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Mahnung (qualifizierte) durch Versicherer – Beweislast

 Oberlandesgericht Hamm

Az: 20 U 272/06

Urteil vom 11.05.2007

Vorinstanz: LG Bielefeld, Az.: 9 O 433/05


In dem Rechtsstreit hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 11.05.2007 für R e c h t erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. November 2006 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Deckungsschutz aus einer bei dieser im Jahre 2003 genommenen Haftpflichtversicherung (Risiko: „Hund“) aus Anlass eines Vorfalles vom 01.08.2005 in Anspruch.

Die Klägerin hatte die für den Zeitraum vom 03.06.2005 – 03.06.2006 für die Haftpflichtversicherung geschuldete Prämie von 103,36 € zunächst nicht gezahlt, worauf sie von der Beklagten mit Schreiben vom 08.07.2005 qualifiziert gemahnt wurde. Der Zeitpunkt des Zuganges dieses Schreibens bei der Klägerin ist streitig. Ebenfalls streitig ist, wann das Mahnschreiben versandt worden ist. Die Klägerin behauptet einen Zugang am 20.07.2005; die Beklagte einen Versand am 12.07.2007 und einen Zugang am 13.07.2005.

Am 01.08.2005 führte der Ehemann der Klägerin den Hund der Klägerin spazieren. Dabei ereignete sich ein Unfall, bei dem die Nachbarin der Klägerin, Frau M, durch den Hund der Klägerin verletzt wurde. Wegen dieses Vorfalles nehmen Frau M und die AOK die Klägerin als Hundehalterin in Anspruch.

Noch am 01.08.2005 meldete der Ehemann der Klägerin dem Agenten der Beklagten A den Vorfall. Dabei teilte der Ehemann dem Zeugen A auch mit, dass die Beklagte bereits eine Mahnung mit Datum 08.07.2005 versandt hätte. Darauf teilte der Zeuge A dem Ehemann mit, dass kein Versicherungsschutz mehr bestünde, weil die 2-Wochen-Frist zur Zahlung der Prämie verstrichen sei. Er riet dem Ehemann die Prämie gleichwohl unverzüglich zu zahlen, was die Klägerin dann auch am 01.08.2005 erledigte.

Mit Schreiben vom 11.08.2005 lehnte die Beklagte ihre Einstandspflicht unter Hinweis auf die aus § 39 Abs. 2 VVG folgende Leistungsfreiheit ab. Mit Schreiben vom 15.09.2005 bat der Zeuge A die Beklagte um eine Kulanzregelung zugunsten der Klägerin. Am 06.10.2005 suchte die Klägerin ihre jetzige Prozessbevollmächtigte auf. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Frage des Versicherungsschutzes aus der Haftpflichtversicherung erörtert. Dabei wies die Prozessbevollmächtigte die Klägerin darauf hin, dass es zur Berechnung der 2-Wochen-Frist auf den Zugang der Mahnung ankäme, nicht auf das Datum des Mahnschreibens. Mit Schreiben vom 10.10.2005 wandte sich die Prozessbevollmächtigte an die Beklagte und berief sich darauf, dass die Mahnung der Klägerin erst am 20.07.2005 zugegangen sei, so dass Leistungsfreiheit nicht eingetreten sei.

Die Klägerin hat behauptet, dass ihr die Mahnung vom 08.07.2005 erst am 20.07.2005 zugegangen sei. Nach dem Hinweis ihrer Prozessbevollmächtigten, dass es nicht auf das Datum, sondern auf den Zugang ankäme, habe sie eingehend überlegt, wann sie das Mahnschreiben erhalten habe. Sie sei zum Ergebnis gekommen, dass es der 20.07.2005 gewesen sein sei, da sie an dem Tage mit ihrer Freundin eingekauft habe und sie kurz zuvor den Brief geöffnet und zur Seite gestellt habe. Dann habe sie das Schreiben vergessen.

Die Beklagte hat behauptet, die Mahnung sei am 12.07.2005 versandt worden und der Klägerin spätestens am 13.07.2005 zugegangen.

