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Mandatsniederlegung – Zustellungen im Parteiprozess

Bundesgerichtshof

Az: VIII ZB 44/07

Beschluss vom 19.09.2007


Leitsätze:

a) Nach der Anzeige der Mandatsniederlegung müssen Zustellungen im Parteiprozess nicht mehr gemäß § 172 ZPO an den (bisherigen) Prozessbevollmächtigten bewirkt werden. Dieser ist aber im Rahmen des § 87 Abs. 2 ZPO weiterhin berechtigt, Zustellungen für die Partei entgegenzunehmen. Macht er hiervon Gebrauch ist die an ihn erfolgte Zustellung wirksam (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1990 – XII ZB 105/90, NJW 1991, 295 zu § 176 ZPO aF).

b) Ein Versäumnis ihres früheren Prozessbevollmächtigten ist der Partei nicht zuzurechnen (Bestätigung von BGHZ 47, 320, 322; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1979 – V ZR 146/78, NJW 1980, 999; Beschluss vom 10. Juli 1985 – IVb ZB 102/84, VersR 1985, 1185, unter II 2).


Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2007 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin vom 15. März 2007 aufgehoben.

Der Klägerin wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 13. Dezember 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Beschwerdewert: 2.000,19 EUR.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Feststellung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus einem gegen sie ergangenen Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 9. September 2004, hilfsweise Herausgabe des vollstreckbaren Titels sowie Rückzahlung eines darauf bereits gezahlten Betrages von 50 EUR. Im Wege der Widerklage begehrt der Beklagte Zahlung eines Betrages von 1.398,61 EUR nebst Zinsen.

Die Klägerin ist im Verfahren vor dem Amtsgericht zunächst von Rechtanwalt L. vertreten worden. Mit einem am 12. Dezember 2006 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben hat die Klägerin persönlich mitgeteilt, dass Rechtsanwalt L. das Mandat niedergelegt habe. Mit Urteil vom 13. Dezember 2006 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Urteil ist Rechtsanwalt L. am 18. Dezember 2006 zugestellt worden, der die Entgegennahme der Zustellung am gleichen Tag bestätigt und außerdem mitgeteilt hat, dass er das Mandat niedergelegt habe. Das Amtsgericht hat das Urteil daraufhin der Klägerin persönlich am 21. Dezember 2006 zugestellt.

Die Berufungsschrift des neuen Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist am 22. Januar 2007 (Montag) beim Berufungsgericht eingegangen. Auf den am 5. März 2007 erfolgten Hinweis des Berufungsgerichts, dass der Klägerin das angefochtene Urteil bereits am 18. Dezember 2006 über ihren bisherigen Prozessbevollmächtigten zugestellt worden sei, hat die Klägerin am 6. März 2007 Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist beantragt und eidesstattlich versichert, dass ihr früherer Anwalt sie zu keinem Zeitpunkt von der an ihn erfolgten Zustellung des Urteils in Kenntnis gesetzt habe.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die erbetene Wiedereinsetzung abgelehnt und die Berufung verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist eingelegt worden sei. Das Urteil sei der Klägerin am 18. Dezember 2006 mit der Zustellung an ihren früheren Prozessbevollmächtigten wirksam zugestellt worden. Zwar sei das Erlöschen der Vollmacht gemäß § 87 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO durch die Anzeige der Mandatsniederlegung am 12. Dezember 2006 wirksam geworden. Gemäß § 87 Abs. 2 ZPO sei Rechtsanwalt L. jedoch durch die von seiner Seite erfolgte Kündigung nicht gehindert gewesen, so lange für die Klägerin zu handeln, bis diese selbst anderweit für die Wahrnehmung ihrer Rechte gesorgt hätte. Hieraus folge die Befugnis des Rechtsanwalts zur Entgegennahme der Zustellung, die deshalb auch wirksam sei.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei unbegründet. Auch wenn die Klägerin mangels Information durch Rechtsanwalt L. von der an ihn erfolgten Zustellung keine Kenntnis gehabt habe, sei sie nicht ohne ihr Verschulden bzw. ohne Verschulden ihres Rechtsanwalts verhindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Denn Rechtsanwalt L. sei anwaltlich verpflichtet gewesen, die Klägerin über die ungeachtet der Mandatsniederlegung noch entgegengenommene Zustellung zu unterrichten. Die Verletzung dieser Pflicht bedeute ein der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt hat, denn das angefochtene Urteil ist der Klägerin wirksam bereits am 18. Dezember 2006 zugestellt worden, so dass die am 22. Januar 2007 eingegangene Berufung verspätet war.

