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Mobbing: Erkrankung (psychische) wie eine Berufskrankheit zu entschädigen?

SOZIALGERICHT DORTMUND

Az.: S 36 U 267/02

Verkündet am 19.02.2003


In dem Rechtsstreit hat die 36. Kammer des Sozialgerichts Dortmund auf die mündliche Verhandlung vom 19.02.2003 in Siegen für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine psychische Erkrankung des Klägers wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist.

Der Kläger ist seit Januar 19 als Sicherheitsingenieur tätig, seit 19 ist er Leiter der Abteilung Arbeitssicherheit bei einer großen Firma im Siegener Bereich.

Auf eine Anzeige hin von April 20 ermittelte die Beklagte, ob bei dem Kläger eine Berufskrankheit vorliege.

Der Kläger selbst führte dazu aus, seine psychische Erkrankung sei auf den Druck und die Belastung am Arbeitsplatz zurückzuführen. Als Sicherheitskraft sei er, wenn er Veränderungen vorgeschlagen habe, ständig auf Widerstand gestoßen. Der Überwindungsaufwand sei sehr groß gewesen. Seit Anfang des Jahres 20 fühle er sich von seinem Vorgesetzten gemobbt. Diese Belastung habe dazu geführt, dass er seit August 20 zunehmend kränker geworden sei. Anfang Dezember 20 habe für ihn Lebensgefahr bestanden, so dass er seit dem arbeitsunfähig krank sei. Er solle jetzt zum dritten Mal die Kündigung erhalten. Ihm sei bekannt, dass seine Krankheit nicht als Berufskrankheit in der entsprechenden Verordnung aufgeführt worden sei. Gleichwohl müsse die Beklagte für eine derartige Erkrankung einstehen. Es würde an verschiedenen Stellen, z. B. auf einem Netzwerktreffen in Luxemburg, das Thema psychische Fehlbelastung und Stress bearbeitet.

Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse sowie Unterlagen der Bundesknappschaft bei, wonach der Kläger an einer depressiven Entwicklung bei vorwiegend zwanghafter Struktur und Diabetes mellitus leidet.

Die Beklagte holte eine Auskunft vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften ein. Nach der Auskunft vom Mai 20 liegen keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vor, dass die Berufsgruppe der Sicherheitsingenieure in höherem Maße als die übrige Bevölkerung an Depressionen und psychischer Erschöpfung leide.

Mit Bescheid vom 27.06.2002 lehnte die Beklagte daraufhin eine Entschädigung des psychovegetativen Erschöpfungszustandes mit depressiver Symptomatik und funktionellen Organstörungen ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, es handele sich nicht um eine Berufskrankheit, denn das Erkrankungsbild im Sinne eines Mobbing-Syndroms sei nicht in der Liste der Berufskrankheiten aufgeführt. Eine Anerkennung wie eine Berufskrankheit könne nicht erfolgen, weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vorlägen, dass eine bestimmte Personengruppe infolge ihrer versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung einer Gefährdung durch Mobbing oder Stress am Arbeitsplatz ausgesetzt sei.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 25.07.2002 Widerspruch ein. Er führte aus, in seinem Fall sei nicht das übliche Verfahren bei Feststellung einer Berufskrankheit durchgeführt worden. So sei z. B. nicht der Technische Aufsichtsdienst beauftragt worden, Ermittlungen durchzuführen. Die gesamte berufliche Belastung, der er ausgesetzt gewesen sei, habe seine Gesundheit geschädigt. Er habe kein Privatleben mehr gehabt. Er habe durch die Fülle der Aufgaben ständig unter Zeitdruck gestanden. Er habe seit 19 ständig Angst um seinen Arbeitsplatz haben müssen, weil das Unternehmen häufig umorganisiert worden sei. All diese Belastungen hätten seine Nerven so geschädigt, dass er ohne Gesundheitsgefährdung seine Arbeit nicht wieder aufnehmen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.10.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte nochmals aus, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit und wie eine Berufskrankheit nicht vorlägen.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 08.11.2002 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, seine psychische Erkrankung sei zumindest wie eine Berufskrankheit zu entschädigen. Es träfe nicht zu, dass keine gesicherten medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vorlägen, welche Krankheiten durch Dauerstress ausgelöst würden. Die Beklagte führe selber Seminare darüber durch. Es sei ein Leitfaden darüber erstellt worden, sowie würden Vorträge darüber gehalten. Des Weiteren führt der Kläger aus, er beziehe seinen Antrag auf die fortgesetzte psychische Belastung am Arbeitsplatz. Er sei in den letzten 15 Jahren dadurch so geschwächt worden, dass er seine Arbeit nicht mehr fortführen könne. Das Problem Mobbing sei nur im letzten Berufsjahr aufgetreten.

