Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- VG Berlin kippt sofortiges Baumfällverbot für Flüchtlingsunterkunft: Artenschutzrechtliche Untersagung war rechtswidrig (Az. 24 L 305/23)
- Ausgangslage: Geplante Baumfällung für Neubau von Flüchtlingsunterkünften in Berlin-Pankow
- Streit um Artenschutz: Bezirksamt untersagt Baum- und Strauchbeseitigung per Sofortanordnung
- Gerichtsentscheidung im Eilverfahren: Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt
- Begründung des Gerichts: Untersagungsverfügung des Bezirksamts offensichtlich rechtswidrig
- Fehlerhafte Rechtsgrundlage: § 17 BNatSchG für präventive Untersagung ungeeignet
- Ermessensfehler bei Anwendung der Generalklausel § 3 BNatSchG
- Fazit: Interessen der Wohnungsbaugesellschaft überwiegen wegen Rechtswidrigkeit der Anordnung
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Rolle spielt der Artenschutz bei Bauvorhaben und wie wird er im Genehmigungsverfahren berücksichtigt?
- Was sind „CEF-Maßnahmen“ und wann sind sie im Artenschutzrecht erforderlich?
- Unter welchen Voraussetzungen kann eine Behörde die Beseitigung von Bäumen und Sträuchern im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben untersagen?
- Was bedeutet „summarische Prüfung“ im Eilverfahren und welche Bedeutung hat sie für die Entscheidung des Gerichts?
- Welche Rechte haben Naturschutzverbände und Anwohner bei Bauvorhaben, die potenziell den Artenschutz beeinträchtigen?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 24 L 305/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: VG Berlin
- Datum: 09.01.2024
- Aktenzeichen: 24 L 305/23
- Verfahrensart: Eilverfahren zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
- Rechtsbereiche: Naturschutzrecht, Verwaltungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Antragstellerin ist eine Wohnungsbaugesellschaft, die ein Bauvorhaben plant, für das Bäume und Sträucher entfernt werden müssen.
- Beklagte: Das Bezirksamt hat die Beseitigung von Bäumen und Sträuchern untersagt und die Sofortige Vollziehung dieser Untersagung angeordnet.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Eine Wohnungsbaugesellschaft plant, auf einem Grundstück Neubauten zu errichten und dafür Bäume und Sträucher zu entfernen. Nach Hinweisen auf geschützte Vogelarten untersagte das zuständige Bezirksamt die Beseitigung ohne artenschutzrechtliche Ausnahmen und ordnete die sofortige Vollziehung der Untersagung an. Dagegen wehrte sich die Wohnungsbaugesellschaft gerichtlich.
- Kern des Rechtsstreits: Die zentrale Frage war, ob die sofortige Vollziehung der Untersagung, Bäume und Sträucher zu entfernen, rechtmäßig ist. Dies hing davon ab, ob die Untersagung selbst rechtmäßig war, insbesondere bezüglich artenschutzrechtlicher Regeln und der Ausübung behördlichen Ermessens.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Wohnungsbaugesellschaft gegen die Untersagung und deren sofortige Vollziehung wiederhergestellt. Das bedeutet, dass die sofortige Vollziehung der Untersagung vorläufig nicht mehr gilt. Das Bezirksamt muss die Kosten des Verfahrens tragen.
- Begründung: Das Gericht hielt die Untersagungsverfügung des Bezirksamtes für offensichtlich rechtswidrig. Das Bezirksamt habe sich auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt, da die Vorschrift einen bereits begonnenen, erheblichen Eingriff voraussetze, der hier nicht vorlag. Zudem seien bei der Entscheidung über die Untersagung Ermessensfehler gemacht worden, da der Sachverhalt (widersprüchliche Gutachten) nicht ausreichend aufgeklärt wurde und die unbefristete Untersagung aller Gehölze unverhältnismäßig war.
- Folgen: Die vom Bezirksamt angeordnete sofortige Vollziehung der Untersagung ist aufgehoben. Die Wohnungsbaugesellschaft kann ihr Bauvorhaben fortsetzen, ohne die sofortige Untersagung beachten zu müssen, solange über ihren Widerspruch in der Hauptsache nicht entschieden ist. Das Bezirksamt trägt die Gerichtskosten für dieses Eilverfahren.
Der Fall vor Gericht
VG Berlin kippt sofortiges Baumfällverbot für Flüchtlingsunterkunft: Artenschutzrechtliche Untersagung war rechtswidrig (Az. 24 L 305/23)
Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Eilverfahren entschieden, dass die sofortige Vollziehung eines Verbots zur Beseitigung von Bäumen und Sträuchern auf einem Baugrundstück in Berlin-Pankow rechtswidrig war.

Eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft plant dort die Errichtung von Unterkünften für Geflüchtete und muss dafür Gehölze entfernen. Das zuständige Bezirksamt hatte dies unter Berufung auf den Artenschutz kurzfristig untersagt und die sofortige Wirksamkeit dieser Anordnung verfügt. Das Gericht stellte nun die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Bauherrin wieder her, da die Untersagungsverfügung bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig eingestuft wurde.
Ausgangslage: Geplante Baumfällung für Neubau von Flüchtlingsunterkünften in Berlin-Pankow
Die Antragstellerin, eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft, beabsichtigt auf zwei Grundstücken im Berliner Bezirk Pankow (L…) zwei Neubauten zu errichten. Diese sollen der Unterbringung von 422 Geflüchteten dienen. Teil des Vorhabens ist auch die Umgestaltung der Außenanlagen. Für die Realisierung des Bauprojekts ist die Beseitigung von vorhandenem Baumbestand und Sträuchern auf der Fläche unumgänglich.
