OLG Oldenburg
Az.: 8 U 246/06
Urteil vom 15.02.2007
Vorinstanz: LG Oldenburg, Az.: 8 O 2651/05, Urteil vom 01.03.2007
In dem Rechtsstreit hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2007 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 10. Oktober 2006 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 624,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. September 2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 9/10 und die Beklagten zu 1/10.
Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagten zu 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Klägerin fordert Schadensersatz aufgrund eines von dem Beklagten zu 2) mit seinem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeug am 20. April 2004 verschuldeten Auffahrunfalls.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe aufgrund des Auffahrunfalls eine langwierige HWS-Distorsion erlitten; Folge seien andauernde Schmerzen und Bewegungseinschränkungen gewesen. Bis zum 14. Mai 2004 sei sie arbeitsunfähig gewesen. Ein im November 2004 erlittener Bandscheibenvorfall sei unfallbedingt. Sie hat ein Schmerzensgeld von 5.000,00 Euro für angemessen gehalten.
Weiter hat sie den Ersatz des mit 250,00 Euro bezifferten merkantilen Minderwerts ihres beschädigten Fahrzeugs sowie die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 86,60 Euro gefordert.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall am 20. April 2004 in R… zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 336,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 250,00 Euro seit dem 20. April 2004 und auf weitere 86,60 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten haben ernstliche Verletzungen und Verletzungsfolgen bestritten; einen merkantilen Minderwert halten sie nicht für ersatzfähig.
Das Landgericht hat der Klägerin nach Beweisaufnahme ein Schmerzensgeld von 150,00 Euro sowie weiteren materiellen Schadensersatz von 74,42 Euro zuerkannt; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin; sie hält ein Schmerzensgeld von 1.000,00 Euro für angemessen und verlangt weiterhin den Ersatz des merkantilen Minderwerts von 250,00 Euro.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagten als Gesamtschuldner
zur Zahlung weiterer 1.100,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. September 2005 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholen und ergänzen ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigen das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat zum Teil Erfolg.
1. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 300,00 Euro.
Die Klägerin hat ausweislich der von ihr vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen durch den von dem Beklagten zu 2) verursachten Auffahrunfall eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten. Folge dieser Verletzung waren Nackenschmerzen, Verspannungen und eine eingeschränkte Beweglichkeit des Kopfes. Sie wurde mit Schmerzmitteln, Wärmeanwendung und Physiotherapie behandelt. Es waren drei Arztbesuche erforderlich; für etwa zwei Wochen bestand Arbeitsunfähigkeit. Das rechtfertigt im Hinblick auf in vergleichbaren Fällen – dem Gedanken, dass für vergleichbare Verletzungen annähernd gleiche Schmerzensgeldbeträge zu gewähren sind, kommt besondere Bedeutung zu (vgl. Palandt/Heinrich, BGB, 66. Aufl., § 253 RdNr. 18) – zuerkannte Beträge ein Schmerzensgeld von 300,00 Euro. Damit sind die Verletzungen und Verletzungsfolgen angemessen und ausreichend abgegolten.
Der Zuerkennung eines höheren Schmerzensgeldes steht nicht entgegen, dass dem Landgericht bei der Ermittlung der Höhe des Schmerzensgeldes ein tatrichterliches Ermessen zusteht und dass es alle wesentlichen tatsächlichen Umstände berücksichtigt hat. Eine deutliche Abweichung von Schmerzensgeldregelwerten – hier um 50 % – kann vom Senat als Berufungsgericht überprüft und, soweit im Einzelfall geboten, geändert werden (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 546 RdNr. 14).
2. Die Klägerin hat daneben Anspruch auf den Ersatz merkantilen Minderwerts ihres unfallbeschädigten Fahrzeugs in Höhe von 250,00 Euro.
Diesem Anspruch steht nicht entgegen, dass das am 5. Oktober 2000 erstmals zugelassene Fahrzeug der Klägerin vom Typ Audi A 6 Avant TDI zum Unfallzeitpunkt schon eine Fahrleistung von 195.648 km aufwies. Entgegen der Auffassung des Landgerichts entspricht es nicht mehr höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass bei Personenkraftwagen im allgemeinen eine Fahrleistung von 100.000 km als obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts anzusetzen ist. Diese früher vertretene Auffassung beruhte darauf, dass solche Fahrzeuge im allgemeinen nur noch einen derart geringen Handelswert hatten, dass ein messbarer Minderwert nach Behebung der Unfallschäden nicht mehr eintrat. Maßgeblich ist mithin nicht allein die Laufleistung des Fahrzeugs, sondern deren Bedeutung für die Bewertung des Fahrzeugs auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Diese Bedeutung kann sich im Laufe der Zeit mit der technischen Entwicklung und der zunehmenden Langlebigkeit der Fahrzeuge ändern. Ein entsprechender Wandel auf dem Gebrauchtwagenmarkt spiegelt sich insbesondere in der Bewertung von Gebrauchtfahrzeugen durch Schätzorganisationen wie Schwacke und DAT wieder, die in ihren Notierungen inzwischen bis auf 12 Jahre zurückgehen und ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich sämtliche Marktnotierungen auf unfallfreie Fahrzeuge beziehen (vgl. dazu BGH NJW 2005, 277, 279). Auf eine starre Kilometergrenze kann danach nicht mehr abgestellt werden; der Tatrichter hat vielmehr in jedem Einzelfall gemäß § 287 ZPO zu prüfen, ob sich der Unfallschaden wertmindernd auswirkt.
Diese Frage ist im hier zu entscheidenden Fall zu bejahen. Das Fahrzeug der Klägerin war im Unfallzeitpunkt trotz der hohen Laufleistung von 195.648 km erst ca. 3 ½ Jahre alt. Der Unfallschaden, der Schweißarbeiten am Heckblech und Richtarbeiten im Bereich des Bodenblechs hinten sowie die Erneuerung diverser Anbauteile erforderte, war im Fall einer Veräußerung des Fahrzeugs offenbarungspflichtig. Es geht um ein marktgängiges Fahrzeug (Kombi/Diesel). Die tatsächliche Laufleistung belegt, dass eine starre Grenze von 100.000 km nicht mehr zeitgemäß ist. Unter diesen Umständen kann der Klägerin der Ersatz des merkantilen Minderwerts nicht versagt werden. Die Höhe ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.Ing. B… vom 28. April 2004 und dessen Schreiben vom 5. Juli 2004.
3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.