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Anfechtung einer Prüfungsentscheidung (mündliche Prüfung):

Verwaltungsgericht Oldenburg

Az.: 12 A 3808/99

Urteil vom 13.11.2001


Leitsatz:

Die Prüfungsentscheidung ist aufzuheben, wenn dem Anspruch des Prüflings auf Überdenken der Bewertung der Prüfungsleistungen nicht genügt wurde und ein Überdenken durch die beteiligten Prüfer nicht mehr nachgeholt werden kann.


In der Verwaltungsrechtssache gegen den Prüfungsausschuss für andere als ärztliche Heilberufe bei der Kinderkrankenpflegeschule am Kinderhospital … Streitgegenstand: Prüfung zur Kinderkrankenschwester, hat das Verwaltungsgericht Oldenburg – 12. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2001 für Recht erkannt:

Der Prüfungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 9. September 1999 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin wendet sich gegen die Entscheidung über das Nichtbestehen der Wiederholungsprüfung der mündlichen Prüfung für den Beruf der Kinderkrankenschwester (Kinderkrankenpflege).

Die im März 1975 geborene Klägerin besuchte vom 1. Oktober 1995 bis 30. September 1998 die Kinderkrankenpflegeschule des Kinderhospitals … . Am 6. März 1998 beantragte sie die Zulassung zur staatlichen Prüfung in der Kinderkrankenpflege. Die Vorsitzende des Beklagten ließ die Klägerin mit Bescheid vom 12. Juni 1998 zur Prüfung zu. Die am 29. und 30. Juli 1998 von der Klägerin erbrachten schriftlichen Prüfungsleistungen bewertete die Vorsitzende des Beklagten insgesamt mit „ausreichend“ und die am 11. und 12. August 1998 durchgeführte praktische Prüfung mit „gut“. Die mündliche Prüfung der Klägerin am 26. August 1998 wurde insgesamt mit „mangelhaft“ bewertet. Mit Bescheid vom 26. August 1998 teilte die Vorsitzende des Beklagten der Klägerin mit, dass der mündliche Teil der Prüfung nicht bestanden sei.

Am 17. November 1998 beantragte die Klägerin erneut die Zulassung zur staatlichen Prüfung in der Kinderkrankenpflege. Die Vorsitzende des Beklagten ließ die Klägerin mit Bescheid vom 26. November 1998 zur mündlichen Wiederholungsprüfung am 15. Dezember 1998 zu. Die Vorsitzende des Beklagten bewertete die von der Klägerin in der mündlichen Prüfung erbrachten Leistungen insgesamt mit „mangelhaft“. Sie fertigte über die mündliche Prüfung eine von den weiteren Mitgliedern des Beklagten unterzeichnete Niederschrift, die u. a. die gestellten Aufgaben in den einzelnen Prüfungsfächern sowie die Benotung durch die einzelnen Prüfer wiedergibt. Die Vorsitzende des Beklagten teilte der Klägerin mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 mit, dass sie den mündlichen Teil der Wiederholungsprüfung nicht bestanden habe: Die mündliche Prüfung sei mit „mangelhaft“ bewertet worden. Danach gelte die Kinderkrankenpflegeprüfung als endgültig nicht bestanden.

Die Klägerin legte am 5. Januar 1999 Widerspruch gegen die Prüfungsentscheidung ein und bat um Informationen über die nächsten notwendigen Schritte. Die Bezirksregierung Weser-Ems bat mit Schreiben vom 12. Januar 1999 um die Vorlage einer Widerspruchsbegründung. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf Anfrage vom 29. Januar 1999 bei der Bezirksregierung Weser-Ems Akteneinsicht genommen hatte, begründete sie ihren Widerspruch mit Schreiben vom 29. April 1999 im Wesentlichen damit, dass die Prüfungsentscheidung rechtswidrig sei, weil die Bewertung der Prüfungsleistungen zum einen nicht begründet worden und zum anderen fehlerhaft erfolgt sei. Ihr sei am Ende der mündlichen Prüfung lediglich die Gesamtnote der Prüfung mitgeteilt worden. Diese Bewertung sei auch nur ansatzweise nicht begründet worden. Im Übrigen habe der Beklagte ihre Leistungen unzutreffend bewertet. Ihre Antworten auf die Frage der Prüfer seien im Wesentlichen richtig gewesen und rechtfertigten in keiner Weise eine Bewertung mit „mangelhaft“.

Die Bezirksregierung Weser-Ems bat die Vorsitzende des Beklagten und das Kinderhospital Osnabrück unter dem 12. Mai 1999 um eine Stellungnahme zu der Widerspruchsbegründung der Klägerin und übersandte die Verwaltungsvorgänge. Die Vorsitzende des Beklagten teilte der Bezirksregierung Weser-Ems unter dem 21. Juni 1999 mit, dass die Bewertung der Prüfung wie üblich durch sie in aller Ausführlichkeit begründet worden sei. Bezüglich der Bewertung der einzelnen Prüfungsfragen/ -fächer lägen bei den übrigen Prüfungsunterlagen die schriftlichen Notizen der Prüfer vor. Dem Schreiben war eine Kopie eines Erinnerungsprotokolls beigefügt. Hierin ist unter anderem ausgeführt:

„Einstimmiger Beschluss des Prüfungsausschusses: Das erbrachte Wissen war nicht ausreichend, die Leistung entsprach nicht den Anforderungen, Grundkenntnisse waren teilweise vorhanden. Frau Dr.  … teilte … den Beschluss mit.“

Unterzeichnet ist dieses Erinnerungsprotokoll von den Prüferinnen Frau … mit der Angabe „18.12.1998“ sowie Frau … .     .

Unter dem 24. Juni 1999 teilte Frau … unter Bezugnahme auf das Erinnerungsprotokoll mit, dass die Klägerin einige Fragen nicht habe beantworten können, selbst durch Nachfrage und Hilfestellung sei ihr Wissen lückenhaft und somit nicht ausreichend gewesen. Die Prüfer seien sich einig gewesen, dass die Prüfung nicht habe als ausreichend bewertet werden können; teilweise hätten bei der Klägerin Grundkenntnisse gefehlt. Unter dem 29. Juli 1999 übersandte die Prüferin P. Aufstellungen der Fragen und Antworten der Klägerin in der mündlichen Prüfung am 15. Dezember 1998, die von den jeweiligen Prüfern nebst Benotung unterzeichnet wurden.

Die Bezirksregierung Weser-Ems wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 1999 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, dass die Bewertung der mündlichen Prüfungsleistung der Klägerin ausreichend begründet worden sei. Bei mündlichen Prüfungen müsse der Prüfer seine Gründe nicht in jedem Fall, sondern nur dann schriftlich darlegen, wenn der Prüfling dies verlange und zu diesem Zeitpunkt eine schriftliche Zusammenfassung der Gründe unter zumutbaren Bedingungen noch möglich sei. Die Klägerin habe aber keine schriftliche Begründung der Benotung eingefordert. Die Klägerin habe das Recht gehabt, ihre Prüfungsunterlagen einzusehen, wovon sie allerdings keinen Gebrauch gemacht habe. Sich nun darauf zu berufen, es fehle an einer Begründung der Prüfungsleistung, müsse als widersprüchlich angesehen werden und verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Ebenso greife der Einwand nicht durch, die Bewertung der Prüfungsleistung sei fehlerhaft. Aus den Unterlagen der mündlichen Prüfung ergebe sich, dass die Klägerin über die Hälfte der Fragen gar nicht beantwortet habe. Weitere Fragen seien entweder in fachlicher Hinsicht nicht mehr vertretbar und damit falsch gelöst worden oder sie seien nur auf intensives Nachfragen und mit Hilfestellung beantwortet worden. Teilweise habe es an den erforderlichen Grundkenntnissen gefehlt und die Kenntnisse seien ausgesprochen lückenhaft gewesen.

Die Klägerin hat am 30. September 1999 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Sie habe einen Anspruch auf Begründung der Bewertung ihrer Prüfungsleistung in der mündlichen Prüfung. Sie habe diesen Anspruch auch nicht dadurch verwirkt, dass sie ihn in der Folgezeit nicht rechtzeitig geltend gemacht habe und dadurch seine Erfüllung seitens des Beklagten vereitelt hätte. Die Unmöglichkeit der Erfüllung des Anspruches sei vielmehr dem Beklagten zuzurechnen. Die Bezirksregierung Weser-Ems habe sich daher nicht darauf beschränken dürfen, sie lediglich zur Vorlage einer Widerspruchsbegründung aufzufordern, sondern sie hätte sie unmittelbar nach Erhalt des Widerspruchsschreibens aus Gründen ihrer Fürsorgepflicht darüber aufklären müssen, dass die Prüfungsnoten nicht begründet gewesen seien, sie aber einen Anspruch auf Begründung habe und diesen zur Wahrung ihrer Rechte unverzüglich geltend machen müsse. Daneben sei die Bewertung der Prüfungsleistungen fehlerhaft. Es sei unzutreffend, dass sie über die Hälfte der Fragen gar nicht beantwortet habe, weitere Fragen entweder in fachlicher Hinsicht nicht mehr vertretbar oder falsch gelöst habe oder nur auf intensives Nachfragen und mit Hilfestellung beantwortet habe. Aus dem Prüfungsprotokoll vom 15. Dezember 1998 ergebe sich überhaupt nicht, welche Antworten sie gegeben habe. Die von den Prüfern unter dem 29. Juli 1999 vorgelegten „Niederschriften“ ersetzten keine Begründung der Bewertungen, da sie zum damaligen Zeitpunkt bereits nicht mehr möglich gewesen sei.

Die Klägerin beantragt, den Prüfungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 9. September 1999 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er trägt unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid ergänzend vor, die mündliche Prüfungsleistung der Klägerin sei zutreffend mit „mangelhaft“ bewertet worden. Es seien weder fachlich richtige Antworten der Klägerin als falsch angesehen worden, noch sei ihr der „Antwortspielraum“ durch (noch) vertretbare Antworten verwehrt worden. Vielmehr ergebe sich aus den Niederschriften der Prüfer vom 29. Juli 1999, die aufgrund der Protokolle vom 15. Dezember 1998 erstellt worden seien, dass die Klägerin einen Großteil der ihr gestellten Fragen nicht oder nicht zutreffend beantwortet habe. Es sei nicht ersichtlich, dass die Prüfer ihren insoweit eingeräumten prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum überschritten hätten. Es treffe nicht zu, dass die Bewertung der mündlichen Prüfung nicht begründet worden sei. Dem Anspruch auf Bekanntgabe der Gründe der Bewertung sei entsprochen worden, indem die Vorsitzende den Prüfungsbescheid gegenüber der Klägerin bekannt gegeben und ihn mündlich, sogar eingehend, begründet habe. Die Klägerin habe auch im weiteren Verlauf nicht zu erkennen gegeben, dass sie eine über die mündliche Erläuterung hinausgehende schriftliche Begründung verlange. Vielmehr habe sie einen ihr angebotenen Gesprächstermin nicht wahrgenommen. Auch habe er seine ihm obliegende Hinweis- und Fürsorgepflicht gegenüber der Klägerin nicht verletzt. Dem Verhalten der Klägerin habe sich nicht entnehmen lassen, dass sie sich ungerecht benotet fühle und dahingehend um Rechtsschutz nachsuchen wolle. Die im Widerspruchsschreiben enthaltene Bitte um Mitteilung der nächsten notwendigen Schritte lasse kein Informationsdefizit der Klägerin bezüglich der Notenbegründung erkennen, zumal ihr im Anschluss an die mündliche Prüfung die Einzelnoten mündlich erläutert worden seien.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bezirksregierung Weser-Ems Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtene Prüfungsentscheidung des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Rechte der Klägerin (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Rechtswidrigkeit der Prüfungsentscheidung folgt daraus, dass den Einwänden der Klägerin gegen die Bewertung ihrer mündlichen Leistungen mit „mangelhaft“ nicht ordnungsgemäß in einem verwaltungsinternen Kontrollverfahren nachgegangen und damit dem Anspruch der Klägerin auf Überdenken der Prüfungsentscheidung nicht genügt worden ist.

Der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1998, die Klägerin habe die Kinderkrankenpflegeprüfung endgültig nicht bestanden, findet seine rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 der  Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflAPrV) vom 16. Oktober 1985 (BGBl. I S. 1973) in der Fassung des EWR-Ausführungsgesetzes vom 27. April 1993 (BGBl. I S. 512, 525).

Der Beklagte hat sich nicht in hinreichender Weise mit den von der Klägerin im Widerspruchsverfahren vorgebrachten Einwendungen auseinander gesetzt und überdacht, ob das Vorbringen Anlass gab, die Bewertung der mündlichen Prüfungsleistung zu ändern oder ob an der bisherigen Bewertung festgehalten wird.

Es ist indes unverzichtbar, dass „der Betroffene seinen Standpunkt bereits im Verwaltungsverfahren wirksam vertreten“ können muss (so bereits BVerfG, Beschlüsse vom 17. April 1991 – 1 BvR 419/81, 1 BvR 213/83 -, BVerfGE 84, 34 ff., – 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87 -, BVerfGE 84, 59 ff.; BVerwG, Urteil vom 6. September 1992 – 6 C 18/93 -, BVerwGE 99, 185 ff.; Urteil vom 24. Februar 1993 – 6 C 35/92 -, BVerwGE 92, 132 ff.; Urteil vom 30. Juni 1994 – 6 C 4/93 -, DVBl. 1994, 1362 ff; Beschluss vom 18. Dezember 1997 – 6 B 69/97 -, V.n.b.). Zur Kompensation der Defizite des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber Prüfungsentscheidungen gebietet das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), dass der Prüfling die Möglichkeit hat, „auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler rechtzeitig und wirkungsvoll“ hinzuweisen und damit ein Überdenken der Bewertung unter Berücksichtigung seiner Einwände zu erreichen. Der Anspruch auf Überdenken der Prüfungsentscheidung als eigenständiges internes Kontrollverfahren stellt mithin einen unerlässlichen Ausgleich für die unvollkommende Kontrolle von Prüfungsentscheidungen durch die Verwaltungsgerichte dar und erfüllt damit zugleich in Ergänzung des gerichtlichen Rechtsschutzes eine Komplementärfunktion für die Durchsetzung des Grundrechts der Berufsfreiheit (vgl. auch Nordrhein-Westf. OVG, Urteil vom 6. September 1995 – 22 A 1844/94 -, DVBl. 1996, 446;  Müller-Franken, Verw-Arch 2001, 507, 511 f.).

Der Prüfling ist durch eine hinreichende Begründung der Bewertung seiner Prüfungsleistungen und durch Gewährung von Einsichtnahme in die Prüfungsakten in den Stand zu setzen, Einwendungen gegen die Bewertungen zu erheben. Stellt der Prüfling einzelne Bewertungen substantiiert in Frage, so ist die Prüfungsbehörde verpflichtet, die Einwendungen den beteiligten Prüfern zuzuleiten. Diese haben auf der Grundlage der Einwendungen eine Nachbewertung der Prüfungsleistungen vorzunehmen, mithin ihre frühere Bewertung überdenken: Sie haben darüber zu befinden, ob sie an den Gründen der angegriffenen Bewertung und an deren Ergebnis festhalten, ob sie das Ergebnis trotz Änderung einzelner Wertungen aufrechterhalten oder ob sie infolge veränderter Wertungen das Ergebnis verbessern (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1994, a.a.O.).

Zwar hat die Widerspruchsbehörde die Entscheidung umfassend und auf seine Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen (§ 68 VwGO). Im Rahmen dieses Widerspruchsverfahrens sind aber die bisherigen Prüfer einzubeziehen und das Überdenken der Prüfungsentscheidung hat durch die ursprünglichen Prüfer zu erfolgen (ebenso:  BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993, a.a.O.; Nordrhein-Westf. OVG, Urteil vom 7. Januar 1994, 2 A 11593/93 -, NVwZ 1994, 805; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, Rdnr. 569). Nur ein Überdenken der Prüfungsentscheidung durch die beteiligten Prüfer erfüllt den bereits dargelegten Zweck der verwaltungsinternen Kontrolle, die unvollkommene gerichtliche Kontrolle der Prüfungsentscheidung im Hinblick auf den den Prüfern bei prüfungsspezifischen Wertungen eingeräumten Entscheidungsspielraum auszugleichen. Ein Überdenken gerade auch beanstandeter prüfungsspezifischer Bewertungen  kann in aller Regel nur durch den beteiligten Prüfer selbst erfolgen. Die Widerspruchsbehörde hat zu diesem Zweck beachtliche, d.h. konkrete und nachvollziehbar begründete Einwände den betroffenen Prüfern zur Überprüfung ihrer früheren Bewertung zuzuleiten.

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Bei Prüfungen nach dem KrPflAPrV besteht allerdings die Besonderheit, dass zunächst die Fachprüfer eine Prüfungsleistung allein bewerten und gemäß §§ 16 Abs. 2, 13 Abs. 2. S. 3 KrPflAPrV es dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses obliegt, „aus den Noten der Fachprüfer“, d.h. nach deren Festsetzung allein durch die Fachprüfer, und „im Benehmen mit den Fachprüfern“ die Prüfungsnote für den mündlichen Teil der Prüfung zu „bilden“. Grundlage der Notenbildung durch ihn sind allein die (Einzel-)Noten der Fachprüfer, aus denen die Prüfungsnote zu bilden ist, und – da die Prüfungsnote im Benehmen mit den Fachprüfern gebildet werden muss – die von ihnen dafür abgegebenen Begründung. „Benehmen“ bedeutet nicht „Einvernehmen“, so dass bei verbleibenden Dissens der Vorsitzende sich der überzeugenderen Begründung eines der Prüfer anschließen oder den – im Rahmen des § 6 KrPflAPrV zulässigen – Mittelwert bilden kann. Für den Fall, dass die Benotung durch die Fachprüfer im Ergebnis übereinstimmt, muss der Vorsitzende die Prüfungsnote entsprechend der einheitlichen Benotung durch die Fachprüfer bilden; insoweit darf der Vorsitzende – sofern er nicht selbst prüft (§ 13 Abs. 2 S. 2 KrPflAPrV) – keinen „inhaltlichen Einfluss“ auf die Bewertung der Fachprüfer nehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Februar 1998 – 6 B 17/98 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 386; Nordrhein-Westf. OVG, Urteil vom 27. Oktober 1995 – 19 A 4947/94 -, PflR 1997, 26).

Hieraus folgt, dass – bevor der Vorsitzende des Prüfungsausschusses seine Entscheidung, nämlich aus den Noten der Fachprüfer die Prüfungsnote im Benehmen mit den Fachprüfern zu bilden, überdenkt – zunächst die Fachprüfer ihre Entscheidung überdenken. Hieran anschließend hat der Vorsitzende des Prüfungsausschusses aufgrund der Ergebnisse des Überdenkens der Fachprüfer seine Entscheidung zu überdenken. Auch im Rahmen der verwaltungsinternen Kontrolle darf der Vorsitzende – wie zuvor dargelegt – keinen „inhaltlichen Einfluss“ auf die Bewertung der Fachprüfer nehmen.

Korrespondierend mit dem Recht auf Überdenken der Bewertung ist ein Prüfling, der die Bewertung einer Prüfungsarbeit beanstandet, verpflichtet, konkrete und substantiierte Einwendungen vorzubringen. Die Prüfer sind nämlich nur dann verpflichtet, ihre Prüfungsentscheidung zu überdenken, soweit sie wirkungsvolle Hinweise bekommen und substantiierte Einwendungen erhoben wurden, die konkret und nachvollziehbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993, a.a.O.;  Zimmerling, a.a.O., Rdnr. 572).

Aufgrund des Vorbringens der Klägerin im Widerspruchsverfahren waren die Fachprüfer und die Vorsitzende des Beklagten verpflichtet, ihre jeweilige Prüfungsentscheidung zu überdenken; dem sind sie aber nicht hinreichend nachgekommen. Die von der Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung erhobenen Einwände sind hinreichend substantiiert: Sie hat im Hinblick auf die Bewertung vor allem darauf abgestellt, dass ihre Antworten im Wesentlichen richtig gewesen seien und eine Bewertung mit „mangelhaft“ nicht gerechtfertigt sei. Hierzu hat sie im Einzelnen – nach ihrer Erinnerung – die von den Prüfern gestellten Fragen und ihre Antworten dargelegt, sie wendet sich gegen das Vorbringen, sie habe eine Vielzahl von Fragen überhaupt nicht beantwortet und habe darüber hinaus weitere Fragen entweder in fachlicher Hinsicht nicht mehr vertretbar oder falsch beantwortet. Zugleich macht sie damit geltend, dass unter Berücksichtigung des Verhältnisses der von ihr – nach ihrer Auffassung – richtig beantworteten Fragen zu denjenigen, die sie nicht oder unzureichend beantwortet habe, der Bewertungsmaßstab verfehlt sei. Dabei geht die Kammer aufgrund des Vorbringens der Vorsitzenden des Beklagten davon aus, dass im Rahmen der am Prüfungstag abgegebenen mündlichen Begründung nicht im Einzelnen dargelegt wurde, welche (Teil-)Antworten der Klägerin als falsch oder nicht mehr vertretbar bewertet wurden. Die Klägerin konnte nicht mehr vortragen, um die Prüfer zu veranlassen, ihren Einwänden nachzugehen.

Ein Überdenken der Bewertung  aufgrund der Einwendungen der Klägerin ist aber nicht in hinreichender Weise erfolgt; damit ist der Klägerin der Rechtsschutz vorenthalten, den das verwaltungsinterne Kontrollverfahren gerade gewährleisten soll.

Zum einen hat die Vorsitzende des Beklagten ihre Entscheidung im Nachgang auf ein Überdenken der Fachprüfer nicht überdacht. Mit ihrer Stellungnahme vom 21. Juni 1999 an die Widerspruchsbehörde hat sie nicht ihre Entscheidung eines Überdenkens mitgeteilt, da lediglich ausgeführt wird, dass bezüglich der Bewertung der einzelnen Prüfungsfragen bei den Prüfungsunterlagen in der Kinderkrankenpflegeschule schriftliche Notizen der Prüfer vorlägen. Hieraus kann nicht entnommen werden, dass sich die Vorsitzende des Beklagten in Benehmen mit den Fachprüfern mit den Einwendungen auseinandersetzte. Die Vorsitzende hat – wie sie in der mündlichen Verhandlung ausführte – die von der Klägerin in der Widerspruchsbegründung erhobenen Einwände nicht mit den Prüfern besprochen. Stellungnahmen und Erklärungen der Fachprüfer zu den Einwendungen  der Klägerin hat sie nicht erhalten; sie hat erst später erfahren, dass die Fachprüfer Gedächtnisprotokolle über den Prüfungsablauf erstellten und der Widerspruchsbehörde übersandten. Daneben geht die Kammer auch davon aus, dass die Fachprüfer sich nicht mit den Einwendungen der Klägerin auseinander setzten und dass sie ihre Bewertung der mündlichen Prüfungsleistungen aufgrund der bisherige Bewertung aufrechterhielten. Zwar wurde die Widerspruchsbegründung dem Kinderhospital Osnabrück übersandt. Den am 29. Juli 1999 übersandten Aufstellungen der Prüfer über die gestellten Fragen und den Antworten der Klägerin lässt sich aber nicht entnehmen, dass die Prüfer in Kenntnis der Einwendungen der Klägerin diese Aufstellungen als Erwiderung hierauf erstellten und zugleich damit zum Ausdruck bringen wollten, an ihrer bisherigen Bewertung der Prüfungsleistungen der Klägerin festhalten zu wollen. Es kann den im Juli 1999 übersandten Aufstellungen nicht entnommen werden, ob die dort mit „0“ wiedergegebenen Antworten der Klägerin darlegen sollen, dass die Klägerin überhaupt keine Antwort gegeben hat oder ob die Antwort als unbrauchbar oder falsch zu bewerten war. Die Vorsitzende des Beklagten führte aus, dass sie hierzu keine sichere Auskunft mehr geben könne.

Das unterbliebene Überdenken der Prüfer kann auch nicht durch Nachholen behoben werden. Angesichts der seit der mündlichen Prüfung im Dezember 1998 verstrichenen Zeit von ca. drei Jahren ist eine solche Nachbesserung nicht mehr möglich. Nach Auffassung der Kammer ist es ausgeschlossen, dass die Prüfer auf die Rügen der Klägerin zur Bewertung ihrer Prüfungsleistung noch eine am Prüfungsablauf orientierte Überprüfung ihrer Bewertung vornehmen können. Viele Elemente einer mündlichen Prüfungsleistung wie etwas das schnelle Erfassen des Wesentlichen, das „Mitgehen“ im Prüfungsgespräch oder die Sicherheit der Darlegungen des Prüflings können nicht derart zuverlässig dokumentiert werden, dass es ermöglicht würde, alle maßgeblichen Grundlagen der Bewertung im Einzelnen über einen Zeitraum von mehreren Jahren unverfälscht und umfassend festzuhalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 1996 – 6 B 13/96 -, NVwZ 1997, 502; Nordrhein-Westf. OVG, Urteil vom 27. Oktober 1995 – 19 A 4947/94 -; Müller-Franken, a.a.O., 529).

Der Einwand des Beklagten, der Aufhebung der angefochtenen Bescheide stehe entgegen, dass ein Überdenken der Entscheidung bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Einwendungen der Klägerin mit der Widerspruchsbegründung nicht mehr möglich gewesen sei und dies der Klägerin zuzurechnen sei, greift nicht durch. Die zeitliche Grenze der Rekonstruierbarkeit einer mündlichen Prüfung lässt sich nicht verallgemeinernd festlegen und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 1996, a.a.O. und Beschluss vom 20. Mai 1998 – 6 B 50/97 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 389; Müller-Franken, a.a.O., 529). Nach Überzeugung der Kammer kann nicht festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt der Erhebung der Einwendungen gegen die Bewertung – mithin ca. 4 Monate nach der mündlichen Prüfung – es den Prüfern bereits nicht mehr möglich war, ihre Bewertung aufgrund des Vorbringens der Klägerin zu überdenken. Sollte dies der Fall gewesen sein, hätten die Prüfer dies nach Eingang der Widerspruchsbegründung geltend gemacht oder dokumentiert. Dies ist indes nicht geschehen. Vielmehr spricht der Umstand, dass die Prüfer – wie die im Juli 1999 erstellten Aufstellungen zeigen – umfangreiche Notizen über den Prüfungsablauf machten, dafür, dass ein Überdenken zum damaligen Zeitpunkt noch möglich war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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