a) Die an den (früheren) Prozessbevollmächtigten der Klägerin erfolgte Zustellung war trotz der dem Gericht gegenüber zuvor mitgeteilten Mandatsniederlegung wirksam, weil der Anwalt die Zustellung entgegen genommen hat und hierzu gemäß § 87 Abs. 2 ZPO auch befugt war.

§ 87 Abs. 2 ZPO berechtigt den Rechtsanwalt im dort vorgesehenen Umfang zur Vertretung der Partei trotz der Niederlegung des Mandats; die von ihm oder ihm gegenüber vorgenommenen Prozesshandlungen wirken deshalb für und gegen seine Partei (BGHZ 43, 135,137; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 87 Rdnr. 17). Eine Einschränkung des § 87 Abs. 2 ZPO dahin, dass dies nur für der Partei günstige Handlungen, nicht aber für die Entgegennahme von Zustellungen gelte, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen (Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 87 Rdnr. 6; Musielak/Weth, ZPO, 5. Aufl., § 87 Rdnr. 10; Stein/Jonas/Bork, aaO; OLG Bremen NJW-RR 1986, 358, 359; vgl. auch Schmellenkamp, AnwBl. 1985, 14, 16; aA OLG Hamm NJW 1982, 1887; OLG Köln Rpfleger 1992, 242).

b) Aus § 172 Abs. 1 ZPO folgt nichts Anderes. Nach dieser Bestimmung sind Zustellungen vom Gericht in einem anhängigen Verfahren – ausschließlich – an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten vorzunehmen; damit soll gewährleistet werden, dass der Rechtsanwalt, in dessen Verantwortung die Prozessführung gelegt ist, im gesamten Verfahren Kenntnis von zuzustellenden Schriftstücken erhält (Zöller/Stöber, aaO, § 172 Rdnr. 1).

Diese Notwendigkeit endet im Parteiprozess mit der Anzeige der Beendigung des Mandats dem Gericht gegenüber; Zustellungen müssen deshalb von diesem Zeitpunkt an nicht mehr nach § 172 ZPO an den (bisherigen) Prozessbevollmächtigten bewirkt werden (Zöller/Stöber, aaO, § 172 Rdnr. 11). Daraus folgt aber – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde – nicht, dass ab diesem Zeitpunkt Zustellungen ausschließlich an die Partei persönlich vorgenommen werden dürften und eine an den empfangsbereiten und gemäß § 87 Abs. 2 ZPO vertretungsberechtigten Anwalt vorgenommene Zustellung aus diesem Grund unwirksam wäre. Diese Frage ist auch in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Oktober 1990 (XII ZB 105/90, NJW 1991, 295 zu § 176 ZPO aF), der die Wirksamkeit einer nach Mandatsniederlegung an die Partei selbst ausgeführten Zustellung betraf, nicht entschieden worden.

2. Der Klägerin ist jedoch Wiedereinsetzung in der vorigen Stand zu gewähren, denn sie war ohne ihr Verschulden an der Fristeinhaltung gehindert. Die Klägerin hat durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass Rechtsanwalt L. sie nicht über die Zustellung vom 18. Dezember 2006 informiert hat, so dass sie davon ausgehen durfte, dass die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des Urteils an sie persönlich am 21. Dezember 2006 begann und mithin erst am 22. Januar 2007 (Montag) ablief. Ein Versäumnis ihres früheren Prozessbevollmächtigten muss sich die Klägerin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht im Rahmen des § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Die Haftung der Partei für das Verschulden ihres Anwalts beruht auf dem nach Beendigung des Mandats nicht mehr tragfähigen Gedanken, dass sie für die Person ihres Vertrauens einzustehen hat (BGHZ 47, 320, 322; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1979 – V ZR 146/78, NJW 1980, 999; Beschluss vom 10. Juli 1985 – IVb ZB 102/84, VersR 1985, 1185, unter II 2).

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