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Messfoto: Vergleich mit dem Passbild erlaubt? Unwirksamkeit des Bussgeldbescheids

OLG Brandenburg

Az: 1 Ss (OWi) 54 B/02

Beschluss vom: 19.04.2002


In der Bußgeldsache wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen am 19. April 2002 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Prenzlau vom 13. Dezember 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Prenzlau zurückgewiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Prenzlau verurteilte den Betroffenen am 13. Dezember 2001 wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 255,00 DM und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Sachrüge erhebt.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Ein Verfahrenshindernis liegt allerdings nicht vor. Insbesondere ist entgegen der Auffassung des Betroffenen nicht Verfolgungsverjährung eingetreten.

Nach § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten (§ 24 StVG) drei Monate, so lange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch öffentliche Klage erhoben ist, danach sechs Monate. Da dem Betroffenen vorgeworfen wurde, am 27. Februar 2001 mit seinem Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten zu haben, trat drei Monate später Verfolgungsverjährung ein, sofern kein Unterbrechungstatbestand vorlag. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wird die Verfolgungsverjährung durch die Anordnung der Vernehmung des Betroffenen unterbrochen. Das ist hier vor Ablauf der Dreimonatsfrist entgegen der Ansicht des Betroffenen in wirksamer Weise geschehen. Dem Betroffenen ist als Halter des Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen UM-WS 131 am 4. April 2001 ein Anhörungsbogen übersandt worden, aus dem sich der Tatvorwurf eindeutig ergibt. Dieser ist nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils überschrieben mit „Anhörung des Betroffenen“ Nach der Anrede heißt es: „Ihnen wird vorgeworfen, am 27.02.2001 um 18.05 Uhr auf der BAB 11 km 73,5 […] folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben: […]“ Anschließend folgt die Belehrung über die Rechte als Betroffener im Ordnungswidrigkeitsverfahren.

Der Inhalt dieses Anhörungsbogens ist eindeutig. Der Betroffene als Adressat des Anhörungsbogens wird beschuldigt, die angegebene Verkehrsordnungswidrigkeit begangen zu haben. Darüber kann auch angesichts der Textpassagen, „Sie sind aber auf jedem Falle – auch wenn Sie die Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben – verpflichtet, die Fragen zur Person (Nr. 1) vollständig und richtig zu beantworten“ und „zur Ermittlung des betroffenen Fahrzeugführers kann die Behörde das Beweisfoto mit dem Personalausweis- oder Paßregister abgleichen“ kein Zweifel bestehen. Ein verständiger Leser konnte nicht dem Irrtum unterliegen, die Ermittlungen der Ordnungsbehörde richteten sich gegen einen (noch) unbekannten Täter und nicht gegen den Betroffenen.

Die Dreimonatsfrist, die gemäß § 33 Abs. 3 OWiG mit der Anordnung der Anhörung des Betroffenen von neuem zu laufen begann, wurde sodann am 31. Mai 2001 durch den Erlaß des Bußgeldbescheides unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG).

Der Bußgeldbescheid ist entgegen der Auffassung des Betroffenen wirksam. Nicht jeder Mangel des Bußgeldbescheides führt zu dessen Unwirksamkeit; der Bestand des Bußgeldbescheides wird nur durch schwerwiegende Mängel beeinträchtigt. Schwerwiegend ist ein Mangel dann, wenn er die Abgrenzung des Schuldvorwurfs in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht nicht ermöglicht (BGHSt 23, 336) oder zur Unmöglichkeit der Vollstreckung einer Rechtsfolge im Falle des Rechtskrafteintritts führt. Ein derartiger Mangel des Bußgeldbescheides liegt ersichtlich nicht vor. Soweit der Betroffene den Verstoß gegen ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot rügt, weil die Ordnungsbehörde vor Erlaß des Bußgeldbescheides vom Einwohnermeldeamt die Ablichtung des Passbildes des Betroffenen anforderte, verkennt er, dass Mängel im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde grundsätzlich keinen Einfluß auf die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides haben und im gerichtlichen Verfahren unbeachtlich sind (Karlsruher Kommentar 2. Aufl. 2000, § 66 OWiG Rdnr. 39; Göhler 13. Aufl. 2002 § 66 Rdnr. 51). Das Gericht entscheidet nicht darüber, ob der Bußgeldbescheid in zulässiger Weise erlassen und begründet worden ist, sondern über die durch den Bußgeldbescheid in sachlicher und persönlicher Hinsicht begrenzte Tat in der Sache selbst.

