu („… hat die zuständige Behörde…“). Die von ihr ergriffene Maßnahme, die ohnehin nur die sich bereits aus § 6 Abs. 3 und 3 HundeGBIn ergebenden Folgen wiedergibt, lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Insbesondere ist ein milderes Mittel gegenwärtig nicht ersichtlich. So wäre ein bloßer Leinenzwang hier untunlich gewesen, da der Hund zum Zeitpunkt des Bissvorfalls bereits an der kurzen Leine ausgeführt wurde und selbst dies den Vorfall nicht verhindern konnte.

Das Gericht weist in diesem Zusammenhang zur Vermeidung künftigen Streits allerdings auf Folgendes hin:

Der Antragsgegner wird aus Gründen der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zu prüfen haben ob bzw. inwieweit eine räumliche und zeitliche Beschränkung des Leinen- und Maulkorbzwanges in Betracht kommt. So wird zum einen zu prüfen sein, ob die angeordnete Maßnahme auch für die ausgewiesenen Hundeauslaufgebiete gelten muss. Zum anderen könnte sich eine zeitlich unbefristete Anordnung auf Dauer als unverhältnismäßig erweisen, da es sich hierbei zum einen um einen vergleichsweise schwerwiegenden Eingriff in das Wohl des Hundes handelt und zum anderen nicht auszuschließen ist, dass sich das Verhalten des Tieres noch ändert und somit die Voraussetzungen für den Leinen- und Maulkorbzwang wieder entfallen. Insoweit wird die erneute Begutachtung des Hundes durch den Amtstierarzt ebenso in Betracht zu ziehen sein, wie die Auflage, mit dem Tier eine Hundeschule zu besuchen, um ihm solche Verhaltensweisen, wie es sie im vorliegenden Fall gezeigt hat, abzutrainieren.

Es besteht vorliegend auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung. Denn im Falle einer Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben anderer Menschen oder Tiere überwiegt aufgrund des überragend hohen Stellenwertes dieser Rechtsgüter grundsätzlich das Vollziehungsinteresse. Im Falle eines begründeten Gefahrenverdachts darf nicht erst der Ausgang des u.U. langwierigen Hauptsacheverfahrens abgewartet und währenddessen die potentielle weitere Gefährdung dieser Rechtsgüter in Kauf genommen werden. Die für das Tier und seinen Halter mit dem Leinen und Maulkorbzwang verbundenen Beeinträchtigungen haben demgegenüber bei weitem geringeres Gewicht.

Die Kammer weist vorsorglich darauf hin, dass der Antrag aus diesem Grunde selbst dann unbegründet wäre, wenn man den Ausgang des Hauptsacheverfahrens entgegen den obigen Ausführungen gegenwärtig noch als offen ansehen wollte.

Der Beklagte hat das öffentliche Vollziehungsinteresse in dem angefochtenen Bescheid auch zutreffend begründet (vgl. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 39 ff., 52 f. GKG (n.F.).

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