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Nachbarrechtliches Rücksichtnahmegebot -erdrückende Wirkung Gebäudehöhe

VG Ansbach – Az.: AN 3 K 12.00118 – Urteil vom 04.04.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

3. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden.

Tatbestand

Mit Bauantrag vom … 2011 i.d.F. des Tekturantrages vom … 2011 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Umnutzung des ehemaligen Parkhauses … zu einer Wohnanlage mit 20 Wohneinheiten, einer Gewerbeeinheit und einer Garage mit 13 Stellplätzen auf den Grundstücken Fl.Nr. … der Gemarkung … unter Beantragung einer Abweichung von Art. 6 BayBO wegen der Erstreckung der Abstandsflächen über die Mitte des öffentlichen Verkehrsraums (…) infolge der geplanten Dachgauben.

Die Baugrundstücke befinden sich im Bereich des einfachen Bebauungsplanes Nr. …. Bei der umzunutzenden Centralgarage handelt es sich um ein Baudenkmal, welches mit folgendem Text in die Denkmalliste der Stadt … eingetragen ist: „Parkgarage, 3-geschossiger Putzbau mit Flachdach und Aufzugsturm mit Zeltdach, im Stil der neuen Sachlichkeit, von Hans Scharff, 1928, 1-geschossige Aufstockung von J. und M. Müller, 1935“.

Nach dem Neubau eines Parkhauses auf der dem streitgegenständlichen Bauvorhaben gegenüber liegenden Seite der … stellte die … im Jahre 2003 ihren Betrieb ein; seither steht das Gebäude leer.

Mit Bescheid der Beklagten vom … 2011 wurde die Baugenehmigung erteilt mit der – beantragten – Abweichung von der Abstandsflächenregelung des Art. 6 BayBO für die nördliche Abstandsfläche der Dachaufbauten. Zugleich wurde die Befreiung von § 3 der Baumschutzverordnung für das notwendig werdende Fällen einer Birke erteilt.

Nachbarrechtliches Rücksichtnahmegebot -erdrückende Wirkung Gebäudehöhe
Symbolfoto: Von Grand Warszawski/Shutterstock.com

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Gebäude der …sei in einer städtebaulich schwierigen Situation neben einem deutlich höheren Gebäude errichtet worden, dessen Giebelwand das Garagenhaus weithin sichtbar überrage. Aus heutiger Sicht stelle das Garagengebäude, das den Eingang zur Fußgängerzone und damit zum ökonomischen Zentrum der Innenstadt markiere und aus der zentralen Zufahrtstraße zur Innenstadt aus Richtung Westen (…) weithin sichtbar sei, in seiner jetzigen Form im Hinblick auf Funktion und städtebauliches Gefüge ein Problem, wenn nicht gar einen Missstand dar. Die Aufwertung des Gebäudes, insbesondere die geplante Wohnnutzung zur Belebung der Innenstadt, sei ein hochrangiges Sanierungsziel der Beklagten und würde die im Umfeld schon vollzogenen Sanierungsmaßnahmen abrunden. Das Landesamt für Denkmalpflege habe bereits weitgehende Zugeständnisse gemacht und die Schaffung eines Lichthofes und die Aufstockung des Garagengebäudes mit einem zurückspringenden Geschoss für hinnehmbar gehalten.

Eine wünschenswerte öffentliche Nutzung sei trotz jahrelanger Bemühungen nicht realisierbar gewesen, eine neue Nutzung des Gebäudes ohne nennenswerte Eingriffe in die Bausubstanz sei nicht möglich. Die Fassaden und die restliche Bausubstanz des Baukörpers blieben bei dem streitgegenständlichen Vorhaben erhalten. Nach Abwägung dieser Situation sei die Beklagte zum Ergebnis gelangt, die vom Bauherrn gewünschte und städtebaulich zulässige Aufstockung des Gebäudes mit zwei Geschossen sei genehmigungsfähig.

Die Abweichung für die geringfügige Überschreitung der nördlichen Abstandsfläche der Dachaufbauten sei ohne die nachbarliche Zustimmung des auf dieser Straßenseite gegenüberliegenden Nachbarn erteilt worden; eine Beeinträchtigung dieses als Parkhaus genutzten Grundstückes sei nicht zu besorgen.

Die Realisierung des Vorhabens verletze bei objektiver Beurteilung weder das Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme noch beeinträchtige es das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht der Nachbarn.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 19. Januar 2012 ließ der Kläger, der Eigentümer des westlich des Baugrundstücks gelegenen Grundstücks Fl.Nr.…, Klage erheben.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, das beabsichtigte Bauvorhaben beeinträchtige massiv die klägerischen Nachbarrechte. Der Kläger sei Eigentümer eines sich auf Fl.Nr. … befindlichen freistehenden Mehrfamilienhauses in der …. Durch die beabsichtigte Erhöhung des streitgegenständlichen Bauvorhabens um zwei Stockwerke werde das klägerische Anwesen beeinträchtigt. Das klägerische Haus werde durch die enorme Erhöhung des Nachbargebäudes optisch verkleinert, es erfolge eine massive Beeinträchtigung des Lichteinfalls und die freie Aussicht aus dem klägerischen Anwesen, insbesondere aus der im Dachgeschoss sich befindlichen Loggia-Wohnung, werde völlig blockiert. Die geplante Erhöhung um zwei Stockwerke führe dazu, dass das Bauwerk die benachbarten Gebäude überrage. Das klägerische Anwesen würde bei Realisierung des streitgegenständlichen Bauvorhabens deutlich an Wert verlieren. Insbesondere der Wert der im Dachgeschoss befindlichen Loggia-Wohnung würde durch die erhebliche Beeinträchtigung der freien Sicht und der starken Verhinderung des Lichteinfalles an Wert verlieren.

