Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Preisgestaltung im Mentoring: Ethik und rechtliche Herausforderungen im Fokus
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann gilt ein Mentoring-Vertrag als sittenwidrig nach deutschem Recht?
- Welche Rolle spielt der Vergleich mit ähnlichen Angeboten bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags?
- Wie kann man sich vor sittenwidrigen Verträgen, insbesondere telefonisch abgeschlossenen Verträgen, schützen?
- Was sind die rechtlichen Folgen, wenn ein Vertrag als sittenwidrig eingestuft wird?
- Welche Indizien können auf eine „verwerfliche Gesinnung“ des Anbieters hinweisen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Die Klägerin wollte Geld aus einem Dienstvertrag einklagen, weil der Beklagte die vereinbarten Raten nicht gezahlt hatte.
- Es ging um ein Mentoring-Programm, das der Beklagte gebucht hatte, aber nicht mehr wollte.
- Der Beklagte hatte den Vertrag als Unternehmer abgeschlossen, was von der Klägerin im Vorfeld betont wurde.
- Die Klägerin hatte den Vertrag durch ein Telefonat, das aufgezeichnet wurde, dokumentiert.
- Die Widerrufsbelehrung war für den Beklagten nicht eindeutig, darüber wurde er nicht gesondert informiert.
- Die Klägerin bot keine Stornierung an, sondern nur eine Verschiebung des Programms.
- Das Gericht wies darauf hin, dass die Klage keine Erfolgsaussichten habe, und entschied, diese abzulehnen.
- Das Gericht urteilte, dass trotz des Nichterscheinens des Beklagten kein Versäumnisurteil zu seinem Nachteil erfolgt.
- Die Klägerin muss die Kosten des Verfahrens tragen.
- Das Urteil bringt Klarheit darüber, dass Unternehmenskunden in solchen Fällen weniger Schutzrechte haben, z.B. keinen Widerruf wie Verbraucher.
Preisgestaltung im Mentoring: Ethik und rechtliche Herausforderungen im Fokus
Mentoring-Programme erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, da sie eine wertvolle Unterstützung für persönliche und berufliche Weiterentwicklung bieten. Diese Programme vermitteln nicht nur Wissen, sondern auch Erfahrungen zwischen Mentor und Mentee. Doch im Zuge dieser boomenden Branche steht auch die Preisgestaltung im Mentoring oftmals im Fokus. Die Frage nach fairen Preisen und den Unterschieden zu marktüblichen Tarifen gewinnt an Bedeutung, besonders wenn es um die Ethik im Mentoring geht.
Eine transparente Preisgestaltung ist entscheidend, um das Vertrauen in die Qualität der Mentoring-Dienstleistungen zu stärken. Sittenwidrige Preise, die deutlich über den üblichen Mentoring-Kosten liegen, können nicht nur die Mentees belasten, sondern auch das Ansehen der gesamten Branche schädigen. Daher ist es wichtig, ein gesundes Preis-Leistungs-Verhältnis zu etablieren, das sowohl den Mentoren als auch den Mentees gerecht wird. Vielfältige Mentorings-Angebote stehen zur Verfügung, und potenzielle Teilnehmer sollten sich bewusst sein, welche Kriterien die Beurteilung der Qualität und Ethik eines Mentoring-Vertrags beeinflussen können.
Im folgenden Abschnitt wird ein konkreter Fall beleuchtet, der die Herausforderungen und rechtlichen Fragestellungen rund um die Preisgestaltung im Mentoring thematisiert.
Der Fall vor Gericht
Gericht erklärt Mentoring-Vertrag über 60.000 Euro für nichtig

Ein Unternehmer aus Kiel muss für ein gebuchtes Mentoring-Programm nicht zahlen. Das Landgericht Kiel erklärte den Vertrag über 60.000 Euro für sittenwidrig und nichtig. Der Anbieter des Programms hatte auf Zahlung von knapp 18.000 Euro geklagt.
Telefonisch abgeschlossener Vertrag über Mentoring-Programm
Der Beklagte, Inhaber eines Unternehmens, hatte im Februar 2023 in einem Telefonat mit einem Mitarbeiter der Klägerin ein zwölfmonatiges Mentoring-Programm zur Unternehmensführung gebucht. Vereinbart wurde eine Vergütung von 60.000 Euro netto, zahlbar in zwölf Monatsraten zu je 5.000 Euro. Der Vertragsabschluss wurde mit Einverständnis des Beklagten als Tonaufzeichnung festgehalten.
