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Sozialhilferecht: Anspruch auf Abgabe einer „Mietgarantie“ durch Sozialhilfeträger

Verwaltungsgericht Oldenburg – 13. Kammer

Az: 13 B 3599/01

Beschluss vom 23.11.2001


Das Verwaltungsgericht Oldenburg – 13. Kammer – hat am 23.11.2001
beschlossen:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern eine Mietübernahmeerklärung zur Anmietung der Wohnungen …-Straße , Erdgeschoss rechts und Erdgeschoss links, D…, gegenüber der Vermieterin zu erteilen
und
den Antragstellern nach ihrem Einzug in diese Wohnungen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Mietkosten beider Wohnungen zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

G r ü n d e :

Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu beurteilende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg, weil die Antragsteller das Vorliegen sowohl eines Anordnungsgrundes – d. h. die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung – als auch eines Anordnungsanspruchs – d. h. der materiell-rechtliche Anspruch auf die begehrte Leistung – glaubhaft gemacht haben, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.

Der Anspruch auf Erteilung der im Tenor bezeichneten Mietübernahmeerklärung ergibt sich aus §§ 11, 12 BSHG. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BSHG umfasst der notwendige Lebensunterhalt besonders (unter anderem) Unterkunft. Zu diesem Bedarf kann auch die Erteilung einer sogenannten Mietgarantieerklärung gehören; die Verweigerung der Übernahme einer Mietgarantieerklärung kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (insbesondere bei sonst drohender Obdachlosigkeit) pflichtwidrig sein (Schellhorn, BSHG, 15. Auflage 1997, Rdnr. 17 zu § 12; vgl. ausführlich zur Rechtsnatur und zu den Voraussetzungen einer „Mietgarantie“: Nds. OVG, Beschluss vom 18. November 1999 – 12 L 4360/99 -). Nach Auffassung der Kammer gelten für den Anspruch auf Erteilung einer Mietübernahmeerklärung grundsätzlich auch die Voraussetzungen, die die Rechtssprechung allgemein zur Notwendigkeit eines Umzugs entwickelt hat – danach ist ein Umzug in der Regel notwendig im Sinne der Vorschriften über die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11, 12 BSHG), wenn nicht nur der Auszug aus der alten, sondern auch der Einzug in die neue Wohnung nach sozialhilferechtlichen Maßstäben gerechtfertigt ist (Nds. OVG, Urteil vom 10. März 1999 – 4 L 4339/98 – und Urteil vom 25. März 1998 – 4 L 1864/96 -).

Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Zunächst steht dem Anspruch nicht entgegen, dass die anzumietenden Wohnungen unangemessen teuer wären, weil – was zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist – die beiden Wohnungen der Kostenhöhe nach nicht unangemessen teuer sind. Die Antragsgegnerin meint, die Wohnungen seien aus anderen Gründen unangemessen. Insoweit ist die Antragsgegnerin der Auffassung, dass die Übernahme von Unterkunftskosten für die Anmietung von zwei Wohnungen – auch bei der Familie der Antragsteller, die aus rund zehn Personen besteht – mit sozialhilferechtlichen Bestimmungen nicht in Einklang zu bringen sei; insbesondere liege klar auf der Hand, dass die vorgestellte Wohnungsvariante lediglich ein Provisorium, eine Übergangslösung sein könne, mit der Folge, dass in absehbarer Zeit ein erneuter Wohnungswechsel mit erheblichen zusätzlichen Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe zu finanzieren wäre. Für die Familie der Antragsteller wäre zu einem menschenwürdigen Wohnen ein Raumbedarf von mindestens 129 m² erforderlich, der noch um den behinderungsbedingten Mehrbedarf zweier minderjähriger Antragsteller zu erhöhen wäre. Beide Wohnungen böten zusammengerechnet aber lediglich eine Wohnfläche von 98 m². Zudem seien die Wohnungen nicht behindertengerecht, so seien Treppenstufen zu überwinden, da sie im Hochparterre belegen seien. Mithin handele es sich lediglich um Notunterkünfte, weshalb die Kosten nicht übernommen werden könnten. Im übrigen sei zur Behebung der Notlage  –  mit Urteil des Amtsgerichts Oldenburg vom 14. November 2001 ist der Antragsteller zu 1) verurteilt worden, das von ihm in O. gemietete Einfamilienhaus zu räumen und geräumt herauszugeben, wobei eine Räumungsfrist bis zum 30. November 2001 bewilligt wurde  –  die Stadt O. und nicht die Antragsgegnerin der für den derzeitigen Wohn- und Aufenthaltsort örtlich und sachlich zuständige Hilfeträger.

