Landgericht Köln, Az.: 13 S 129/15, Urteil vom 13.01.2016
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Brühl vom 11.06.2015, Az. 21 C 140/14 abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
I.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene stattgebende Urteil ist abzuändern, weil die Klage im vollen Umfang abzuweisen ist. Die Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 823, 828, 249 BGB, 25 Abs. 3 StVO. Den Beweis für die einen solchen Anspruch begründende unerlaubte Handlung durch den Beklagten muss der Kläger als Anspruchsteller führen, was ihm nicht gelungen ist. Im Einzelnen:
1.
Eine unerlaubte Handlung des Beklagten durch einen haftungsbegründenden Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO läge nur dann vor, wenn dieser unter Missachtung einer für ihn „Rot“ zeigenden Ampel die Straße überquert hätte, was von ihm bestritten wird. Die Beweislast hierfür liegt beim Kläger. Das Amtsgericht hat es nach durchgeführter Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass der Beklagte, ohne auf die Lichtzeichenanlage zu achten, die Straße überquert hat, was letztlich zu dem Schaden beim Kläger geführt hat. Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern, denn zu Recht rügt der Beklagte mit der Berufung, dass die Aussagen der Polizeibeamten hierzu vom Amtsgericht nicht hätten verwertet werden dürfen, weil diese bei Vernehmung des Beklagten am Unfallort gegen ihre Belehrungspflicht verstoßen haben.
Zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme waren die Polizeibeamten verpflichtet, den Beklagten zu belehren, weil sie ihn als Unfallversursacher und damit auch als Beschuldigten einer Ordnungswidrigkeit vernommen haben, §§ 46 OWIG, 136 StPO. Dabei war bei dem minderjährigen Beklagten zusätzlich eine Belehrung erforderlich, dass er berechtigt ist, vor einer Aussage zur Sache seine Eltern zu kontaktieren, § 67 JGG. Diese gesetzliche Regelung beruht auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere „Geständnisfreudigkeit“ aufweisen, also in geringerem Umfang in der Lage sind, auch bei ansonsten korrekter Belehrung über das Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit dahingehend Gebrauch zu machen, auf Angaben zur Sache möglicherweise zu verzichten. Das Recht auf Konsultation der Erziehungsberechtigten bzw. gesetzlichen Vertreter, welches in § 67 I und II JGG seinen Niederschlag findet, trägt zumindest auch und insbesondere diesem Umstand Rechnung und steht deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entschließungsfreiheit des jugendlichen Beschuldigten in Bezug auf seine Rechte gem. §§ 136, 163 a StPO (LG Saarbrücken, Urteil vom 31. Juli 2009 – 3 Ns 20 Js 26/08 (32/09), 3 Ns 32/09 –, Rn. 22, juris)
Aus den Angaben der Polizeibeamten im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Amtsgericht ergibt sich jedoch, dass diese den Beklagten tatsächlich nicht über sein Konsultationsrecht belehrt haben.
Im hier zu entscheidenden Fall führt das bestehende Beweiserhebungsverbot (keine Vernehmung zur Sache ohne ordnungsgemäße Belehrung) auch zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess mit der Folge, dass das Amtsgericht die Vernehmung der Polizeibeamten als Zeugen für seine Überzeugungsbildung nicht hätte verwerten dürfen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die strafprozessuale Belehrung des Beschuldigten (wegen § 46 OWiG auch jene nach dem Recht der Ordnungswidrigkeiten) zwar nicht darauf gerichtet, diesen auch vor einer zivilrechtlichen Verfolgung zu schützen. Vielmehr soll sie den Beschuldigten allein davor bewahren, aktiv zu seiner strafrechtlichen Verfolgung beitragen zu müssen. Daher kann das Beweisverwertungsverbot des Strafprozesses jedenfalls nicht ohne weiteres auf den Zivilprozess übertragen werden. Entscheidend ist aber eine Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall (BGH Urteil vom 10.12.2002 – VI ZR 378/01), wobei hier nach Auffassung der Kammer den Interessen des Beklagten ausnahmsweise der Vorrang einzuräumen ist. Die Kammer verkennt dabei nicht das überaus beachtliche Interesse des Klägers an der Wahrheitsfindung durch das erkennende Gericht, welchem nach den oben aufgezeigten Maßstäben des Bundesgerichtshofes im Zivilprozess jedenfalls grundsätzlich auch der Vorrang gebührt. Die Kammer hat auch berücksichtigt, dass dem Kläger an dem Umstand, dass hier ein Beweisverwertungsverbot im Raume steht, kein Verschulden trifft. So kann im Gegenteil das Verhalten des Klägers im Rahmen der Unfallaufnahme unter keinem Gesichtspunkt beanstandet werden. Dennoch sprechen hier die folgenden Erwägungen aus Sicht der Kammer allein für ein Beweisverwertungsverbot:
