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Mittelgebühr in Bußgeldverfahren

AG Rudolstadt, Az.: 3 C 19/09, Urteil vom 08.09.2011

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 157,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2008 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

(ein Tatbestand war gemäß §§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 511 Abs. 2 ZPO entbehrlich)

I.

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

1.

Das Amtsgericht Rudolstadt ist insbesondere auch für die Versicherungsstreitigkeit örtlich zuständig, wobei hier dahinstehen kann, ob diese Zuständigkeit aus § 48 a.F. VVG folgt, weil der Kläger den streitgegenständlichen Rechtsschutzversicherungsvertrag (unstreitig) in einer ortsansässigen Agentur der Beklagten abgeschlossen hat oder sich aus § 215 n.F. VVG ergibt, weil der klagende Versicherungsnehmer (unstreitig) seinen Wohnsitz und allgemeinen Gerichtsstand in Rudolstadt hat.

2.

Mittelgebühr in Bußgeldverfahren
Symbolfoto: andy0man/Bigstock

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der restlichen, von seinem Verfahrensbevollmächtigten als Gegenleistung für die durchgeführte Vertretung in einer Bußgeldsache angefallenen Anwaltsgebühren in Höhe von 157,68 Euro gemäß §§ 1 Satz 1, 125 VVG in Verbindung mit dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag.

Die Einstandspflicht der Beklagten als Rechtsschutzversicherer des Klägers für die Kosten einer anwaltlichen Vertretung in einem Bußgeldverfahren, für die sie vorgerichtlich auch eine schriftliche Deckungszusage erteilt hat, steht dem Grunde nach außer Streit.

Streitig ist hier lediglich die Frage, ob der anwaltliche Vertreter des Klägers in einem vor Gericht geführten Bußgeldverfahren wegen einer Straßenverkehrsordnungswidrigkeit, in dem dem Kläger zwar kein Fahrverbot, aber ein Bußgeld in Höhe von 75,- € und gleichzeitiger Eintragung von 3 Punkten im Verkehrszentralregister bei einer bestehenden, dort bereits eingetragenen Vorahndung bei Bestimmung der Grund-, und Verfahrensgebühren berechtigt war, eine sog. Mittelgebühr anzusetzen oder, wie die Beklagte meint, in Verkehrsordnungswidrigkeiten aufgrund ihres „Massencharakters“ von vorneherein nur die Festsetzung einer Gebühr deutlich unter der Mittelgebühr einem billigen Ermessen im Sinne des § 14 RVG entsprach.

Nach Anhörung der Parteien und Bewertung eines auf übereinstimmenden Wunsches der Beteiligten analog § 14 Abs. 2 RVG eingeholten Gebührengutachtens der Rechtsanwaltskammer Thüringen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Ansatz einer Mittelgebühr durch den klägerischen Verfahrensbevollmächtigten bei Abrechnung der Vertretung in der Verkehrsordnungswidrigkeitenangelegenheit nicht zu beanstanden ist. Seine Gebührennote war daher – mit Ausnahme der doppelt abgerechneten Auslagenpauschale, auf die der Klägervertreter aber nach entsprechendem Hinweis der Beklagten vorgerichtlich bereits verzichtet hat und die daher nicht streitgegenständlich ist – vollständig auszugleichen und die hierfür notwendigen Kosten dem Kläger auf erfolgten Nachweis zu erstatten.

Nach §§ 42, 43 RVG i.V.m. Nrn. 5100 bis 5200 VV RVG beträgt die Mittelgebühr bei der hier im Raum stehenden Geldbuße von 75,- € gemäß Nr. 5109 VV RVG 135,- € netto. Diese Mittelgebühr ist grundsätzlich zu erstatten, wenn es sich um eine durchschnittliche Angelegenheit im Sinne des § 14 Abs. 1 RVG handelt. Nach der Rechtsprechung des hiesigen Landgerichts Gera (vgl. LG Gera, JurBüro 2000,581) sind Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich als zumindest als durchschnittliche Bußgeldverfahren anzusehen, was erst recht gilt, wenn ein Eintrag von mehr als 2 Punkten im Verkehrszentralregister in Betracht kommt (LG Gera, aaO.). Eine „automatische“ Gebührenreduzierung, nur weil es sich vorliegend um eine „Verkehrsordnungswidrigkeit“ handelt, ist weder durch das Gesetz noch durch die amtliche Gesetzesbegründung gedeckt.

Der Umfang und die Schwierigkeit der Angelegenheit, die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse lassen die Angelegenheit insgesamt als zumindest durchschnittlich erscheinen.

