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Motorraddiebstahl – Teilkaskoversicherung

Oberlandesgericht Köln

Az: 9 U 188/07

Urteil vom 22.07.2008


Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. August 2007 verkündete Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 20 O 56/07 – teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.650,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Dezember 2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen

Gründe:

I.
Der Kläger hatte für sein Motorrad C (Erstzulassung Juni 2005, amtliches Kennzeichen XY) bei der Beklagten eine Teilkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 150 EUR abgeschlossen. Im September 2006 bot er das Fahrzeug, das einen Wiederbeschaffungswert von 10.800 EUR hatte, im Internet zum Verkauf an. Am Nachmittag des 16. September 2006 erschien nach telefonischer Absprache ein Interessent, der auf einem Motorrad der Marke Z anreiste (amtliches Kennzeichen Y). Der Kläger überließ ihm sein Motorrad ohne Papiere zu einer Probefahrt. Der Interessent kehrte nicht zurück. Von dem mitgebrachten Zweirad stellte sich heraus, dass es rund drei Monate vorher für 600 EUR verkauft, danach vom Käufer aber nicht umgemeldet worden war. Der Versuch, den Käufer des zurückgelassenen Motorrads bzw. den Interessenten, der beim Kläger erschien, zu ermitteln, war ohne Erfolg.

Der Kläger hat behauptet, er habe dem Interessenten eine Probefahrt von etwa 1,5 km gestattet, die 200 m bis zur I-Straße und dann weitere etwa 500 m bis zur nächsten Kreuzung führen sollte.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.800,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe das Motorrad dem unbekannten Dritten zu einer örtlich und zeitlich nicht begrenzten Probefahrt überlassen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Gewahrsam an dem Motorrad mehr gehabt. Er sei Opfer eines nicht versicherten Betruges geworden. Jedenfalls liege eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls vor. Wegen der getroffenen Feststellungen und der sonstigen Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung greift der Kläger das Urteil an. Er ist der Ansicht, es liege ein Gewahrsamsbruch vor. Grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht vorgeworfen werden, er habe das zurückgelassene Motorrad als hinreichende Sicherheit ansehen dürfen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 15.08.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Köln, 20 O 56/07, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.800,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.12.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Akten der Staatsanwaltschaft Köln 70 UJs 1023/06 sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

II.
Die Berufung ist zulässig und im Wesentlichen begründet.

A. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Entwendung seines Motorrads entstandenen Schadens von 10.800,00 EUR abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 150,00 EUR, so dass die Klage in Höhe von 10.650,00 EUR begründet ist.

1. Ausgehend von dem in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden Vortrag beider Parteien ist ein Versicherungsfall zu bejahen (für einen vergleichbaren Fall ebenso OLG München VersR 1995, 954; offen lassend OLG Düsseldorf NVersZ 2000, 336 = r + s 1999, 230 f).

Nach § 12 Abs. 1 I b AKB (GA 124 ff) umfasst die Teilversicherung Schäden „durch Entwendung, insbesondere Diebstahl, unbefugten Gebrauch durch betriebsfremde Personen, Raub und Unterschlagung.“ Weiter heißt es: „Die Unterschlagung durch denjenigen, an den der Versicherungsnehmer das Fahrzeug unter Vorbehalt seines Eigentums veräußert hat, oder durch denjenigen, dem es zum Gebrauch oder zur Veräußerung überlassen wurde, ist von der Versicherung ausgeschlossen.“

