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Mautgebühren für ungarische Autobahn – erhöhte Zusatzgebühr

LG München I – Az.: 31 S 10317/20 – Urteil vom 04.02.2021

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 20.07.2020, Az. 174 C 21102/19, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.186,24 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin machte gegen den Beklagten in erster Instanz Ansprüche auf Zahlung einer Zusatzgebühr und einer erhöhten Zusatzgebühr geltend. Mit dem Fahrzeug, dessen Halter der Beklagte ist, wurden in Ungarn 21 Fahrten ohne Vignette zurückgelegt; die Verstöße erfolgten am 26.11.2017, 28.11.2017, 04.12.2017, 14.12.2017, 15.12.2017, 20.12.2017, 27.12.2017, 08.01.2018, 20.01.2018, 21.01.2018, 18.04.2018, 23.04.2018, 11.06.2018, 14.06.2018, 25.06.2018, 24.10.2018, 26.10.2018, 30.10.2018, 22.11.2018, 23.11.2018 und 26.11.2018. Der Beklagte vermietete das Fahrzeug zu den streitgegenständlichen Zeitpunkten an einen Dritten.

§ 15 Abs. 1 des ungarischen StVG regelt, dass der Minister – in einer Verordnung – den Verkehr mit bestimmten Fahrzeugen von der Entrichtung einer Gebühr abhängig machen kann; nach § 15 Abs. 2 haftet der Halter des Fahrzeugs unter anderem für die Entrichtung der Zusatzgebühr. Gemäß § 33/A Abs. 1 ist für die Nutzung der in einem separaten Gesetz festgelegten öffentlichen Landesstraßen in einem bestimmten Zeitraum eine Gebühr (Nutzungsgebühr) und bei Nichtentrichtung eine Zusatzgebühr zu zahlen (vgl. Anlage K1).

Die Verordnung des Ministers für Wirtschaft und Verkehr Nr. 36/2007 (III. 26.) GKM über die Maut von Autobahnen, Autostraßen und Hauptstraßen enthält unter anderem folgende Regelungen (vgl. Anlage K2):

§ 1: „Für die – im Rahmen eines Zivilrechtsverhältnisses – erfolgende Benutzung der in der ministeriellen Verordnung über die gegen Gebührenzahlung zu nutzenden Straßen festgelegten Schnellstraßen mit einem in die Gebührenkategorie laut dieser Verordnung fallenden Kraftfahrzeug bzw. Anhänger (…) ist eine Nutzungsgebühr (nachfolgend Gebühr) bzw. bei einem Versäumen der Gebührenzahlung eine Zusatzgebühr zu zahlen. “

§ 7/A Abs. 1: „Wenn das Kraftfahrzeug bei der Kontrolle – mit den in Absätzen 2 und 3 festgehaltenen Ausnahmen – über keine gültige Berechtigung verfügt, muss wegen einer unberechtigten Straßennutzung eine der Kategorie des Kraftfahrzeugs entsprechende Zusatzgebühr gezahlt werden. “

§ 6 Abs. 1: „Die Höhe der Gebühr hängt von den laut der Einträge in der gültigen behördlichen Zulassung für den Straßenverkehr oder den Festlegungen in einem für das Fahrzeug ausgegebenen anderen glaubwürdigen Dokument aufgrund der Art und der technischen Daten des Fahrzeugs wie folgt bestimmten Gebührenkategorie ab: a) Gebührenkategorie D1: Motorräder und Personenkraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von höchstens 3500 t [sic!], die – zusammen mit dem Fahrer – zum Transport von höchstens 7 Personen geeignet sind, und deren Anhänger, (…). “

§ 6 Abs. 6: Der mit der allgemeinen Umsatzsteuer belastete Preis der Berechtigung in Forint gestaltet sich wie folgt:

………………

Der Beklagte wurde mit zwei Schreiben vom 15.03.2018 (Anlagen K6 und K7) wegen der Verstöße vom 26.11.2017 und 28.11.2017 sowie mit drei Schreiben vom 20.03.2018 (Anlagen K10, K12 und K14) wegen der Verstöße vom 04.12.2017, 14.12.2017 und 15.12.2017 zur Zahlung aufgefordert. Hinsichtlich der weiteren Verstöße folgten weitere Schreiben mit Zahlungsaufforderungen.