Diese Einwände können den Antragstellern nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. Es liegt nämlich in der Dispositionsfreiheit der Familie der Antragsteller, welche spezifische Wohnform sie auswählt. Soweit die Antragsgegnerin auf einen bestimmten Raumbedarf abhebt und meint, die Größen für die öffentliche Förderung von Wohnungsbauten, die Höchstgrenzen darstellen, könnten gleichsam im Umkehrschluss angezogen werden, um Mindeststandards zu setzen, unterhalb derer eine Wohnung im sozialhilferechtlichen Sinne unangemessen klein wäre, folgt die Kammer dem nicht. Diese Höchstgrenzen dienen der Begrenzung der öffentliche Förderung nach oben, z.B. um die Subventionierung von Luxusbauten zu verhindern, und können je nach Fallgestaltung auch zur Bestimmung der sozialhilferechtlichen Angemessenheit einer Wohnung herangezogen werden; die Kammer sieht sie deshalb nicht – wie wohl die Antragsgegnerin – als Untergrenzen an. Zudem ergibt sich aus den für beide Wohnungen vorgelegten Angeboten der Vermieterin vom 16. Oktober 2001, dass beide Wohnungen jeweils eine Wohnfläche von gut 59 m² haben, mithin der Fläche nach größer sind als wohl bislang von der Antragsgegnerin angenommen, die laut Schriftsatz vom 13. November 2001 davon ausgeht, beide Wohnungen zusammen böten ohne Nutzflächen eine Wohnfläche von lediglich 98 m².

Auch haben die Antragsteller im Erörterungstermin vom 15. November 2001 in nachvollziehbarer Art und Weise dargetan, dass sie bisher in dem in O. noch innegehaltenen Einfamilienhaus mit sechs Wohnräumen zurecht kommen mussten und konnten; die neu anzumietenden Wohnungen umfassen zusammengerechnet auch sechs Wohnräume; damit ergibt sich keine Verschlechterung. Die Kammer hält zudem die beiden Wohnungen für familiengerecht und berücksichtigt dabei auch, dass sie für die behinderten Antragsteller zu 6) und 7) geeignet sind, wie sich aus den Angaben gegenüber dem Berichterstatter der Kammer im Erörterungstermin vom 15. November 2001 in nachvollziehbarer Art und Weise ergeben hat. Erst recht stellen die Wohnungen keine ‚Notunterkünfte‘ dar, wobei die Kammer ergänzend darauf hinweist, dass Hilfesuchende allerdings sozialhilferechtlich – insoweit im Unterschied zum Ordnungsrecht – nicht auf eine Behelfs- und/oder Notunterkunft verwiesen werden dürfen, es ihnen aber unbenommen bleibt, eine solche aus freien Stücken zu beziehen.

Ferner ist der Kammer bekannt (vgl. Beschl. v. 20. Februar 2001 – 13 B 84/01 -), dass es vielköpfigen Familien erhebliche Schwierigkeiten bereitet, geeigneten Wohnraum zu finden; auch deshalb kann die von den Antragstellern gewählte Wohnvariante nicht als unangemessen bezeichnet werden.

Schließlich kann die Antragsgegnerin auch nicht erfolgreich einwenden, sie sei nicht zuständig. Zuzugeben ist ihr, dass nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhält. Die Frage, auf welchen Zeitpunkt es bei der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ankommt, beantwortet sich aber aus dem das Sozialhilferecht prägenden und vom Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtssprechung hervorgehobenen Grundsatz, dass die Sozialhilfe dazu dient, eine gegenwärtige Notlage zu beheben. Ab wann eine „gegenwärtige“ Notlage angenommen werden kann, richtet sich dabei nach der jeweiligen Eigenart des geltend gemachten Bedarfs, weshalb, ausgerichtet an der Effektivität der Anspruchsgewähr, für Verzögerungen der Hilfegewährung kein Raum ist (vgl. dazu mit Nachweisen aus der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes: Urteil des Nds. OVG vom 7. Juli 1998 – 4 L 1278/98 -, FEVS 49, 538). Danach hat der für den Zuzugsort zuständige Sozialhilfeträger die Miete für die neue Wohnung zu tragen. Daraus ergibt sich die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Erteilung einer Mietübernahmeerklärung gegenüber der Vermieterin, die diese auch entsprechend ihren o. a. Angeboten vom 16. Oktober 2001 ausdrücklich verlangt, ansonsten es nicht zum Abschluss eines Mietvertrages käme.

Nach allem liegt die Notwendigkeit des Auszugs aus der alten und des Einzugs gerade in diese beiden neuen Wohnungen vor und sind zugleich der Anspruch auf die Erteilung der Mietübernahmeerklärung sowie der Anspruch darauf begründet, dass die Antragsgegnerin gemäß § 11, 12 BSHG i.V.m. § 3 Regelsatzverordnung den Antragstellern beginnend mit dem tatsächlichen Bezug der Wohnungen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Mietkosten beider Wohnungen  gewährt.

Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus der dem Antragsteller zu 1) für die Räumung der jetzt innegehaltenen Wohnung in Oldenburg amtsgerichtlich gesetzten Frist.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

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