AG Frankfurt, Az.: 30 C 4153/18 (20), Urteil vom 06.08.2019
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Kostenbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche aufgrund missbräuchlicher Verwendung von bargeldlosen Zahlungsmitteln.
Die Kläger sind Kunden der Beklagten und unterhalten bei dieser gemeinsam ein Girokonto. Die Beklagte überließ dem Kläger zu 2) eine girocard und eine VISA Card. Beide Karten sind mit einem Sicherheitschip versehen. Bei Abschluss des Vertrages über die Nutzung der beiden Karten wurden die Geschäftsbedingungen der Beklagten (Anlage S & P 1, Bl. 33 ff d.A.) einbezogen. Am 24.10.2017 wurden unter Verwendung der beiden Karten des Klägers zu 2) jeweils Euro 1.000,00 an einem Bankautomaten abgehoben.
Die Kläger behaupten, die beiden Karten seien dem Kläger zu 2) kurzzeitig entwendet worden. In einem Lokal auf der Hamburger Reeperbahn habe der Kläger zu 2) mit seiner Kreditkarte zahlen wollen. Es sei ihm ein Kartenlesegerät ausgehändigt worden, in das er seine Karte eingesteckt und verdeckt seine PIN eingegeben habe. Nachdem ihm mitgeteilt worden sei, dass die PIN nicht funktioniert habe, habe der Kläger erneut zwei bis drei Mal die PIN eingegeben, ohne dass die Mitarbeiterin des Lokals die Eingabe hätte beobachten können. Nach jeder PIN-Eingabe sei die Mitarbeiterin des Lokals aus dem Sichtfeld des Klägers gegangen und nach kurzer Zeit zurückgekehrt und habe jeweils erklärt, dass die PIN nach wie vor nicht funktioniere. Daraufhin habe der Kläger zu 2) die EC-Karte genommen und auch mit dieser ein oder zwei Mal seine PIN eingegeben, ohne dass das Display einsehbar gewesen sei. Es sei ihm erneut mitgeteilt worden, dass eine Überweisung nicht möglich sei. Auch bei diesen Versuchen sei die Mitarbeiterin des Lokals jeweils einige Minuten fortgeblieben. Im weiteren Verlauf – unter anderem, weil man ihn aufgefordert habe, einen Schuldschein zu unterschreiben – sei der Kläger zu 2) dann argwöhnisch geworden und habe die Polizei gerufen.
Zur Ergänzung des Klägervorbringens wird auf Klageschrift und Replik sowie den Schriftsatz vom 21.6.2019 (Bl. 89 ff d.A.) Bezug genommen.
Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von Euro 2.005,99 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2018 sowie Euro 262,99 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Da – was unstreitig ist – unter Einsatz der girocard des Klägers zu 2) um 3.47 Uhr unter Eingabe der richtigen PIN beim dritten Versuch eine Bargeldabhebung an einem Geldautomaten in Höhe von Euro 1.000,00 und um 3.52 Uhr unter Einsatz der VISA Card unter erstmaliger richtiger Eingabe der PIN eine Bargeldabhebung in Höhe von weiteren Euro 1.000,00 stattgefunden habe, sei von einer Verletzung der den Klägern obliegenden Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten auszugehen. Die kurzzeitigen Entwendungen der Karten bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen. Da die Originalkarten verwendet und die PINs jeweils korrekt eingegeben worden seien, sei davon auszugehen, dass der Kläger zu 2) selbst die Verfügungen vorgenommen habe. Zur Ergänzung des Beklagtenvorbringens wird auf die Klageerwiderung sowie den Schriftsatz vom 23.7.2019 (Bl. 94, 95 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 675 u) Satz 2 BGB auf Erstattung/Gutschrift der am 24.10.2017 mittels girocard und VISA Karte abgehobenen und ihrem Konto belasteten Beträge in Höhe von insgesamt Euro 2.000,00 (zuzüglich Geldautomatenentgelt in Höhe von Euro 5,99). Denn die beiden Abhebungen stellten keinen nicht autorisierten Zahlungsvorgang im Sinne des § 675 u Satz 2 BGB dar, weil sie beide jeweils unter Verwendung der Originalkarten und unter richtiger Eingabe der jeweiligen PIN erfolgten.