Auf die übrigen Feststellungen des Amtsgerichts wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung der Grund-Zusatzgebühr (insg. … Euro) und zur Zahlung von Inkassokosten (insg. … Euro) verurteilt; die Klage hinsichtlich der erhöhten Zusatzgebühr hat das Amtsgericht abgewiesen. Das Amtsgericht hat insoweit ausgeführt, die erhöhte Zusatzgebühr knüpfe nicht an die gebührenpflichtige Straßennutzung, sondern ausschließlich an die Nichtzahlung der Grund-Zusatzgebühr; sie habe reinen Sanktionscharakter und widerspreche damit grundlegend dem deutschen Schadensrecht. Eine Vergleichbarkeit mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht sei nicht gegeben. Die erhöhte Zusatzgebühr verstoße daher gegen den ordre-public-Vorbehalt des Art. 26 Rom II-VO. Das Amtsgericht hat darüber hinaus den Anwendungsbereich der Rom I-VO mangels rechtsgeschäftlicher Sonderverbindung als nicht eröffnet angesehen.

Die Klägerin begehrt mit der Berufung die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung auch der erhöhten Zusatzgebühr.

Mautgebühren für ungarische Autobahn - erhöhte Zusatzgebühr
(Symbolfoto: Von Juergen Faelchle/Shutterstock.com)

Die Klägerin ist der Ansicht, zwischen den Parteien bestehe ein Vertrag, zumindest aber ein vertragsähnliches Verhältnis, so dass die Rom I-VO einschlägig sei; die Klägerin hat insofern ein Rechtsgutachten eines ungarischen Lehrstuhlinhabers vorgelegt. Aus Sicht der Klägerin sei im Hinblick auf den ordre-public-Vorbehalt nicht auf Art. 26 Rom II-VO, sondern auf Art. 21 Rom I-VO abzustellen, dessen Anwendungsbereich deutlich enger sei. Die erhöhte Zusatzgebühr sei als Vertragsstrafe zu qualifizieren.

Die Klägerin ist der Ansicht, ein Verstoß gegen den ordre-Public-Vorbehalt liege nicht vor; sie begründet dies unter anderem damit, dass die Vertragsstrafe bei einer Schwarzfahrt im öffentlichen Personennahverkehr in Berlin mitunter 31,5 mal höher sei als der Preis für ein Kurzstreckenticket (60,- Euro ggü. – nach Angaben der Klägerin – 1,90 Euro). Die Benutzung der ungarischen Autobahn unter Missachtung der Mautpflicht stelle ein sittlich verwerfliches und die Allgemeinheit schädigendes Verhalten dar.

Die Klägerin ist der Ansicht, die erhöhte Zusatzgebühr sei nicht als Sanktion für die Nichtzahlung der Grund-Zusatzgebühr anzusehen. Vielmehr ergebe sich aus der Systematik der Mautverordnung, dass grundsätzlich die erhöhte Zusatzgebühr zu zahlen ist, sich diese aber bei fristgemäßer Zahlung auf die Höhe der Grund-Zusatzgebühr verringere. Die Klägerin zieht insoweit einen Vergleich zum Druckvergleich. Die erhöhte Zusatzgebühr sei also als Druckmittel im Sinne einer Vertragsstrafe anzusehen.

Die Klägerin beantragt:

Das Urteil des Amtsgerichts München vom 20.07.2020, AZ 174 C 21102/19, wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere € 3.186,24 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt, Zurückweisung der Berufung.

Der Beklagte ist der Ansicht, ein Vertrag sei nicht zustande gekommen. Der Halter eines Fahrzeugs erkläre nicht konkludent sein Einverständnis damit, dass der Fahrer mit Wirkung für und gegen den Halter Kosten für die Befahrung der ungarischen Autobahn auslöst; eine Vertretung des Halters durch den Fahrer komme daher mangels (Duldungs-/Anscheins-)Vollmacht nicht in Betracht. Der Beklagte meint zudem, der Verstoß gegen den ordre-public-Vorbehalt ergebe sich aus dem Sanktionscharakter.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll zur mündlichen Berufungsverhandlung vom 14.01.2021 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg, da die angefochtene Entscheidung weder auf einer Rechtsverletzung i.S.d. § 546 ZPO beruht, noch die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, § 513 ZPO.