Bereits am 28. Februar 2023 hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Baugenehmigung für das Vorhaben als Sonderbau erteilt. Diese Genehmigung beinhaltete auch eine Abweichung von städtebaulichen Vorgaben (Einfügegebot). Ausdrücklich nicht Gegenstand dieses Baugenehmigungsverfahrens waren jedoch Fragen des Artenschutzes. Schon zuvor, am 2. Februar 2023, hatte das Umwelt- und Naturschutzamt des Bezirksamts Pankow eine Ausnahmegenehmigung nach der Baumschutzverordnung für die Fällung von 38 geschützten Bäumen erteilt und eine entsprechende Ausgleichsabgabe festgesetzt. Sowohl dieser Bescheid als auch spätere enthielten den wichtigen Hinweis, dass die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote gemäß § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) strikt einzuhalten seien. Sollten durch die Maßnahmen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten geschützter Arten zerstört werden, sei zusätzlich eine Befreiung nach dem Artenschutzrecht erforderlich.
Im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaft wurde ein Artenschutzfachbeitrag erstellt, der zuletzt am 22. September 2023 überarbeitet wurde. Bei Begehungen im Frühjahr und Sommer 2023 wurden auf dem Gelände 15 Brutvogelarten nachgewiesen, darunter konkrete Brutnachweise oder zumindest Brutverdacht für vier Arten. Das Gutachten kam zu dem Schluss, dass die geplanten Baumfällungen unweigerlich zum Verlust von Baumhöhlen, Nestern und Nistkästen führen würden. Es sei mit der Zerstörung von Lebensstätten sowie der Störung, Schädigung oder gar Tötung von Brutvögeln zu rechnen. Ähnliche Risiken wurden für potenzielle Fledermausquartiere identifiziert. Eine zentrale Aussage des Fachbeitrags war, dass vorgezogene funktionssichernde Maßnahmen (sogenannte CEF-Maßnahmen, wie das Anbringen von Ersatz-Nistkästen oder Fledermauskästen) nicht im Vorfeld der Fällungen wirksam umgesetzt werden könnten. Daher sei eine Artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung in Abstimmung mit der Naturschutzbehörde zwingend notwendig.
Streit um Artenschutz: Bezirksamt untersagt Baum- und Strauchbeseitigung per Sofortanordnung
Der Konflikt eskalierte, als sich mehrere Naturschutzverbände am 2. Oktober 2023 an das Bezirksamt Pankow wandten. Sie forderten die Behörde auf, die Beseitigung von Bäumen und Sträuchern auf dem Baugrundstück zu untersagen, solange keine artenschutzrechtlichen Ausnahmen oder Befreiungen vorlägen. Die Verbände stützten sich dabei auf ein von Anwohnenden initiiertes „Vogelarten-Gutachten“. Dieses Gutachten habe umfangreiche Bestände geschützter Vogelarten, einschließlich Kolonien von Gebäudebrütern wie Haussperlingen und Staren, dokumentiert. Es wurde der Verlust von Brutrevieren sowie von wichtigen Ruhe-, Aufzucht- und Fortpflanzungsstätten befürchtet, was zwingend Ausgleichsmaßnahmen erfordere. Das Gutachten betonte zudem, dass man nicht pauschal davon ausgehen könne, dass die betroffenen Tiere einfach auf andere Gebiete ausweichen könnten.
Daraufhin erließ das Bezirksamt mit Bescheid vom 9. Oktober 2023 eine Untersagungsverfügung. Es verbot der Wohnungsbaugesellschaft die Beseitigung von Bäumen und Sträuchern im gesamten Vorhabensgebiet, sofern keine artenschutzrechtliche Ausnahme oder Befreiung erteilt worden sei. Zur Begründung führte das Amt seine Sorgfaltspflicht an. Außerdem sei eine Neubewertung der Betroffenheit europarechtlich geschützter Arten aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), des sogenannten „Schwedenurteils“ (Rs. C-473/19, C-474/19), notwendig. Gehölze, für die eine Ausnahme erforderlich sei, dürften erst nach vollständiger Umsetzung und behördlicher Abnahme von Ausgleichsmaßnahmen beseitigt werden. Da aktuell nicht abschätzbar sei, wo genau ein artenschutzrechtlicher Ausgleichsbedarf bestehe, gelte die Untersagung pauschal „bis auf Weiteres“.
Die Wohnungsbaugesellschaft legte am 13. Oktober 2023 Widerspruch gegen diesen Untersagungsbescheid ein. Bereits am 11. Oktober 2023, also nach Erlass des Verbots, beantragte sie formell die Erteilung der erforderlichen artenschutzrechtlichen Ausnahme bzw. Befreiung.
Mit einem weiteren Schreiben vom 17. Oktober 2023 verschärfte das Bezirksamt die Situation, indem es die sofortige Vollziehung der Untersagung anordnete. Dies bedeutet, dass das Verbot sofort wirksam wurde und der Widerspruch der Bauherrin keine aufschiebende Wirkung entfaltete. Die Begründung für diesen Schritt stützte sich auf die vorliegenden Unterlagen, insbesondere das Vogelarten-Gutachten der Anwohnerinitiative, welche eine Prüfung der Ausnahmeregelung unumgänglich machten. Entscheidend war jedoch die Behauptung der Behörde, es sei ihr bekannt geworden, dass die Wohnungsbaugesellschaft „mit der Durchführung des Eingriffs begonnen“ habe. Konkret wurden das Aufstellen von Bauzäunen und das Herbeischaffen von Geräten und Materialien genannt. Da dies geschehe, ohne den Ausgang des Verfahrens zur Erteilung der Ausnahme abzuwarten, stützte das Amt die Untersagung nun explizit auf § 17 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG. Diese Vorschrift erlaubt es Behörden, die weitere Durchführung eines bereits begonnenen Eingriffs zu untersagen. Die sofortige Vollziehung sei notwendig, um den Schutz der besonders geschützten Arten und ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten sicherzustellen und das ordnungsgemäße Verfahren zur Prüfung und Gewährung einer Ausnahme nicht zu gefährden.
Die Wohnungsbaugesellschaft wandte sich daraufhin an das Verwaltungsgericht Berlin und beantragte im gerichtlichen Eilverfahren, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen. Sie argumentierte, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei sowohl formell (insbesondere fehlerhafte Begründung) als auch materiell (Bescheid selbst rechtswidrig, Ermessensfehler, Unverhältnismäßigkeit) rechtswidrig. Ihr Interesse, mit den vorbereitenden Arbeiten fortfahren zu können, überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verbots. Das Bezirksamt verteidigte seine Anordnung vor Gericht, beharrte auf der Behauptung eines begonnenen Eingriffs und betonte eine fehlerfreie Ermessensausübung.
