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Meinungsfreiheit auch für Steuerberater

LG KÖLN

Az.: 171 StL 6/10

Beschluss vom 12.11.2010


In dem Verfahren auf gerichtliche Entscheidung hat die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts Köln am 12. November 2010 beschlossen:

Der Rügebescheid der Steuerberaterkammer Köln vom 10.12.2009 – BA-R- …/09 (BA-E-…/09) in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 10.5.2010 zum selben Aktenzeichen wird aufgehoben.

Die notwendigen Auslagen des Berufsangehörigen werden der …

Tatbestand:

I.

Der Berufsangehörige ist Geschäftsführer der …, einer Steuerberatungsgesellschaft. Diese beriet eine Frau … sowie drei Gesellschaften mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführerin und/oder Gesellschafterin sie war, in steuerlicher Hinsicht. Im Jahr 2008 kündigte die … alle vier Mandate und rechnete offene Honorarforderungen in Höhe von insgesamt 29.486,49 € ab. Des Weiteren machte die … ein Zurückbehaltungsrecht an den ihr übergebenen Unterlagen geltend. Die Mandantinnen verweigerten den Ausgleich der Rechnungen und wandten sich zur Wahrnehmung ihrer Rechte an Herrn Rechtsanwalt … aus Bonn. Sodann kam es zu einem mehrmonatigen Schriftwechsel zwischen der … und Herrn Rechtsanwalt …, der auch Fachanwalt für Steuerrecht ist. Sämtliche Schreiben der … unterzeichnete der Berufsangehörige.

Mit Schreiben vom 24.1.2009 bot die … einen Vergleich an, wonach die Mandantinnen bis zum 20.2.2009 einen Betrag von 22.077,80 € zum Ausgleich aller wechselseitigen Ansprüche zahlen sollten; nach vollständiger Zahlung werde die … sämtliche Unterlagen herausgeben. Der Berufsangehörige wies für die … darauf hin, dass eine weitere Verhandlungsbereitschaft nicht bestehe und kündigte für den Fall, dass das Angebot abgelehnt werde, die Erhebung einer Honorarklage an.

Hierauf erwiderte Herr Rechtsanwalt … mit Schriftsatz vom 20.2.2009 für seine Mandantinnen. Er bot die Zahlung eines Betrags von 10.000 € zur Abgeltung aller Ansprüche an und erklärte, andernfalls müsse die Sache gerichtlich geklärt werden. Zur Begründung führte er aus, bezüglich einer der Gesellschaften sei das Mandat der S… nicht dokumentiert; zudem seien die Honorarrechnungen formell unrichtig. Auch sei zweifelhaft, ob dieS… die abgerechneten Stunden tatsächlich erbracht habe und ob der Stundensatz von 80 € angemessen sei, da die Tätigkeit – die … hatte auftragsgemäß u.a. eine Betriebsprüfung begleitet – keinen hohen oder höheren Schwierigkeitsgrad gehabt habe. Hinsichtlich einer anderen Gesellschaft gab er an, ihm seien keine offenen Rechnungen mehr bekannt.

Der Berufsangehörige reagierte auf diesen Schriftsatz mit einem von ihm verfassten Schreiben der … vom 28.2.2009, in dem es u. a. heißt:

„Soweit Sie den Gebührensatz von 80 €/Std. als überhöht für die Betreuung straffälliger Gesellschafter und insolventer Kapitalgesellschaften ansehen, die Hände ringend meine Aktivitäten zur Mittelbeschaffung benötigten und die mich bedrängt haben, um unterschiedliche Bilanzen für die Bank und für das Finanzamt zu erstellen, so fehlt Ihnen als realitätsfremder Rechtsverdreher wohl völlig der Überblick. Gemessen an den Anforderungen der heutigen Rechtsgebiete und lapidarer Schriftwechsel können Sie sich selbst aussuchen, wer überbezahlt ist.