Das Landgericht hat die Klägerin (als Partei nach § 141 ZPO) angehört und zu den Umständen im Zusammenhang mit dem Zugang der Mahnung die Zeugen B, A, X und K vernommen. Es hat die begehrte Feststellung des Bestehens von Deckungschutz für den Vorfall vom 01.08.2005 antragsgemäß getroffen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe nicht bewiesen, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt des Schadensfalles am 01.08.2005 in qualifiziertem Verzug befunden habe. Zwar sei davon auszugehen, dass die Mahnung am 12.07.2005 das Haus der Beklagten verlassen habe. Es sei aber nicht bewiesen, dass die Klägerin das Schreiben innerhalb von einem oder zwei Tagen erhalten habe. Es könne nicht mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Post innerhalb einer solchen Frist ausnahmslos alle Briefe zustelle. Die weiteren Umstände (inbs. die Aussage der Zeugen) würden für die Richtigkeit der Darstellung der Klägerin sprechen. Danach sei die Darstellung der Klägerin, wonach das Schreiben am 20.07.2005 zugegangen sei, erwiesen, so dass die beantragte förmliche Parteivernehmung der Klägerin nicht mehr in Betracht käme.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt:
Das Landgericht habe sich mit keinem Wort mit der Rechtsprechung beschäftigt, wonach der Zugang eines qualifizierten Mahnschreibens auch durch Indizien wie ein korrekt arbeitendes EDV-Programm nachgewiesen werden könne, wenn für den Zugang eine hohe Wahrscheinlichkeit bestünde. Dies sei vorliegend der Fall, weil die durchschnittlichen Postlaufzeiten in den ersten Monaten des Jahres 2004 1,05 Tage betragen hätten. Eine Postlaufzeit von acht Tagen sei ausgeschlossen.
Die Unglaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin werde auch durch den Geschehensablauf untermauert. Das Landgericht habe auch die widersprüchlichen Angaben der Klägerin und ihres Ehemannes unberücksichtigt gelassen.
Schließlich habe es das Landgericht verfahrensfehlerhaft versäumt, dem Beweisantritt auf Vernehmung der Klägerin als Partei nachzugehen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat die Klägerin als Partei vernommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klage ist begründet, weil der Klägerin der geltendgemachte Deckungsanspruch zusteht. Die Beklagte ist nicht nach § 39 Abs. 2 VVG leistungsfrei geworden.

1.) Das wäre nur dann der Fall, wenn

– der Versicherungsfall eingetreten ist,
– die zweiwöchige Zahlungsfrist (Folgeprämie, Kosten, Zinsen) ohne Zahlung verstri-
chen ist,
– der VN sich bei Eintritt des Versicherungsfalles in Verzug mit der Zahlung befunden
hat und
– der VN bei Bestimmung der Zahlungsfrist wirksam auf die Rechtsfolgen des Zah-
lungsverzuges hingewiesen worden ist.

2.) Der Beweis für den Zugang der qualifizierten Mahnung nach § 39 Abs. 1 VVG und für den Zeitpunkt des Zugangs obliegt dem Versicherer. Die Absendung beweist weder den Zugang noch den Zeitpunkt. Es bestehen keine Erfahrungssätze, dass und innerhalb einer bestimmten Zeit Postsendungen den Empfänger erreichen. Der Versicherer ist insoweit auch nicht schutzwürdig. Er kann z. B. durch Einschreiben mit Rückschein ohne Probleme den Zugang beweisen. Der VN kann sich damit begnügen, den Zugang zu bestreiten, auch damit, er könne sich nicht daran erinnern, wann die Mahnung zugegangen ist. Allerdings können aus dem Verhalten des VN nach Eintritt des Versicherungsfalles bzw. nach Ablehnung durch den Versicherer Indizwirkungen für den Zugang und evtl. für den Zeitpunkt des Zugangs hergeleitet werden (vgl. zum Ganzen, Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., zu § 39 VVG, RdNr. 14 ff.). Nach OLG Köln, VersR 1999, 1357 kann der Beweis für den Zugang einer qualifizierten Mahnung auch durch Indizien geführt werden, die einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit vermitteln. Wie auch sonst im Rahmen des § 286 ZPO reicht es aus, wenn eine derart hohe Wahrscheinlichkeit für den Zugang einer den inhaltlichen Anforderungen des § 39 VVG entsprechenden Mahnung besteht, das Zweifeln Schweigen geboten ist, ohne sie völlig auszuschließen.

3.) Unter Anwendung der vorstehend dargelegten Grundsätze gilt im vorliegenden Fall folgendes:

a) Der Versicherungsfall ist hier am 01.08.205 eingetreten. An diesem Tage trat das Schadensereignis ein, welches Haftpflichtansprüche gegen die Klägerin zur Folge haben könnte (vgl. § 5 Nr. 1 AHB). Der Hund der Klägerin rannte an diesem Tage die Nachbarin um.

b) Leistungsfrei kann die Beklagte daher nur geworden sein, wenn sie beweist, dass der Klägerin die – inhaltlich wirksame – qualifizierte Mahnung am 18.07.2005 oder früher erhalten hat (die weiteren oben genannten Voraussetzungen sind zwischen den Parteien unstreitig).

aa) Die Beklagte hat hier einen Zugang am 13.07.2005 behauptet. Diese Behauptung hat sie nicht bewiesen.