Gerichtsentscheidung im Eilverfahren: Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt
Das Verwaltungsgericht Berlin gab dem Eilantrag der Wohnungsbaugesellschaft mit Beschluss vom 9. Januar 2024 statt (Az.: 24 L 305/23). Das Gericht stellte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Bauherrin gegen den Untersagungsbescheid vom 9. Oktober 2023 in Verbindung mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 17. Oktober 2023 wieder her. Dies bedeutet, dass das Verbot der Baum- und Strauchbeseitigung vorerst nicht sofort durchgesetzt werden kann, bis über den Widerspruch der Bauherrin endgültig entschieden ist. Die Kosten des Gerichtsverfahrens wurden dem Bezirksamt Pankow auferlegt.
Begründung des Gerichts: Untersagungsverfügung des Bezirksamts offensichtlich rechtswidrig
Das Gericht begründete seine Entscheidung ausführlich. Der Antrag der Wohnungsbaugesellschaft sei zulässig und begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das Bezirksamt gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mache den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO statthaft. Der Widerspruch sei fristgerecht eingelegt worden und das Rechtsschutzbedürfnis bestehe, da die Untersagung eine eigenständige Belastung darstelle.
Die Entscheidung im Eilverfahren hängt von einer Abwägung der Interessen ab. Maßgeblich sind dabei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, also im eigentlichen Widerspruchs- bzw. Klageverfahren gegen den Untersagungsbescheid. Wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt – hier die Untersagungsverfügung – bei der summarischen Prüfung durch das Gericht als offensichtlich rechtswidrig erweist, überwiegt das Interesse des Betroffenen an der Aussetzung der Vollziehung. Es besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Durchsetzung einer rechtswidrigen Anordnung.
Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass die Untersagungsverfügung vom 9. Oktober 2023 offensichtlich rechtswidrig ist. Dies stützt sich auf zwei wesentliche Gründe:
Fehlerhafte Rechtsgrundlage: § 17 BNatSchG für präventive Untersagung ungeeignet
Erstens sei die vom Bezirksamt in der Anordnung der sofortigen Vollziehung herangezogene Rechtsgrundlage des § 17 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG nicht einschlägig. Diese Vorschrift ermächtigt die Naturschutzbehörde, die weitere Durchführung eines bereits begonnenen Eingriffs zu untersagen, der ohne die erforderliche Zulassung oder Anzeige vorgenommen wird. Ein „Eingriff“ im Sinne des Naturschutzrechts (§ 14 Abs. 1 BNatSchG) liegt vor bei Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.
Das Gericht stellte fest, dass die vom Bezirksamt behaupteten Verstöße hier jedoch primär die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote nach § 44 BNatSchG betreffen (Schutz von Tieren und Pflanzen, ihrer Lebensstätten). Es gehe nicht in erster Linie um eine erhebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes oder der allgemeinen Naturhaushaltsfunktionen im Sinne von § 14 BNatSchG.
Darüber hinaus setze § 17 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG zwingend einen begonnenen Eingriff voraus. Die vom Amt angeführten bauvorbereitenden Maßnahmen wie das Aufstellen von Bauzäunen oder das Herbeischaffen von Material und Geräten haben laut Gericht jedoch keinen direkten arten-, natur- oder landschaftsschutzrechtlichen Bezug. Sie stellen keinen begonnenen Eingriff im Sinne des Gesetzes dar. Auch die spätere Ausgrabung und Versetzung einzelner Sträucher am 24. Oktober 2023 erfülle weder die Kriterien eines Eingriffs nach § 14 Abs. 1 BNatSchG, noch habe die Behörde festgestellt, dass hierdurch konkret gegen Artenschutzvorschriften (§ 44 BNatSchG) verstoßen wurde. Folglich könne eine Untersagung von Maßnahmen, die noch gar nicht begonnen haben, nicht auf § 17 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG gestützt werden. Allenfalls käme die naturschutzrechtliche Generalklausel des § 3 Abs. 2 BNatSchG als Rechtsgrundlage in Betracht, welche allgemeine Maßnahmen zur Durchsetzung des Naturschutzrechts erlaubt.
Ermessensfehler bei Anwendung der Generalklausel § 3 BNatSchG
Zweitens, selbst wenn man § 3 Abs. 2 BNatSchG als mögliche Rechtsgrundlage heranziehen würde, erweise sich der Bescheid als offensichtlich ermessensfehlerhaft. Eine solche Anordnung steht im Ermessen der Behörde, sie muss also nicht zwingend erlassen werden.
Ermessensnichtgebrauch: Behörde erkannte Spielraum nicht
Die Begründung der ursprünglichen Untersagungsverfügung (Verweis auf Sorgfaltspflicht, Schwedenurteil, Nichtabschätzbarkeit des Ausgleichsbedarfs) lasse nicht erkennen, dass die Behörde das ihr zustehende Ermessen überhaupt erkannt und pflichtgemäß ausgeübt hat. Es fehlten typische Formulierungen, die eine Abwägung verschiedener Interessen oder Handlungsoptionen dokumentieren. Ein solcher Ermessensnichtgebrauch – also das völlige Fehlen einer Ermessensausübung – stelle einen gravierenden Rechtsfehler dar, der im gerichtlichen Verfahren auch nicht nachträglich durch ergänzende Begründungen geheilt werden könne (§ 114 Satz 2 VwGO erlaubt nur die Ergänzung bereits vorhandener, aber unzureichender Ermessenserwägungen).
Fehlerhafte Ermessensausübung: Unzureichende Sachverhaltsermittlung und Unverhältnismäßigkeit
Selbst wenn man unterstellen würde, dass die Behörde ansatzweise ihr Ermessen ausgeübt hat, lägen offensichtliche Fehler in der Ausübung vor.