Die Tatsache, dass Ihnen … die offenen Rechnungen in Sachen … nicht mehr bekannt sind, lässt doch klar erkennen, mit welchen Mitteln Sie arbeiten. Wären Sie an einer soliden Einigung interessiert, dann hätten Sie einen Blick in die Bürgschaft geworfen oder ihren Mandanten befragt. Dass der die offenen Rechnungen nicht kennen will, entspricht seiner kriminellen Neigung. Sie schließen sich diesen Methoden aufgrund der Honorarerwartungen an, obwohl ich davon ausgehe, dass Sie genauso hinter Ihrem Geld herlaufen werden.“

Hinsichtlich dieser beiden Äußerungen hat die Steuerberaterkammer Köln dem Berufsangehörigen unter dem 10.12.2009 eine Rüge (BA-R-14/09) wegen Verletzung des Sachlichkeitsgebots der §§ 57 StBerG, 5 BOStB erteilt. Der Rügebescheid ist dem Berufsangehörigen am 14.12.2009 zugestellt worden. Sein hiergegen gerichteter Einspruch ist am 8.1.2010 bei der Steuerberaterkammer eingegangen. Diese hat den Einspruch mit Bescheid vom 10.5.2010, dem Berufsangehörigen zugestellt am 12.5.2010, zurückgewiesen. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 4.6.2010, eingegangen bei Gericht am 7.6.2010, hat der Berufsangehörige eine gerichtliche Entscheidung beantragt. Unter dem 13.9.2010 hat die Steuerberaterkammer eine Gegenerklärung abgegeben.

Gründe:

II.

Der Rügebescheid vom 10.12.2009 ist aufzuheben, da der Berufsangehörige mit den angegriffenen Äußerungen im Schreiben vom 28.2.2009 die Berufspflichten gemäß §§ 57 Abs. 1, Abs. 2 StBerG, 5 Abs. 1 BOStB nicht verletzt hat/Ein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot liegt nicht vor.

Nach § 5 Abs. 1 BOStB sind Steuerberater zur Sachlichkeit verpflichtet. Sachlich ist ein Verhalten, das bei gewissenhafter Berufsausübung geeignet ist, die anvertrauten Interessen in angemessener Form zu vertreten. Das Sachlichkeitsgebot ist insbesondere verletzt, wenn es sich um Beleidigungen, die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder herabsetzende Äußerungen handelt. Allerdings sind im Lichte der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ehrengerichtliche Maßnahmen nur wegen solcher Äußerungen zulässig, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf – Entsprechendes muss für den Verlauf vorgerichtlichen Schriftwechsels gelten – keinen Anlass gegeben haben ( BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987, 1 BvR 537/81 , 1 BvR 195/87, BVerfGE 76, 171, Rn. 56 bei juris).

Im „Kampf um das Recht“ darf ein Verfahrensbeteiligter, hier der Berufsangehörige, auch starke, eindringliche Ausdrücke benutzen oder „ad personam“ argumentieren, um seine Rechtsposition zu unterstreichen (BVerfG, a. a. O., Rn. 55), zumal wenn es sich um Äußerungen handelt, die – wie hier – Außenstehenden nicht zur Kenntnis gelangen ( BVerfG, Beschl. v. 10.3.2009, 1 BvR 2650/05 , NJW-RR 2010, 204, Rn. 32 bei juris). Dies gilt erst recht, wenn der Berufsangehörige die Äußerungen nicht in der typischen Stellung eines die Interessen eines Mandanten vertretenden Steuerberaters, sondern – wie hier – in eigener Sache macht (vgl. BVerfG, a. a. O., betreffend Äußerungen einer Rechtsanwältin im Rahmen eines gegen sie geführten berufsgerichtlichen Verfahrens).

Diese grundrechtlich gebotenen hohen Voraussetzungen für die Ahndung einer Verletzung des Sachlichkeitsgebots sind vorliegend nicht erfüllt. Die gerügten Äußerungen sind keine Beleidigungen, denn ein dahingehender Vorsatz ist nicht erkennbar. Ob sie herabsetzend sind – insoweit wird vertreten, dass Vorsatz nicht erforderlich sei (Mittelsteiner/Gilgan/Späth- Späth, BOStB , § 5, Rn. 11) – kann dahinstehen. Denn jedenfalls haben der Verlauf des vorgerichtlichen Schriftwechsels sowie Herr Rechtsanwalt A. als Beteiligter zu den Äußerungen Anlass gegeben:

