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Mitverschulden Fahrradfahrer bei Nichtbenutzung eines vorhandenen Radweges

OLG München – Az.: 10 U 4873/13 – Urteil vom 27.02.2015

1. Auf die Berufung des Beklagten vom 12.12.2013 wird das Endurteil des LG Traunstein vom 12.11.2013 (Az. 1 O 1884/12) in Nr. I. bis III. abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den gesamten materiellen Schaden zu 3/4 und den immateriellen unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote des Klägers von 1/4 zu ersetzen, der ihm anlässlich des Fahrradunfalles vom 28.11.2011 gegen 06.45 Uhr im Bereich der B 305/A. in B. entstanden ist und noch entstehen wird, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte per Gesetz übergegangen ist.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.419,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 26.05.2012 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/4 und der Beklagte 3/4.

Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 1/4 und der Beklagte 3/4.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Seite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Mitverschulden Fahrradfahrer bei Nichtbenutzung eines vorhandenen Radweges
Symbolfoto: Von monticello /Shutterstock.com

Der Kläger macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle gegenwärtigen und künftigen materiellen und immateriellen Schäden des Klägers sowie Ersatz vorgerichtlicher Kosten aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 28.11.2011 gegen 06.45 Uhr auf der B 305 in Fahrtrichtung M. in Höhe der Einmündung der A. ereignete.

Zum Unfallzeitpunkt war es dunkel, der Einmündungsbereich war durch eine Straßenlaterne beleuchtet. Der Kläger, Polizeibeamter bei der PI B., fuhr mit seinem Rennrad Marke Cannondale auf dem rechten Seitenstreifen der B 305, die durch Zeichen 306 der Anlage 3 zu § 42 II StVO gegenüber der A. bevorrechtigt ist, nach Dienstende von B. kommend Richtung M. nach Hause. Der Kläger fuhr auf der der Fahrbahn zugewandten Hälfte des Seitenstreifens, möglicherweise auf der Fahrbahnbegrenzungslinie (Zeichen 295 zu § 41 I StVO) oder leicht rechts oder links von dieser. Der Seitenstreifen ist nicht durch gesonderte Anordnung zur Benutzung durch Fahrräder freigegeben. Ein rechter Radweg in Fahrtrichtung des Klägers ist nicht vorhanden. Der Beklagte fuhr mit seinem Mountainbike, Marke Giant, auf der A. auf die B 305 zu, um diese zu queren. Er wollte auf dem gegenüberliegenden gemeinsamen Geh- und Radweg, der parallel zur B 305 bis zur Brücke der B 305 über die B. … verläuft und dort unter der B 305 hindurchführt und in eine Ortsverbindungsstraße mündet, Richtung B. zur Arbeit fahren. Der aus Sicht des Klägers links der B 305 befindliche gemeinsame Geh- und Radweg ist durch Zeichen 240 der Anlage 2 zu § 41 I StVO auch in Fahrtrichtung M. gekennzeichnet. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Bereich der Einmündung der B 319 in die B 305, die sich nach der Unfallstelle in Fahrtrichtung M. befindet, beträgt 70 km/h.

Der Beklagte wusste um die Bevorrechtigung der Fahrzeuge auf der B 305. Er blieb an der Einmündung stehen, schaute auch nach links Richtung B. und ließ einen von dort kommenden Pkw vorbeifahren und begann sodann unmittelbar nach der Vorbeifahrt des Pkw die Bundesstraße zu queren. Der ebenfalls aus Richtung B. kommende Kläger, der den Beklagten stehen sah und davon ausging, dieser werde warten, stieß mit seinem Vorderrad gegen das Hinterrad des Beklagten, stürzte und verletzte sich schwer. Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil vom 12.11.2013 (Bl. 91/98 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG Traunstein hat nach Beweisaufnahme der Klage stattgegeben.

Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 91/98 d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses dem Beklagten am 14.11.2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem beim Oberlandesgericht München am 12.12.2013 eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt (Bl. 108/109 d. A.) und diese mit einem beim Oberlandesgericht München am 14.01.2014 eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten (Bl. 113/117 d. A.) begründet.

Der Beklagte wendet sich mit der Berufung nicht gegen die Feststellungen des Landgerichts, wonach am Fahrrad des Beklagten zum Unfallzeitpunkt die Beleuchtung (Scheinwerfer mit weißem Licht) in Betrieb war. Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger hätte den Radweg benutzen müssen.

Der Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger trägt vor, es stelle sich nur die Frage ob die Benutzung des Radweges in der konkreten Situation mit einem Rennrad zumutbar sei.

Der Senat hat die Parteien – insoweit nicht protokolliert – in mündlicher Verhandlung am 13.06.2014 angehört.

Der Kläger gab an, dass zur Tatzeit reger Berufsverkehr herrschte und der Leitplankendurchbruch nach der Brücke in Höhe des Zeichens 240 sowie dieses selbst bei Dunkelheit und Gegenverkehr mit einer Fahrradbeleuchtung nicht zu erkennen sei. Rechts werde die B 305 von einem Mehrzweckstreifen begleitet. Die StVO-Erläuterung von Bouska gebe dem Radfahrer ein Wahlrecht, wenn ein linker und ein rechter Radweg vorhanden sei. Der Bouska sei für die Polizei verbindlich. Deshalb habe er den Radweg nicht benutzt. An der späteren Unfallstelle habe sich bereits früher ein Radunfall beim Queren der Fahrbahn ereignet, sonst habe sich in diesem Bereich kein Fahrradunfall ereignet. Unmittelbar vor der Unfallstelle führe der linke Radweg über eine Auffahrt, die auch von Gästen des Lokals L. mit Pkw als Zufahrt zur Gaststätte benutzt werde und nach der Unfallstelle führe der Radweg an einer Bushaltestelle vorbei, der Bus werde vor allem von Schulkindern benutzt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG dürfe die Radwegbenutzungspflicht nur bei qualifizierter Gefahrenlage angeordnet werden. Er sei seit 18 Jahren bei der Polizei und seither habe es einen Fahrradunfall beim Queren der B 305 gegeben. Nach dem streitgegenständlichen Unfall habe eine Ortsbegehung stattgefunden, alle seien der Auffassung gewesen, dass die Verkehrsvorschrift falsch sei.

Weiter gab der Kläger auf Befragen des Vorsitzenden an, dass das Zeichen 240 nach der Brücke am Unfalltag vorhanden war, das Zeichen eine Radwegbenutzungspflicht nach sich ziehe und der Seitenstreifen kein ausgewiesener Radweg war und ist. Der Kläger hat sich weiter eine von ihm initiierte Stellungnahme der unteren Verkehrsbehörde vom 17.10.2014 (Bl. 151/153 d.A) zu eigen gemacht (Schriftsatz vom 02.12.2014, S. 3 = Bl. 160 d.A.).

Der Beklagte gab an, er sei unmittelbar hinter dem vorbeifahrenden Pkw losgefahren, er habe auf dem Radweg Richtung B. unter der Brücke hindurch und dann auf der Landstraße weiterfahren wollen.

Der beisitzende Richter RiOLG T. hat den Radweg am 22.10.2014 besichtigt, hierüber Fotos gefertigt und seine Beobachtungen in einem Vermerk niedergelegt (Bl. 145/150 d.A.). Die Fotodokumentation nebst Vermerk wurde den Parteien bekanntgegeben. Im Hinblick darauf hielten beide Parteien einen Augenscheinstermin des Senats nicht mehr für erforderlich.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 17.03.2014 (Bl. 121/123 d. A.) nebst Fotoanlage K 7, die weiteren im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze des Klägers vom 02.12.2014 Bl. 148/162 d.A.), der Beklagten vom 16.04.2014 (Bl. 124/126 d.A.), 07.01.2015 (Bl. 144/150 d.A.) und 17.01.2015 (bl. 174 d.A.), die vom Kläger eingereichten Fotos mit Erläuterung (Bl. 59/60 d.A.), die Fotos der polizeilichen Unfallaufnahme, die bereits vom Landgericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden (Bl. 17/20 der Akten 303 Js 2113/12 Staatsanwaltschaft Traunstein), die Sitzungsniederschrift vom 13.06.2014 (Bl. 127/129 d. A.), den Vermerk vom 10.07.2014 sowie die Verfügung vom gleichen Tag (Bl. 130/131 d.A.), die Beschlüsse vom 12.09.2014 (Bl. 134/136 d.A.) und vom 26.01.2015 (Bl. 171/173 d.A.) Bezug genommen.