a) Im vorliegenden Fall liegt eine versicherte Entwendung in Form des Diebstahls vor. Es ist allgemein anerkannt, dass der Diebstahlsbegriff im Versicherungsrecht mit dem strafrechtlichen (§ 242 StGB) identisch ist (Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 27. Aufl., § 12 AKB, Rn. 14 m. Nachw.), so dass Diebstahl Gewahrsamsbruch voraussetzt. Unter Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis zwischen einer Person und einer Sache (objektiv-physisches Element) zu verstehen, das von einem Herrschaftswillen (subjektiv-psychisches Element) getragen ist (allg. Meinung, vgl. z. B. Schönke/Schröder/Eser, Strafgesetzbuch, 27. Aufl., § 242, Rn. 23). Ob diese Elemente vorliegen, ist nach der natürlichen Auffassung des täglichen Lebens zu beurteilen (BGHSt 16, 273; 22, 182; BGHR StGB § 242 Abs 1 Gewahrsam 2). Ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis besteht, wenn der unmittelbaren Verwirklichung des Einwirkungswillens auf die Sache keine Hindernisse entgegenstehen (vgl. RGSt 60, 272). Dies bedeutet jedoch nicht, dass beim Eintritt einer räumlichen Distanz Gewahrsam zwangsläufig verloren geht. Vielmehr ist auch hier – weil es auf die natürliche Auffassung des täglichen Lebens ankommt – maßgebend, ob eine Einwirkung auf die Sache im Rahmen des Sozialüblichen bestehen bleibt. Bejaht wird dies für Fälle der sogenannten Gewahrsamslockerung etwa für den Bauern, der Geräte auf dem Feld zurücklässt (BGHSt 16, 273) oder für den Inhaber einer Wohnung, der in Urlaub ist (RGSt 30, 89). Gehört nach den Anschauungen des täglichen Lebens eine in angemessenen Grenzen bleibende Lockerung oder sogar vorübergehende Aufhebung der Sachherrschaft zum Üblichen, so hört der Gewahrsam während dieser Zeit nicht auf (BGH, Urteil vom 27.11.1974, IV ZR 117/73, VersR 1975, 225; BGHSt 22, 180, 182). Fortbestehende Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten sind zur Bejahung des Gewahrsams danach nicht unbedingt erforderlich.

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Kläger auch nach der Aushändigung des Motorrads an den Kaufinteressenten noch als Gewahrsamsinhaber anzusehen war (im Ergebnis ebenso OLG München a.a.O.; vgl. auch OLG Frankfurt NVersZ 2000, 482). Durch die Überlassung zur Probefahrt war nur eine Gewahrsamslockerung eingetreten. Dies gilt auch dann, wenn keine ausdrücklichen Abreden über Details der Probefahrt getroffen wurden, denn schon aus dem Umstand, dass dem Kaufinteressenten das Motorrad ohne den Kraftfahrzeugschein (dies war in der vom OLG Hamm mit Urteil vom 2.3.1984, VersR 1985, 490, entschiedenen Sache anders) ausgehändigt wurde, ergab sich, dass der Kläger nur mit einer zeitlich und räumlich begrenzten Probefahrt einverstanden war und nur für eine solche seinen Gewahrsam lockern wollte. Der Interessent sollte sich danach ersichtlich etwa im Gebiet der kleinen Ortschaft bewegen, in der der Kläger wohnt. Auch wenn der Kaufinteressent sich bei der Probefahrt zwangsläufig aus dem Sichtkreis des Klägers entfernte, rechtfertigte dies nicht die Annahme einer Gewahrsamsaufgabe. Insofern ist die hier gegebene Situation durchaus vergleichbar mit den Gegebenheiten in einem in aller Regel unübersichtlichen Parkhaus oder in einer Tiefgarage, für die der Bundesgerichtshof angenommen hat, ein Autofahrer, der sich aufgrund einer Täuschung mit einer Bewegung des Wagens innerhalb des Parkbereichs einverstanden erklärt habe, gebe seinen Gewahrsam nicht auf (BGH IV ZR 117/73 a.a.O.; a. A. offenbar OLG München VersR 1995, 954, denn dort wird für wesentlich erachtet, dass während der Probefahrt Sichtkontakt bestand).

Die strafrechtliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2000 (4 StR 458/00, BGHR StGB § 263 Abs 1 Täuschung 17) gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung der Gewahrsamssituation. Dort war ein Sachverhalt zu beurteilen, bei dem ein Kraftfahrzeug für eine Probefahrt „entliehen“ wurde. Für eine solche Situation ist von einer Gewahrsamsübertragung ausgehen.