Zum einen habe das Bezirksamt den für die Ermessensentscheidung relevanten Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Der Behörde lagen zwei sich widersprechende Gutachten vor: der Artenschutzfachbeitrag der Wohnungsbaugesellschaft und das Vogelarten-Gutachten der Anwohnerinitiative. Anstatt diese Widersprüche durch eigene naturschutzfachliche Expertise oder weitere Untersuchungen aufzuklären, habe die Behörde die weitreichende Untersagung verfügt. Zwar stehe der Behörde eine gewisse Einschätzungsprärogative bei naturschutzfachlichen Fragen zu, diese setze aber eine den wissenschaftlichen Standards entsprechende Sachverhaltsermittlung voraus, die hier unterblieben sei.
Zum anderen verstoße die Anordnung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die unbefristete Untersagung („bis auf Weiteres“) der Beseitigung sämtlicher Gehölze auf dem gesamten Baufeld sei unverhältnismäßig. Die Behörde habe keine eigene fachliche Bewertung der konkret geplanten Fällungen vorgenommen und nicht dargelegt, welche spezifischen Maßnahmen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung sie plane und wie viel Zeit dafür benötigt werde. Eine zeitlich unbefristete Untersagung, die ein bereits genehmigtes Bauvorhaben auf unbestimmte Zeit verzögere oder gar verhindere, ohne dass die Behörde konkrete Auswirkungen auf bestimmte Arten benannt und Lösungsansätze skizziert hätte, sei nicht angemessen.
Fazit: Interessen der Wohnungsbaugesellschaft überwiegen wegen Rechtswidrigkeit der Anordnung
Da die Untersagungsverfügung des Bezirksamts Pankow nach der gerichtlichen Prüfung im Eilverfahren offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt das Interesse der Wohnungsbaugesellschaft an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der rechtswidrigen Anordnung. Die Bauherrin kann somit vorerst nicht durch die sofortige Vollziehung an der Fortführung vorbereitender Maßnahmen gehindert werden, die nicht unmittelbar Bäume oder Sträucher betreffen. Der eigentliche Streit über die Notwendigkeit und den Umfang artenschutzrechtlicher Maßnahmen und Genehmigungen muss im Widerspruchs- bzw. Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass Behörden bei artenschutzrechtlichen Verboten ihre Ermessensspielräume erkennen und verhältnismäßig ausüben müssen, anstatt pauschal unbefristete Baustopp-Verfügungen zu erlassen. Naturschutzbehörden müssen für ein rechtmäßiges Einschreiten die richtige Rechtsgrundlage wählen und zwischen tatsächlich begonnenen Eingriffen und bloßen Vorbereitungshandlungen unterscheiden. Besonders bei widersprüchlichen Gutachten ist eine eigene fachliche Bewertung erforderlich, bevor weitreichende Verbote ausgesprochen werden können. Das Urteil stärkt die Position von Bauherren gegenüber überzogenen naturschutzrechtlichen Anordnungen ohne ausreichende Sachverhaltsermittlung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Rolle spielt der Artenschutz bei Bauvorhaben und wie wird er im Genehmigungsverfahren berücksichtigt?
Der Artenschutz befasst sich mit dem Schutz von wild lebenden Tieren und Pflanzen, insbesondere von Arten, die selten sind oder deren Bestand gefährdet ist. Für Bauvorhaben ist der Artenschutz ein wichtiger Punkt, da Bautätigkeiten Lebensräume von Tieren und Pflanzen beeinträchtigen oder zerstören können. Das Baurecht und das Naturschutzrecht greifen hier ineinander.
Artenschutz im Bauverfahren:
Das Gesetz verbietet Handlungen, die geschützte Arten oder ihre Lebensstätten (wie Nistplätze, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten) schädigen könnten. Wenn Sie ein Bauvorhaben planen, muss die zuständige Behörde im Genehmigungsverfahren prüfen, ob diese Artenschutzvorschriften eingehalten werden.
Das bedeutet in der Praxis:
- Prüfungspflicht: Die Behörde prüft, ob durch Ihr Bauvorhaben geschützte Arten betroffen sein könnten.
- Gutachten: Oft ist es notwendig, dass Sie ein artenschutzrechtliches Gutachten erstellen lassen. Ein Experte untersucht vor Ort, ob geschützte Tiere (z.B. bestimmte Vogelarten, Fledermäuse, Eidechsen) oder Pflanzen in dem Bereich vorkommen, in dem Sie bauen möchten. Dieses Gutachten hilft festzustellen, ob die Artenschutzverbote durch das Vorhaben ausgelöst würden.
- Verbotsprüfung: Das Gutachten zeigt auf, ob typische Artenschutzverbote drohen, wie zum Beispiel das Töten oder Verletzen von Tieren, die Zerstörung ihrer Nist- oder Ruhestätten oder erhebliche Störungen während wichtiger Lebensphasen (wie Brutzeit oder Überwinterung).
- Vermeidung und Minimierung: Wenn das Gutachten Konflikte aufzeigt, müssen Sie Maßnahmen planen, um diese zu vermeiden oder zumindest so gering wie möglich zu halten. Das können zum Beispiel zeitliche Verschiebungen der Bauarbeiten sein (z.B. außerhalb der Brutzeit) oder das Anlegen von Ersatzlebensräumen.
Was bedeutet das für ein Bauvorhaben?
Die Einhaltung des Artenschutzes ist eine Voraussetzung für die Baugenehmigung. Wenn Ihr Vorhaben gegen Artenschutzvorschriften verstoßen würde und keine ausreichenden Maßnahmen zur Vermeidung oder zum Ausgleich möglich sind, kann die Baugenehmigung versagt werden. Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen kann eine Befreiung von den Verboten erteilt werden, aber dies ist an strenge Bedingungen geknüpft.
Ein frühzeitiges Klären möglicher Artenschutzfragen, oft durch ein entsprechendes Gutachten, ist daher wichtig, um Verzögerungen im Genehmigungsverfahren zu vermeiden. Beachten Sie auch, dass manche Gutachten nur zu bestimmten Jahreszeiten erstellt werden können, wenn die relevanten Arten aktiv sind.
Was sind „CEF-Maßnahmen“ und wann sind sie im Artenschutzrecht erforderlich?