Das Programm beinhaltete unter anderem Zoom-Meetings mit Coaches, Zugang zu einer Telegram-Gruppe, VIP-Tickets für Seminare sowie Lernmaterialien und -videos. Kurz nach Vertragsschluss wollte der Beklagte den Vertrag stornieren, was die Klägerin ablehnte.
Gericht sieht auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Preis
Das Landgericht Kiel wertete den Vertrag als sittenwidriges Rechtsgeschäft gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Es sah ein auffälliges Missverhältnis zwischen der vereinbarten Vergütung und dem Wert der angebotenen Leistungen.
Zur Bewertung zog das Gericht Preise für vergleichbare Fernstudiengänge und Fernkurse heran, die typischerweise zwischen 500 und 3.000 Euro pro Jahr kosten. Selbst unter Berücksichtigung einer möglicherweise intensiveren Betreuung im Mentoring-Programm überschreite die vereinbarte Vergütung den üblichen Marktpreis um ein Vielfaches.
Verwerfliche Gesinnung des Anbieters vermutet
Das Gericht sah keine Rechtfertigung für den hohen Preis. Weder lägen besonders hohe Kosten für den Anbieter vor, noch verfügten die Coaches erkennbar über außergewöhnliche Qualifikationen.
Aufgrund des besonders auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Preis vermutete das Gericht eine verwerfliche Gesinnung des Anbieters. Der telefonische Vertragsabschluss über eine so hohe Summe deute zudem darauf hin, dass der Beklagte bewusst überrumpelt werden sollte.
Das Landgericht Kiel wies die Klage ab. Der Anbieter des Mentoring-Programms muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht die Grenzen der Vertragsfreiheit bei eklatanten Preis-Leistungs-Missverhältnissen. Es zeigt, dass Gerichte bereit sind, Verträge als sittenwidrig einzustufen, wenn der Preis den Marktwert deutlich übersteigt und Anzeichen für eine Überrumpelung des Vertragspartners vorliegen. Dies stärkt den Schutz von Verbrauchern und Unternehmern vor überteuerten Dienstleistungsangeboten, insbesondere im Bereich von Coaching– und Mentoring-Programmen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie ein teures Mentoring-Programm oder eine ähnliche Dienstleistung gebucht haben, gibt Ihnen dieses Urteil mehr Sicherheit. Es zeigt, dass Verträge mit einem deutlichen Missverhältnis zwischen Preis und Leistung als sittenwidrig eingestuft und für nichtig erklärt werden können. Achten Sie besonders auf Angebote, die telefonisch abgeschlossen werden und deutlich teurer sind als vergleichbare Leistungen. Selbst wenn Sie als Unternehmer angesprochen wurden, haben Sie Schutz vor überhöhten Preisen. Zögern Sie nicht, einen Vertrag rechtlich prüfen zu lassen, wenn Sie unsicher sind – Sie müssen möglicherweise nicht zahlen, auch wenn Sie bereits zugestimmt haben.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann gilt ein Mentoring-Vertrag als sittenwidrig nach deutschem Recht?
Ein Mentoring-Vertrag kann nach deutschem Recht als sittenwidrig gelten, wenn er gegen die guten Sitten verstößt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht.
Auffälliges Missverhältnis
Um ein auffälliges Missverhältnis festzustellen, wird der vereinbarte Preis mit dem objektiven Marktwert der Leistung verglichen. Dabei ist zu beachten, dass Mentoring-Programme nicht zwangsläufig mit klassischen Bildungsangeboten wie Fernuniversitäten vergleichbar sind. Stattdessen wird der spezifische Wert der Weitergabe persönlicher Erfahrungen und Methoden des Mentors berücksichtigt.
Verwerfliche Gesinnung
Neben dem Missverhältnis muss auch eine verwerfliche Gesinnung des Vertragspartners vorliegen. Diese kann sich in der Ausnutzung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen des anderen Teils zeigen.
