Landgericht Meiningen
Az.: 3 O 1467/00
Urteil vom 13.06.2001
Tenor
In dem Rechtsstreit hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2001 für R e c h t erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 28.10.2000 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 DM.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.
Der Kläger befuhr am 11.08.1999 mit seinem Leichtkraftrad mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXX gegen 17.10 Uhr die B 89 aus Richtung Themar kommend in Richtung Hildburghausen. An der Kreuzung Ehrenberg/Grimmelshausen kam von links aus Richtung Ehrenberg der Versicherungsnehmer der Beklagten, der Schüler mit dem Moped mit dem Kennzeichen XXX gefahren, beachtete die durch Verkehrszeichen 206 der StVO angeordnete Vorfahrt des klägerischen Fahrzeug nicht und verursachte in der Folge einen Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug, indem er ihm in die linke Seite fuhr. Die ausschließliche Haftung des Versicherungsnehmers war in den vorgerichtlichen Verhandlungen zwischen den Parteien unstreitig, die Beklagte zahlte 100 % des bisher entstandenen materiellen Schadens.
Der Kläger erlitt bei dem Verkehrsunfall eine großflächige Oberschenkeltrümmerfraktur mit einem großen Knochendefekt, eine Sprengung des linken Schultergelenkes mit Bewegungseinschränkungen sowie diverse Luxations- bzw. Trümmerfrakturen des 3. und 4. Fingers links sowie des kleinen Fingers links.
Der linke Oberschenkel musste amputiert werden, die Fingerfrakturen der linken Hand verheilten in Fehlstellung, die Beweglichkeit des linken Schultergelenkes ist bis 90 Grad Anteversion und Abduktion möglich.
Der Kläger, der nach dem Unfall in Lebensgefahr schwebte, weil er soviel Blut verlor, wurde in die Intensivstation des Zentralklinikums nach Suhl eingewiesen. Er wurde am 19.08.1999, 26.08.1999 und 02.09.1999 an Bein, Schulter, Beinstumpf, Hand und nochmals Beinstumpf operiert.
Am 12.10.1999 fand eine neuerliche Operation an der Schulter statt. Seit dem 08.09.1999 bis heute befindet sich der Kläger in Betreuung durch die Psychologin Am 20.09.1999 wurde der Kläger in die Klinik für Handchirurgie in Bad Neustadt vorstellig. Am 21.09.1999 begab sich der Kläger für 4 Wochen in eine ambulante physiotherapeutische Behandlung, welche täglich erfolgte.
Am 23.09.1999 wurde der Kläger nach einer Diagnose, die in der Handchirurgie in Bad Neustadt erstellt wurde, an der Hand abermals operiert.
Am 04.10.1999 sowie 08.10.1999 war der Kläger in Sonneberg vorstellig, um sich eine Prothese anfertigen zu lassen.
Am 22.10.1999 musste sich der Kläger wegen einer Versorgung mit einer Prothese sowie der Durchführung einer Gehschule in eine Klinik seiner Berufsgenossenschaft in Frankfurt a.Main begeben.
Am 29.06.2000 war der Kläger zwecks Durchführung einer Computertomografie wegen seiner Stumpfprobleme ins Krankenhaus Kronach begeben.
Am 12.01.2000 musste sich der Kläger erneut einer Operation an seiner Hand unterziehen.
Der Kläger behauptet, er leide seit dem Unfall unter massiven Phantomschmerzen, Angst, Depressionen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen.
Er leide darunter, dass er seine vor dem Unfall betriebene Sportarten, wie Motorsport, Breakdance und Gewichtheben nicht mehr ausüben könne.
Nachdem der Kläger zunächst beantragt hatte, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 30.000,00 DM zuzüglich Zinsen seit dem 27.05.2000 als Schmerzensgeldvorschuss zu zahlen, beantragte er nunmehr: Die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein ins Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber 80.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen aus 30.000,00 DM seit dem 27.05.2000, im übrigen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragte: Die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Zahlung in Höhe von 100.000,00 DM Schmerzensgeld an den Kläger habe seinen Unfallfolgen genüge getan.
Das Gericht hat Beweis erhoben, durch Einvernahme der Zeugen XXXX. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll der mündlichen Hauptverhandlung vom 16.05.2001, Blatt 67 – 72 der Akten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Insbesondere ist die Klageänderung von einer Vorschussklage auf nunmehr eine Zahlungsklage zulässig, weil sie sachdienlich ist.
Die Beklagte ist dem Kläger gegenüber aus §§ 847 BGB, 3 Pflichtversicherungsgesetz zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes verpflichtet, weil dass Moped des unfallverursachenden Versicherungsnehmer bei der Beklagten pflichtversichert war.