Der Umstand, dass der Kläger dem Unbekannten sein Motorrad nach einer Täuschung über dessen wahre Absichten überließ, steht der Bejahung eines Diebstahls nicht entgegen. Es kann entsprechend der übereinstimmenden Wertung beider Parteien angenommen werden, dass der beim Kläger erschienene angebliche Kaufinteressent von vornherein beabsichtigte, das ihm überlassene Motorrad zu entwenden. Hierfür spricht insbesondere das Verhalten bei und nach Erwerb des Motorrades Marke Z, bei dem nach Aktenlage wohl dieselbe Person auftrat, die später beim Kläger erschien. Indes steht das Vorgehen des Täters der Bejahung eines Diebstahls – und der damit verbundenen Verneinung eines Betrugstatbestandes – nicht entgegen. Für die Abgrenzung von Betrug und Diebstahl kommt es entscheidend auf die durch die Täuschung hervorgerufene Vorstellung des Klägers an, er werde sein Fahrzeug nach kurzer Zeit wieder zurückbekommen (BGH, Urteil vom 27.11.1974, a.a.O.; LK-Ruß, StGB, 11. Aufl., § 242 Rn. 37). Während beim Diebstahl der dem Geschädigten zugeführte Nachteil allein durch eine eigenmächtige Handlung des Täters herbeigeführt wird, tritt dieser Nachteil beim Betrug infolge der Vermögensverfügung ein (vgl. BGHSt 41, 198 ff; BGH St 17, 205, 209; LK-Ruß, a. a. O.). Will der Geschädigte den Gewahrsam behalten, so schließt dies seine Absicht, zugunsten des Täters über einen Vermögensgegenstand zu verfügen, aus (vgl. LK-Ruß a.a.O.). Führt die Täuschung nicht zu einer bewussten und gewollten Gewahrsamsübertragung, so schließt sie den Diebstahl nicht aus (Schönke/Schröder/Eser, StGB, 27. Aufl., § 242 Rn 35 f. m. w. Nachw.), sie dient dann nur dazu, einen gegen den Willen des Berechtigten gerichteten eigenmächtigen Gewahrsamsbruch des Täters zu ermöglichen oder zu erleichtern. So war es im vorliegenden Fall. Der Kläger wurde durch die Täuschung nicht veranlasst, das Fahrzeug zur beliebigen Verwendung oder für längere Zeit aus der Hand zu geben. Die Täuschung führte nur zu einer als kurzfristig und zweckgebunden angesehenen Überlassung des Motorrades und zu einer damit verbundenen Lockerung des Gewahrsams (vgl. auch BGH IV ZR 117/73 a.a.O.).

b) Aber auch dann, wenn man die im vorliegenden Fall gegebene Situation in Bezug auf die Gewahrsamsübertragung anders beurteilt und eine über die Gewahrsamslockerung hinausgehende Übertragung des Gewahrsams auf den unbekannt gebliebenen Kaufinteressenten bejaht, liegt ein Versicherungsfall vor. In diesem Fall ist allerdings nicht mehr von einem Diebstahl, sondern von einem Betrug auszugehen. Ein solcher Betrug schließt aber nach dem Wortlaut von § 12 Abs. 1 I b AKB den Versicherungsfall nicht von vornherein aus. Vielmehr kann ein Versicherungsfall zu bejahen sein, wenn eine mit oder nach einem Betrug begangene (versicherte) Unterschlagung vorliegt. Dies ist hier der Fall.

Eine dem Betrug folgende Unterschlagung ist zunächst dann zu bejahen, wenn ein Täter sich erst nach Vollendung eines noch nicht zur Zueignung führenden Betruges zu einer als Unterschlagung zu beurteilenden Handlungsweise entschließt (vgl. BGH 1 StR 382/61, BGHSt 16, 280 ff.). Dann ist die Unterschlagung als selbständige Tat anzusehen. Hier war dies allerdings anders, denn das Vorgehen des Täters entsprach – wie schon dargelegt – von vornherein einem einheitlichen Tatplan. Dennoch liegt im Ergebnis eine tatbestandsmäßige Unterschlagung vor, die zur Bejahung des Versicherungsfalls führt.