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

I. Das Landgericht hat nach Auffassung des Senats zu Unrecht eine Mithaftung des Klägers verneint.

1. Der Senat ist anders als das Landgericht der Ansicht, dass zum Unfallzeitpunkt für den Kläger eine Pflicht bestand, den linksseitigen Radweg zu benutzen. Die vom beisitzenden Richter am Oberlandesgericht T. anlässlich der Besichtigung gefertigte Fotodokumentation und seine schriftlichen festgehaltenen Beobachtungen vermitteln dem Senat ein ausreichendes Bild über Beschilderung, Verlauf und allgemeinen Zustand des Radweges wie auch des Seitenstreifens der B 305 Richtung M., weshalb es in Übereinstimmung mit der Auffassung der Parteien eines weiteren Ortstermins nicht bedarf. Der Senat hat daher den Beschluss vom 12.09.2014 in Ausübung seines Ermessens gem. § 144 ZPO mit Beschluss vom 26.01.2015 aufgehoben.

a) Verkehrsrechtliche Anordnung zum Unfallzeitpunkt:

Die Benutzung des linksseitigen Geh- und Radweges in Richtung M. war etwa 300 m vor der Unfallstelle durch Zeichen 240 angeordnet (vgl. Ergebnis des Ortstermins, Protokoll v. 21.09.2012, S. 8 = Bl. 55 d.A.; Foto 2 zur Anlage zum Schriftsatz der Klagepartei v. 24.09.2012 = Bl. 59 d.A., Bilder 2, 32 der Fotodokumentation Bl. 145/150 d.A. sowie Ziffer 2. des Vermerks von RiOLG T. Bl. 150 d.A., Entfernungsmessung mittels Linealfunktion des Programms Google Earth). Der Radweg verläuft vom Ende der Leitplanke der Brücke der B 305 über die … bis zum Steg über die … nach Einmündung der B 319 in die B 305 (Bilder 32, 12, 16 – 18 der Fotodokumentation Bl. 145/150 d.A.) über eine Länge von etwa 580 m (Entfernungsmessung mittels Linealfunktion des Programms Google Earth). Der verbindliche Verwaltungsakt in Form der Allgemeinverfügung ist auch von der Bundestraße aus nicht zu übersehen, wie sich dem Foto 2 zur Anlage zum Schriftsatz der Klagepartei v. 24.09.2012 = Bl. 59 d.A., aufgenommen in Fahrtrichtung M. am Ende der Brücke der B 305 über die … und den Fotos 2, 32 der Dokumentation Bl. 145/150 d.A. entnehmen lässt.