Maßgeblich ist insoweit, dass der Beklagte zum Zeitpunkt seiner Vernehmung minderjährig war. So betraf insbesondere auch die die Kammer leitende Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH aaO) gerade keine Konstellation, in der ein Minderjähriger beteiligt gewesen wäre. Dieser Umstand verdient aber nach Auffassung der Kammer – in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Berufung – im Rahmen der hier erforderlichen Abwägung eine besondere Beachtung. Wegweisend für den Zivilprozess ist § 455 ZPO, wonach eine parteiverantwortliche Vernehmung von Minderjährigen bis zum vollendeten 16. Lebensjahr zu unterbleiben hat, und an ihrer Stelle ausschließlich die gesetzlichen Vertreter zu vernehmen sind. Das spricht dafür, dass auch im Zivilprozess eine „verantwortliche“ Aussage Minderjähriger überhaupt erst ab dem 16. Lebensjahr in Betracht kommen soll. Der Beklagte war zum Zeitpunkt des Unfalls und der Vernehmung erst 15 Jahre alt.
Für ein Beweisverwertungsverbot im konkreten Einzelfall spricht weiterhin, dass auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme unter Schock stand, weil er unmittelbar zuvor von einem Fahrzeug angefahren worden ist. Die mit der Vernehmung vor dem Amtsgericht wiedergegebenen Erkenntnisse der Polizeibeamten erlauben jedenfalls keine abschließende Beurteilung über die psychische Verfassung des Beklagten zu diesem Zeitpunkt, weshalb ein Schock des Beklagten jedenfalls nicht aufgrund der nicht sachkundigen Bekundungen der Beamten auszuschließen wäre. Es kommt daher nicht nur die Minderjährigkeit des Beklagten, sondern auch ein möglicher Schock zum Tragen. Aus diesem Grund hatte die Kammer zusätzlich zu bedenken, dass die Angaben eines unter Schock stehenden Unfallbeteiligten mit äußerster Vorsicht zu würdigen sind, weil nach den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie Ereignisse, die kurz vor einem Schock eintreten, mehr oder weniger der Vergessenheit anheimfallen. Angaben einer Prozesspartei zum Unfallgeschehen dürfen unter diesen Umständen auch nicht als Geständnis i.S.v. § 288 ZPO gewertet werden. (OLG Hamm, Urteil vom 21. Februar 2002 – 27 U 175/01 –, juris)
In Folge des bestehenden Beweisverwertungsverbotes sind die aus der Vernehmung der Polizeibeamten gewonnenen Erkenntnisse des Amtsgericht hinwegzudenken, die jedoch – und dies ist den Urteilsgründen zu entnehmen – im Wesentlichen die Grundlage der Überzeugungsbildung waren. Zwar hat der Kläger für den Verstoß des Beklagten gegen § 25 Abs. 3 StVO auch Beweis angeboten durch Vernehmung der Mutter des Beklagten, die seiner Behauptung nach ihm gegenüber nach dem Unfall eine unerlaubte Handlung ihres Sohnes mündlich eingestanden habe. Diese mögliche Zeugin hat sich jedoch in der Verhandlung vor der Kammer auf ihr bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht berufen und keine Angaben zur Sache gemacht, weshalb weitere Feststellungen nicht möglich sind. Dies bringt mit sich, dass der Kläger beweisfällig bleibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.
III.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Zulassung der Revision ist auch nicht gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, da nicht über streitige oder zweifelhafte Rechtsfragen zu entscheiden war. Insoweit wird auf die bestehende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verwiesen (BGH Urteil vom 10.12.2002 – VI ZR 378/01)
IV.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.447,27 Euro