In der Rechtsprechung wurde seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 7. Dezember 1959 (GSSt 1/59, BGHSt 14, 38 ff) angenommen, eine Unterschlagung setze voraus, dass der Täter sich die fremde Sache nicht bereits durch eine strafbare Handlung (z. B. auch durch Besitzbetrug) zugeeignet habe. Ansonsten müsse jede spätere Betätigung des Herrschaftswillens tatbestandlich als Unterschlagung gewertet werden, und dies könne zu unbilligen Ergebnissen führen. Die Entscheidung ist auf Kritik gestoßen (vgl. etwa Baumann NJW 1961, 1141; Bockelmann, JZ 1960, 621; Schröder JR 1960 308; Schönke/Schröder/Cramer a.a.O. mit weiteren Nachweisen auch zur Rechtsprechung). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihr ist jedoch inzwischen entbehrlich, denn sie hat für die hier gegebene Konstellation infolge der zum 1. April 1998 in Kraft getretenen Neufassung des § 246 StGB keine entscheidende Bedeutung mehr (vgl. z. B. Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., § 246 Rn. 7 a. E.; MünchKommStGB/Hefendehl § 263 Rn 800). Die Verwirklichung des Tatbestandes der Unterschlagung setzt nicht mehr voraus, dass zuvor (Allein-) Gewahrsam bestand. Dies wiederum hat zur Folge, dass in den Fällen, in denen ein Betrug (nur) zur Erlangung des Besitzes führt (sog. Besitzbetrug), bei gleichzeitiger Zueignung auch der Tatbestand der Unterschlagung verwirklicht wird. Es greift dann die Subsidiaritätsklausel in § 246 StGB n. F. (vgl. etwa MünchKommStGB/Hefendehl a.a.O.; MünchKomm/Hohmann § 246 Rn 61; Murmann NStZ 1999, 14 (16); Lackner/Kühl a.a.O.; s. auch Fischer, StGB 55. Aufl., § 246 Rn. 14). Sie setzt voraus, dass die Verwirklichung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Unterschlagung zu bejahen ist. Dies ist hier der Fall, und dies führt im Ergebnis zur Bejahung eines Versicherungsfalls.

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Nach § 246 StGB n. F. liegt die Tathandlung allein in der rechtswidrigen Zueignung, wobei ein Täter den zu fordernden Zueignungsvorsatz nach außen erkennbar manifestiert haben muss (BGHSt 14, 38 ff unter III 2; vgl. auch Fischer a.a.aO. § 246 Rn. 6 f; Lackner/Kühl a.a.O. § 246 Rn. 4; MünchKomm/Hohmann § 246 Rn 15 ff. jew. mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn ein mit dem Vorsatz des Täters vertrauter objektiver Beobachter eine Handlung als Manifestation des Zueignungsvorsatzes erkennt (MünchKomm/Hohmann a.a.O. Rn 17 m. Nachw.). Eine solche Handlung muss – ausgehend davon, dass der angebliche Kaufinteressent von vornherein eine Möglichkeit suchte, das Motorrad des Klägers zu entwenden – im Aufbruch zur vermeintlichen Probefahrt gesehen werden, so dass zugleich mit dem Betrug der Tatbestand der Unterschlagung verwirklicht wurde. Ergänzend ist anzumerken, dass man eine Unterschlagung – jedenfalls nach einer in der Literatur weit verbreiteten Ansicht – auch dann bejahen kann, wenn man erst in dem späteren Handeln des Täters eine Verwirklichung der Zueignungsabsicht sieht (vgl. hierzu Schönke/Schröder/Cramer a.a.O. § 263 Rn. 185: Unterschlagung wird als mitbestrafte Nachtat angesehen).

Die Unterschlagung hat zum Eintritt des Versicherungsfalls geführt.

Nach § 12 Abs. 1 I b AKB ist eine Unterschlagung nur dann nicht versichert, wenn sie durch denjenigen erfolgt, an den das Fahrzeug unter Vorbehalt des Eigentums veräußert wurde, oder durch denjenigen, dem es zum Gebrauch oder zur Veräußerung überlassen wurde. Die für diese Ausschlüsse erforderlichen Umstände liegen nicht vor. Ob es nach einer betrügerischen Erlangung des Gewahrsams – die hier unterstellt wird – zu einer versicherten Unterschlagung gekommen ist, hängt von den – auch durch die Täuschung beeinflussten – Vorstellungen des Versicherungsnehmers ab und davon, in welcher Weise er über das versicherte Kraftfahrzeug verfügen wollte. Ist die Täuschung etwa darauf gerichtet, eine Leihe oder Vermietung zu erreichen oder wird vorgespiegelt, ein Fahrzeug im Auftrag des Versicherungsnehmers veräußern zu wollen, so soll es für Zwecke und Verwendungen übergeben werden, die nach § 12 Abs. 1 I b AKB nicht dem Versicherungsschutz unterliegen. In diesen Fällen kann die Frage, ob überhaupt eine Unterschlagung vorliegt, letztlich dahinstehen, weil die Voraussetzungen eines Ausschlusstatbestandes greifen. Im vorliegenden Fall ist dies anders. Der Kläger wollte dem Täter das Motorrad nicht zu einem Zweck überlassen, der zum Ausschluss des Versicherungsschutzes geführt hätte. Die Täuschung sollte insbesondere nicht zu einer – hier nur in Betracht kommenden – Gebrauchsüberlassung im Sinne des § 12 Abs. 1 I b AKB führen. Eine kurzfristige Überlassung an einen Kaufinteressenten ist – ebenso wie eine Fahrt zur Überprüfung von Mängeln – nicht als Gebrauchsüberlassung zu werten (vgl. OLG Hamm VersR 1995, 1477; OLG Hamm ZfSch 2006, 275 = Schaden-Praxis 2007, 78 ff). Eine Gebrauchsüberlassung setzt neben einer gewissen Dauer voraus, dass sie den Interessen des Dritten dient (OLG Hamm VersR 1978, 1108; Prölss/Martin/Knappmann, a.a.O., Rn. 19 m. w. Nachw.). Hieran fehlt es bei einer Probefahrt, die letztlich auch im Interesse des zum Verkauf entschlossenen Versicherungsnehmers liegt und Bestandteil seines Verkaufsangebots ist.