Bei dem Unfall wurde der Kläger am Körper schwer verletzt, die Beklagte hat bisher den materiellen Schaden zu 100 % ersetzt, so dass von einer 100 %igen Haftung auch im Rahmen des Schmerzensgeldes auszugehen ist.
Nach Ansicht des Gerichtes ist ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 180.000,00 DM für die bisher erlittenen Folgen des Unfalls angemessen, so dass der Kläger noch einen weiteren Anspruch in Höhe von 80,000,00 DM hat.
Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes hat das Gericht insbesondere berücksichtigt, dass dem sehr jungen Kläger, der eine Lehre als Baufacharbeiter begonnen hatte, ein Bein ab dem Oberschenkel amputiert werden musste. Diese schwerwiegende Körperverletzung hat zur Folge, dass der junge Kläger, der noch eine hohe Lebenserwartung hat, sich völlig umorientieren muss.
Das Gericht ist nach der Einvernahme der beiden Zeugen davon überzeugt, dass der Kläger nicht nur eine Lehre als Baufacharbeiter begonnen hatte, sondern in seiner Freizeit Sportarten betrieb, wie es bei Jugendlichen üblich ist. Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger schon seit seinem 6. Lebensjahr Motorsport ausübte, seit Beginn der Lehre Braekdance getanzt hat und außerdem seinen Körper durch Gewichtheben fit hielt. So sagten beide Zeugen übereinstimmend aus. Die Zeugen gaben in ihren unabhängig voneinander gemachten Aussagen an, dass der Kläger seit dem 6. Lebensjahr Motorsport ausgeübt hat, und auch an Turnieren teilgenommen hat, wenngleich er bisher keinen Pokal gewonnen habe. Jedenfalls hatte er daran großen Spaß und bereicherte sein Leben. Außerdem gaben beide Zeugen an, dass der Kläger sich vor dem Unfall regelmäßig mit Freunden entweder im heimatlichen Kulturhaus oder auch in Diskotheken traf, um gemeinsam mit ihnen Braekdance auszuüben. Die gemeinsame Freizeitbeschäftigung mit Gleichaltrigen ist nach Ansicht des Gerichtes vor allem bei Jugendlichen besonders wichtig, um Freude am Leben zu haben. Diese Sportarten sind ihm seit der Oberschenkelamputation völlig verwehrt. Darüber hinaus ist dem Kläger auch die sportliche Möglichkeit des Gewichthebens genommen, da seine Schulter nur noch eingeschränkt zu bewegen ist und die Finger in Fehlstellung verheilt sind. Besonders zu berücksichtigen ist dabei, dass der Kläger somit von Gleichaltrigen zwar mitgenommen und geduldet wird, aber – das ist lebensnah – nicht mehr als vollständiges Mitglied der gemeinsamen Clique vor allem im sportlichen Bereich angenommen wird. Vor allem die Zeugin erichtete, dass der Kläger lediglich am Freitagabend noch mit seiner Freundin zusammen in die Diskothek geht, ansonsten die ganze Zeit bei seinen Eltern verbringt, was für einen Jugendlichen nicht angemessen ist.
Die Zeugen berichteten emotionsfrei und widerspruchsfrei. Sie beschönigten nichts, das Gericht schenkt ihnen deshalb vollen Glauben.
Die Tatsache, dass der Oberschenkel amputiert werden musste, ist insbesondere deshalb besonders schwerwiegend, weil die Narben des Stumpfes nach oben zur Leiste verlaufen, so dass der Kläger keine Prothese auf Dauer tragen kann. Die Zeugin berichtete lebensnah, dass der Kläger allenfalls einen Tag die Prothese tragen könne, dann die Narben aber so gereizt seien, dass er wieder mehrere Tage aussetzen musste, um sich an die Prothese zu gewöhnen. Darüber hinaus steht unstreitig fest, dass der Kläger Probleme hatte, eine Prothese anpassen zu lassen, dass sich die Gefahr zeigte, dass sich ein Tumor am Beinstumpf gebildet habe. Der Kläger hat deshalb zumindest bisher noch nicht die Möglichkeit gehabt, durch eine Prothese seine Behinderung nur annähernd auszugleichen. Er musste deshalb nicht nur seine Sportarten aufgeben, sich aus dem Leben der jugendlichen Clique zurückziehen, er muss sich auch völlig neu beruflich orientieren, und wird Schwierigkeiten haben, sein Leben wie ein nichtbehinderter junger Mann zu meistern.