Besondere Umstände
Wenn Sie einen Mentoring-Vertrag abschließen, achten Sie auf folgende Punkte, die auf Sittenwidrigkeit hindeuten können:
- Überhöhte Preise: Wenn der Preis den Marktwert deutlich übersteigt, ohne dass besondere Leistungen dies rechtfertigen.
- Drucksituationen: Wenn Sie zum sofortigen Vertragsabschluss gedrängt werden, etwa durch angeblich zeitlich begrenzte Angebote oder Exklusivität.
- Unrealistische Versprechen: Wenn Ihnen schnelle und unrealistische Erfolge in Aussicht gestellt werden.
Rechtliche Folgen
Wird ein Mentoring-Vertrag als sittenwidrig eingestuft, ist er nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Das bedeutet, er ist von Anfang an unwirksam, und bereits geleistete Zahlungen können zurückgefordert werden.
Bedenken Sie, dass die Beurteilung der Sittenwidrigkeit stets eine Einzelfallentscheidung ist. Gerichte berücksichtigen dabei alle Umstände des konkreten Falls, einschließlich der Marktüblichkeit des Angebots und der individuellen Situation der Vertragsparteien.
Welche Rolle spielt der Vergleich mit ähnlichen Angeboten bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags?
Der Vergleich mit ähnlichen Angeboten ist ein zentrales Kriterium bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags nach § 138 BGB. Gerichte ziehen solche Vergleiche heran, um festzustellen, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt.
Marktübliche Preise als Maßstab
Wenn Sie einen Vertrag abschließen, wird der vereinbarte Preis mit den marktüblichen Preisen für vergleichbare Leistungen verglichen. Ein deutliches Abweichen vom Marktpreis kann ein Indiz für Sittenwidrigkeit sein. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ein Haus für 500.000 Euro, dessen tatsächlicher Marktwert nur bei 250.000 Euro liegt. In einem solchen Fall könnte das Gericht den Vertrag als sittenwidrig einstufen.
Grenzwerte für Sittenwidrigkeit
Die Rechtsprechung hat gewisse Grenzwerte entwickelt. Bei Immobiliengeschäften wird beispielsweise ein besonders grobes Missverhältnis angenommen, wenn der Kaufpreis den Verkehrswert um 90% oder mehr übersteigt. Bei anderen Vertragsarten können diese Grenzen variieren. Beachten Sie, dass nicht jede Preisüberhöhung automatisch zur Sittenwidrigkeit führt.
Berücksichtigung besonderer Umstände
Gerichte berücksichtigen auch besondere Umstände des Einzelfalls. Wenn Sie beispielsweise ein Mentoring-Programm buchen, kann der Preis deutlich höher sein als bei vergleichbaren Bildungsangeboten, ohne sittenwidrig zu sein. Hier fließen Faktoren wie die Individualität der Betreuung oder die Reputation des Mentors in die Bewertung ein.
Beweislast und Gutachten
In Streitfällen müssen oft Gutachten eingeholt werden, um den tatsächlichen Marktwert zu ermitteln. Wenn Sie der Ansicht sind, dass ein von Ihnen geschlossener Vertrag sittenwidrig ist, müssen Sie das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nachweisen.
Der Vergleich mit ähnlichen Angeboten dient somit als objektiver Maßstab, um die Angemessenheit eines Vertrags zu beurteilen und potenzielle Fälle von Sittenwidrigkeit zu identifizieren. Er hilft Gerichten, eine faire und ausgewogene Entscheidung zu treffen und schützt Vertragsparteien vor unangemessener Benachteiligung.
Wie kann man sich vor sittenwidrigen Verträgen, insbesondere telefonisch abgeschlossenen Verträgen, schützen?
Um sich vor sittenwidrigen Verträgen, besonders bei telefonischen Abschlüssen, zu schützen, können Sie mehrere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen:
Seien Sie grundsätzlich vorsichtig bei telefonischen Vertragsangeboten. Unseriöse Anbieter nutzen oft die Spontanität und den Überraschungseffekt eines Telefonats aus, um Sie zu überrumpeln. Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen und nehmen Sie sich Zeit für eine überlegte Entscheidung.