Der Begriff „CEF-Maßnahmen“ kommt aus dem Englischen und steht für Continuing Ecological Functionality. Frei übersetzt bedeutet das etwa „Aufrechterhaltung der ökologischen Funktion“. Im Artenschutzrecht sind damit Maßnahmen gemeint, die sicherstellen sollen, dass die lebenswichtigen Funktionen für geschützte Tier- und Pflanzenarten trotz einer Störung oder eines Eingriffs in ihren Lebensraum erhalten bleiben.
Stellen Sie sich vor, ein geschütztes Tier nutzt einen bestimmten Bereich als Brutplatz oder zur Nahrungssuche. Wenn dieser Bereich durch ein Bauvorhaben oder ein anderes Projekt beeinträchtigt oder zerstört wird, droht eine Schädigung der Art. Hier kommen CEF-Maßnahmen ins Spiel. Sie sind sozusagen eine sofort wirksame Überbrückungshilfe. Bevor der bisherige Lebensraum verloren geht oder gestört wird, werden alternative Strukturen oder Bereiche geschaffen, die von der Art direkt im Anschluss genutzt werden können. Ziel ist es, dass die Art ihre Fortpflanzung, Wanderung oder Nahrungsaufnahme ohne Unterbrechung fortsetzen kann.
Wann werden solche Maßnahmen im Artenschutzrecht benötigt?
CEF-Maßnahmen werden insbesondere dann erforderlich, wenn ein geplantes Vorhaben (wie z.B. der Bau einer Straße oder eines Gebäudes) geschützte Arten oder deren Lebensstätten so beeinträchtigen könnte, dass dies nach dem Naturschutzgesetz verboten ist. Das Gesetz verbietet grundsätzlich, geschützte Tiere zu töten oder zu verletzen oder ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten zu beschädigen oder zu zerstören.
Wenn durch ein Projekt solche Verbote ausgelöst werden könnten und dies nicht durch Vermeidungs– oder Minimierungsmaßnahmen vollständig verhindert werden kann, prüft die zuständige Behörde, ob CEF-Maßnahmen die ökologische Funktion für die betroffene Art so aufrechterhalten können, dass die gesetzlichen Verbote doch nicht greifen. Man könnte sagen, CEF-Maßnahmen sind ein Werkzeug, um einen ansonsten verbotenen Eingriff doch noch zu ermöglichen, indem man die negativen Auswirkungen für die Art durch sofort wirksame Hilfen abwendet.
Wie funktionieren CEF-Maßnahmen?
Sie müssen unmittelbar wirken oder so rechtzeitig umgesetzt werden, dass die Art sie annehmen kann, bevor die Beeinträchtigung eintritt. Beispiele können sein:
- Das Anbringen von Fledermauskästen als Ersatzquartiere, bevor alte Bäume mit Höhlen gefällt werden.
- Das Anlegen einer neuen Eidechsenburg in der Nähe, bevor die ursprüngliche zerstört wird.
- Das Sichern von Zugängen zu wichtigen Lebensräumen während der Bauphase.
Diese Maßnahmen sollen sicherstellen, dass die Art ihre ökologische Rolle und ihren Lebenszyklus im Umfeld des Projekts weiterhin erfüllen kann.
Was, wenn CEF-Maßnahmen nicht wirksam sind oder nicht umgesetzt werden können?
Wenn notwendige CEF-Maßnahmen nicht möglich, nicht ausreichend wirksam sind oder nicht rechtzeitig umgesetzt werden, um die Beeinträchtigung der ökologischen Funktion zu verhindern, kann das Projekt rechtlich unzulässig sein. Die Verbote des Artenschutzrechts würden dann greifen. Das bedeutet, dass das Vorhaben in dieser Form möglicherweise nicht genehmigt werden darf. Es gibt zwar unter sehr strengen Voraussetzungen die Möglichkeit einer Ausnahme, aber der Grundsatz ist, dass Eingriffe, die gegen die Artenschutz-Verbote verstoßen und nicht durch CEF-Maßnahmen abgewendet werden können, grundsätzlich nicht zulässig sind.
Unter welchen Voraussetzungen kann eine Behörde die Beseitigung von Bäumen und Sträuchern im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben untersagen?
Eine Behörde kann die Beseitigung von Bäumen und Sträuchern bei einem Bauvorhaben nicht willkürlich untersagen. Solche Entscheidungen müssen auf klaren gesetzlichen Grundlagen basieren und bestimmte Kriterien erfüllen. Dies dient dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen, insbesondere im Bereich des Natur- und Umweltschutzes.
Rechtliche Grundlagen für Untersagungen
Die Befugnis einer Behörde, die Fällung oder Rodung zu untersagen, ergibt sich meist aus verschiedenen Gesetzen und Verordnungen:
- Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG): Dieses Gesetz schützt wild lebende Tiere und Pflanzen sowie deren Lebensräume. Besonders wichtig ist hier der besondere Artenschutz. Wenn Bäume oder Sträucher als Brut-, Wohn- oder Ruhestätten von geschützten Tierarten (z.B. Vögel, Fledermäuse, bestimmte Insekten) dienen, kann ihre Beseitigung nach § 44 BNatSchG untersagt sein. Dies gilt oft zu bestimmten Zeiten, wie der Brutzeit von Vögeln.
- Baumschutzverordnungen der Kommunen: Viele Städte und Gemeinden haben eigene Verordnungen erlassen, um Bäume auf ihrem Gebiet zu schützen. Diese Verordnungen legen fest, welche Bäume (oft abhängig von Art, Größe – gemessen am Stammumfang – oder Alter) geschützt sind und nur mit Genehmigung gefällt werden dürfen. Sie können auch für Sträucher gelten.
- Bauordnungen und Bebauungspläne: Manchmal enthalten auch landesrechtliche Bauordnungen oder spezifische Bebauungspläne der Kommunen Regelungen zum Erhalt oder Ersatz von Grünbeständen.