Für die Bemessung des Schmerzensgeldes waren weiterhin zu berücksichtigen, die vielen Operationen, die der Kläger seit dem Unfall über sich hat ergehen lassen müssen. Zusammen mit den physiotherapeutischen Behandlungen den Vorstellungen in der Handchirurgie, den Untersuchungen und der Gehschule hat er seit dem Unfall nahezu jeden Tag damit verbracht, seinen Körper wieder einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen, was bis heute nicht vollständig gelungen ist.
Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme auch davon überzeugt, dass der Kläger nicht nur unter Schlafstörungen, Angstzuständen, Kopfschmerzen und Stimmungsschwankungen leidet, sondern dass er unter Todesängsten leidet und den Unfall immer wieder miterleben muss. Dies berichteten übereinstimmend die beiden Zeugen, die lebensnahe Beispiele brachten, so dass der junge Mann , obwohl er vorher vordem Unfall ein selbständiges Leben geführt hat, nunmehr oft in der Nacht ins Schlafzimmer seiner Eltern kommt und darum bitten muss, dass bei ihm jemand bleiben wird, weil er Todesängste ausstehe. Die Zeugin erzählte auch, dass ihr Sohn darunter leide, dass er immer wieder von dem Unfall träume und Angst habe, er werde sterben. Der Kläger hat nahezu nicht nachvollziehbare Situationen erlebt, als er nach Aussage der Zeugin am Straßenrand lag, seinen erheblichen Blutverlust mit beobachten musste und bewusst erlebte, dass er dem Tod immer näher kommt. Die Zeugin gab glaubhaft an, dass nicht nur er, sondern die ganze Familie nunmehr in psychologischer Behandlung ist, um dieses Geschehen verarbeiten zu können. Die Zeugin berichtete auch eindrucksvoll, wie der Alltag des Klägers aussieht, der nunmehr nicht mehr mit dem eines jungen Mannes zu vergleichen ist. Insbesondere weil die Beinamputation, die Verletzung des Schultergelenkes und der Finger sich sämtlich auf der linken Körperseite befinden, ist dem Kläger der Ausgleich seiner Behinderungen sehr erschwert. Dies wird auch von der Zeugin die schriftlich angehört wurde, bestätigt, die angab, der Kläger leide bis heute ständig an Phantomschmerzen und Stumpfbeschwerden des linken Beines, der Schulter- und Rückenschmerzen sowie Kopfschmerzen. Auch sie bestätigte Schlafstörungen, Depressionen, Stimmungsschwankungen und Angstzustände. Auch sie bestätigt, dass der Kläger nicht mehr am Sozialverhalten Gleichaltriger teilnehmen kann, insbesondere sportliche Aktivitäten, besuchen von Diskotheken und Tanzen. Die Isolation, die sich daraus ergibt, dass sich seine Teilnahme auf passives Dasein beschränkt, bedeutet für den vor dem Unfall sehr aktiven Kläger eine erhebliche psychosoziale Belastung.
Besonders auch die Zeugin schilderte eindrucksvoll die Stimmungsschwankungen des Klägers, von weinerlicher Stimmung zur Wut über einen Unfall, der in derart aus der Bahn geworfen hat.
Angesichts dieser Unfallfolgen, dem bisherigen Verhalten des Unfallgegners, der sich bei dem Kläger nicht gemeldet hat, worunter der Kläger nach Aussage der Zeugin ebenfalls leidet, erscheint dem Gericht ein Schmerzensgeld von insgesamt 180.000,- DM angemessen. Nicht unberücksichtigt dabei blieb das Verhalten der Beklagten, die im Rahmen von Vergleichsgesprächen in der mündlichen Verhandlung die Absicht vortragen ließ, mit einer weiteren Zahlung von 100.000,- DM nicht nur die immateriellen sondern auch sämtliche zukünftigen materiellen Ansprüche des Klägers aus dem Unfall abzugelten.
Darüber hinaus wurde auch die Schuld des Versicherungsnehmers berücksichtigt, der hier eine grobe Vorfahrtsverletzung begangen hat.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 4 % Zinsen aus 30.000,- DM, da hier ein Verzug nicht festzustellen ist. Der Kläger gab an, die Beklagte zur Zahlung von weiteren 30.000,- DM aufgefordert zu haben, nach der Mahnung habe sie dies auch getan, so dass insoweit ein Verzugschaden nicht vorliegt. Zinsen waren deshalb nach § 291 BGB ab Rechtshängigkeit zu gewähren. Der Kläger beantragte 4 %, so dass ein darüber hinausgehender Anspruch nicht gegeben wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.