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MPU-Gutachten – Trennungsvermögen bei gelegentlichem Cannabis-Konsum

VG Oldenburg – Az.: 7 B 392/20 – Beschluss vom 26.02.2020

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 12. Februar 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. Januar 2020 (Geschäftszeichen: 7 A 391/20) wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Eilantrag des Antragstellers ist begründet, weil seine in der Hauptsache erhobene Klage gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis (Bescheid des Antragsgegners vom 30. Januar 2020) wohl voraussichtlich (nach derzeitiger Sach- und Rechtslage prognostiziert) Erfolg haben müsste und daher regelmäßig und auch hier sein Interesse am vorläufigen Beibehalten seiner Fahrerlaubnis und deren weiterer Ausnutzung im Straßenverkehr das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt.

Der angegriffene Bescheid erweist sich als voraussichtlich rechtswidrig, weil der Schluss des Antragsgegners aus § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die fahrerlaubnisrechtliche Nichteignung des Antragstellers hier im Einzelfall wahrscheinlich unzulässig vorgenommen und nach Auffassung des Gerichts rechtlich nicht möglich ist.

Denn die maßgebliche Voraussetzung für einen solchen Schluss, nämlich die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Aufforderung, ein Gutachten beizubringen, dürfte hier nicht erfüllt sein. Vielmehr ist diese entsprechende Aufforderung des Antragsgegners vom 14. November 2019 (Blatt 116 ff. Beiakte) wohl rechtswidrig.

MPU-Gutachten - Trennungsvermögen bei gelegentlichem Cannabis-Konsum
Symbolfoto: Von mikeledray /Shutterstock.com

Dies ergibt sich wahrscheinlich schon daraus, dass sich bei der hier gegebenen Konstellation zum damaligen Zeitpunkt, zu welchem nämlich der gelegentliche Konsum des Antragstellers bereits feststand (so schon: Beschluss des Gerichts vom 29. Mai 2019 im vorangegangenen Eilverfahren 7 B 1291/19), eine weitere Nachfrage nach seinem Cannabiskonsum von vornherein verboten hätte und – insbesondere angesichts der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 13/17 u.a. –, juris) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes (Beschluss vom 17. September 2019 – 12 ME 100/19 –, juris) aus dem vergangenen Jahr zum Trennungsgebot /-vermögen – danach nach Meinung des beschließenden Gerichts allein nur noch zu fragen gewesen wäre, ob zu erwarten stünde, dass er auch in Zukunft erneut ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss des Aktivwirkstoffes THC von Cannabis im Straßenverkehr führen werde (Frage nur nach dem Trennungsvermögen), nachdem er zuvor/früher nur einmal (insoweit unzureichend erst ein einziges Mal) dabei angetroffen worden war. Hier ist der Antragsgegner über diese Fragestellung rechtswidrig hinausgegangen, indem er auch in der ersten Frage auf „Hinweise“ zum Cannabiskonsum aufmerksam gemacht und dazu nach dem sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges gefragt hat. Darauf aber kommt es nicht an. Diese erstgestellte Frage schießt über das eigentliche Ziel hinaus. Nur die Frage Teil 2, die sodann – im Anschluss erst – nach der Trennung von Konsum und Fahren fragt, wird dem der Sache nach allein zutreffenden Untersuchungsziel gerecht.

Im Erlass des Nds. MW vom 24. April 2019 (soweit dieser dem Gericht von dritter Seite mitgeteilt wurde) heißt es u.a. sinngemäß, dass in solchen Fällen auf einen Abstinenznachweis verzichtet und eine positive Eignungsprognose in der MPU als ausreichend erachtet werde. Die Fragestellung für das MPI laute in diesen Fällen: „Ist zu erwarten, dass der Untersuchte zukünftig ein Kfz unter dem Einfluss berauschender Mittel führen wird, bzw. liegen als Folge unkontrollierten Konsums derartiger Stoffe Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen in Frage stellen?“ Diese Formulierung erscheint dem Gericht allerdings auch noch zu weit gefasst, soweit dort auch umfassend nach dem „sicheren Führen“ weiterhin gefragt werden soll; denn bei Vorliegen von gelegentlichem Cannabiskonsum (wie hier) und bisher nur einmaligem Angetroffensein beim Führen eines Kfz unter dem Einfluss von THC (wie hier) kommt es nur noch auf ein entsprechendes zweites Angetroffensein an; nur darauf ist die Fragestellung hier auszurichten.

Wie die Institute mit dem Abstinenznachweis verfahren, lässt sich zwar noch nicht mit Sicherheit sagen. Der vorliegende Fall könnte insoweit eine gewisse Unerfahrenheit aufscheinen lassen. Jedenfalls aber ist angesichts der Entscheidungen des BVerwG und des Nds. OVG (siehe oben), der angedeuteten Erlasslage und der an sich zutreffend zu wählenden Fragestellung ein Abstinenznachweis gerade eben nicht erforderlich und darf ein solcher weder von der Fahrerlaubnisbehörde noch vom Institut zur Voraussetzung gemacht werden, die MPU erfolgreich zu gestalten.

