Oberlandesgericht Bamberg
Az: 3 Ss OWi 744/07
Beschluss vom 05.11.2007
Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Bamberg erlässt in dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit am 5. November 2007 folgenden B e s c h l u s s :
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 31. Januar 2007 aufgehoben.
II. Der Betroffene wird freigesprochen.
III. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons gemäß § 23 Abs. 1a StVO zu einer Geldbuße von 40 Euro verurteilt.
Nach der – im Wesentlichen auf der durch die Beweisaufnahme nicht widerlegten und seitens des Tatgerichts als glaubhaft angesehenen – Einlassung des Betroffenen befuhr dieser mit einem Pkw die Innenstadt, wobei er neben seinem eingeschalteten Mobiltelefon auch eine zu diesem in Funkverbindung stehende und zunächst noch an der Sonnenblende der Fahrerposition angebrachte Freisprecheinrichtung mit sich führte. Als während der Fahrt das abgelegte Mobiltelefon läutete, nahm der Betroffene das Gespräch über die nach wie vor fixierte Freisprecheinrichtung an. Nach einer Funktionsstörung nahm der Betroffene anlässlich eines verkehrsbedingten Halts vor einer Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage bei eingeschaltetem Motor die Freisprecheinrichtung in die Hand, hielt sie mit der linken Hand an sein linkes Ohr und telefonierte mit dem Gerät kurzzeitig.
Nach Auffassung des Amtsgerichts erfüllte dieses Verhalten des Betroffenen den Tatbestand des § 23 Abs.1a StVO, weil es sich bei der Freisprecheinrichtung „entweder um ein (Funktions-) Teil des (…) Mobiltelefons oder selbst um ein Mobiltelefon im Sinne des Gesetzes“ handele, was sich auch daraus ergebe, dass „der Betroffene quasi das Handy durch die Freisprecheinrichtung ersetzte und damit telefonierte und die beiden Geräte (…) mittels Funkwellen eine Verbindung zueinander hatten“. Schließlich entspreche diese Sicht auch dem Sinn und Zweck der Bußgeldbewehrung, weil es insoweit keinen Unterschied mache, ob der Betroffene zur Annahme eines Gesprächs das Handy selbst oder aber die in diesem Moment „als Ersatz dienende und verbundene“ Freisprecheinrichtung zur Hand nehme. Die hierdurch ausgehenden Gefahren seien gleich.
Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die mit Beschluss des Einzelrichters vom 31.10.2007 gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassene und zur Entscheidung gemäß §§ 80 a Abs. 1 2. Halbsatz, Abs. 3 Satz 2 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragene Rechtsbeschwerde erweist sich als begründet und führt zum Freispruch des Betroffenen.
Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Rechtsauffassung und Normauslegung des Amtsgerichts ist mit dem möglichen Wortsinn der Bußgeldbewehrung des § 23 Abs. 1a StVO (vgl. rechtsgrundsätzlich Senatsbeschluss v. 27.09.2006 – 3 Ss OWi 1050/06 = NJW 2006, 3732/3733 f. = NZV 2007, 49 f. = DAR 2007, 95 f. = VerkMitt 2007, Nr. 12 = OLGSt StVO § 23 Nr. 5 = VRR 2006, 431 f. und zuletzt Senatsbeschluss v. 27.04.2007 – 3 Ss OWi 452/07 = VerkMitt 2007, Nr. 62 = OLGSt StVO § 23 Nr. 7, jeweils m. zahl. weit. Nachw.) nicht vereinbar.