Aus den von der Klägerin vorgelegten Urteilen ergibt sich folgendes: Teilweise wurde die erhöhte Zusatzgebühr im Anwendungsbereich der Rom I-VO zugesprochen (vgl. LG Freiburg i.B., Beschluss vom 13.07.2020 – 3 S 45/20; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 30.07.2019 – 16 S 9176/18; AG München, Urteil vom 26.08.2020 – 122 C 1082/20; AG Wolfratshausen, Urteil vom 17.08.2020 – 6 C 91/20). Teilweise wurde die erhöhte Zusatzgebühr im Anwendungsbereich der Rom II-VO zugesprochen (AG Senftenberg, Urteil vom 02.11.2020 – 22 C 219/19; AG München, Urteil vom 20.10.2020 – 154 C 19524/19).

1. Die Klägerin stützt den Anspruch auf Zahlung der erhöhten Zusatzgebühr zu Unrecht auf einen Vertrag zwischen den Parteien. Der Anwendungsbereich der Rom I-VO ist nicht eröffnet. Gemäß Art. 1 Abs. 1 Rom-I VO gilt die Verordnung für vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Der Beurteilung des Amtsgerichts, es fehle bereits an einem vertraglichen Schuldverhältnis zwischen den Parteien, ist sowohl für die zehn Fälle im Zeitraum 26.11.2017 bis 21.01.2018 als auch für die elf Fälle ab dem 18.04.2018 zu folgen.

a. Hinsichtlich der Entscheidungen, in denen die erhöhte Zusatzgebühr im Anwendungsbereich der Rom I-VO zugesprochen worden ist, ist festzustellen, dass lediglich der zivilrechtliche Charakter der Streitigkeit begründet wird; auf die Frage, wie das Vertragsverhältnis zwischen Klägerin und Halter entsteht, wird dort nicht eingegangen.

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b. Der ungarische Lehrstuhlinhaber führt in seinem Rechtsgutachten aus, dass das Rechtsverhältnis zwischen dem Halter des Fahrzeugs und dem Betreiber der Autobahn in der Ungarischen Rechtsordnung seit jeher eindeutig als Vertragsverhältnis angesehen worden sei (S. 5, Ziffer 13). Es genüge ein konkludenter Vertragsschluss; durch die Inanspruchnahme der Autobahn werde eine Verpflichtung gegenüber dem Betreiber der Autobahn freiwillig übernommen, wodurch ein vertragliches Schuldverhältnis entstehe (S. 6, Ziffer 16). Daran ändere nichts, dass Fahrzeughalter und Fahrer nicht immer identisch sind; dem Gesetzgeber stehe es zu, typische Lebensverhältnisse zugrunde zu legen und die Regelungen auf diese zu beziehen (S. 6, Ziffer 17). Ob der Halter die Vermutung, dass er das Fahrzeug gefahren und dadurch den Vertrag abgeschlossen hat, im Allgemeinen widerlegen kann, sei nicht erheblich; selbst wenn in Einzelfällen der Halter nicht selber fährt, könne seine Verpflichtung zur Zahlung der Gebühren und Nachgebühren als typisierende Gesetzgebung angesehen werden, welche die Qualifikation des Rechtsverhältnisses als Vertragsverhältnis nicht berühre (S. 7, Ziffer 18). Insoweit ist anzumerken, dass kein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass der Fahrzeughalter auch der Fahrzeugführer ist, denn Halter- und Fahrereigenschaft fallen in der Lebenswirklichkeit häufig auseinander (BGH, Urteil vom 18.12.2019 – XII ZR 13/19, BeckRS 2019, 35600, Rz. 32).

c. Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. g) Rom I-VO ist die Frage, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann, vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen. Diese Bereichsausnahme betrifft insbesondere die rechtsgeschäftliche Vertretung, so dass alle Fragen der Vollmacht und auch solche des Rechtsscheins vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen sind (BeckOGK/Paulus , Stand: 01.10.2020, Art. 1 Rom I-VO Rn. 94). Die damit erfassten Fragen der Vertretungsmacht können daher noch vom nationalen Gesetzgeber geregelt und von den nationalen Gerichten unionsrechtskonform entschieden werden (BeckOK-BGB/Spickhoff , 56. Ed.-Stand: 01.11.2020, Art. 1 Rom I-VO Rn. 41).

d. Hinsichtlich der ersten zehn Fälle kommt eine Bevollmächtigung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht.

