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Luftbeförderungsvertrag – Wirksamkeit einer Klausel über die Fälligkeit des Flugpreises

LG Berlin –  Az.: 52 O 175/13 – Urteil vom 06.02.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Vorstand, zu unterlassen, in Bezug auf Flugbeförderungsverträge, die mit Verbrauchern geschlossen werden, die nachfolgende oder eine inhaltsgleiche Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingungen einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen nach dem 1. April 1977, zu berufen:

[3. Preise / Preisanpassungsvorbehalt]

[…] Die Zahlung ist bei Buchung fällig. […]

2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.08.2013 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung hinsichtlich des Unterlassungsanspruches durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Im übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Luftbeförderungsvertrag - Wirksamkeit einer Klausel über die Fälligkeit des Flugpreises
Symbolfoto: Von TravnikovStudio /Shutterstock.com

Der Kläger macht die Unzulässigkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten geltend.

Der Vereinszweck des Klägers ist es, für Verbraucherinteressen einzutreten und insbesondere Rechte der Verbraucher/innen durch Einleitung gerichtlicher Maßnahmen wahrzunehmen. Er ist in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.

Die Beklagte bietet Verbrauchern Flugbeförderungsdienstleistungen an. Für die entsprechenden Verträge verwendet die Beklagte die als Anlage K 1 vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Diesen entstammt auch die angegriffene Klausel:

[3. Preise / Preisanpassungsvorbehalt]

[…] Die Zahlung ist bei Buchung fällig. […]

Die von der Beklagten angebotenen Flüge werden vielfach über das Internet angeboten und sind bis zu ein Jahr im Voraus buchbar.

Der Kläger mahnte die Beklagte am 17.5.2013 erfolglos ab (K 2).

Für diese Abmahnung verlangt er eine Kostenpauschale von 250,00 € brutto.

Der Kläger ist der Auffassung, diese Klausel verstoße gegen §§ 307Abs.1, Abs.2 Nr. 1 i.V.m. §§ 641Abs.1, 646 BGB, und ihre Verwendung sei gem. § 1 UKlaG zu unterlassen.

Durch die Klausel werde das Leistungsverweigerungsrecht des Verbrauchers ausgehöhlt und das Insolvenzrisiko auf den Verbraucher verlagert. Darin liege eine unangemessene Benachteiligung der Fluggäste. Die Forderung einer Vorauszahlung oft mehrere Monate vor dem Flugdatum lasse sich nicht dadurch rechtfertigen, dass die Fluggesellschaften sehr hohe Fixkosten und erhebliche Vorleistungen zu erbringen haben. Dem Interesse der Fluggesellschaften, diese Kosten dadurch abzusichern, dass sie möglichst frühzeitig den Reisepreis erhalten, stünden berechtigte Interessen der Verbraucher gegenüber, nämlich im Falle der Insolvenz nicht den Totalverlust zu riskieren, ein Zurückbehaltungsrecht für den Fall zu haben, dass die Fluggesellschaft aus anderen Gründen die Leistung erheblich ändert oder nicht erbringt, sowie der Zinsverlust durch den Entzug von Liquidität.

Der Kläger behauptet, der Anteil der Kosten, die nur anfallen, wenn der Fluggast den Flug auch tatsächlich antritt, und folglich bei Stornierung erstattet werden, nämlich insbesondere die Luftverkehrssteuer, die Flughafengebühren, die sogenannten „security charges”, der Kerosinzuschlag und die „YQ Airline Surcharges”, variierten stark je nach Flugstrecke und betrügen beispielhaft zwischen 20 % und 42 % des Flugpreises.