Soweit die Kläger geltend machen, es habe eine mißbräuchliche Verwendung der Kreditkarten vorgelegen, rechtfertigt dieses Vorbringen keine andere Beurteilung der Rechtslage. Das Gericht glaubt den Klägern, dass der Kläger zu 2) die streitbefangenen Abhebungen nicht selbst getätigt hat. Der von den Klägern vorgetragene Lebenssachverhalt kann als wahr unterstellt werden. Aus der Würdigung der von den Klägern vorgetragenen tatsächlichen Umstände im Vorfeld der streitbefangenen Abhebungen ergibt sich indes die Grundlage für den Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers zu 2) mit der rechtlichen Konsequenz, dass die Kläger der Beklagten zum Ersatz des dieser durch die streitbefangene Transaktion entstandenen Schadens gemäß § 675 v Abs. 3 Nr. 2 BGB verpflichtet wären. Diesen Anspruch könnte die Beklagte erfolgreich einem Anspruch aus § 675 u Satz 2 BGB entgegenhalten.
Wie der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 29.11.2011 zu Az.: XI ZR 370/10 ausgeführt hat, muss sich der Verschuldensvorwurf im Einzelfall aus konkreten, den Missbrauch begünstigenden Umständen der einzelnen Kartennutzung ergeben. Diese Umstände liegen im gegebenen Fall vor, denn nach eigenem Vorbringen hat der Kläger zu 2) beide Karten mehrfach nacheinander einer weiblichen Person in dem fraglichen Lokal auf der Reeperbahn ausgehändigt und es geduldet, dass diese Person – offenbar unter Vorspiegeln eines falschen Sachverhalts – sich jeweils für einige Zeit mit der Karte (und dem Tablet bzw. Kartenlesegerät, in welches der Kläger zu 2) jeweils zuvor die richtigen PINs eingegeben hatte), entfernt hat. Zu keinem Zeitpunkt hat der Kläger zu 2) darauf bestanden, einen Beleg über den Abbruch der zuvor eingeleiteten und durch Einstecken der Karte bzw. Eingabe der richtigen PIN gestarteten Transaktionsvorgänge zu erhalten.
Es kommt im Alltag bei Einsatz von elektronischen Zahlungsmitteln zwar auch nach der Erfahrung des erkennenden Gerichts häufig vor, dass nicht in jedem Fall sofort eine Datenübermittlung möglich ist; vielmehr besteht gelegentlich die Notwendigkeit, den Vorgang zu wiederholen. Insbesondere ist dies an verkaufsintensiven Tagen wie zum Beispiel an Samstagen der Fall, da die Terminals an diesen Tagen erfahrungsgemäß überlastet sind. Aber unabhängig von den möglichen systembedingten Ursachen für die Notwendigkeit einer zweiten Verwendung der Karte und einer weiteren Eingabe der PIN ist es dem Karteninhaber jedoch zur Pflicht zu machen, dass er vor erneuter Benutzung der Karte und erneuter Eingabe der PIN – selbst wenn diese äußerst sorgfältig unter Verdecken der Hand durchgeführt wird – von dem Verwender des elektronischen Zahlungssystems nach einem abgebrochenen Vorgang die Aushändigung eines Beleges über den Abbruch der Transaktion verlangt. Denn nur in diesem Fall kann der Karteninhaber sicher sein, dass der vorherige Zahlungsversuch gescheitert ist und nicht erfolgreich abgeschlossen wurde. Der Beleg über den Abbruch erbringt Beweis für die nicht erfolgreiche Beendigung des Datentransfers. Der Verzicht auf die Produktion eines derartigen Transaktionsabbruchbeleges muss als grob fahrlässig gewertet werden, da bei seriösen Händlern ein derartiger Beleg grundsätzlich sofort produziert und ohne Notwendigkeit einer eigenen Nachfrage seitens des Kunden übergeben wird. Wenn das Verlangen auf Aushändigung eines derartigen Beleges zurückgewiesen wird – mit welcher Begründung auch immer –, so ist ein Missbrauchsverdacht begründet.
Nach alledem unterliegt die Klage der Abweisung mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.