aa. Nach dem objektiven Empfängerhorizont ist mit der Vermietung eines Fahrzeugs keine Bevollmächtigung zum Abschluss eines Nutzungsvertrags über die gebührenpflichtige Straßennutzung im Ausland verbunden. Auch die Annahme einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht scheidet für die genannten zehn Fälle aus. Die Fahrt mit einem fremden (hier: gemieteten) Auto stellt grundsätzlich kein Handeln im Namen des Halters (hier: zugleich des Vermieters) dar. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass der Beklagte hinsichtlich der ersten zehn Fälle Kenntnis von den Verstößen gehabt hätte.

bb. Der Nutzungsvertrag zwischen der Klägerin und dem Fahrer führt daher insoweit nicht zu einer Mitverpflichtung des Beklagten. Es würde sich insoweit um einen Vertrag zu Lasten Dritter handeln, der offensichtlich gegen den ordre-public-Vorbehalt verstößt, denn die allgemeine Handlungsfreiheit und das Recht zur Selbstbestimmung als vom Grundgesetz geschützte Prinzipien der Rechtsordnung verlangen, dass jede Person im Rechtsverkehr selbst entscheiden können muss, ob für sie durch einen Vertrag Pflichten entstehen sollen (HK-BGB/Schulze , 10. Aufl. 2019, § 328 BGB Rn. 5). Ein Vertrag zu Lasten Dritter, durch den der Dritte ohne seine Mitwirkung unmittelbar vertraglich verpflichtet wird, ist mit der Privatautonomie nicht vereinbar und im BGB nicht vorgesehen (MüKo-BGB/Gottwald , 8. Aufl. 2019, § 328 BGB Rn. 261).

e. Auch hinsichtlich der weiteren elf Fälle kommt eine Bevollmächtigung nicht in Betracht.

aa. Im Unterschied zu den ersten zehn Fällen hatte der Beklagte zwar aufgrund der fünf Zahlungsaufforderungen vom 15.03.2020 bzw. 20.03.2020 (Anlagen K6, K7, K10, K12, K14) Kenntnis zum einen von fünf Verstößen (26.11.2017, 28.11.2017, 04.12.2017, 14.12.2017 und 15.12.2017) und zum anderen, dass insoweit eine Halterhaftung besteht; den Zugang der Schreiben hat der Beklagte nicht bestritten. Der Beklagte hat darüber hinaus offensichtlich (zumal mangels entsprechenden Verteidigungsvortrags) nichts unternommen, um diese Verstöße zu unterbinden. Der Beklagte hat insbesondere nicht vorgetragen, dass er insoweit auf die Klägerin zugegangen wäre, um klarzustellen, dass er nicht der Fahrer war und eventuell keinen Einfluss auf die Handlungen des Fahrers gehabt hätte; nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin hat der Beklagte auf jede der 21 Zahlungsaufforderungen vielmehr nicht reagiert.

bb. Gleichwohl genügen diese Umstände nicht, um ein (ggf. konkludentes) Einverständnis des Beklagten mit einem Handeln des Fahrers dergestalt anzunehmen, dass insoweit von einer (ggf. konkludenten) Außenvollmacht ausgegangen werden könnte.

(1) Das Vorliegen einer konkludenten Außenvollmacht hängt zum einen davon ab, ob das Handeln des Vertretenen ausreicht, um den äußeren Tatbestand einer Bevollmächtigung annehmen zu können. Dabei ist auf den objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) abzustellen. Zudem muss der Vertretene zumindest mit Erklärungsbewusstsein gehandelt haben, auch wenn es ihm am Geschäftswillen für die konkrete Bevollmächtigung fehlt. Es genügt ein potentielles Erklärungsbewusstsein; es reicht also aus, dass der Vertretene nach Treu und Glauben hätte erkennen müssen, dass sein Handeln als Vollmachtserteilung verstanden wird (MüKo-BGB/Schubert, 8. Aufl. 2018, § 167 BGB Rn. 107).