Im übrigen läßt das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde einen Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot nicht erkennen. Die Übermittlung der Kopie des Lichtbildes des Betroffenen von dem Einwohnermeldeamt B… an das Polizeipräsidium O… wird von § 2 b Abs. 2 PersonalAuswG gedeckt. Diese Vorschrift schränkt die generelle Auskunftspflicht der Behörden nach § 161 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG unter anderem dahingehend ein, dass eine Datenweitergabe durch die Personalausweisbehörden nur dann zulässig ist, wenn die Daten bei dem Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand erhoben werden können (§ 2 b Abs. 2 Nr. 3 PersonalAuswG). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Das Aufsuchen des Betroffenen in … S… durch einen Bediensteten des Polizeipräsidiums O… mit Sitz in G…, dem als Zentrale Bußgeldstelle der Polizei des Landes Brandenburg die Ermittlungen oblagen, zum Abgleich des Radarfotos mit dem Betroffenen stünde außer Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg. Andere, weniger einschneidende Maßnahmen kamen hier erkennbar nicht in Betracht. Nachdem der Betroffene den Anhörungsbogen nicht zurückgesandt hatte, war insbesondere nicht zu erwarten, dass er einer Vorladung zum Polizeipräsidium O… Folge leisten würde.

Aber selbst wenn die Übermittlung des Passbildes nicht mit § 2 b Abs. 2 PersonalAuswG in Einklang stünde, führte dieser Verstoß – entgegen der Auffassung des Betroffenen – in jedem Fall nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (ebenso BayObLG NJW 1998, 3656, 3657; OLG Frankfurt NJW 1997, 2963, 2964). Das PersonalAuswG sieht ein Verwertungsverbot für den Fall einer rechtswidrigen Informationsweitergabe nicht vor. Der Strafprozeßordnung läßt sich über die ausdrücklich geregelten Fälle hinaus kein allgemeines Beweisverwertungsverbot bei Verfahrensverstößen entnehmen. Vielmehr ist bei dem Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift im Einzelfall das Interesse des Staates an der Tataufklärung gegen das geschützte Interesse des Bürgers abzuwägen (BGH NJW 1971, 1097, 1098).

Bei der hier vorzunehmenden Abwägung ist zu berücksichtigen, dass durch die Übermittlung des Passbildes der Kernbereich der Privatsphäre des Betroffenen nicht berührt wird und die Identifizierung des Betroffenen jederzeit auf andere Weise verfahrensfehlerfrei hätte erfolgen können. Insgesamt stellt sich der – unterstellte – Verfahrensfehler daher als nicht so schwer dar, dass das Interesse an der Tataufklärung zurücktreten müßte.

Der Schuldspruch kann dennoch von Rechts wegen keinen Bestand haben, da die Ausführungen des Amtsgerichts zur Täterschaft des Betroffenen rechtsfehlerhaft sind.

Bei der Identifizierung des Täters als Fahrzeugführer anhand eines Meßfotos muß der Tatrichter darlegen, dass und warum das der Verurteilung zugrunde liegende Meßfoto tauglich ist, den Betroffenen als Fahrer des Fahrzeuges zu überführen. Dabei darf er sich grundsätzlich darauf beschränken, das Lichtbild durch eine ausdrückliche Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zum Inhalt der Urteilsgründe zu machen. Sieht der Tatrichter von der Verweisung ab, muß er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsmaterial zur Verfügung steht, durch eine ausführliche Beschreibung der Identifikationsmerkmale die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist (BGHSt 41, 377, 384). Das Urteil muß dann unter anderem Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Der bloße Hinweis des Tatrichters, er habe den Betroffenen „auf dem mittleren in Augenschein genommenen Beweisfotos […] als Fahrzeugführer“ festgestellt, kann nicht als prozeßordnungsgemäße Bezugnahme im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO angesehen werden, denn damit wird lediglich der Vorgang der Beweiserhebung als solcher beschrieben. Die Verweisung muß in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck kommen (BGHSt a.a.O., 382; OLG Düsseldorf NZV 1994, 202). Hierzu ist zwar nicht erforderlich, dass die Urteilsgründe den Gesetzeswortlaut wiederholen; der Tatrichter muß aber sinngemäß erklären, dass das Lichtbild ebenso Teil der Urteilsurkunde werden soll wie ihr Text. Diese Erklärung muß so deutlich sein, dass jeder Zweifel am Vorliegen und Gegenstand der Verweisung ausgeschlossen ist.

Das Urteil enthält aber auch nicht die – im Falle unterbliebener Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO – erforderlichen Ausführungen zur Bildqualität bzw. die präzise Beschreibung zumindest mehrerer charakteristischer Identifizierungsmerkmale. Die vom Amtsgericht angeführte Beschreibung – „der Kopfform, der hohen Stirn und Kinnform und der allgemeinen Gesichtskonturen“ – sind zu allgemeine Erkennungsmerkmale, die ohne präzisere Beschreibung zur Identifizierung des individuellen Fahrers nicht geeignet sind.

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