Der Kläger beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken am Vorstand, zu unterlassen, in Bezug auf Flugbeförderungsverträge, die mit Verbrauchern geschlossen werden, die nachfolgende oder eine inhaltsgleiche Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingungen einzubeziehen, sowie sich auf die Bestimmungen bei der Abwicklung derartiger Verträge, geschlossen nach dem 1. April 1977, zu berufen:

[3. Preise / Preisanpassungsvorbehalt]

[…] Die Zahlung ist bei Buchung fällig. […]

II. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 250,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Klausel für wirksam, weil sie den Vertragspartner des Verwenders nicht entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Es handele sich bei dem Flugbeförderungsvertrag nicht um einen klassischen Werkvertrag, und auch nicht um einen Pauschalreisevertrag. Die Vorleistungspflicht des Kunden beim Beförderungsvertrag entspreche dem internationalen Verkehrsgebrauch und sei allein praktikabel. Sie entspreche dem wegen der aufwendigen und kostenintensiven Vorkehrungen, die die Fluggesellschaft zu treffen habe, sowie der langfristigen vertraglichen Verpflichtungen schützenswerten Interesse der Fluggesellschaft, vor Zahlungsausfällen der Fluggäste bewahrt zu werden. Demgegenüber sei der Passagier schon durch die Fluggastrechte-Verordnung bei Annullierungen, Nichtbeförderung und Verspätungen geschützt und brauche kein Zurückbehaltungsrecht als Druckmittel, das ihm im Ernstfall ohnehin nichts bringen würde, weil sich Annullierungen zumeist erst sehr kurzfristig ergäben. Im übrigen sei er nicht gezwungen früh zu buchen und profitiere von niedrigeren Preisen, die die Beklagte infolge der Vorleistungspflicht anbieten könne.

Ein konkrete Aussage zur Höhe der Entgelte, die bei Nichtantritt des Fluges an den Passagier erstattet werden, könne wegen der komplizierten Tarifstruktur der Beklagten nicht getroffen werden, und diese variierten je nach Strecke und Buchungszeit stark. Allgemein liege der Anteil der erstattbaren Kosten bei günstigen Flügen höher als bei teuren. In jedem Fall aber lägen sie nicht höher als der eigentliche, nicht erstattbare, Flugpreis.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nach §§ 1, 3 UKlaG zulässig. Der Kläger ist gemäß §§ 1, 2,3 Abs.1 Nr.1,4 UKlaG klagebefugt.

Die Klage ist auch begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten nach §§ 1, 4 UKlaG verlangen, die Verwendung der angegriffenen Klausel zu unterlassen.

Die angegriffene Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten verstößt gegen §§ 307 Abs. 1, 2 Nr.1 i.V.m. §§ 641Abs.1, 646 BGB, weil sie den Vertragspartner der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Sie ist mit wesentlichen Grundgedanken des Werkvertragsrechts nicht zu vereinbaren.

Die Überprüfung der Wirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung, die eine Vorleistungspflicht des Kunden begründet, richtet sich in aller Regel – so auch hier – nach den Maßgaben des § 307 BGB (BGH vom 4.3.2010, III ZR 79/09 = BGHZ 184, 345, zitiert nach juris, Rz. 12). Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind AGB-Klauseln unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach dem gesetzlichen Regelbeispiel des § 307 Abs.2 Nr.1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Dabei ist nicht jede, sondern nur die mit den wesentlichen Grundgedanken nicht zu vereinbarende Abweichung vom dispositiven Recht gemeint; erforderlich ist, dass in die rechtlich geschützten Interessen des Vertragspartners in nicht unerheblichem Maß eingegriffen wird (BT-Drucksache 14/1301 S. 45). Eine Abweichung vom so genannten gesetzlichen Leitbild bzw. einem im dispositiven Recht verankerten Gerechtigkeitsgebot ist zulässig, wenn gewichtige Gründe dafür gegeben sind (BGH NJW RR 1996, 1009; BGHZ 89, 206, 2011) und den berechtigten Interessen des Kunden hinreichend Rechnung getragen wird, insbesondere keine überwiegenden Belange des Kunden entgegenstehen (BGHZ 184, 345, a.a.O., m.w.N.).