Umfang und Schwierigkeit waren angesichts der unbestrittenen Besprechungen, der vorgerichtlichen Einholung eines „Gegengutachtens“, der gestellten Beweisanträge und der letztlich erfolgreichen Verhandlung mit und bei dem Gericht zumindest durchschnittlich, wie auch die insoweit sachverständige Rechtsanwaltskammer Thüringen in ihrem Gutachten plausibel dargelegt hat. Die Bedeutung war vor allem wegen der drohenden Eintragung von 3 Punkten im Verkehrszentralregister für den vorbelasteten Kläger, der zumindest im Mandantengespräch angab, als Vielfahrer beruflich auf seinen Pkw angewiesen zu sein, jedenfalls nicht von untergeordneter Bedeutung, Da die Höhe des Bußgeldes bereits Grundlage für die Einordnung in eine der drei gesetzlich vorgesehenen Stufen des Gebührenrahmens ist, kann diese nur bedingt dazu verwendet werden, eine weitere Herabsetzung der Anwaltsgebühren zu rechtfertigen.

In dieser Einordnung sieht sich das Gericht durch die – freiwillige – Einholung des Gutachtens der Rechtsanwaltskammer Thüringen bestätigt, gegen das die Beklagte inhaltlich auch keine substantiierten Einwendungen erhoben hat. Den nachträglich erhobenen Vorwurf der Beklagten, die Kammer sei als Standesvertretung parteiisch und hätte den Gutachtenauftrag an einen unabhängigen, allgemein bestellten und beeidigten Gebührensachverständigen weitergeben müssen, hält das Gericht für prozessrechtlich unbeachtlich und inhaltlich unzutreffend, wenn nicht gar abwegig.

Zum einen beruhte die Einholung des Gutachtens analog § 14 Abs. 2 RVG durch die Kammer auf dem ausdrücklichen, beiderseitigen Wunsch und Antrag der Parteien. Gegen den entsprechenden Beschluss, der die Erstellung des Gutachtens nicht der Oberaufsicht, sondern der Kammer selbst zuwies, wurden keine Einwendungen erhoben. Damit ist die Frist des § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO zum Zeitpunkt der erstmaligen Rüge der angeblichen Befangenheit abgelaufen gewesen. Dass die Rechtsanwaltskammer eine Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts der Anwälte ist, war der Beklagten auch bereits bei Beantragung des Gutachtens klar, so dass sie mit diesem Einwand jetzt nicht mehr gehört werden kann, § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

Zum anderen sind die Bedenken auch inhaltlich unzutreffend. Die Rechtsanwaltskammern sind, was oftmals übersehen wird, mitnichten verbandsähnliche Standesvertretungen der Anwaltschaft, sondern öffentlich – rechtliche Verwaltungskörperschaften, die als ein Organ der Justizverwaltung auch einer Rechtsaufsicht durch Oberlandesgerichte und Ministerien unterliegen. Sie treten den Anwälten gegenüber mit hoheitlichen Befugnissen auf. Eine einseitige Interessenvertretung der Anwaltschaft gegenüber Dritten gehört gerade nicht zu den der Körperschaft zugewiesenen, gesetzlichen Aufgaben nach der BRAO, insbesondere nicht in Gebührenstreitigkeiten, in denen sie die Aufgabe einer Schlichtung, neutralen Bewertung aber auch einer Aufsicht und ggf. Verfolgung der Anwälte bei standes- und pflichtwidrigem Verhalten, etwa durch Gebührenüberhebung, trifft. Dass die Körperschaft das Gutachten selbst und nicht durch einen externen Gutachter erstellt hat, liegt einerseits an dem beidseitig antragsgemäß erlassenen Beweisbeschluss, andererseits an der gesetzlichen Vorgabe des § 14 Abs. 2 RVG selbst, die eine Beauftragung Dritter gerade nicht zulässt.

Wie die Klägervertretung schließlich noch zutreffend dargelegt hat, ist die Festsetzung der Rahmengebühr durch den Rechtsanwalt im konkreten Einzelfall ohnehin nur eingeschränkt gerichtlich angreifbar. Denn für Rahmengebühren entspricht es allgemeiner Meinung, dass dem Rechtsanwalt bei Festlegung der konkreten Gebühr ein Spielraum von 20 % (die sogenannte Toleranzgrenze) zusteht (vgl. das klägerseits zitierte Urteil des Bundesgerichtshof vom 13.01.2011, Aktenzeichen IX ZR 110/10). Hält sich der Anwalt innerhalb der Grenze, so ist die von ihm festgelegte Gebühr jedenfalls nicht im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG unbillig und daher von dem Ersatzpflichtigen hinzunehmen (BGH am angegebenen Ort).

Die Klageforderung ist damit in der Hauptforderung vollumfänglich begründet.

3.

Die zugesprochenen Verzugszinsen haben ihren Rechtsgrund in §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 ZPO.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihren Rechtsgrund in §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

III.

Die Berufung war vorliegend nicht zuzulassen, da die hier streitgegenständliche Rechtssache weder eine grundsätzliche Bedeutung hatte noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung hier eine Entscheidung des Landgerichts – Berufungskammer – Gera erforderlich machten.

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