Prüfung der Vertragsdetails
Bestehen Sie darauf, alle Vertragsdetails in Textform zu erhalten, bevor Sie zustimmen. Nach dem Gesetz für faire Verbraucherverträge sind telefonisch abgeschlossene Verträge bis zur Genehmigung der Vertragszusammenfassung in Textform ohnehin schwebend unwirksam. Nutzen Sie diesen Schutz und prüfen Sie sorgfältig alle Bedingungen.
Widerrufsrecht nutzen
Bei Fernabsatzverträgen haben Sie ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Nutzen Sie diese Bedenkzeit, um den Vertrag gründlich zu prüfen. Wenn Sie Zweifel haben oder den Vertrag nicht mehr wollen, können Sie innerhalb dieser Frist ohne Angabe von Gründen vom Vertrag zurücktreten.
Aufzeichnung des Gesprächs
Wenn der Anbieter das Gespräch aufzeichnen möchte, stimmen Sie nur zu, wenn Sie eine Kopie der Aufnahme erhalten. So können Sie später nachvollziehen, was genau vereinbart wurde. Beachten Sie jedoch, dass Sie selbst das Gespräch nur mit Einwilligung des Gesprächspartners aufzeichnen dürfen.
Vorsicht bei ungewöhnlichen Konditionen
Achten Sie auf Anzeichen für Sittenwidrigkeit, wie etwa ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Wenn Ihnen ein Angebot zu gut erscheint, um wahr zu sein, ist es das wahrscheinlich auch. Vergleichen Sie die Konditionen mit marktüblichen Angeboten.
Wenn Sie unsicher sind, ob ein Vertrag sittenwidrig sein könnte, zögern Sie nicht, ihn genau zu prüfen. Ein sittenwidriger Vertrag ist nach § 138 BGB nichtig, was bedeutet, dass er von Anfang an keine rechtliche Wirkung entfaltet. Allerdings kann die Beurteilung der Sittenwidrigkeit komplex sein und hängt oft von den spezifischen Umständen ab.
Durch diese Vorsichtsmaßnahmen können Sie das Risiko, einen sittenwidrigen oder nachteiligen Vertrag abzuschließen, erheblich reduzieren und Ihre Rechte als Verbraucher besser schützen.
Was sind die rechtlichen Folgen, wenn ein Vertrag als sittenwidrig eingestuft wird?
Wenn ein Vertrag als sittenwidrig eingestuft wird, hat dies weitreichende rechtliche Konsequenzen. Der sittenwidrige Vertrag ist von Anfang an nichtig, das heißt, er entfaltet keinerlei Rechtswirkungen. Dies ergibt sich aus § 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Nichtigkeit des Vertrags
Die Nichtigkeit bedeutet, dass der Vertrag so behandelt wird, als wäre er nie geschlossen worden. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Vertrag unterschrieben, der später als sittenwidrig eingestuft wird – rechtlich gesehen existiert dieser Vertrag dann nicht. Alle Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag ergeben hätten, sind hinfällig. Sie müssen weder die vereinbarte Leistung erbringen noch können Sie die Gegenleistung einfordern.
Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen
Sollten bereits Leistungen aus dem nichtigen Vertrag erbracht worden sein, müssen diese zurückgewährt werden. Dies erfolgt nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB). Wenn Sie beispielsweise aufgrund eines sittenwidrigen Darlehensvertrags bereits Zinsen gezahlt haben, können Sie diese zurückfordern.
Teilnichtigkeit
In manchen Fällen betrifft die Sittenwidrigkeit nur einen Teil des Vertrags. Dann gilt der Grundsatz der Teilnichtigkeit nach § 139 BGB. Der nicht sittenwidrige Teil des Vertrags bleibt bestehen, sofern anzunehmen ist, dass die Parteien ihn auch ohne den nichtigen Teil geschlossen hätten.
Schadensersatzansprüche
Unter Umständen können sich aus der Sittenwidrigkeit eines Vertrags auch Schadensersatzansprüche ergeben. Wenn eine Partei vorsätzlich einen sittenwidrigen Vertrag abschließt und dadurch der anderen Partei ein Schaden entsteht, kann dies einen Anspruch aus § 826 BGB (Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung) begründen.
Auswirkungen auf Sicherheiten
Ist der Hauptvertrag sittenwidrig und damit nichtig, fallen in der Regel auch damit verbundene Sicherheiten weg. Wenn Sie also für einen sittenwidrigen Kreditvertrag eine Bürgschaft übernommen haben, ist auch diese unwirksam.