Darauf, ob das Zeichen 240 und der Leitplankendurchbruch von einem Radfahrer auf der B 305 bei Dunkelheit wegen der beschränkten Reichweite seiner eigenen Beleuchtung in Verbindung mit der Blendwirkung der Beleuchtung etwaigen Gegenverkehrs wahrgenommen werden kann, kommt es vorliegend nicht an. Der Kläger ist ortskundig und wusste als Polizeibeamter, wie sich der Anlage 1 zur Klageschrift und seinen Ausführungen auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entnehmen lässt, um den Geh- und Radweg und dessen Freigabe durch Zeichen 240 auch Richtung M. sowie die Zugangsmöglichkeit. Hierauf wurde der Kläger auch hingewiesen (Verfügung vom 10.07.2014, Bl. 130 d.A.). Dass der Kläger vorgenannte Umstände erst nach dem Unfall recherchiert hätte, hat er nicht vorgetragen. Die verkehrsrechtliche Anordnung war dem Kläger zum Unfallzeitpunkt daher bekannt und zu beachten (BayObLG, VRS 73 [Jahrgang 1987], 76). Der Radweg verläuft, wie sich der Dokumentation Bl. 145/150 d.A. entnehmen lässt, auch weitgehend parallel neben der B 305 und ist der Straße zuzuordnen, lediglich im Bereich zweier nahe am Fahrbahnrand befindlicher Bäume (Fotos 25 – 27 der Dokumentation) verläuft der Radweg – in Fahrtrichtung M. gesehen – links um die Bäume herum auf einem kurzen Stück wenige Meter neben der Fahrbahn. Damit verbietet sich grundsätzlich ein weiteres Befahren der B 305 und des Seitenstreifens rechts neben der Fahrbahnbegrenzung, § 2 IV 2, 4 StVO (vgl. auch König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. Rz. 67, 67 b zu § 2 StVO: Benutzungspflicht für linke, durch Zeichen 240 freigegebene Radwege). Die Benutzungspflicht gilt für alle Arten von Fahrrädern (BVerwG NZV 2001, 493).

b) Zumutbarkeit der Benutzung des Geh- und Radweges auf Grund der Verkehrsführung:

Der Zugang ist von der B 305 aus durch Querung unter Beachtung des Fahrverkehrs über den an dieser Stelle eigens vorgesehenen Leitplankendurchbruch möglich und auch zumutbar. Es handelt sich zwar um eine stark befahrene Bundesstraße, der Straßenverlauf im Bereich der Querungsmöglichkeit ist aber übersichtlich (Fotos 2, 25, 28 – 30 der Dokumentation Bl. 145/150 d.A.), der aus beiden Richtungen herannahende Verkehr in ausreichender Entfernung erkennbar, zumal bei Dunkelheit die Scheinwerfer herannahender Fahrzeuge schon von weitem erkennbar sind. Wartezeiten während des Berufsverkehrs, bis eine ausreichende Lücke entsteht, machen die Querung nicht unzumutbar. Dass es in den letzten 18 Jahren im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion, der der Kläger angehört, erst zu einem Unfall mit Radfahrerbeteiligung bei Querung der B 305 kam, zeigt ebenfalls, dass von einer besonderen Gefährlichkeit der Querung, welche die Radwegbenutzung unzumutbar machen würde, nicht ausgegangen werden kann. Entsprechende Erwägungen gelten am Ende des linksseitigen Geh- und Radweges nach der Einmündung der B 319 (Fotos 12 – 14, 16 – 18, 20 der Dokumentation Bl. 145/150 d.A.). Insoweit ist auch zu bedenken, dass sich der rechte Seitenstreifen der B 305 in Annäherung an die Einmündung der B 319, nicht – wie der Kläger unter Wiederholung der Stellungnahme der unteren Verkehrsbehörde (Ziffer 2 c des Schreibens vom 17.10.2014 = Bl. 152 d.A.) meint – „im Bereich der Querungshilfe verengt“, sondern, wie sich aus Fotos 19 – 21 der Dokumentation Bl. 145/150 ergibt, endet, so dass Radfahrer gerade im Bereich der Einmündung einer Bundesstraße nach Ende des Seitenstreifens auf der Fahrbahn mit schnellerem Längsverkehr aus Richtung Berchtesgaden und/oder von der B 319 kommend konfrontiert werden. Insbesondere von der anderen Bundesstraße einfädelnde Fahrzeugführer rechnen mangels erkennbaren Radwegs oder Seitenstreifens auch nicht mit auf der Fahrbahn herannahenden Radfahrern, die leicht übersehen werden können. Dieses hohe Konfliktpotential besteht auf dem linksseitigen Geh- und Radweg gerade nicht. Die Einrichtung des 580 m langen benutzungspflichtigen Radweges mit dem Erfordernis der zweimaligen Querung der B 305 – was zwar nicht einfach sein mag, bei Beachtung des bevorrechtigten Verkehrs und Abwartens einer ausreichenden Lücke aber auch nachts gefahrlos möglich ist – ist daher weder ein nichtiger Verwaltungsakt noch ist die Benutzung wegen der Verkehrsführung unzumutbar. Es ist zwar zutreffend, dass auch Gäste des Lokals L. bei Zufahrt von der B 305 zur Gaststätte oder umgekehrt den Radweg queren (Foto 24 der Dokumentation Bl. 145/150 d.A.) und der Radweg an einer Bushaltestelle mit Wartehäuschen vorbeiführt (Foto 10 der Dokumentation Bl. 145/150 d.A). Angesichts der Unfallzeit um 06.45 Uhr ist aber weder von Lokalbesuchern noch von den vom Kläger betonten Schulkindern oder auf dem Geh- und Radweg mit Pkw parkenden und auf Schulkinder wartenden Eltern auszugehen und es ist auch nicht behauptet, dass derartige Hindernisse zum Unfallzeitpunkt bestanden hätten.