(2) Im vorliegenden Fall hat der Beklagte schlicht nicht reagiert und erstmals in der Klageerwiderung mitgeteilt, dass er nicht der Fahrer gewesen ist und das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Verstöße vermietet hatte. Gerade die konsequente Nichtreaktion ist als bloßes Schweigen zu qualifizieren, dem grundsätzlich kein Erklärungswert zukommt. Die Klägerin hätte dem Verhalten des Beklagten nur dann einen anspruchsbegründenden Erklärungswert entnehmen können, wenn es Hinweise dafür gab, dass der Beklagte für Verkehrsverstöße des Fahrers haften wollte. Dies lässt sich jedoch weder allgemein aus dem Schweigen noch konkret aus einer damit etwaige verbundenen Billigung der Nutzung der ungarischen Straßen herleiten; vielmehr spricht das Schweigen dafür, dass der Beklagte eine Verpflichtung nicht eingehen wollte, schließlich würde eine Haftung für Verstöße eines anderen klar seinem Interesse widersprechen. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, insoweit Klarheit zu schaffen, indem sie bereits in den Schreiben mit den Zahlungsaufforderungen beim Beklagten die Information fordert, wer der Fahrer gewesen ist. Für das Berufungsgericht ist die nicht angegriffene Feststellung des Amtsgerichts, wonach das Fahrzeug vermietet und der Beklagte nicht der Fahrer war, bindend.

2. Das Amtsgericht hat den Anspruch, soweit er auf eine unerlaubte Handlung gestützt wird, ebenfalls zu Recht verneint. Auf die Frage, ob der Anwendungsbereich der Rom II-VO eröffnet ist, kommt es nicht an, denn die erhöhte Zusatzgebühr verstößt jedenfalls gegen den ordre-public-Vorbehalt des Art. 26 Rom II-VO i.V.m. Art. 40 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 EGBGB.

a. Gemäß Art. 26 Rom II-VO kann die Anwendung einer Vorschrift des nach der Rom II-VO bezeichneten Rechts nur versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (“ordre public“) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist.

Nach Erwägungsgrund Nr. 32 rechtfertigen es Gründe des öffentlichen Interesses, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten unter außergewöhnlichen Umständen die Vorbehaltsklausel (ordre public) und Eingriffsnormen anwenden können. Insbesondere kann die Anwendung einer Norm des nach der Rom II-VO bezeichneten Rechts, die zur Folge haben würde, dass ein unangemessener, über den Ausgleich des entstandenen Schadens hinausgehender Schadensersatz mit abschreckender Wirkung oder Strafschadensersatz zugesprochen werden könnte, je nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts als mit der öffentlichen Ordnung (“ordre public“) dieses Staates unvereinbar angesehen werden.

Gemäß Art. 40 Abs. 3 EGBGB können Ansprüche, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, nicht geltend gemacht werden, soweit sie (Nr. 1) wesentlich weiter gehen als zur angemessenen Entschädigung des Verletzten erforderlich oder (Nr. 2) offensichtlich anderen Zwecken als einer angemessenen Entschädigung des Verletzten dienen. Diese Norm wird in den Entscheidungen, die im Anwendungsbereich der Rom II-VO die erhöhte Zusatzgebühr zusprechen, nicht thematisiert.

b. Ausgehend hiervon verstößt die erhöhte Zusatzgebühr gegen den ordre-public-Vorbehalt des deutschen Rechts. Die erhöhte Zusatzgebühr ist ausweislich der obigen Angaben viermal so hoch wie die Grund-Zusatzgebühr, die Grund-Zusatzgebühr wiederum ist fünfmal so hoch wie die eigentliche Gebühr. Ein Zusammenhang mit dem Schaden ist nicht erkennbar, zumal die Inkassokosten als Nebenforderung separat eingeklagt werden. In den Zahlungsaufforderungen (vgl. Anlagen K6 etc.) wird formuliert: „Zahlungstermin: spätestens am 60. Tag nach Zustellung dieses Schreibens gemäß Mautverordnung Nr. 36/2007 (III. 26.) GKM. Bei verspäteter Zahlung erhöht sich der Betrag, gemäß § 7/A (10) Nr. 36/2007 (III. 26.) GKM, durch die Erhöhung der Ersatzmaut auf (…). “ Daraus ergibt sich, dass Anknüpfungspunkt für die erhöhte Zusatzgebühr allein die Versäumung des Zahlungstermins ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10 ZPO. Der Streitwert wurde nach §§ 47, 48 GKG festgesetzt.

4. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ZPO). Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Frage, ob ein Verstoß gegen den ordre-public-Vorbehalt (Art. 26 Rom II-VO bzw. Art. 21 Rom I-VO) vorliegt oder nicht.

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