Die Feststellung der Sittenwidrigkeit eines Vertrags kann komplexe rechtliche Folgen nach sich ziehen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Nichtigkeit automatisch eintritt und nicht erst durch ein Gericht festgestellt werden muss. In der Praxis kann es jedoch oft schwierig sein, die Sittenwidrigkeit eindeutig zu beurteilen, da die Grenzen zwischen sittenwidrigen und noch zulässigen Verträgen fließend sein können.
Welche Indizien können auf eine „verwerfliche Gesinnung“ des Anbieters hinweisen?
Eine verwerfliche Gesinnung des Anbieters kann sich durch verschiedene Verhaltensweisen und Umstände offenbaren. Besonders auffällig ist die bewusste Ausnutzung einer Zwangslage oder Unerfahrenheit des Vertragspartners. Wenn Sie beispielsweise dringend eine Wohnung benötigen und der Vermieter dies ausnutzt, um überhöhte Mieten zu verlangen, könnte dies auf eine verwerfliche Gesinnung hindeuten.
Ein weiteres Indiz ist die vorsätzliche Täuschung oder Verschleierung wichtiger Vertragsinhalte. Stellen Sie sich vor, ein Verkäufer verschweigt Ihnen bewusst gravierende Mängel einer Ware oder versteckt wichtige Vertragsklauseln im Kleingedruckten. Dies kann auf eine verwerfliche Absicht hinweisen.
Ausnutzung einer Machtposition
Die übermäßige Ausnutzung einer wirtschaftlichen oder sozialen Machtposition ist ebenfalls ein Warnsignal. Wenn ein Unternehmen beispielsweise seine Marktmacht nutzt, um Lieferanten oder Kunden unangemessene Bedingungen aufzuzwingen, kann dies eine verwerfliche Gesinnung offenbaren.
Unverhältnismäßigkeit der Leistungen
Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann auf eine verwerfliche Gesinnung hindeuten, insbesondere wenn der Anbieter sich dessen bewusst ist. Wenn Sie zum Beispiel für eine einfache Dienstleistung einen exorbitant hohen Preis zahlen sollen, der weit über dem Marktüblichen liegt, sollten Sie vorsichtig sein.
Druck und Manipulation
Aggressive Verkaufsmethoden oder die Ausübung von unangemessenem Druck können ebenfalls Anzeichen für eine verwerfliche Gesinnung sein. Wenn ein Anbieter Sie zu einer schnellen Entscheidung drängt oder emotionale Manipulation einsetzt, um Sie zum Vertragsabschluss zu bewegen, sollten Sie misstrauisch werden.
Die Kombination mehrerer dieser Indizien verstärkt den Verdacht auf eine verwerfliche Gesinnung. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jedes dieser Anzeichen automatisch auf eine verwerfliche Absicht schließen lässt. Die Gesamtumstände des Einzelfalls sind stets zu berücksichtigen. § 138 BGB bietet hier einen rechtlichen Schutz, indem er sittenwidrige Rechtsgeschäfte für nichtig erklärt.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie spezielle Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Sittenwidrigkeit
Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 BGB). Ein Vertrag kann sittenwidrig sein, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht oder wenn eine Partei bewusst übervorteilt wurde. Beispiel: Wenn ein Mentoring-Programm zu einem Preis angeboten wird, der den Marktwert um ein Vielfaches übersteigt, könnte dieser Vertrag als sittenwidrig eingestuft werden, insbesondere wenn der Kunde überrumpelt wurde.
Nichtigkeit
Nichtigkeit bedeutet, dass ein Rechtsgeschäft von Anfang an ungültig ist und keine rechtliche Wirkung entfaltet. Ein Vertrag, der sittenwidrig ist, ist nach § 138 BGB nichtig. Beispiel: Ein Unternehmer muss keine Zahlungen leisten, wenn der Vertrag nichtig ist, weil der Preis des Mentoring-Programms sittenwidrig war.
Auffälliges Missverhältnis
Ein auffälliges Missverhältnis beschreibt eine erhebliche Ungleichheit zwischen der vereinbarten Vergütung und dem Wert der erbrachten Leistung. Das Gericht zieht zum Vergleich ähnliche Angebote heran. Beispiel: Wenn andere vergleichbare Programme deutlich weniger kosten, liegt ein auffälliges Missverhältnis vor.