Der Kläger hat verschiedene Unterlagen zu diesem Thema vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2002 die Beklagte zu verurteilen, unter Anerkennung der psychischen Erkrankungen wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII Entschädigungsleistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die psychische Erkrankung des Klägers auch nicht wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sei, weil die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien.

Das Gericht hat den Beteiligten eine Kopie des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16.08.2001 – Az. L 7 U 18/01 – übersandt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die den Kläger betreffenden Akten der Beklagten lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid vom 27.06.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.10.2002 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), denn die Beklagte hat zutreffend die Gewährung von Entschädigungsleistungen für die bei dem Kläger vorliegende psychische Erkrankung abgelehnt.

Nicht jede Krankheit, die ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist, ist von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung zu entschädigen. Zu diesen Krankheiten zählen auch psychische Erkrankungen, wie ein psychovegetativer Erschöpfungszustand mit depressiver Symptomatik und funktionellen Organstörungen, wie sie beim Kläger vorliegen. Insofern kommt es im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, ob der Kläger tatsächlich unter ständigem Druck, starker beruflicher Belastung sowie Mobbing gestanden hat und ob seine jetzt vorliegende psychische Erkrankung auf diese Umstände zurückzuführen ist. Denn diese psychische Erkrankung ist auch dann nicht von der Beklagten zu entschädigen, denn es handelt sich weder um eine Berufskrankheit noch um eine Erkrankung, die wie eine Berufskrankheit von Seiten der Beklagten anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Berufskrankheiten sind gemäß § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sieben – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer dem Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeiten erleiden.

Unstreitig stehen diese psychischen Erkrankungen nicht in der Berufskrankheitenverordnung als Berufskrankheit, so dass eine Anerkennung schon aus diesem Grunde wegfällt.

Es ist auch nicht möglich, die psychische Erkrankung des Versicherten als Krankheit, die von der Beklagten wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist, festzustellen.

Nach § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger Krankheiten, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet sind oder bei denen die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Abs. 1 Satz 2 erfüllt sind. Voraussetzungen für eine Anerkennung „wie eine Berufskrankheit“ sind damit

– der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der gefährdenden Tätigkeit muss im konkreten Fall hinreichend wahrscheinlich sein;

– es muss eine bestimmte Personengruppe bei ihrer Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sein;

– diese Einwirkungen müssen nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell geeignet sein, Krankheiten solcher Art zu verursachen;

und die medizinischen Erkenntnisse müssen neu sein.

Diese Vorschrift ist keine individuelle Härteklausel, sondern bezweckt, solche durch die versicherte Tätigkeit verursachten Krankheiten wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, die nur deshalb nicht in die Anlage zur Berufskrankheitenverordnung aufgenommen worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Berufsgruppen bei der letzten Neufassung noch nicht vorlagen oder nicht berücksichtigt wurden (vgl. hierzu BSGE 59, 295, 297). Die Beschränkung auf bestimmte Personengruppen bildet die Rechtfertigung für die Inanspruchnahme der gesetzlichen Unfallversicherungsträger, deren Aufgabe in der Verhütung und Entschädigung betrieblicher Risiken besteht (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, SGB VII § 9 Rdnr. 4). Krankheiten, die in allen Berufsgruppen und in vergleichbaren Altersschichten der allgemeinen Bevölkerung etwa gleich verbreitet sind, erfüllen demnach nicht die Voraussetzungen für die Annahme einer Berufskrankheit oder die Anerkennung wie eine Berufskrankheit.

Es liegen keine neuen medizinischen Erkenntnisse darüber vor, dass die Personengruppe der Sicherheitsingenieure, zu denen der Kläger zu zählen ist, in erheblich höherem Maße an psychischen Erkrankungen leiden als die übrige Bevölkerung. Dies ergibt sich zum einen aus der Auskunft des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften der Beklagten gegenüber. Zum anderen hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg in dem Urteil vom 16.08.2001, das den Beteiligten zugesandt wurde, ausgeführt, dass neue Erkenntnisse zur Bedeutung von Mobbing am Arbeitsplatz für bestimmte Berufsgruppen, die seit der letzten Änderung der Berufskrankheitenverordnung bekannt geworden sind, nicht vorliegen. Den vom Kläger vorgelegten Unterlagen ist ebenfalls nichts anderes zu entnehmen. Dass das Thema psychische Erkrankung durch Mobbing am Arbeitsplatz in der Bevölkerung diskutiert wird, ist der Kammer bekannt und wird von ihr auch nicht bestritten. Alleine die Diskussion in der Bevölkerung ist jedoch nicht geeignet, die Feststellung zu treffen, dass eine bestimmte Personengruppe, nämlich hier die Sicherheitsingenieure, in erhöhtem Maße davon betroffen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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