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c) Zumutbarkeit der Benutzung des Geh- und Radweges auf Grund des konkreten Zustandes zum Unfallzeitpunkt:

(1) Vorauszuschicken ist, dass kein Anspruch des Klägers besteht, die mit seinem Rennrad erzielbare Geschwindigkeit stets auszufahren. Die Radwegbenutzungspflicht besteht auch dann, wenn der Radweg wegen seiner baulichen Gestaltung nur mit herabgesetzter, den Fahrbahn- und Witterungs- sowie Fahrzeugverhältnissen angepasster Geschwindigkeit gem. § 3 II StVO befahren werden kann. Zwar besteht keine Benutzungspflicht bei tiefem Schnee, Eis oder Löchern (BGH NZV 1995, 144). Der Zustand des Geh- und Radweges war und ist aber nicht derartig, wie sich der Fotodokumentation und der Beobachtung des RiOLG Tischler (Ziffer 3 des Vermerks Bl. 150 d.A.) entnehmen lässt. Eine bauliche Verbesserung seit dem Unfallzeitpunkt ist nicht vorgetragen. Der durchgehend asphaltierte Weg im vorliegend maßgeblichen Bereich war und ist daher nicht, wie das Landgericht annahm „holprig“ und „allenfalls von jungen Familien mit Kindern oder älteren Radtouristen“ zu benutzen. Wenn der Zustand des Geh- und Radweges so ist, dass schon Kindern – die beim Radfahren mangels Erfahrung noch nicht die Sicherheit geübter Radfahrer erlangen konnten – die Benutzung zumutbar ist, drängt sich bereits auf, dass die Benutzung auch Radfahrern im Altersbereich zwischen „jungen Familien mit Kindern“ und „älteren Radtouristen“, etwa Polizeibeamten mittleren Alters, die zur Arbeit fahren, zumutbar ist. Dies ergibt sich auch aus den von RiOLG T. gefertigten Fotos. Die wenigen ausgebesserten Stellen und Querriefen sind offensichtlich auch mit einem Rennrad wie dem vom Kläger benutzten gefahrlos beherrschbar, jedenfalls bei angepasster Geschwindigkeit.

Auf die Erwägungen des Landgerichts zur Zumutbarkeit des Radweges unterhalb der Brücke kommt es nicht an, das hier maßgebliche Verkehrszeichen befindet sich nach der Brücke, wo der Radweg neben der Straße verläuft.