Dies insgesamt führt dazu, dass auf die Nichtbeibringung des entsprechend fehlerhaft angeforderten Gutachtens bei vom Institut so auch fehlerhaft verstandenem Gutachtenauftrag nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV gestützt werden darf.

Das Gericht bezieht sich angesichts der besonderen Eilbedürftigkeit zur weiteren Begründung und Vermeidung von Wiederholungen auf seinen den Beteiligten bekannten Vermerk vom 21. Februar 2020 (siehe Blatt 33 Gerichtsakte), die ergänzende Hinweisverfügung vom 24. Februar 2020 (siehe Blatt 34 Gerichtsakte) und zudem den gesamten Akteninhalt der Altverfahren 7 A 1290/19 und 7 B 1291/19, der den richtigen Weg für das weitere Procedere der Fahrerlaubnisbehörde klar und eindeutig bereits vorgezeichnet hat und von dem diese aber hier nun irrigerweise abgewichen ist.

Selbst wenn man dem aber nicht folgen wollte, so ist jedenfalls die gewählte Art und Weise der Fragestellung hier ursächlich dafür, dass die Untersuchungsstelle einen irrigen Untersuchungsweg gewählt und nämlich den Antragsteller (überflüssigerweise) auch noch dazu aufgefordert hat, einen halbjährigen Abstinenznachweis vorzulegen. Diese Verhaltensweise ist dem Antragsgegner wegen der von ihm gewählten Art und Weise der zweiteiligen Fragestellung mit der fehlerhaften Formulierung in der ersten Frage („Hinweise“ und „sicher führen“) zuzurechnen. Mithin kann er sich auch insoweit nicht auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV stützen.

Selbst wenn man aber dem auch nicht folgen wollte, ist dennoch hier eine Risikoverlagerung auf den Antragsgegner geboten. Dies ergibt sich daraus, dass angesichts der jungen Rechtsprechung (siehe oben) die Untersuchungsstellen noch nicht hinreichend vertraut mit der Materie sein dürften (vgl. dazu auch Kalus, DAR 11/2019, 654 ff., 656) zumal danach „die Beurteilungskriterien bis heute nicht entsprechend angepasst“ (ebd.) wurden.

Selbst wenn man sodann alledem nicht folgen wollte, so ergibt sich aus dem jüngsten Schriftsatz des Antragsgegners (vom 24. Februar 2020), dass sogar er selber die aufgezeigten Schwierigkeiten bei der von ihm in seinem Aufforderungsschreiben vom 14. November 2020 gewählten Formulierung erkannt hat. Jetzt formuliert er nämlich die Fragestellung Nr. 1 (aber immer noch mit „sicher führen“) um. Dies reicht aber nicht mehr aus, um insoweit auf das Aufforderungsschreiben vom 14. November 2019 noch zurückgreifen zu können. Das Gericht lässt offen, ob eine so gewählte erste Fragestellung überhaupt zulässig wäre, wenn der gelegentliche Konsum von Cannabis – wie hier – längst feststeht. Entscheidend dürfte vielmehr allein eine einzige Fragestellung (nämlich Hypothese D4, vgl. Kalus, a.a.O.) sein. Der Antragsgegner kann nicht im Nachhinein erfolgreich den Versuch unternehmen, die in einem Aufforderungsschreiben zur Beibringung eines Gutachtens gewählte Fragestellung im Nachhinein abzuändern. Für die Rechtmäßigkeit des nach § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV ergangenen Entziehungsbescheides ist die zum damaligen Zeitpunkt maßgebliche Sach- und Rechtslage des Aufforderungsschreibens ausschlaggebend.

Außerdem – und dies hält das Gericht schließlich noch fest – hätte der Antragsgegner beim hier im Verwaltungsvorgang dokumentierten Ablauf auch dann, wenn seine Auffassungen zutreffend wären (a.A. das beschließende Gericht), die begehrte Fristverlängerung zur vollständigen Erbringung des von der Untersuchungsstelle abverlangten Abstinenznachweises voraussichtlich gewähren müssen, um sich dem Schluss aus § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nach fruchtlosem Verstreichen der sodann angemessen verlängerten Frist auch gedanklich nur annähern zu können.

Nach Allem wird die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage nach derzeitigem Stand wohl erfolgreich sein müssen und ist daher dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Streitwert berücksichtigt Nr. 46.3 und Nr. 1.5 Streitwertkatalog; das Gericht macht sich hierfür die den Beteiligten bekannte Aufklärungs- und Hinweisverfügung vom 11. Juni 2019 aus dem Altverfahren 7 A 1290/19 erneut zu eigen und verweist auf diese (keine Addition).

 

 

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