Der Personenbeförderungsvertrag, also auch der Luftbeförderungsvertrag, wird allgemein als Werkvertrag angesehen, weil der geschuldete Erfolg, nämlich die Beförderung des Passagiers an den Zielort, und nicht die Erbringung einer Dienstleistung im Vordergrund steht (Palandt-Grüneberg, 71. Auflage, vor § 631 RN 17 a m.w.N.). Allerdings handelt es sich sicherlich um keinen „klassischen” Werkvertrag, wie er dem gesetzlichen Leitbild (Herstellung einer körperlichen Sache) entspricht; es werden jedoch mittlerweile viele Vertragstypen des modernen Lebens dem Werkvertrag zugeordnet. Der Luftbeförderungsvertrag wird darüber hinaus durch einige Sondervorschriften geprägt, insbesondere das Luftverkehrsgesetz und die FluggastrechteVO (vgl. hierzu Palandt a.a.O., RN 17 b), sodass das Werkvertragsrecht auf dem Gebiet des Beförderungsvertrages stark in den Hintergrund gedrängt worden ist (Münchner Kommentar-BGB-Busche, 5. Auflage, § 631 RN 249).

Nicht auf den Beförderungsvertrag, insbesondere Luftbeförderungsvertrag anwendbar sind die Vorschriften der §§ 651 a ff. BGB über den Pauschalreisevertrag. Beim Pauschalreisevertrag stellt der Unternehmer ein Bündel verschiedenartiger Leistungen zusammen, das in der Regel auch eine Beförderung, aber nicht nur diese enthält. Anders als der Luftbeförderer erbringt der Pauschalreiseveranstalter die Leistungen nicht selbst, sondern vermittelt Angebote von dritten Unternehmern an den Abnehmer. Anders als im Werkvertragsrecht erfolgt beim Pauschalreisevertrag eine Insolvenzabsicherung über den so genannten Sicherungsschein.

Der Werkvertrag sieht typischerweise eine Vorleistungspflicht des Werkunternehmers vor. Gezahlt werden muss erst nach Abnahme. Indem die hier angegriffene Klausel die Zahlungspflicht des Fluggastes auf den Zeitpunkt der Buchung vorverlegt, weicht sie von dieser gesetzlichen Regelung ab. Dabei legt der Kläger darauf Wert, dass er sich nicht grundsätzlich dagegen wehrt, dass der Flugpreis überhaupt vor der Durchführung des Fluges gezahlt werden soll, sondern dagegen, dass er schon bei Buchung, u.U. also bis zu ein Jahr vor der Leistungserbringung durch die Beklagte, gezahlt werden soll. Die Vorleistungspflicht des Werkunternehmers ist ein wesentlicher Grundgedanke des Werkvertragsrechts. Sie ist den meisten vom Werkvertragsrecht erfassten modernen Vertragstypen immanent. Selbst wenn man die Vorleistungspflicht des Werkunternehmers als nicht unumstößlich betrachten würde, so würde die Vereinbarung einer Vorleistungspflicht des Kunden jedenfalls von dem allgemeinen Leitbild der Zug – um – Zug – Leistung abweichen. Der BGH hat in BGHZ 184, 345, a.a.O., Rz. 13 für die bei einem Internet-Systemvertrag vereinbarte Vorleistungspflicht festgehalten, dass dies eine Abweichung nicht nur vom Zug – um -Zug – Prinzip sondern von der im Werkvertragsrecht bestehenden grundsätzlichen Vorleistungspflicht des Werkunternehmers darstellt. Hier kann nichts anderes gelten. Dem Argument der Beklagten, die Abweichungen des Beförderungsvertrages vom typischen Werkvertrag seien so stark, dass sich gar kein Leitbild mehr feststellen lasse, kann nicht gefolgt werden. Zentral ist das Schulden eines Erfolges. Dass keine körperliche Sache hergestellt wird und damit die Beklagte aus der Natur der Sache heraus nicht durch ein Unternehmerpfandrecht nach § 647 BGB geschützt ist, trifft auf viele moderne Vertragstypen (wie z.B. auch den vom BGH a.a.O. entschiedenen Internet-Systemvertrag) zu.

Die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild wird vorliegend nicht durch die Besonderheiten der Luftbeförderung gerechtfertigt. Die Vorverlegung der Zahlung des Reisepreises auf den Zeitpunkt der Buchung entspricht ohne Zweifel dem Interesse der Beklagten. Die Interessen der Fluggäste werden hingegen bei Verwendung der angegriffenen Klausel nicht angemessen berücksichtigt. Wie das Landgericht Frankfurt in seinem Urteil vom 8.1.2014 (Az. 2-24 O 151/13) zutreffend ausgeführt hat, mag es zwar sachlich gerechtfertigt sein, dass die Beklagte ihr Entgelt bereits vor Durchführung des Fluges erhält, allerdings ist die schon bei Buchung verlangte Zahlung des gesamten Flugpreises übermäßig hoch und belastet den Fluggast in unangemessener Weise. Die angegriffene Klausel ist auf Buchungen zu einem zeitlich nicht festgelegten Zeitpunkt vor Durchführung des Fluges anwendbar. Jedenfalls muss bei der Interessenabwägung der „Extremfall” zugrunde gelegt werden, wonach ein Flug, wie die Parteien unstreitig vortragen, bereits ein Jahr vor Flugantritt buchbar ist. Dem Interesse der Beklagten an ausreichender Planungssicherheit und Absicherung gegen Zahlungsunwilligkeit oder –unfähigkeit des Fluggastes könnte auch durch die Vereinbarung einer Anzahlung und einer Restzahlung in einem noch festzulegenden Abstand vor Antritt des Fluges genügt werden.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass es dem Fluggast natürlich freisteht, ob er früh buchen will oder nicht. Vielmehr ist es hier wie mittlerweile fast überall so, dass der Kunde wählen kann, ob er früh zu einem günstigen Preis bucht oder zu einem beliebigen Zeitpunkt später, wobei der Preis in der Regel steigt und er das Risiko läuft, dass der Flug ausgebucht ist. Da dies in der Tat häufig so ist und bei einer Reise zumeist noch andere Dispositionen getroffen werden müssen (Urlaubsanträge, Hotel- und Mietwagenbuchungen etc.), besteht die Freiheit des Kunden, mit der Buchung bis kurz vor Reiseantritt zu warten, zumeist nur auf dem Papier. Darüber hinaus hat er eben nicht die Freiheit, die sofortige Fälligkeit des Flugpreises bei frühzeitiger Buchung zu vermeiden.

Die Tatsache, dass die Beklagte wie alle Luftfahrtunternehmen sehr hoch in Vorleistung tritt, rechtfertigt es nicht, von den Fluggästen schon bei Buchung den vollen Flugpreis zu verlangen. Mit der Buchung ist die Fluggesellschaft verpflichtet, den Passagier wie gebucht auch zu befördern, falls sie dieser Verpflichtung nicht nachkommt, drohen von Gesetzes wegen erhebliche Sanktionen. Um dies zu gewährleisten, müsse die Fluggesellschaft, wie die Beklagte darlegt, stark in Vorleistung treten: Sie habe hohe Anschaffungs- und Bereitstellungskosten; die Gewinnmargen im Fluggeschäft seien niedrig (laut Beklagter 2,56 $ pro Ticket), ein Flug nur bei sehr hoher Auslastung rentabel; die Fluggesellschaft gehe langfristige vertragliche Verpflichtungen mit Flughäfen, Dienstleistern und Behörden ein, wie die Beantragung von Slots fast ein Dreivierteljahr vorher, Beantragung von Überflugrechten etc. Müsste der Passagier sein Ticket erst kurz vor Abflug bezahlen, könnte er sich bis zu diesem Zeitpunkt ohne finanzielle Folgen kurzfristig entschließen, den Flug nicht in Anspruch zu nehmen, ohne dass die Fluggesellschaft unter Umständen die Möglichkeit habe, den Platz noch zu verkaufen.

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Es wird auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt, dass die genannten Investitionen im Fluggeschäft besonders hoch sind. Andererseits gehören sie zum allgemeinen Geschäfts- und Investitionsrisiko, das typischerweise der Unternehmer trägt. Es ist nicht gerechtfertigt, dieses Risiko einseitig auf den Fluggast zu verlagern. Auch in anderen Branchen wie z.B. im Baugeschäft sind die Vorabinvestitionen des Unternehmers teilweise sehr hoch. Dort ist eine Absicherung durch Abschlagszahlungen üblich, allerdings nicht, ohne den Besteller durch Eigentumsvorbehalt oder Sicherheitsleistung abzusichern (vgl. § 632 a Satz 3 BGB). Vorliegend soll der Fluggast aber vorab den gesamten Flugpreis zahlen, ohne irgendeine Sicherheit zu erhalten.

Insbesondere ist es nicht gerechtfertigt, dass die Beklagte bereits bei Buchung den gesamten Flugpreis einschließlich der Kosten vereinnahmt, die bei Nichtantritt des Fluges nicht anfallen und an den Fluggast zurückgezahlt werden müssen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um die Luftverkehrssteuer, Flughafengebühren, den Kerosinzuschlag und weitere Gebühren. In welcher Höhe diese jeweils anfallen, ist zwischen den Parteien streitig und nicht einfach zu ermitteln, unstreitig variieren diese je nach Strecke und Tarif stark. Unabhängig von deren jeweiliger genauer Höhe im Einzelfall lässt sich jedoch feststellen, dass diese in der Höhe jedenfalls nicht ganz unbeträchtlich sind, auch wenn sie unstreitig in keinem Fall das Entgelt für den eigentlichen Flug übersteigen. Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, dass die Beklagte bereits bei der Buchung Zahlungen erhält, die gar nichts mit der Finanzierung des eigentlichen Fluges zu tun haben und folglich auch nicht die Vorabinvestitionen, die für die Durchführung des Fluges nötig sind, kompensieren können.

Dem Argument der Beklagten, sie trüge bis zur Zahlung des Flugpreises das volle Insolvenzrisiko des Passagiers, dessen Bonität sie wegen des Kontrahierungszwangs und der Anonymität des Verkaufsprozesses (fast ausschließlich über das Internet) nicht überprüfen könne, steht gegenüber, dass der Passagier wiederum ab dem Zeitpunkt seiner Zahlung das Risiko der Insolvenz der Fluggesellschaft trägt. Es ist nicht angemessen, dieses Risiko durch die Fälligstellung bei Buchung einseitig dem Fluggast aufzubürden. Das Argument, angesichts der hohen Investitionen sei es der Beklagten nicht zumutbar, die Zahlungsausfälle hinzunehmen, die dadurch entstünden, dass nicht geleistete Zahlungen wegen des Zeitablaufs erst nach Durchführung des Fluges durchgesetzt werden könnten, ist nicht überzeugend. Auf der anderen Seite hat der Fluggast im Falle der Insolvenz oder Zahlungsunwilligkeit der Beklagten ebenfalls unter Umständen große Schwierigkeiten, die Rückzahlung des im Einzelfall empfindlich hohen Flugpreises durchzusetzen. Die genannte Anonymität besteht so auch nicht. Der Fluggast muss bei der Buchung seinen Namen angeben. Damit ist es für die Fluggesellschaft durchaus möglich, ggf. mithilfe geeigneter Unternehmen die Bonität zu überprüfen. Dass sie dies häufig nicht tun wird, weil es sich um ein Massengeschäft handelt, ist eine unternehmerische Entscheidung und trifft auch auf andere Massengeschäfte zu. Wie aus der Presse bekannt ist, ist es auch für den Fluggast nicht immer einfach, die Bonität einer Fluggesellschaft im Vorhinein zuverlässig einzuschätzen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt die staatliche Aufsicht auch keine hinreichende Absicherung gegen das Risiko der Insolvenz der Fluggesellschaft dar. Die Beklagte wird wie alle Fluggesellschaften durch das Luftfahrtbundesamt überwacht. Nach der VO (EG) Nr. 1008/2008 über die Genehmigung von Luftfahrtunternehmen wird die Finanzlage der europäischen Fluggesellschaften durch die nationale Aufsichtsbehörde ständig überwacht. Kann z.B. ein Unternehmen nicht die nötige Liquidität zur Durchführung von Flügen nachweisen, so kann ihr hiernach vom Luftfahrtbundesamt die Betriebsgenehmigung entzogen werden. Eine staatliche Aufsicht stellt jedoch keine hinreichende Insolvenzabsicherung dar (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 29.5.1998, Az. 2 U 8/98). Auch wenn diese Aufsicht sicherlich eine gewisse Gewähr für die finanzielle Solidität der Fluggesellschaften darstellt, bedeutet sie keinen wirklichen Schutz vor Insolvenzrisiken (Gegenbeispiele in der Presse belegen dies). Im Falle der Insolvenz erstattet das Luftfahrtbundesamt den Flugpreis nicht.

Angesichts dessen ist auch die Tatsache nicht von entscheidendem Gewicht, dass der Fluggast sich die Fluggesellschaft, bei der er bucht, aussuchen kann, während die Fluggesellschaft grundsätzlich einem Kontrahierungszwang unterliegt. Zum einen besteht der Kontrahierungszwang nach § 21 Abs.2 Luftverkehrsgesetz im Falle der Unzumutbarkeit nicht. Zum anderen ist die Auswahl zwischen mehreren Flugunternehmen oft tatsächlich nicht gegeben, weil nur ein Unternehmen den gewünschten Flug zu der gewünschten Zeit anbietet.

Zu Unrecht verweist die Beklagte auf den Verkehrsgebrauch. Die Vorleistungspflicht des Kunden beim Beförderungsvertrag sei eine allgemeine, nationale, europäische und internationale Verkehrssitte. Auch bei Bahn- und Busreisen, ja sogar bei Veranstaltungen wie Konzerten und Theateraufführungen seien die Karten teilweise Monate im Voraus zu buchen. Auch die IATA (International Air Transport Association), die Standards für ca. 94 % der weltweiten Flüge festlege und nach deren Standards auch die Beklagte fliege, gehe immer von einer Vorleistungspflicht aus. Ebenso die Flaggastrechteverordnung. Die strenge Anwendung des Zug – um – Zug – Prinzips würde im Reisevertragsrecht wie allgemein bei Massenverträgen zu unpraktikablen Ergebnissen führen (gegenseitige Blockade, Chaos auf den Flughäfen/Bahnhöfen, weil erst noch die Tickets bezahlt werden müssten). Allein die Tatsache, dass eine bestimmte Verhaltensweise der allgemeinen Verkehrssitte entspricht, führt nicht zu deren Zulässigkeit. Die sicherlich einsichtigen Praktikabilitätserwägungen müssen auch nicht zwingend dazu führen, dass der Reisepreis bereits bei Buchung fällig wird. Das o.g. Chaos ließe sich auch durch eine Zahlung zu einem angemessenen Zeitpunkt vor Antritt der Reise vermeiden. Der Vergleich mit Theater- oder Bahnkarten hinkt. Zunächst handelt es sich hier vielfach um sehr viel kleinere Beträge, sodass das Risiko für den Verbraucher gering ist. Zum anderen handelt es sich bei den angesprochenen Geschäften des täglichen Lebens anders als bei Flugtickets um anonyme Geschäfte.

Nicht überzeugend ist auch das Argument der Beklagten, die Reservierung und Bezahlung des Flugpreises vor Abflug habe den Vorteil für den Passagier, sich frühzeitig einen bestimmten Flug zu einem bestimmten Datum zu reservieren und außerdem einen günstigen Preis zu bekommen, weil die Fluggesellschaft infolge der Planungssicherheit Kosten einsparen kann. Die Reservierung eines Fluges ist nicht von der Bezahlung bereits bei Buchung abhängig. Der Beförderungsvertrag ist wie jeder andere Vertrag bereits bei Abschluss verbindlich (pacta sunt servanda), und nicht erst bei Bezahlung der Leistung. Es mag sein, dass es für die Fluggesellschaften wegen der geringen Margen wichtig ist, ihre Flüge möglichst weitgehend auszulasten. Es leuchtet auch ein, dass sie, je früher sie den Reisepreis erhalten, desto mehr davor geschützt sind, dass kurzfristig ein Flug nicht wahrgenommen wird und das Entgelt dafür entfällt; dadurch können sie ihre Flüge günstiger anbieten. Diese die Preiskalkulation betreffenden Faktoren können jedoch nicht die Verwendung einer den Verbraucher übermäßig belastenden Klausel rechtfertigen. Die geringe Höhe des Entgelts ist niemals eine Rechtfertigung für unangemessene AGB (Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 307 Rn 18 m.w.N.). Im übrigen ist der Preisvorteil für den Fluggast auch nicht messbar; die Höhe des Flugpreises ist von vielen Faktoren abhängig, die den Markt bestimmen. Messbar und übermäßig belastend ist allerdings der Nachteil für den Fluggast durch die frühzeitige Zahlung des Flugpreises.

Wenn die Beklagte den Vorteil, der für sie darin liegt, den Flugpreis direkt bei der Buchung zu erhalten, nämlich den Zinsgewinn und die Planungssicherheit, fördern möchte, indem sie Fluggäste zur frühzeitigen Zahlung anregt, so läge es nahe, dies wie in anderen Branchen üblich über Skontogewährung zu regeln. Unangemessen ist es aber, von allen Fluggästen den vollen Flugpreis gleich bei der Buchung zu verlangen, unabhängig davon, ob diese es überhaupt wünschen, bei frühzeitiger Zahlung niedrigere Preise zu zahlen.

Dem Zinsvorteil, den die Fluggesellschaft durch die Vereinnahmung des gesamten Flugpreises bereits bei Buchung erlangt, steht der Zinsverlust des Fluggastes gegenüber. Es sind keine überzeugenden Gründe, auch nicht die hohen Investitionen der Fluggesellschaft, ersichtlich, diesen Vorteil allein bei der Fluggesellschaft zu belassen. Es gehört zum typischen unternehmerischen Risiko, das seinen Niederschlag in den Vorschriften des Werkvertragsrechts findet, die eigenen Investitionen zu finanzieren und abzusichern. Eine Absicherung ist auch durch andere Regelungen wie eine Anzahlung denkbar.

Durch seine Vorleistungspflicht verliert der Passagier sein Druckmittel, die Fluggesellschaft zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung anzuhalten. Dies ist nicht etwa deswegen gerechtfertigt, weil er es zur Durchsetzung seiner Interessen faktisch nicht benötige. Außer durch Insolvenz kann der Passagier auch dadurch geschädigt werden, dass der Flug in den Zeiten maßgeblich verändert oder gar gestrichen wird. Die Beklagte hält dem entgegen, dass sich Verspätungen oder Annullierungen erfahrungsgemäß recht kurzfristig ergäben. Der Beklagten sei es dann aufgrund technischer Pannen oder höherer Gewalt unmöglich, den Flug (rechtzeitig) durchzuführen. Der Fall, dass ein Flug nicht stattfindet, weil die Beklagte diesen nicht durchführen will, sei nicht realistisch. Es mache daher keinen Unterschied, ob der Passagier sein Druckmittel Monate oder erst kurz vor Abflug verliert, im Zeitpunkt der Panne habe er es sowieso nicht mehr. Außerdem würde es auch nichts bringen, weil es dann sowieso nicht möglich sei, den Flug ordnungsgemäß durchzuführen. Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht stichhaltig. Es gibt sicherlich zahlreiche Fälle, in denen sich Annullierungen so kurzfristig ergeben, dass der Flugpreis auch ohne Geltung der angegriffenen AGB bereits bezahlt ist und nicht mehr zurückgehalten werden kann. Es kommt aber durchaus vor, dass Flüge – kurzfristig oder längerfristig – aus anderen Gründen als Pannen oder höherer Gewalt annulliert werden, z.B. wenn es für die Fluggesellschaft wegen geringer Auslastung billiger ist, den Flug zu annullieren als ihn durchzuführen. Die Rechte aus der Fluggastrechteverordnung (VO (EG) 261/2004), die für diese Fälle Ausgleichszahlungen vorsieht, sind in diesen Fällen oft nicht ausreichend. Insbesondere werden die Ausgleichsleistungen nach Art. 7 der Fluggastrechtevorordnung nach Art. 5 Abs.1 c) i) nicht geschuldet, wenn der Fluggast mindestens 2 Wochen vor dem Flug von der Annullierung unterrichtet wird.

Die der Höhe nach nicht bestrittenen Abmahnkosten sind ebenfalls begründet. Die Beklagte ist nach § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs.1 Satz 2 UWG verpflichtet, der Klägerin die Kosten der berechtigten Abmahnung zu erstatten. Ein Verband, der durchschnittlich schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße selbst erkennen und abmahnen kann, hat einen Anspruch auf anteiligen Ersatz der Personal- und Sachkosten in Form einer Kostenpauschale (Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Auflage, § 12 RN 1.98).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708Nr.11, 711 ZPO.

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