Überrumpelung
Überrumpelung bezeichnet eine Situation, in der eine Partei unter Zeitdruck und ohne gründliche Überlegung eine vertragliche Verpflichtung eingeht. Beispiel: Ein telefonischer Vertragsabschluss über eine hohe Summe, ohne ausreichende Bedenkzeit, kann als Überrumpelung angesehen werden.
Verwerfliche Gesinnung
Eine verwerfliche Gesinnung wird vermutet, wenn der Anbietende bewusst versucht, eine andere Person zu übervorteilen oder zu täuschen, z.B. durch unangemessen hohe Preise. Indizien sind ein stark unangemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis oder mangelnde Transparenz. Beispiel: Ein Anbieter kann eine verwerfliche Gesinnung haben, wenn er keine Rechtfertigung für extrem hohe Kosten liefert.
Preis-Leistungs-Verhältnis
Das Preis-Leistungs-Verhältnis bezieht sich auf die Angemessenheit des verlangten Preises im Verhältnis zur Qualität und dem Nutzen der angebotenen Leistung. Ein gesundes Preis-Leistungs-Verhältnis ist entscheidend, um übermäßige finanzielle Belastung und potenzielle Sittenwidrigkeit zu vermeiden. Beispiel: Ein faires Mentoring-Angebot würde den Marktbedingungen entsprechen und nicht überhöhte Preise verlangen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 611 BGB (Dienstvertrag): Dieser Paragraph regelt die Rechte und Pflichten aus Dienstverträgen. Ein Dienstvertrag kommt zustande, wenn eine Partei (der Dienstverpflichtete) sich verpflichtet, eine Dienstleistung zu erbringen, und die andere Partei (der Dienstberechtigte) sich zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet. In diesem Fall ist der Mentoring-Vertrag zwischen der Klägerin und dem Beklagten als Dienstvertrag zu betrachten, der spezifische Leistungen der Klägerin zur Unternehmensführung umfasst.
- § 138 BGB (Sittenwidrigkeit): Gemäß diesem Paragraphen ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es gegen die guten Sitten verstößt. Die Unwirksamkeit kann sowohl von den Beteiligten als auch von Dritten berufen werden. Der Mentoring-Vertrag wurde laut Gericht als sittenwidrig eingestuft, da die Klauseln des Vertrags und die Umstände des Abschlusses nicht den Anforderungen an ein angemessenes Geschäftsgebaren entsprechen.
- § 139 ZPO (Teilunwirksamkeit): Dieser Paragraph besagt, dass auch wenn ein Teil eines Rechtsgeschäfts unwirksam ist, das gesamte Geschäft nicht zwingend nichtig ist – vorausgesetzt, der weitere Teil kann ohne diesen unwirksamen Teil bestehen. In diesem Fall führte die Unwirksamkeit bestimmter Vertragsbestandteile nicht dazu, dass die gesamte Klage der Klägerin automatisch abgewiesen wurde; das Gericht betrachtete vielmehr die rechtlichen Rahmenbedingungen des gesamten Vertrags.
- § 331 ZPO (Versäumnisurteil): Dieser Paragraph regelt die Voraussetzungen und Folgen eines Versäumnisurteils, welches erlassen werden kann, wenn der Beklagte nicht zur Verhandlung erscheint. Hierbei wurde festgestellt, dass trotz der Säumnis des Beklagten die Klage unbegründet war und auf den Inhalt der Klage nicht geachtet werden konnte, was konkret die Entscheidung beeinflusste.
- Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB: Der § 355 BGB regelt das Widerrufsrecht bei bestimmten Verträgen, insbesondere im Fernabsatz. Auch wenn dies nicht explizit thematisiert wurde, ist die Tatsache, dass der Beklagte nicht hinreichend über das Widerrufsrecht informiert wurde, ein wichtiger Aspekt für die Beurteilung des Vertragsverhältnisses und spielt eine Rolle für die Frage der rechtlichen Gültigkeit und Obliegenheiten bei Verträgen, die zwischen Unternehmern abgeschlossen werden.
Das vorliegende Urteil
LG Kiel – Az.: 6 O 143/23 – Urteil vom 08.02.2024 –
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