In seinem Schriftsatz vom 20.2.2009 führte er eine Vielzahl von Gründen auf, weshalb die Honorarrechnungen der … ungerechtfertigt oder jedenfalls deutlich übersetzt seien. Es handelt sich um Standardeinwendungen, bei denen verständlich ist, wenn der Adressat sich hingehalten fühlt, insbesondere dann, wenn ein mehrmonatiger Schriftwechsel vorangegangen ist und die – recht schwachen – Einwendungen dazu verwendet werden, einen Vergleichsvorschlag in Höhe von nur einem Drittel der geltend gemachten Forderungen zu begründen. Hierauf darf der Berufsangehörige reagieren, indem er die Einwendungen als haltlos zurückweist; dies hat der Berufsangehörige getan. Dabei stand es ihm frei, für einzelne Einwendungen zu begründen, weshalb sie ihm haltlos erscheinen, z. B. dadurch, dass er den von der Gegenseite für überhöht gehaltenen Stundensatz von 80 € durch eine Aufzählung der geschuldeten Tätigkeiten rechtfertigte. Soweit er Herrn Rechtsanwalt A. in diesem Zusammenhang als „realitätsfremden Rechtsverdreher“ bezeichnete, ist zu bemerken, dass der Stundensatz von 80 € innerhalb des Gebührenrahmens des § 13 StBGebV liegt, der von 38 € bis 92 € reicht und in der Praxis oftmals durch Honorarvereinbarungen überschritten wird. Zudem gehört die Begleitung einer Betriebsprüfung nicht zu den einfachen Tätigkeiten und rechtfertigt daher regelmäßig ein Honorar im oberen Bereich. Beides ist einem Fachanwalt für Steuerrecht bekannt.

Vergleichbares gilt für die Äußerung, Herr Rechtsanwalt . schließe sich den Methoden des Mandanten an, der – dessen krimineller Neigung entsprechend – offene Rechnungen nicht kennen wolle. Wenn ein Mandant eines Berufsangehörigen von offenen Rechnungen, die er kennt, behauptet, dass er sie nicht kenne, dann muss der Berufsangehörige diesen Sachverhalt benennen dürfen. Wenn der Rechtsanwalt des Mandanten, von dem der Berufsangehörige annehmen darf, dass ihm sämtliche relevanten Unterlagen vorliegen, solchen wahrheitswidrigen Vortrag des Mandanten schriftsätzlich weitergibt, dann darf der Berufsangehörige äußern, dass der Anwalt sich diesen Methoden anschließe.

Es kann dahinstehen, ob die Grenze zur Schmähkritik, die von Art. 5 Abs. 1 GG nicht gedeckt ist, überschritten wäre, wenn der Berufsangehörige die Methoden des Rechtsanwalts als kriminell bezeichnet hätte. Denn eine dahingehende Auslegung, die dem Rügebescheid zugrunde liegt, findet im Wortlaut des entsprechenden Satzes sowie in dessen Zusammenhang keine Stütze. Die „kriminelle Neigung“ bezieht sich offensichtlich auf die vorher gemachte Feststellung, der Mandant habe dem Berufsangehörigen angesonnen, unterschiedliche Bilanzen für die Bank und für das Finanzamt zu erstellen – womit notwendigerweise eine von beiden vorsätzlich falsch sein müsste. Das (wahrheitswidrige) Bestreiten der Kenntnis bekannter Rechnungen hat der Berufsangehörige indes nicht als kriminell tituliert.

Es kommt nicht darauf an, ob die angegriffenen Äußerungen auch anders, nämlich vorsichtiger, hätten formuliert werden können. Insbesondere kann dahinstehen, ob die Wortwahl des Berufsangehörigen stilwidrig, ungehörig oder als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktgefühl empfunden werden kann. Auch kann offen bleiben, ob die an der Reaktion von Herrn Rechtsanwalt A., der die Steuerberaterkammer einschaltete, ablesbare Emotionalisierung zielführend war. Denn grundsätzlich unterliegt auch die Form der Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung (BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987, Rn. 55; Beschl. v. 10.3.2009, Rn. 32). Die Grenze zur Berufspflichtverletzung ist erst überschritten, wenn die Äußerung zur Rechtswahrung nicht geeignet oder nicht erforderlich oder der Rechtsgüter- und Pflichtenlage nicht angemessen ist. Dies ist aus den genannten Gründen indes nicht der Fall.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 149 Abs. 3 StBerG.

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