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Mietwagentarif: Unterscheidung zwischen „Unfallersatztarif“, „Normaltarif“ und einheitlichem Tarif der überteuert ist

BGH

Az: VI ZR 117/05

Urteil vom 09.05.2006


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Mai 2006 im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis 15. März 2006 für Recht erkannt:

Die Revision des Klägers und der Nebenintervenientin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 13. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens, die Nebenintervenientin die Kosten ihrer Nebenintervention.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger macht restliche Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall vom 5. November 2002 geltend, bei dem das Fahrzeug des Klägers, ein PKW Mitsubishi Carisma, schwer beschädigt wurde. Die Haftung der Beklagten zu 1 bis 3 (Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer) für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.

Am Tage nach dem Unfall mietete der Kläger nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, das von einer Reparaturdauer von 11 bis 12 Arbeitstagen ausging, bei der Nebenintervenientin auf Vermittlung der Reparaturwerkstatt ohne weitere Erkundigungen über andere Anmietmöglichkeiten einen PKW Mitsubishi Carisma der Gruppe 5, den er nach 17 Tagen zurückgab. Die Nebenintervenientin, die nicht zwischen sogenannten Unfallersatztarifen und Normaltarifen unterscheidet, berechnete ihm hierfür einen Mietpreis von insgesamt 3.029,92 Euro brutto. Nachdem die Nebenintervenientin aus abgetretenem Recht des Klägers unter Abzug von 10% Eigenersparnis Mietwagenkosten in Höhe von 2.776,36 Euro geltend gemacht hatte, zahlte die Beklagte zu 3 zunächst 1.300 Euro und nach Rechtshängigkeit der vorliegenden Klage weitere 278,58 Euro, woraufhin erstinstanzlich entsprechende übereinstimmende Teilerledigungserklärungen erfolgten. Der Kläger macht nunmehr nach Rückabtretung der Forderungen noch den Ausgleich restlicher Mietwagenkosten in Höhe von 1.187,77 Euro geltend.

Das Amtsgericht hat die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger gegenüber der Nebenintervenientin von einer Verbindlichkeit in Höhe von 315,81 Euro freizustellen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts stellen die von der Nebenintervenientin in Rechnung gestellten Mietwagenkosten in Höhe von 3.029,92 Euro für einen Mietwagen der Klasse 5 mit Vollkaskoversicherung und Zustellung/Abholung für 17 Tage keinen gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB objektiv erforderlichen und damit ersatzfähigen Herstellungsaufwand dar. Vielmehr wäre lediglich ein Bruttobetrag von insgesamt höchstens 1.337 Euro entsprechend dem „gewichteten Mittel“ der Normaltarife nach dem „Schwacke-Automietpreisspiegel“ im Postleitzahlengebiet des Klägers objektiv erforderlich gewesen. Da die Beklagte zu 3 zum Ausgleich der Mietwagenkosten aber schon 1.578,58 Euro (nach Abzug von 10% Eigenersparnis) gezahlt habe, stehe dem Kläger kein weiterer Schadensersatzanspruch mehr zu. Vielmehr habe der Kläger gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, indem er vor Anmietung des Fahrzeuges keinerlei Erkundigungen über andere Anbieter eingeholt und einen Tarif in Anspruch genommen habe, der um ca. 245% über dem Durchschnitt liege. Da der Kläger das Ersatzfahrzeug auch an einem gewöhnlichen Wochentag, dem Tag nach dem Unfall, zu einer gewöhnlichen Öffnungszeit, nämlich um 17.00 Uhr, angemietet habe, könne ihm dabei auch keine besondere Notsituation zugute gehalten werden. Einen so genannten Unfallersatztarif könne der Kläger nicht ersetzt verlangen, da „in letzter Konsequenz“ den Überlegungen des Bundesgerichtshofs in seinen Entscheidungen vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 -, vom 12. Oktober 2004 – VI ZR 151/03 – und vom 15. Februar 2005 – VI ZR 160/04 – nicht gefolgt werden könne. Vielmehr müsse generell von einem „Sonder-Unfallersatztarif“ Abstand genommen werden. Selbst wenn nicht allgemein der Unfallersatztarif zu verneinen wäre, wäre im vorliegenden Fall zur Vergleichbarkeit der Angemessenheit der Mietzinsen der Nebenintervenientin auf den „Normaltarif“ abzustellen, da die Vermieterin eben nicht zwischen dem Anlass der Anmietung unterscheide und damit auch keinerlei gesonderte betriebswirtschaftliche Rechtfertigung anführen könne.

II.
Das Berufungsurteil hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 383 f.; vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – VersR 2005, 241, 242; vom 15. Februar 2005 – VI ZR 160/04 – VersR 2005, 569 und – VI ZR 74/04 – VersR 2005, 568; vom 19. April 2005 – VI ZR 37/04 – VersR 2005, 850; vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – VersR 2005, 1256; vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 9/05 – VersR 2006, 133 und vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – z.V.b.) kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei ebenso wie bei anderen Kosten der Wiederherstellung und ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kraftfahrzeug zum Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem „Normaltarif“ teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.ä.) einen gegenüber dem „Normaltarif“ höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind.

Die entgegenstehenden Ausführungen des Berufungsgerichts geben keine Veranlassung zu einer Änderung dieser Rechtsprechung, zumal sich das Berufungsurteil jedenfalls mit seiner Hilfsbegründung im Ergebnis als richtig erweist.

2. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles bedurfte es bereits deshalb keiner tatrichterlichen Überprüfung der Rechtfertigung eines Unfallersatztarifs, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts – und insoweit auch unstreitig – die Nebenintervenientin nicht zwischen „Unfallersatztarifen“ und „Normaltarifen“ unterscheidet, sondern potentiellen Mietern einen einheitlichen Tarif anbietet. Ob dieser Tarif – wie die Beklagten geltend machen – in sittenwidriger Weise überhöht ist, kann hier dahinstehen. Jedenfalls hat der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen mit Ausnahme einer Vorfinanzierung der Mietwagenkosten keine unfallbedingten Mehrleistungen der Nebenintervenientin im Zusammenhang mit der Anmietung des Ersatzfahrzeuges in Anspruch genommen. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB abgeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebots den Tarif der Nebenintervenientin mit den auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen „Normaltarifen“ vergleichen.

Hierbei ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht – noch dazu mit sachverständiger Beratung – in Ausübung tatrichterlichen Ermessens nach § 287 ZPO den „Normaltarif“ auf der Grundlage des gewichteten Mittels des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ im Postleitzahlengebiet des Klägers auf maximal 1.337 Euro geschätzt hat.

Soweit der Kläger darüber hinaus – unbestritten – geltend gemacht hat, nicht im Besitz einer Kreditkarte und auch nicht in der Lage gewesen zu sein, den Mietpreis im Voraus zu bezahlen, verbleiben als unfallbedingte Mehrleistungen der Nebenintervenientin im vorliegenden Fall allenfalls Vorfinanzierungskosten, für deren Höhe es jedoch im Streitfall keiner weiteren Feststellungen bedarf. Da die Beklagte zu 3 über den vom Berufungsgericht errechneten „maximalen Normaltarif“ von 1.337 Euro hinaus auf die Mietwagenkosten insgesamt 1.578,58 Euro, mithin ca. 18% mehr gezahlt hat und die Revision keinen konkreten Sachvortrag aufzeigt, wonach der Nebenintervenientin höhere Finanzierungskosten entstanden sind, können die entsprechenden unfallbedingten Mehrleistungen im Streitfall als durch den von der Beklagten zu 3 gezahlten Mehrbetrag abgegolten betrachtet werden.

3. Über das objektiv erforderliche Maß hinaus kann der Geschädigte nach der Senatsrechtsprechung im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung (vgl. hierzu etwa Senatsurteil BGHZ 132, 373, 376) den übersteigenden Betrag nur ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt – zumindest auf Nachfrage – kein wesentlich günstigerer „(Normal-)Tarif“ zugänglich war (vgl. Senatsurteil vom 19. April 2005 – VI ZR 37/04 – aaO, S. 851 und vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – z.V.b.). Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 BGB, für die grundsätzlich der Schädiger die Beweislast trägt, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung: Kann der Geschädigte nach § 249 BGB grundsätzlich nur den zur Herstellung „erforderlichen“ Betrag ersetzt verlangen, so gilt dies erst recht für die ausnahmsweise Ersatzfähigkeit an sich nicht erforderlicher Aufwendungen wegen der Nichtzugänglichkeit eines günstigeren „Normaltarifs“ (vgl. Senatsurteil vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – z.V.b.).

a) Nach den vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätzen (vgl. Urteile vom 19. April 2005 – VI ZR 37/04 – aaO und vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – z.V.b.) kommt es insbesondere für die Frage der Erkennbarkeit der Tarifunterschiede für den Geschädigten darauf an, ob ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif gehalten gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich insbesondere aus dessen Höhe ergeben können. Dabei kann es je nach Lage des Einzelfalls auch erforderlich sein, sich nach anderen Tarifen zu erkundigen und gegebenenfalls ein oder zwei Konkurrenzangebote einzuholen. In diesem Zusammenhang kann es auch eine Rolle spielen, wie schnell der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug benötigt. Allein das allgemeine Vertrauen darauf, der ihm vom Autovermieter angebotene Tarif sei „auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnitten“, rechtfertigt es dagegen nicht, zu Lasten des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers ungerechtfertigt überhöhte und nicht durch unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gedeckte Unfallersatztarife zu akzeptieren.

b) Im vorliegenden Fall ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dem Kläger als Verstoß gegen seine Schadensgeringhaltungspflicht anlastet, dass er bei der auf Vermittlung der Reparaturwerkstatt erfolgten Anmietung des Fahrzeuges keinerlei Erkundigungen über andere Anmietungsmöglichkeiten eingezogen hat. Da er die Anmietung erst einen Tag nach dem Unfall an einem gewöhnlichen Wochentag, nämlich an einem Mittwoch und zur üblichen Geschäftszeit vorgenommen hat, kann ihm dabei – wie das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß angenommen hat – keine Eil- oder Notsituation bei der Anmietung zugute gehalten werden. Auch war nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens dem Kläger spätestens am 7. November 2002 klar, dass eine Reparaturdauer von 11 bis 12 Arbeitstagen zu erwarten war und die zu erwartenden weiteren Mietwagenkosten laut bekannter Preisliste für die ersten 6 Tage 192,56 Euro pro Tag und ab dem 7. Tag noch 169,36 Euro betragen sollten. Bei dieser Sachlage ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht eine Erkundigungspflicht des Klägers nach einem günstigeren Tarif angenommen hat. Die Revision zeigt auch keinen konkreten Sachvortrag des Klägers oder der Nebenintervenientin auf, wonach es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, einen günstigeren Tarif zu erlangen, womöglich unter Einholung einer entsprechenden Deckungszusage des Haftpflichtversicherers.

III.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.

 

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