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Leistungsfreiheit des Versicherers – Aufklärungsobliegenheit

Bundesgerichtshof

Az: IV ZR 332/05

Urteil vom 11.07.2007


Leitsatz:

Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit kommt nicht in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer bei der Schadensanzeige einen Umstand verschweigt, den der Versicherer bereits positiv kennt.

Hat der Versicherer einen Vorschaden im Rahmen eines laufenden, auch für die neue Schadensmeldung maßgeblichen Versicherungsvertrages über einen bestimmten versicherten Gegenstand selbst reguliert, so kennt er diesen Vorschaden in seinen Einzelheiten (Fortführung des Senatsurteils vom 26. Januar 2005 – IV ZR 239/03 – VersR 2005, 493 unter 2 a; Abgrenzung zu Senatsurteil vom 17. Januar 2007 – IV ZR 106/06 – VersR 2007, 481).


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2007 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin vom 6. Januar 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger fordert vom beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz wegen schuldhafter Versäumnis der Frist des § 12 Abs. 3 VVG bei Erhebung einer Klage auf Versicherungsleistungen nach einem behaupteten Kfz-Diebstahl.

Für seinen erstmals am 20. Juli 1998 zugelassenen Pkw BMW 525 TDS hielt der Kläger eine Kfz-Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung bei der O. AG. Am 21. September 1999 erlitt das Fahrzeug einen Unfallschaden, für dessen Reparatur der Versicherer aus der Vollkaskoversicherung 7.835,18 DM leistete.

Im Juni 2000 zeigte der Kläger dem Versicherer an, das Fahrzeug sei ihm am 2. Juni 2000 in P. gestohlen worden. Ein Trickdieb habe den Fahrzeugschlüssel an sich genommen, der während eines durch Reifenschaden erzwungenen Radwechsels im Kofferraumschloss gesteckt habe, und sei, als der Kläger gerade das ausgewechselte Rad in den Kofferraum habe legen wollen, unter Benutzung des Schlüssels plötzlich davongefahren.

In den ihm daraufhin übersandten Fragebogen zur Schadensmeldung trug der Kläger zu der Frage nach Zeitpunkt und Umfang von Schäden von der Erstzulassung bis zur Entwendung (reparierte und unreparierte) die Antwort „keine“ ein. Der Versicherer lehnte Versicherungsleistungen wegen Verschweigens des Vorschadens und auch deshalb ab, weil der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Das Ablehnungsschreiben ging dem Kläger am 30. Mai 2001 zu. Am 15. November 2001 reichte der vom Kläger beauftragte Beklagte beim Landgericht Klage auf Versicherungsleistungen in Höhe von 18.657,26 EUR ein. Die Klage wurde abgewiesen, weil der Anfang Dezember beim Kläger eingeforderte Gerichtskostenvorschuss erst am 13. März 2002 eingezahlt, die Klage deshalb nicht mehr „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO zugestellt worden und die Frist des § 12 Abs. 3 VVG damit nicht gewahrt war.

Wegen der genannten Klagforderung, ferner wegen der ihm im Vorprozess entstandenen Kosten in Höhe von 3.653,24 EUR nimmt der Kläger den Beklagten in Regress. Er meint, der Beklagte habe nicht ausreichend darauf geachtet, dass der Gerichtskostenvorschuss rechtzeitig eingezahlt und die Klage rechtzeitig zugestellt wurde.

Der Beklagte hat eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Klagezustellung in Abrede gestellt. Unter anderem sei er davon überrascht worden, dass die Anforderung des Gebührenvorschusses, nach der er sich unstreitig zweimal telefonisch beim Landgericht erkundigt hatte, nicht unmittelbar an ihn, sondern an den Kläger persönlich übermittelt worden sei. Im Übrigen sei dem Kläger auch kein Schaden entstanden, weil der Versicherer infolge der falschen Angaben des Klägers zu dem Vorschaden und auch wegen dessen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei gewesen sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I. Das Berufungsgericht meint, dem Kläger sei schon deshalb kein Schaden entstanden, weil der Kaskoversicherer nach § 6 Abs. 3 VVG in Verbindung mit § 7 Nr. 5 Abs. 4 der hier maßgeblichen AKB leistungsfrei geworden sei, nachdem der Kläger den Vorschaden vom 21. September 1999 verschwiegen habe. Die gesetzliche Vermutung, dass die Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich verletzt sei, habe der Kläger nicht widerlegt. Auch die nach der Relevanzrechtsprechung geforderten weiteren Voraussetzungen der Leistungsfreiheit seien erfüllt. Das Verschweigen des Vorschadens sei generell geeignet gewesen, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Daran ändere sich nichts dadurch, dass die Datenverwaltung des Versicherers so eingerichtet gewesen sei, dass bei Aufruf der für die Bearbeitung eines Schadens erforderlichen Schadenshauptmaske dem Sachbearbeiter automatisch die Zahl der Vorschäden eines versicherten Fahrzeugs angezeigt werde. Denn das entbinde den Versicherungsnehmer nicht von seiner Obliegenheit, bei der Schadensanzeige zutreffende Angaben zu machen. Gerade in Entwendungsfällen sei der Versicherer in besonderem Maße auf zutreffende Angaben des Versicherungsnehmers zum Wert des Fahrzeugs angewiesen, weil dieses regelmäßig nicht für eine Begutachtung zur Verfügung stehe. Dass eine generelle Weisung an die Sachbearbeiter des Versicherers ergangen sei, bei der Schadensbearbeitung vorhandene Datenbestände auf verzeichnete Vorschäden zu überprüfen, habe der Kläger nicht behauptet. Der Versicherer müsse sich nicht darauf verweisen lassen, notwendige Erkenntnisse über Vorschäden aus archivierten Unterlagen oder Datenbankbeständen zu ermitteln.