(2) Die erstmals in zweiter Instanz (Berufungserwiderung S. 2 = Bl. 122 d.A.; Schriftsatz vom 02.12.2014, S. 2 = Bl. 159 d.A.) erhobene Behauptung, der Radweg sei zum Unfallzeitpunkt derart erheblich mit Laub, Ästen und Streumittel (Splitt) versehen gewesen, dass die sichere Benutzung für Radfahrer nicht möglich gewesen und der kurvige Bereich daher rutschig gewesen sei, ist bestritten (Schriftsätze vom 16.04.2014, S. 2 = Bl. 126 d.A. und vom 07.01.2015, S. 1, 2 = Bl. 164/165 d.A.) und, da die Voraussetzungen des § 531 II ZPO nicht dargetan sind, nicht zuzulassen.

Auch bei Zulassung des Vorbringens ergibt sich kein für den Kläger günstigeres Ergebnis. Die am Unfalltag von der Polizei gefertigten Fotos, die auch Teile des Radweges erkennen lassen (Bl. 17/19 der beigezogenen Akte), zeigen, dass sich auf dem Radweg im abgebildeten Bereich auf dem nicht erkennbar nassen Asphalt weder Laub noch Äste befinden, so dass auch nicht davon ausgegangen werden kann, der Radweg habe sich an anderer Stelle in erheblich schlechterem Zustand befunden.

Ergänzend ist anzumerken, dass herabgefallene Blätter und auch Splitt auf Radwegen Ende November durchaus üblich sind, worauf sich Radfahrer durch Anpassung ihrer Geschwindigkeit einzustellen haben. Der Gefahr einer Reifenpanne kann, wenn der Kläger nicht vorsichtig fahren will, auch durch Verwendung geeigneter Reifenmodelle begegnet werden, auch wenn dem Senat bewusst ist, dass diese schwerer und breiter sein mögen als die vom Kläger verwendeten Reifen, was ihn wiederum langsamer macht. Dass der Laubbefall und die Streumittelausbringung ein Maß erreicht hätten, welches das Befahren mit dem Rad des Klägers unzumutbar gemacht hätte, ist nicht bewiesen und auch nicht beweisbar, da der genaue Zustand des Weges nicht dokumentiert ist, Zeugen offensichtlich nicht vorhanden sind und der Kläger selbst den Zustand des Geh- und Radweges zum Unfallzeitpunkt, weil ihn ja nie benutzte, nicht kennt.

2. Der Beklagte wusste auf Grund seiner Ortskenntnis auch ohne das Zeichen 205, dass der Verkehr auf der B 305 Vorrang hat. Die Vorfahrt steht auch Benutzern von Seitenstreifen (Zeichen 295 wie vorliegend) im Verhältnis zur untergeordneten Straße zu (König aaO, Rz 28 zu § 8 StVO) und der Beklagte hatte diesen schon im Hinblick auf die in Anl. 2, lfd. Nr. 68, Spalte 3, Gebot Nr. 1 c zu Zeichen 295 genannten langsamen Fahrzeuge, etwa Mofas (vgl. Bouska, DAR 89, 162) oder versicherungsfreie Pedelecs zu beachten. Mofas dürfen außerorts Radwege benutzen, müssen dies aber nicht tun. Verkehr auf dem Seitenstreifen in Richtung des Klägers war grundsätzlich erlaubt, das Vorfahrtrecht erstreckt sich über die gesamte Fahrbahnbreite (BGH DAR 1986, 361).