1. Als spezielles Willkürverbot des Grundgesetzes für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG, der auch für Bußgeldtatbestände gilt (BVerfGE 71, 108/114; 87, 363/391; BVerfG NJW 2005, 349 ), den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des jeweiligen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestandes durch Auslegung ermitteln lassen. Art. 103 Abs. 2 GG enthält insoweit einen strengen Gesetzesvorbehalt. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Tatbestandes schließt allerdings die Verwendung von Begriffen nicht aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Denn auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht muss der Gesetzgeber der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung tragen. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, dass in Grenzfällen durchaus zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten schon oder noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt. Für den Normadressaten muss dann – jedenfalls im Regelfall – wenigstens das Risiko einer Bestrafung bzw. einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndung voraussehbar sein. Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit der Straf- oder Bußgeldbewehrung in erster Linie der erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, also die Sicht des Bürgers maßgebend (st.Rspr.; vgl. z.B. BVerfGE 64, 389/393 f.; 71, 108/114 ff.; 87, 209/224; 105, 135/152 f.; BVerfG NJW 1998, 2589/2590 und BVerfG NJW 2005, 349, jeweils m.w.N.).
2. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO i.V.m. § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO handelt ordnungswidrig im Sinne von § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Fahrzeugführer ein Mobil- oder Autotelefon benutzt, indem er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält.
a) Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO ist dem Fahrzeugführer die Benutzung eines Mobiltelefons untersagt, sofern er zu diesem Zweck das Gerät aufnimmt oder hält. Dabei schließt der für die nähere Umschreibung der Tathandlungen des Aufnehmens oder Haltens verwandte Begriff der Benutzung nach allgemeinem Sprachverständnis zwar die Inanspruchnahme sämtlicher Bedienfunktionen ein. Er umfasst also nicht nur das Telefonieren im eigentlichen Sinne, sondern auch andere Formen der bestimmungsgemäßen Verwendung. Deshalb kann unter Benutzung eines Mobiltelefons auch die Wahrnehmung der von Geräten neuerer Bauart zur Verfügung gestellten vielfältigen Möglichkeiten als Instrument zur Speicherung, Verarbeitung und Darstellung von Daten (u.a. Organisationsfunktionen, Diktier-, Kamera- und Spielefunktionen) verstanden werden (OLG Bamberg a.a.O.; vgl. ferner z.B. OLG Hamm NJW 2003, 912 f., NJW 2005, 2469 f.; OLG Köln NZV 2005, 547 f. und OLG Karlsruhe DAR 2007, 99 f.).
b) Andererseits erfordert der Begriff der Benutzung schon von seinem Wortstamm, dass die Handhabung einen Bezug zu einer der Funktionstasten des Geräts, nämlich des Mobil- oder Autotelefons, aufweisen muss. Ansonsten kann nämlich nicht mehr davon die Rede sein, dass es bestimmungsgemäß nutzbar gemacht wird. Schon nach dem Sinngehalt des Begriffs kann nicht jedes Aufnehmen oder Halten eines Mobiltelefons als dessen tatbestandsmäßige Benutzung verstanden werden. Dass dies zudem dem Verständnis des Verordnungsgebers entspricht, wird dadurch deutlich, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 23 Abs.1a StVO das schlichte Aufnehmen und Halten des Mobiltelefons als solches gerade nicht untersagt wird.
c) Erst recht scheidet eine Bußgeldbewehrung aus, wenn der Betroffene – wie hier – gar kein Mobil- oder Autotelefon bzw. den Hörer eines Autotelefons aufnimmt oder hält, wobei es gleichgültig ist, ob mit der Aufnahme oder Handhabung eines in dem Tatbestand gar nicht erwähnten anderen Gerätes, etwa einer Freisprecheinrichtung, letztlich gerade die funktionsspezifische Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons bewirkt werden soll und auch tatsächlich realisiert wird, mag auch mit der konkreten Handhabung des anderen Geräts in gleicher Weise eine vom Schutzzweck des § 23 Abs. 1a StVO umfasste Gefahrerhöhung aufgrund eingeschränkter Reaktionsfähigkeit des (abgelenkten) Fahrzeugführers einhergehen. Schließlich verbietet sich nach dem möglichen Wortsinn der Norm auch die (hilfsweise) Auslegung dahin, die Freisprecheinrichtung – wenn auch nur in ihrer hier verfahrensgegenständlichen Verwendungsform – lediglich als (unselbständigen) Funktionsteil des Mobil- oder Autotelefons aufzufassen.
III.
Die Betroffene war somit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung freizusprechen.
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 und Abs. 6 OWiG.
V.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.