Das Verschulden des Klägers sei auch ungeachtet einer späteren Korrektur seiner Angaben erheblich, denn diese Korrektur sei erst aufgrund eines Schreibens des Versicherers vom 21. Oktober 2000 und mithin nicht spontan, aus eigenem Antrieb und freiwillig erfolgt. Auch die dem Kläger erteilte Belehrung über die Rechtsfolgen einer vorsätzlichen folgenlosen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit genüge in Form und Inhalt den Anforderungen der Rechtsprechung.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, das Verschweigen des vom Kaskoversicherer selbst regulierten Vorschadens in der Schadensmeldung führe zur Leistungsfreiheit des Versicherers.

a) Der Senat hat bereits entschieden, dass Leistungsfreiheit des Versicherers wegen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit nicht in Betracht kommt, wenn der Versicherungsnehmer bei der Schadensanzeige einen Umstand verschweigt, den der Versicherer bereits positiv kennt (Senatsurteil vom 26. Januar 2005 – IV ZR 239/03 – VersR 2005, 493 unter II 2 a). Denn Aufklärungsobliegenheiten – wie hier nach § 7 Nr. 5 Abs. 4 der AKB – dienen dem Zweck, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entschlüsse zu fassen. Fehlt das entsprechende Aufklärungsbedürfnis, weil der Versicherer einen maßgeblichen Umstand bereits kennt, so verletzen unzulängliche Angaben des Versicherungsnehmers über diesen Umstand keine schutzwürdigen Interessen des Versicherers und können deshalb die Sanktion der Leistungsfreiheit des Versicherers nicht rechtfertigen.

b) Hat – wie hier – der Versicherer einen Vorschaden im Rahmen eines laufenden, auch für die neue Schadensmeldung maßgeblichen Versicherungsvertrages über einen bestimmten versicherten Gegenstand selbst reguliert, so kennt er diesen Vorschaden in seinen Einzelheiten. Denn diese Kenntnis ist bei seinem mit der Schadensregulierung befassten Sachbearbeiter – und mithin beim Versicherer selbst – angefallen, und es bleibt im Weiteren allein eine Frage seiner innerbetrieblichen Organisation, wie er dieses Wissen auch anderen Sachbearbeitern zugänglich macht.

2. Das unterscheidet den Fall von anderen Fällen, in denen sich der Versicherungsnehmer lediglich darauf beruft, der Versicherer habe den von ihm verschwiegenen Sachverhalt zunächst zwar nicht positiv gekannt, jedoch entweder auf anderem Wege noch rechtzeitig erfahren oder sich die erforderlichen Kenntnisse jedenfalls anderweitig – etwa durch eine Dateiabfrage – verschaffen können (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Januar 2007 – IV ZR 106/06 – VersR 2007, 481; r+s 2007, 147 Tz. 15 f.). Den Versicherungsnehmer, der im Rahmen seiner Aufklärungsobliegenheit grundsätzlich verpflichtet ist, alles zu tun, was zur Sachaufklärung und zur Schadensminderung dienlich ist, entlastet es in solchen Fällen regelmäßig nicht, wenn sich für den Versicherer lediglich anderweitige Erkenntnismöglichkeiten ergeben. Denn diese lassen – anders als ein bereits sicher erworbenes Wissen – das Aufklärungsinteresse des Versicherers noch nicht entfallen (Senatsurteil vom 17. Januar 2007 aaO).

3. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung, sowohl zur Frage der anwaltlichen Pflichtverletzung wie auch der grobfahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles.

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