Wichtige Kriterien für eine Untersagung
Damit eine Behörde eine Beseitigung rechtmäßig untersagen kann, muss sie prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehören:
- Vorliegen eines Schutzgutes: Ist der Baum oder Strauch nach dem Bundesnaturschutzgesetz relevant (z.B. Lebensstätte einer geschützten Art)? Fällt er unter eine lokale Baumschutzverordnung (z.B. hat er den erforderlichen Stammumfang oder ist er eine geschützte Art)?
- Auswirkungen des Bauvorhabens: Würde die geplante Beseitigung den Schutzgrund verletzen (z.B. eine Brutstätte zerstören)?
- Prüfung von Alternativen: Gibt es zumutbare Alternativen zur Fällung oder Rodung (z.B. Verschiebung der Baumaßnahme, Umplanung, spezielle Schutzmaßnahmen während der Bauzeit)?
Die Rolle der Verhältnismäßigkeit
Jede behördliche Entscheidung, auch eine Untersagung, muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass die Maßnahme (die Untersagung) geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, um den angestrebten Zweck (den Schutz von Natur oder Bäumen) zu erreichen.
- Geeignetheit: Dient die Untersagung überhaupt dem Schutzzweck?
- Erforderlichkeit: Ist die Untersagung das mildeste Mittel, um den Schutzzweck zu erreichen, oder gäbe es weniger einschneidende Maßnahmen (wie z.B. die Auflage, Ersatzpflanzungen vorzunehmen)?
- Angemessenheit: Steht der Schutz des Baumes oder Strauches in einem angemessenen Verhältnis zu den Auswirkungen für den Bauherrn (z.B. Kostensteigerung, Verzögerung, Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Grundstücks)?
Die Behörde muss bei ihrer Entscheidung all diese Aspekte berücksichtigen. Eine Untersagung ist daher nur dann rechtmäßig, wenn eine klare gesetzliche Grundlage besteht und die Entscheidung im Einzelfall verhältnismäßig ist, also die Schutzinteressen die Interessen des Bauherrn überwiegen oder ein angemessener Ausgleich gefunden wird.
Was bedeutet „summarische Prüfung“ im Eilverfahren und welche Bedeutung hat sie für die Entscheidung des Gerichts?
Im deutschen Recht gibt es neben den längeren, umfassenden Verfahren auch sogenannte Eilverfahren. Diese sind dazu gedacht, in besonders dringenden Fällen schnell eine vorläufige Entscheidung zu bekommen, beispielsweise um drohende Nachteile abzuwenden oder einen vorübergehenden Zustand zu sichern. Stellen Sie sich vor, Sie brauchen sehr schnell eine bestimmte Regelung, weil sonst ein großer Schaden entsteht oder eine wichtige Frist abläuft.
Was bedeutet „summarische Prüfung“?
Gerade weil Eilverfahren schnell gehen müssen, kann das Gericht die Sachlage nicht so gründlich und umfassend untersuchen wie in einem normalen, langen Verfahren (dem sogenannten „Hauptsacheverfahren“). Hier kommt die „Summarische Prüfung“ ins Spiel. „Summarisch“ bedeutet so viel wie „zusammenfassend“, „überschlägig“ oder „grob“.
Bei der summarischen Prüfung prüft das Gericht den Fall nur „oberflächlich“ oder „plausibel“. Es geht darum festzustellen, ob die beantragte Regelung oder der geltend gemachte Anspruch wahrscheinlich besteht und ob der Fall tatsächlich so dringend ist, dass eine schnelle Entscheidung nötig ist. Das Gericht wird also nicht jedes kleinste Detail genau unter die Lupe nehmen oder umfangreiche, langwierige Beweiserhebungen durchführen (wie das Befragen vieler Zeugen oder das Einholen komplexer Sachverständigengutachten über Monate). Es verlässt sich oft auf das, was die Parteien glaubhaft machen können, zum Beispiel durch eidesstattliche Versicherungen oder leicht zugängliche Dokumente.
Der Unterschied zur Prüfung im Hauptsacheverfahren
Der Hauptunterschied zur Prüfung in einem Hauptsacheverfahren liegt in der Intensität und Gründlichkeit. Im Hauptsacheverfahren hat das Gericht die Zeit und die Pflicht, den Sachverhalt vollumfänglich aufzuklären. Hier wird alles ganz genau geprüft, Beweise werden umfassend erhoben und gewürdigt, und es wird eine endgültige Entscheidung über den eigentlichen Streit getroffen.
Stellen Sie sich das wie den Unterschied zwischen einem kurzen Gesundheits-Check beim Arzt (summarische Prüfung) und einer umfassenden Untersuchung mit allen möglichen Tests und Facharztkonsultationen (Prüfung im Hauptsacheverfahren) vor. Der Check gibt eine erste Einschätzung, die umfassende Untersuchung ein genaues Bild.
Bedeutung der summarischen Prüfung für die Gerichtsentscheidung
Die Tatsache, dass das Gericht nur summarisch prüft, hat entscheidende Auswirkungen auf die Entscheidung im Eilverfahren:
- Vorläufigkeit: Die Entscheidung im Eilverfahren ist fast immer nur vorläufig. Sie regelt eine Situation für eine bestimmte Zeit oder bis zu einer endgültigen Klärung im Hauptsacheverfahren. Sie ist kein endgültiges Urteil über den Streit selbst.
- Basis der Entscheidung: Die Entscheidung basiert auf der Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftigkeit des Anspruchs und der Dringlichkeit, nicht auf der endgültigen und absoluten Klärung des Sachverhalts. Das Gericht entscheidet also nach dem momentanen Stand der Dinge und dem, was schnell erkennbar und glaubhaft ist.
- Grenzen der Entscheidung: Wenn ein Fall sehr kompliziert ist, viele offene Fragen hat oder eine umfangreiche Beweisaufnahme erfordert, kann das Gericht im Eilverfahren oft keine Entscheidung treffen, weil eine summarische Prüfung hierfür nicht ausreicht. Es kann dann die vorläufige Regelung ablehnen und darauf verweisen, dass der Fall im Hauptsacheverfahren geklärt werden muss.
Für Sie bedeutet das: Eine Entscheidung im Eilverfahren, die auf einer summarischen Prüfung beruht, ist eine schnelle Hilfe für eine Eilsituation, legt aber den eigentlichen Streit nicht abschließend fest. Das endgültige „Recht haben oder nicht“ wird in der Regel erst in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren geklärt, falls dieses angestrengt wird.