2. Die Beklagte ist nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls von der Verpflichtung zur Leistung frei (vgl. § 61 VVG a. F.). Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in hohem Grade außer Acht lässt und nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste. Ein Verhalten, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt eines Versicherungsfalls oder die Vergrößerung eines Schadens zu fördern, führt zum Haftungsausschluss des Versicherers (Prölss in Prölss/Martin, a.a.O., § 61 Rn. 10 m. Nachw. zur Rechtsprechung). Dabei muss die Wahrscheinlichkeit des konkret eingetretenen Schadens offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe lag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (vgl. Prölss a.a.O.). Hinzukommen muss, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch ein auch subjektiv unentschuldbares Verhalten in hohem Maße außer Acht gelassen worden ist (BGH VersR 1985, 440 ff.; Prölss a.a.O. Rn 12). Es ist danach ein in objektiver und subjektiver Hinsicht gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Zu berücksichtigen sind bei einer Würdigung alle Umstände des konkreten Falles.

Ein Vorwurf grober Fahrlässigkeit ist dem Kläger nach alldem hier nicht zu machen. Er hat versäumt, den Kaufinteressenten um Vorlage von Ausweispapieren zu bitten oder auch um Hinterlassung einer Kaution. Hierin liegt zweifelsfrei ein Verstoß gegen Sorgfaltspflichten. Indes rechtfertigen die Versäumnisse nicht den Vorwurf eines besonders hohen Pflichtverstoßes, denn der Kaufinteressent hinterließ ein zum Straßenverkehr zugelassenes Motorrad. Dies ermöglichte die Annahme, der Kaufinteressent werde im Bedarfsfall ermittelbar und identifizierbar sein. Zusätzlich verkörperte das Zweirad einen gewissen Wert. Dass das mitgebrachte Motorrad solche Überlegungen nicht rechtfertigte, etwa weil es augenscheinlich und für den Kläger erkennbar nahezu wertlos war, müsste die Beklagte darlegen und beweisen. Dies ist nicht geschehen. Es ist auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kaufinteressent aufgrund bestimmter Umstände Argwohn hätte erwecken müssen. Es ist letztlich nicht einmal dargetan, dass der Kläger aufgrund besonderer Gegebenheiten oder Kenntnisse hätte erkennen müssen, dass das mitgebrachte Motorrad keine angemessene Sicherheit darstellte. Allein der Umstand, dass es im Juli 2006 mit einem „Kaufvertrag für ein Bastlerfahrzeug“ (so die Überschrift im verwendeten Formular) veräußert worden war, lässt einen solchen Schluss nicht zu. Immerhin wurden beim Erwerb noch 600 EUR gezahlt (BA 9), und der Kläger trägt unwiderlegt vor, das Motorrad habe einen gepflegten Eindruck gemacht. Die Beklagte beruft sich danach ohne Erfolg auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (NVersZ 2000, 336 = r+s 1999, 230). Im dort zu entscheidenden Fall erschien ein angeblicher Kaufinteressent ohne eigenes Fahrzeug und ließ keinerlei Personalien oder Sicherheiten zurück.

B. Zinsen stehen dem Kläger im beantragten Umfang nach den §§ 288 Abs. 1, 247 BGB zu. Verzug ist durch die von der Beklagten ausgesprochene Deckungsablehnung eingetreten, vgl. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

C. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Nach § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinn der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. z. B. BGH IV ZR 319/02, Beschluss vom 10.12.2003, VersR 2004, 225 f unter II 2. a m. w. Nachw.), und eine Entscheidung des Revisionsgerichts erscheint zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 10.800 Euro

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