3. Der Verstoß des Klägers gegen § 2 IV 2 StVO ist im Rahmen der Abwägung nach § 254 BGB auch zu berücksichtigen.

Die Radwegbenutzungspflicht (auch für links verlaufende Radwege) beruht auf dem unfallverhütenden Entmischungsgrundsatz (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 2 StVO Rz. 67a, b), weshalb selbst eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 I S. 1 Nr. 1 StVO im Hinblick auf etwaige allgemeine Gefahren, die die Benutzung des Radweges gegenüber der Fahrbahnbenutzung mit sich bringen kann, allenfalls bei besonderen, in Person des Radfahrers liegenden oder sonst einen besonders gelagerten Einzelfall begründenden Umständen in Betracht kommen kann (VG Berlin, NZV 1989, 167). Durch eine weitgehende Trennung der Verkehrsarten sollen in erster Linie die für Radfahrer bestehenden spezifischen Gefährdungen ausgeschaltet oder wenigstens gemindert, jedoch auch besondere Gefahrenlagen für Kraftfahrfahrer bekämpft werden (VGH München, BeckRS 2013, 50816, Rz. 4, 11), die sich mit Radfahrern auf der Fahrbahn – wegen des Verbots der Fahrbahnnutzung unerwartet – auseinandersetzen müssen. Der Kläger hat durch die verbotswidrige Benutzung des Seitenstreifens eine wesentliche Unfallursache gesetzt (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 28.10.2011, Az. 24 U 134/11 [Juris]; LG Schwerin, NZV 2004, 581) und damit selbst zu seiner Körperverletzung beigetragen, was gem. § 254 BGB zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 21.05.1996, Az. VI ZR 283/95 [Juris]). Der Beklagte fuhr vorliegend unmittelbar nach der Vorbeifahrt eines in derselben Richtung wie der Kläger fahrenden Pkw an und wandte seinen Blick nach rechts, er hat nicht mit einem Radfahrer gerechnet.

Soweit der Kläger unter Berufung auf OLG Köln, NZV 1994, 278 darauf abstellt, die Radwegbenutzungspflicht schütze nicht den wartepflichtigen Querverkehr, ergibt sich kein anderes Ergebnis.

Die Radwegbenutzungspflicht bezweckt auch den Individualschutz der Radfahrer. Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen (BGH VersR 2006, 994). Die Straßenverkehrsordnung soll insbesondere die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs gewährleisten. Sie dient damit als sachlich abgegrenztes Ordnungsrecht der Abwehr von typischen Gefahren, die vom Straßenverkehr ausgehen und die dem Straßenverkehr von außen oder durch Verkehrsteilnehmer erwachsen. Eine Reihe von Vorschriften der Straßenverkehrsordnung dient dabei dem Schutz von Individualinteressen, insbesondere der Gesundheit, der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums (BGH VersR 2004, 255; VersR 2006, 994) und entspricht damit einem Gesamtanliegen dieser Verordnung, durch einzelne Ge- und Verbote abstrakten und konkreten Gefahren für Leib und Leben zu begegnen.

Nach der Entscheidung des BGH vom 16.01.2007, VI ZR 248/05 = NZV 2007, 354 f „haben die Vorschriften der StVO den Zweck, die Gefahren des Straßenverkehrs abzuwehren und Verkehrsunfälle zu verhindern. Die hierfür aufgestellten Regeln beruhen auf der durch Erfahrung und Überlegung gewonnenen Erkenntnis, welche typischen Gefahren der Straßenverkehr mit sich bringt und welches Verkehrsverhalten diesen Gefahren am besten begegnet. Damit besagen die Verkehrsvorschriften zugleich, dass ihre Nichteinhaltung die Gefahr eines Unfalls in den Bereich des Möglichen rückt (BGH, VersR 1975, 37)“, so dass, wenn sich die Nichtbeachtung unfallursächlich auswirkte, ein Verstoß im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile grundsätzlich zu berücksichtigen ist und dies (BGH NZV 2007, 354 f) „unabhängig davon, ob der andere Unfallverursacher in den Schutzbereich dieser Vorschrift einbezogen ist.“

4. Der Senat bewertet den Verkehrsverstoß des Beklagten, der auch auf berechtigt den Seitenstreifen benutzende Verkehrsteilnehmer zu achten hatte, als den deutlich überwiegenden (75 %) und gelangt zu einer Mithaftung des Klägers gem. § 254 BGB von 25 %, weshalb das Urteil wie tenoriert abzuändern und die weitergehende Berufung zurückzuweisen war.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 Fall 2 ZPO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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