(1) Der Umstand, dass nach der – erstinstanzlichen – Aussage des Zeugen X auch nach Überzeugung des Senats bewiesen ist, dass das Schreiben am 12.07.2005 versandt worden ist, beweist einen Zugang innerhalb des oben genannten Zeitraumes nicht. Die Beklagte hat – bestrittene – Zahlen über Postlaufzeiten für das Jahr 2004 vorgelegt. Sie beziehen sich aber auf das Jahr 2004 und gelten nicht für 2005. Darüber hinaus räumt die Beklagte selbst ein, dass auch nach zwei Tagen erst 99 % aller Briefe zugestellt waren. Somit kann die Beklagte selbst nicht sicher ausschließen, dass der hier relevante Brief zum fehlenden 1 % gehörte und nicht erst viel später zugestellt worden ist (z. B. weil er zunächst – warum auch immer – bei der Post „verloren ging“).

(2) Die Aussagen der Klägerin im Rahmen ihrer – erstinstanzlichen – persönlichen Anhörung und der vor dem Senat durchgeführten Parteivernehmung nach § 445 ZPO stützen die Behauptung der Beklagten nicht. Denn die Klägerin ist sich sicher, das Schreiben erst am 20.07.2005 erhalten zu haben.

(3) Allein mit den von der Beklagten in Bezug genommenen „Ungereimtheiten“ und angeblichen Widersprüchen (die auch der Senat als teilweise für gegeben erachtet) kann die Beklagte einen Zugang in rechtsrelevanter Zeit nicht beweisen.
Aus der Entscheidung des OLG Köln, auf die sich die Beklagte vehement beruft, kann die Beklagte nichts herleiten. Es geht hier vorliegend nicht um die Frage, ob ein Mahnschreiben zugegangen ist, sondern, wann es zugegangen ist. Dessen ungeachtet kann man allein aus Umständen, die den Schluss rechtfertigen könnten, das vom VN genannte Zugangsdatum könne nicht stimmen, nicht ohne weiteres im Umkehrschluss feststellen, das Mahnschreiben sei dem VN in rechtsrelevanter Zeit zugegangen (also zum vom VR behaupteten Zeitpunkt). Im Hinblick darauf, dass der VN überhaupt nicht gehalten ist, einen Zugangszeitpunkt anzugeben (die Klägerin hätte hier sich darauf beschränken können anzugeben, sie könne sich nicht erinnern), wird man einen derartigen Schluss allenfalls dann ziehen dürfen, wenn feststeht, dass der VN in grober Weise die Unwahrheit gesagt hat.
Solche Umstände liegen hier aber nicht vor. Der Senat hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Schilderung der Klägerin und der insoweit vernommenen Zeugen zutreffend ist. Warum soll ein VN ein Mahnschreiben nicht einfach öffnen, kurz überfliegen und dann vergessen? Ebenfalls nicht ungewöhnlich ist, dass die Klägerin und ihr Ehemann nach dem Gespräch mit dem Zeugen A im Glauben waren, nicht versichert zu sein. Die Wertung der Beklagten wäre allenfalls dann berechtigt (und die Klägerin wäre evtl. der Unwahrheit überführt), wenn die Eheleute B dem Zeugen A am 01.08.2005 bereits ein anderes Zugangsdatum genannt hätten. Der Zeuge A hat dies aber gerade nicht bekundet. Denn über den Zugang ist – nach der Aussage des Zeugen A – gar nicht gesprochen worden. Er will dem Ehemann der Klägerin sogar gesagt haben, dass die 2-Wochen-Frist nach dem Datum der Mahnung abgelaufen und damit die Sache erledigt sei (Bl. 50 d. A.). Auch das auf Kulanzentscheidung gerichtete Schreiben des Agenten vom 15.09.2005 ist nicht relevant. Denn die Klägerin war – nach ihrer nicht widerlegten Aussage – auch bis dahin davon ausgegangen, keinen Versicherungsschutz zu haben (erst am 06.10.2005 hat sie mit ihrer Prozessbevollmächtigten gesprochen). Entsprechendes gilt in Bezug auf die schriftliche Ablehnung der Beklagten. Denn dort steht nicht, dass die 2-Wochen-Frist erst mit Zugang läuft. Ob das Mahnschreiben nun vor, neben, oder hinter das Radio abgestellt worden ist (und die Eheleute in diesem Zusammenhang widersprüchliche Angaben gemacht haben), ist sicherlich nicht von entscheidender Relevanz.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10 ZPO. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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