Welche Rechte haben Naturschutzverbände und Anwohner bei Bauvorhaben, die potenziell den Artenschutz beeinträchtigen?
Bei Bauvorhaben, die Natur oder bestimmte Tier- und Pflanzenarten betreffen könnten, haben Bürger und insbesondere anerkannte Naturschutzverbände verschiedene Möglichkeiten, sich einzubringen und Bedenken zu äußern. Das Ziel dieser Rechte ist es, sicherzustellen, dass Umweltschutzvorschriften eingehalten werden und die Öffentlichkeit über geplante Projekte informiert wird.
Beteiligungsmöglichkeiten für Anwohner und die Öffentlichkeit
Wenn Planungen für Bauvorhaben öffentlich ausgelegt werden, haben Sie als Anwohnerin oder Anwohner sowie jeder andere Bürger die Gelegenheit, die Unterlagen einzusehen. Innerhalb einer bestimmten Frist können Sie dazu schriftliche Stellungnahmen abgeben.
- Schriftliche Stellungnahmen: Das bedeutet, Sie können Ihre Bedenken, Einwände oder Hinweise zum Schutz der Natur und betroffener Arten schriftlich bei der zuständigen Behörde einreichen. Hier können Sie darauf hinweisen, welche geschützten Arten Sie beobachten oder welche Naturbereiche aus Ihrer Sicht durch das Vorhaben beeinträchtigt würden. Die Behörde muss diese Stellungnahmen prüfen und bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.
Zusätzlich kann es bei bestimmten Planungen öffentliche Anhörungen oder Erörterungstermine geben.
- Öffentliche Anhörungen: Das sind Termine, bei denen die Pläne vorgestellt und die eingereichten Stellungnahmen besprochen werden. Hier haben Sie oft die Möglichkeit, Ihre Bedenken mündlich vorzutragen und direkt mit Vertretern der Behörden und Planern zu sprechen.
Besondere Rechte für anerkannte Naturschutzverbände
Neben den allgemeinen Beteiligungsrechten für jeden Bürger haben anerkannte Naturschutzverbände weitergehende Rechte. Ein Verband gilt als anerkannt, wenn er bestimmte gesetzliche Kriterien erfüllt und vom Bund oder einem Bundesland entsprechend gelistet ist.
Diese Verbände haben oft früher und umfassendere Informationsrechte über geplante Projekte. Sie können ebenfalls Stellungnahmen abgeben und an Anhörungen teilnehmen. Ihr besonderes Recht liegt jedoch in der Möglichkeit, gerichtlich gegen Entscheidungen vorzugehen.
Gerichtlich gegen Bauvorhaben vorgehen
Unter bestimmten Voraussetzungen können sowohl Anwohner als auch anerkannte Naturschutzverbände Klage erheben, um eine behördliche Entscheidung, die ein Bauvorhaben genehmigt, gerichtlich überprüfen zu lassen.
- Anwohner: Als Anwohner können Sie grundsätzlich dann Klage erheben, wenn Sie durch das Bauvorhaben selbst unmittelbar und persönlich betroffen sind und Ihre eigenen Rechte verletzt sehen. Wenn ein Bauvorhaben beispielsweise Artenschutzvorschriften missachtet und dies direkte Auswirkungen auf Ihre persönliche Wohnsituation oder Ihr Eigentum hat (z.B. Zerstörung eines Lebensraums direkt auf Ihrem Grundstück oder unmittelbar daneben, wodurch Ihnen Nachteile entstehen), kann dies unter Umständen zur Klageberechtigung führen, sofern die verletzte Vorschrift auch dem Schutz Ihrer Interessen dient.
- Anerkannte Naturschutzverbände (Verbandsklagerecht): Anerkannte Verbände haben ein besonderes Verbandsklagerecht. Dieses Recht ermöglicht es ihnen, Klage zu erheben, wenn gegen Vorschriften verstoßen wird, die dem Umweltschutz dienen – und dazu gehört auch der Schutz von Arten. Die Besonderheit ist, dass der Verband nicht selbst unmittelbar durch das Vorhaben in seinen eigenen Rechten oder seinem „Besitz“ betroffen sein muss. Er kann Klage erheben, um die Einhaltung des Umwelt- und Artenschutzrechts im Interesse der Allgemeinheit oder im Interesse des Naturschutzes durchzusetzen. Dies ist ein wichtiges Instrument, um sicherzustellen, dass Artenschutzbestimmungen bei Planungen und Genehmigungen beachtet werden.
Diese Rechte ermöglichen es, Bedenken frühzeitig anzubringen, auf mögliche Probleme hinzuweisen und in bestimmten Fällen auch gerichtlich eine Überprüfung zu verlangen, wenn der Artenschutz gefährdet scheint.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Sofortige Vollziehung
Die sofortige Vollziehung ist eine behördliche Anordnung, die bewirkt, dass ein Verwaltungsakt sofort und ohne Zeitverzögerung wirksam wird, auch wenn ein Einspruch (Widerspruch) gegen diesen eingelegt wurde. Normalerweise hat ein Widerspruch aufschiebende Wirkung, das heißt, der Verwaltungsakt darf vorerst nicht umgesetzt werden. Mit der sofortigen Vollziehung wird diese aufschiebende Wirkung beseitigt, um unmittelbaren Rechtsschutz zu verhindern oder dringende öffentliche Interessen zu wahren (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung). In der Praxis bedeutet das: Die Behörde kann das Verbot oder die Maßnahme sofort durchsetzen, auch wenn deren Richtigkeit noch nicht abschließend geprüft ist.
Beispiel: Wenn eine Behörde den Abriss eines Gebäudes anordnet und gleichzeitig die sofortige Vollziehung anordnet, muss der Abriss sofort stattfinden, auch wenn der Eigentümer Widerspruch eingelegt hat.
Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
Die aufschiebende Wirkung bedeutet, dass ein Widerspruch (Einspruch gegen einen Verwaltungsakt) dessen Vollziehung solange verhindert, bis in der Hauptsache über den Widerspruch oder eine Klage entschieden wurde (§ 80 Abs. 1 VwGO). Wird die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt, kann die Maßnahme (z. B. ein Verbot) vorerst nicht vollzogen werden und gilt als vorläufig „ausgesetzt“. Dies schützt die Rechte des Betroffenen vor vollendeten Tatsachen, wenn die Maßnahme eventuell rechtswidrig ist. Im Eilverfahren kann ein Gericht diese Wirkung wiederherstellen, wenn die sofortige Vollziehung unrechtmäßig ist.
Beispiel: Gegen eine Baustopp-Verfügung legt der Bauherr Widerspruch ein. Solange der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, darf weiter gebaut werden, bis die Behörde oder das Gericht endgültig entschieden hat.
Artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung
Die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung ist eine behördliche Erlaubnis, die es erlaubt, – trotz bestehender Artenschutzverbote – bestimmte Eingriffe vorzunehmen, die Tiere oder Pflanzen und ihre Lebensstätten beeinträchtigen. Nach § 45 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) dürfen Eingriffe, die ansonsten verboten sind (z.B. Zerstörung von Niststätten), nur mit einer solchen Ausnahme durchgeführt werden, wenn keine andere zumutbare Möglichkeit besteht und wenn dies keine nachhaltigen Schäden an den geschützten Arten verursacht. Sie wird nur erteilt, wenn überwiegende öffentliche oder private Interessen vorliegen und der Eingriff angemessen ausgeglichen wird.
Beispiel: Bei einer Baustelle, an der Fledermausquartiere betroffen sind, kann die Behörde eine Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn Ersatzquartiere geschaffen werden und keine zumutbaren Alternativen bestehen.
Summarische Prüfung
Die summarische Prüfung beschreibt die eingeschränkte, vorläufige Art der gerichtlichen Überprüfung im Eilverfahren, wie z. B. bei Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz. Das Gericht prüft nicht den gesamten Sachverhalt umfassend, sondern nur kurz und überschlägig, ob die Voraussetzungen für den beantragten Rechtsschutz wahrscheinlich vorliegen. Das bedeutet, es wird eine grobe Plausibilität festgestellt, ohne umfassende Beweiserhebungen oder tiefgehende Untersuchungen vorzunehmen. Die summarische Prüfung dient dazu, schnell vorläufig Rechtsschutz zu gewähren oder abzulehnen, bis im Hauptsacheverfahren endgültig entschieden wird.
Beispiel: Wenn ein Bauherr in einem Eilverfahren gegen einen Baustopp klagt, überprüft das Gericht nur grob, ob der Baustopp vermutlich rechtmäßig ist, um schnell eine Entscheidung zu treffen.
Ermessensausübung und Ermessensfehler
Ermessensausübung meint die Pflicht der Behörde, bei bestimmten Entscheidungen wie dem Erlass von Verboten oder Genehmigungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln (§ 40 Verwaltungsverfahrensgesetz). Dabei darf sie rechtlichen Spielraum nutzen, muss aber alle relevanten Gesichtspunkte abwägen und darf nicht willkürlich handeln. Ein Ermessensfehler liegt vor, wenn die Behörde diesen Spielraum nicht erkennt (Ermessensnichtgebrauch), eine Entscheidung ohne Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte trifft oder unverhältnismäßig handelt. Solche Fehler machen den Bescheid rechtswidrig.
Beispiel: Wenn eine Behörde eine Baumfällung komplett verbietet, ohne zu prüfen, ob weniger einschneidende Schutzmaßnahmen zum Erhalt führen könnten, liegt ein Ermessensfehler vor.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 44 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG): Diese Vorschrift schützt wildlebende Tiere, Pflanzen und deren Lebensstätten und verbietet ohne Ausnahme insbesondere die Zerstörung, Beschädigung oder Störung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten geschützter Arten. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Baumfällverbot basiert auf diesem Artenschutzrecht, da durch die Entfernung von Bäumen und Sträuchern Brutstätten geschützter Vogelarten sowie Fledermausquartiere betroffen sind und eine Ausnahmegenehmigung erforderlich ist.
- § 17 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG: Ermöglicht es der Naturschutzbehörde, bei bereits begonnenen Eingriffen den weiteren Vollzug zu untersagen, wenn diese ohne erforderliche Zulassung oder Anzeige erfolgen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Bezirksamt stützte die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf diese Vorschrift, wurde jedoch vom Gericht zurückgewiesen, da keine begonnenen Eingriffe im naturschutzrechtlichen Sinne vorlagen.
- § 14 Abs. 1 BNatSchG (Definition Eingriff): Definiert Eingriffe als erheblich beeinträchtigende Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild beeinflussen können. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Bezirksamt verwendete diesen Begriff zur Rechtfertigung der Untersagung, das Gericht stellte jedoch fest, dass der behauptete bauliche Beginn keine solche Beeinträchtigung darstellt.
- § 3 Abs. 2 BNatSchG (Generalklausel): Erlaubt der Behörde allgemeine Maßnahmen zur Durchsetzung des Naturschutzrechts, wenn spezielle Vorschriften nicht greifen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Könnte als alternative Rechtsgrundlage für die Untersagung gelten, doch das Gericht sah hier einen Ermessensfehler und mangelnde ordnungsgemäße Ermessensausübung.
- § 80 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 5 Satz 1 Var. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO): Regelt die Anordnung und Aufhebung der sofortigen Vollziehung von Verwaltungsakten, insbesondere auch im Rahmen von Widerspruchs- und Eilverfahren. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht stellte auf dieser Grundlage die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen das Baumfällverbot wieder her, weil die sofortige Vollziehung offensichtlich rechtswidrig war.
- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Behördliche Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die unbefristete und pauschale Untersagungsverfügung wurde vom Gericht als unverhältnismäßig bewertet, da sie den Bau ohne konkrete Prüfung einzelner Maßnahmen und ohne zeitliche Begrenzung blockierte.
Das vorliegende Urteil
VG Berlin – Az.: 24 L 305/23 – Beschluss vom 09.01.2024
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz