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Mündlich vorgetragener Widerspruch im Rahmen einer Vorsprache bei Behörde ist unwirksam

OVG Sachsen-Anhalt – Az.: 3 M 84/22 – Beschluss vom 08.09.2022

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle – 1. Kammer – vom 28. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle – 1. Kammer – vom 28. Juli 2022, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg. Die vom Antragsteller vorgebrachten Einwendungen rechtfertigen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. April 2022 über die Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes „A.“ des Antragstellers im Ergebnis zutreffend mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgelehnt. Der streitgegenständliche Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Zwar hat der Antragsteller – anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat – gegen den Bescheid Widerspruch erhoben. Der Widerspruch ist aber nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form und Frist erhoben worden.

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Nach Satz 2 der Vorschrift wird die Frist auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt. Dagegen stellt § 70 Abs. 1 VwGO keine besonderen Anforderungen an den Inhalt des Widerspruchs auf. Der Widerspruch muss nicht als solcher bezeichnet werden. Es genügt, wenn der Betroffene deutlich macht, dass er sich von der angegriffenen Maßnahme beschwert fühlt, sich deshalb dagegen wehrt und die Überprüfung sowie Aufhebung der Maßnahme begehrt (s. Dolde/Porsch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 69 Rn. 4 m.w.N.). In Anwendung der für die Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Rechtsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB) ist allein maßgebend, wie eine Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Es kommt also darauf an, wie die Behörde den geäußerten Willen des Erklärenden unter Berücksichtigung aller ihr erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen hat (vgl. zum Vorstehenden etwa BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2001 – 8 C 17.01).

Gemessen daran war die vom Antragsteller am 19. April 2022 in den Räumen des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin mündlich abgegebene Erklärung als Widerspruch auszulegen. Ausweislich einer am 18. Mai 2022 von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin angefertigten Aktennotiz hat der Antragsteller im Rahmen der persönlichen Vorsprache am 19. April 2022 angegeben, sein Hund sei nicht gefährlich und er könne die „Auflagen der Gefährlichkeitsfeststellung“ nicht nachvollziehen, da sein Hund nicht aggressiv sei. Er bitte um die Einstellung des Verfahrens. Diese Äußerungen lassen aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers unmissverständlich erkennen, dass der Antragsteller mit der im Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. April 2022 bezogen auf seinen Hund getroffenen Gefährlichkeitsfeststellung nicht einverstanden ist und von der Antragsgegnerin die Aufhebung des Bescheides begehrt. Auch wenn der Antragsteller, was – wie dargestellt – für die Einordnung seiner Äußerung als Widerspruch rechtlich unerheblich ist, nicht ausdrücklich angegeben hat, „Widerspruch“ zu erheben, zielt die Bitte um Einstellung des Verfahrens ersichtlich darauf ab, dass die Antragsgegnerin nicht an ihrer Gefährlichkeitsfeststellung und den daran anknüpfenden, für den Antragsteller nachteiligen Folgen (insbesondere Leinen- und Maulkorbzwang, Notwendigkeit der Beantragung einer Haltererlaubnis, Durchführung eines Wesenstests bei dem Hund, Nachweis der persönlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers zum Halten eines gefährlichen Hundes, Abschluss einer Hundehaftpflichtversicherung) festhält.

Allerdings entspricht die mündliche Widerspruchserhebung nicht dem Formerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Danach ist ein mündlicher Widerspruch nicht vorgesehen. Sieht der Adressat eines Verwaltungsaktes von der schriftlichen Erhebung eines Widerspruchs – ggf. in elektronischer Form, sofern die betreffende Behörde hierfür einen Zugang eröffnet hat (vgl. § 3a Abs. 1 VwVfG; s. hierzu BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2016 – 6 C 12.15) – ab und trägt seinen Widerspruch stattdessen mündlich bei der Behörde vor, die den Verwaltungsakt erlassen hat, bedarf es der Aufnahme der Widerspruchseinlegung in einer entsprechenden behördlichen Niederschrift, an der es im vorliegenden Fall indes fehlt. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Widerspruch hierzu in der Regel in Anwesenheit des Widerspruchsführers von der Behörde zu Protokoll genommen, vorgelesen und vom Widerspruchsführer – günstigerweise durch Beifügung der Unterschrift – genehmigt werden muss (vgl. Dolde/Porsch, a. a. O., § 70 Rn. 7 m.w.N). Ein Aktenvermerk über den persönlich vorgetragenen mündlichen „Widerspruch“ reicht insoweit nicht aus (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 17. Mai 2001 – 4 ZKO 263/01.).

Soweit der Antragsteller am 20. Mai 2022 gegenüber der Antragsgegnerin schriftlich auf einer ihm offenbar ausgehändigten „Niederschrift über den mündlichen Widerspruch“, die an diesem Tag von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin angefertigt worden ist, gebeten hat, „den unterschriebenen Widerspruch“ der Widerspruchsbehörde zuzuleiten, genügt dies zwar der Schriftform einer Widerspruchserhebung im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ein Formmangel kann aber nur innerhalb der Widerspruchsfrist durch ordnungsgemäße Nachholung beseitigt werden. Die Monatsfrist zur – formgerechten – Erhebung eines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. April 2022 war am 20. Mai 2022 schon verstrichen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 9. April 2022 zugestellt. Mithin lief die Frist zur Widerspruchserhebung bis einschließlich zum 9. Mai 2022, einem Montag (vgl. § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB). Dass die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig gewesen sei und die Widerspruchsfrist deshalb gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr betrage, macht die Beschwerde nicht geltend.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist ihm auch keine Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist zu gewähren.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies gilt auch bezüglich der Widerspruchsfrist (vgl. § 70 Abs. 2 VwGO). Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Nach § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO ist die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO auch ohne Antrag gewährt werden.

Zwar hat der Antragsteller – soweit ersichtlich – im Widerspruchsverfahren bislang keinen Antrag auf Wiedereinsetzung in die von ihm versäumte Frist zur Erhebung eines formwirksamen Widerspruchs gestellt. Ob ein Widerspruch rechtzeitig – und formwirksam – erhoben worden ist und ob, sollte dies nicht der Fall sein, dem Widerspruchsführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muss, ist aber eine die Zulässigkeit einer Klage bzw. hier eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz betreffende verfahrensrechtliche Frage. Dementsprechend hat das angerufene Verwaltungsgericht zu beurteilen, ob dem Widerspruchsführer behördlicherseits zu Unrecht eine Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist vorenthalten wurde. Gleichermaßen ist zu prüfen, ob eine Wiedereinsetzung von Amts wegen, d. h. auch ohne entsprechenden Antrag des Widerspruchsführers, hätte gewährt werden müssen bzw. für den Fall, dass das Widerspruchsverfahren – wie vorliegend – bislang nicht seinen Abschluss gefunden hat, noch zu gewähren ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. März 1983 – 1 C 34.80); Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: Februar 2022, § 60 Rn. 66). Allerdings kommt auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen nur in Betracht, wenn die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO nachgeholt wird. § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO, der über § 70 Abs. 2 VwGO auch für das Widerspruchsverfahren gilt, gibt dies unmissverständlich zu erkennen, indem er für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen daran anknüpft, dass die aus § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO folgenden Anforderungen an die Nachholung der versäumten Rechtshandlung eingehalten worden sind („ist dies geschehen“). Ebenso müssen die für die Wiedereinsetzung erheblichen Tatsachen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dargelegt und – gegebenenfalls noch nachträglich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2021 – 2 C 11.19) – glaubhaft gemacht werden, sofern sie nicht offenkundig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 – 3 B 41.00).

Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine von Amts wegen zu gewährende Wiedereinsetzung in die vom Antragsteller versäumte Widerspruchsfrist nicht vor. Dabei kann offen bleiben, wann die Wiedereinsetzungsfrist im vorliegenden Fall begonnen hat. Jedenfalls sind weder vom Antragsteller Tatsachen dafür dargelegt, dass er ohne Verschulden an der rechtzeitigen – und formgerechten – Widerspruchserhebung gehindert war, noch sind derartige Umstände offenkundig.

Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2021 – 2 B 59.20 ). Mangelnde Rechtskenntnis entschuldigt ein Fristversäumnis in der Regel nicht und ist daher kein Wiedereinsetzungsgrund (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2009 – 9 B 83.09). Dies gilt erst Recht, wenn einem Bescheid – wie hier – eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt ist, die unmissverständlich erkennen lässt, in welcher Form und Frist von einem Rechtsbehelf Gebrauch zu machen ist. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller schriftlich darüber belehrt, dass ein Widerspruch gegen den streitgegenständlichen Bescheid schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stadtverwaltung eingelegt werden kann. Selbst von einem juristischen Laien darf erwartet werden, dass er aus einer solchen Belehrung die besondere Formbedürftigkeit eines Widerspruchs zu erkennen vermag. Dies schließt die Erkenntnis mit ein, dass ein bei der Behörde lediglich mündlich vorgetragener Widerspruch nicht (form-)wirksam und dementsprechend auch nicht geeignet ist, die Widerspruchsfrist zu wahren, sondern dass es hierzu einer schriftlichen Fixierung des Widerspruchs mit Wissen und Wollen des Widerspruchsführers bedarf. Hiervon ausgehend durfte der Antragsteller bei Anlegung der auch von einem juristischen Laien in den ihn betreffenden rechtlichen Angelegenheiten zu erwartenden Sorgfalt nicht annehmen, dass es für die Erhebung eines formgerechten Widerspruchs ausreichend gewesen ist, bei der Antragsgegnerin vorzusprechen und der Sache nach die Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides zu fordern. Vielmehr hätte es dem Antragsteller oblegen, unmissverständlich die Erwartung zu äußern, dass sein Widerspruch schriftlich niedergelegt wird, und sich ggf. Gewissheit hierüber zu verschaffen.

Auch die vom Antragsteller mit der Beschwerde geschilderten Umstände der persönlichen Vorsprachen bei der Antragsgegnerin lassen sein Verschulden im Hinblick auf die fehlende form- und fristgerechte Widerspruchserhebung nicht entfallen. Insbesondere hat die Antragsgegnerin bei dem Antragsteller nicht durch ein Fehlverhalten einen für das Versäumnis der Widerspruchsfrist kausalen Irrtum bezüglich der Anforderungen an die Widerspruchserhebung hervorgerufen. Ausweislich der Aktennotiz über das Gespräch vom 19. April 2022, deren inhaltliche Richtigkeit der Antragsteller nicht in Zweifel zieht, hat ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin dem Antragsteller an diesem Tag lediglich die Gründe für die streitgegenständliche Gefährlichkeitsfeststellung und das „Verfahren zur Vorlage der notwendigen Unterlagen“, womit erkennbar das sich an eine Gefährlichkeitsfeststellung auf Antrag des Halters anschließende Verfahren zur Erteilung der Erlaubnis für das Halten eines gefährlichen Hundes gemeint ist, erläutert. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Mitarbeiter der Antragsgegnerin sich geweigert hat, den Widerspruch des Antragstellers zur Niederschrift aufzunehmen, oder dem Antragsteller unmissverständlich bedeutet hat, dass eine mündliche Widerspruchserhebung ausreichend und insbesondere auch fristwahrend sei. Dass der Mitarbeiter der Antragsgegnerin, wie sich aus einer weiteren Aktennotiz ergibt, gegenüber dem Antragsteller in einem späteren Gespräch am 18. Mai 2022 bekundet hat, die Vorsprache des Antragstellers am 19. April 2022 nicht als Widerspruch aufgefasst zu haben, ist rechtlich ohne Belang. Daraus mag sich ein Irrtum des Mitarbeiters der Antragsgegnerin dahingehend ergeben, wie die vom Antragsteller am 19. April 2022 abgegebene Äußerung in rechtlicher Hinsicht einzuordnen war. Ein Rückschluss darauf, dass das Verhalten des Mitarbeiters der Antragsgegnerin am 19. April 2022 bei dem Antragsteller – trotz der unmissverständlichen Rechtsbehelfsbelehrung des streitgegenständlichen Bescheides – eine von ihm nicht zu vertretende Fehlvorstellung über die an einen Widerspruch zu stellenden formellen Anforderungen hervorgerufen haben könnte, lässt sich hieraus indes nicht ziehen. Gleiches gilt für den Vortrag des Antragstellers, ihm sei am 19. April 2022 durch den Bürgermeister der Antragsgegnerin angeraten worden, sich vorerst keinen Rechtsanwalt zu nehmen. Die form- und fristgerechte Erhebung eines Widerspruchs ist ohne Rechtsanwalt zulässig. Dass die Antragsgegnerin den Antragsteller fälschlich in einem anderen Sinne belehrt und ihn dadurch von einer form- und fristgerechten Widerspruchserhebung abgehalten hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Das Verschulden des Antragstellers am Versäumnis der Widerspruchsfrist wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin dem Antragsteller in dem Gespräch am 18. Mai 2022 ausweislich einer entsprechenden Aktennotiz erklärt hat, der Widerspruch sei am 19. April 2022 „sowieso zu spät gewesen“. Diese Aussage ist zwar inhaltlich unzutreffend. Wie ausgeführt, endete die Frist zur (formgerechten) Erhebung eines Widerspruchs gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 8. April 2022 erst mit Ablauf des 9. Mai 2022. Dass diese Falschauskunft der Antragsgegnerin aber nicht kausal für die nicht form- und fristgerechte Widerspruchserhebung durch den Antragsteller gewesen ist, ergibt sich bereits daraus, dass das Gespräch, in dem sich der Mitarbeiter der Antragsgegnerin im dargestellten Sinne geäußert hat, erst am 18. Mai 2022 und damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist stattgefunden hat.

Der Einordnung des Widerspruchs des Antragstellers als unzulässig steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 19. Mai 2022 mitgeteilt hat, seinen Widerspruch für zulässig, aber nicht für begründet zu halten und den Widerspruch daher zur weiteren Bearbeitung an die Widerspruchsbehörde abgegeben zu haben. Der Antragsteller macht insoweit mit seiner Beschwerde geltend, eine ggf. vorliegende Verfristung des Widerspruchs sei jedenfalls dadurch geheilt worden, dass die Antragsgegnerin seinen Widerspruch als zulässig behandelt habe. Diese Annahme geht fehl.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verspätung eines Widerspruchs unbeachtlich, wenn sich die Widerspruchsbehörde über die Fristversäumung hinwegsetzt, indem sie eine Sachentscheidung über den Widerspruch trifft, es sei denn, bei dem angegriffenen Verwaltungsakt handelt es sich um einen solchen mit Doppelwirkung, durch den ein Begünstigter eine gesicherte Rechtsposition erhalten hat (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1988 – 6 C 24.87; Dolde/Porsch, a. a. O. § 70 Rn. 37 f. m.w.N.). Zum einen ist Voraussetzung hierfür aber, dass der Widerspruch, wenn auch verspätet, zumindest formgerecht erhoben worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1988, a. a. O. Rn. 10). Daran fehlte es im Zeitpunkt der Abgabe des Widerspruchs durch die Antragsgegnerin an die Widerspruchsbehörde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller lediglich mündlich und damit nicht formwirksam Widerspruch erhoben. Ein den Formanforderungen des § 70 Abs. 1 VwGO genügender Widerspruch lag frühestens am 20. Mai 2022 mit der vom Antragsteller genehmigten Niederschrift über den mündlichen Widerspruch vor. Auf diesen – wie ausgeführt verspäteten – Widerspruch konnte sich die Abgabeerklärung der Antragsgegnerin vom 19. Mai 2022 schon nicht beziehen. Zum anderen ist die Ausgangsbehörde, die – wie im vorliegenden Fall – nicht identisch mit der Widerspruchsbehörde ist, im Rahmen ihrer Abhilfebefugnis (vgl. § 72 VwGO) lediglich zu einer dem Widerspruch stattgebenden Entscheidung berechtigt. Ob sie auch einem wegen verspäteter Erhebung an sich unzulässigen Widerspruch abhelfen darf, wenn sie ihn in der Sache für begründet hält, kann dahinstehen (dies befürwortend Dolde/Porsch, a. a. O. § 72 Rn. 13; anders offenbar Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 72 Rn. 5). Hilft die Ausgangsbehörde – wie hier – dem Widerspruch im Ergebnis aber nicht ab, weil sie ihn jedenfalls als unbegründet ansieht, und legt diesen daher der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor, ist die Widerspruchsbehörde an die – ggf. rechtlich unzutreffende – Einschätzung der Ausgangsbehörde zur Frage der Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs nicht gebunden. Vielmehr prüft die Widerspruchsbehörde eigenständig, ob der Widerspruch zulässig und begründet ist. Dabei steht es ihr frei, einen verspäteten und deshalb unzulässigen Widerspruch sachlich zu bescheiden. Soweit ersichtlich, hat die Widerspruchsbehörde über den Widerspruch des Antragstellers noch nicht entschieden.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ-Beil. 2013, 58 ff.) und entspricht der verwaltungsgerichtlichen Festsetzung.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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