Weiter sei davon auszugehen, dass die nachbarschützenden Abstandsflächen nicht gewahrt seien.

Im gleichzeitig anhängig gemachten Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO wird im Wesentlichen auf das Klagevorbringen Bezug genommen.

Es wird beantragt

1. Der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten wird aufgehoben.

2. Der Bauantrag der Beigeladenen bezüglich des Bauvorhabens auf dem Grundstück …, Gemarkung …, Fl.Nr.…, wird zurückgewiesen.

Die Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt worden. Das Baugrundstück und das Anwesen des Klägers befänden sich im räumlichen Geltungsbereich des rechtsverbindlichen Bebauungsplanes Nr. …, eines einfachen Bebauungsplanes, so dass sich die städtebauliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB richte.

Das Vorhaben füge sich hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebung ein.

Das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt.

Durch die Dachkonstruktion der Aufstockung werde dem berechtigten Interesse des Klägers an einer ausreichenden Belichtung und Besonnung seines Anwesens ausreichend Rechnung getragen, so dass bei der vorzunehmenden Güterabwägung dem Interesse des Bauherrn an der Realisierung des Vorhabens Vorrang vor dem Abwehranspruch des Nachbarn einzuräumen gewesen sei.

Im vereinfachten Genehmigungsverfahren seien die Abstandsflächen nicht zu prüfen. Unabhängig davon sei auszuführen, dass durch die Aufstockung keine zusätzlichen Abstandsflächen anfielen bzw. auf dem Anwesen des Bauherrn nachgewiesen werden könnten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten, wegen des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung auf deren Niederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Streitgegenstand vorliegender Klage ist der Bescheid der Beklagten vom … 2011, mit welchem der Beigeladenen die Baugenehmigung zur Umnutzung des ehemaligen Parkhauses … zu einer Wohnanlage mit 20 Wohneinheiten, einer Gewerbeeinheit und einer Garage mit 13 Stellplätzen auf den Grundstücken Fl.Nr. …Gemarkung … erteilt wurde.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer gewährten Baugenehmigung, die gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 1. HS BayBO nur zu erteilen ist, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch die Genehmigung zugleich in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutze der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 6.10.1989, 4 C.14.87).

Ein Verstoß gegen solche nachbarschützende Vorschriften, auf die sich der Kläger mit Erfolg berufen könnte, ist nicht gegeben.

Der Kläger wird durch das streitgegenständliche Vorhaben weder im planungsrechtlich hier allein als Nachbarschutz vermittelnd in Betracht kommenden Rücksichtnahmegebot verletzt (siehe unten 1.) noch kann er erfolgreich eine Verletzung einer Drittschutz gewährenden bauordnungsrechtlichen Vorschrift, hier: Art. 6 BayBO (siehe dazu unten 2.) geltend machen.

1. Planungsrechtlich beurteilt sich das Bauvorhaben der Beigeladenen bezüglich der Art der Nutzung entweder nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO (bei Annahme eines faktischen Mischgebietes) oder nach § 34 Abs. 1 BauGB (unter Zugrundelegung einer Gemengelage), falls vorliegend – wofür Überwiegendes spricht – im zu berücksichtigenden Bereich der näheren Umgebung des Baugrundstücks das für die Annahme eines Mischgebietes zu fordernde „etwa quantitativ gleichwertige Mischverhältnis von Gewerbe zu Wohnnutzung“ nicht gegeben ist (vgl. z.B. BayVGH vom 3.2.2006, Baurecht 2006, 1855; BVerwG vom 11.4.1996, NVwZ-RR 1997, 463).

Bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundstücksfläche und der Bauweise ist § 34 Abs. 1 BauGB zugrunde zu legen.

a) Die im einfachen Bebauungsplan Nr. … für den Bereich des Baugrundstücks und des Klägergrundstücks sowie einer Anzahl weiterer Grundstücke getroffene Festsetzung „Kerngebiet“ ist im Hinblick darauf, dass in nahezu jedem Gebäude im relevanten Planbereich (so die Feststellung der Kammer für die nähere Umgebung des Baugrundstücks und die unbestrittene Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zum gesamten relevanten Planbereich) neben gewerblicher Nutzung im Erdgeschoss die darüberliegenden Stockwerke in einem erheblichen Ausmaße Wohnnutzung aufweisen, nicht mehr vom Vorliegen eines Kerngebietes auszugehen.

Allgemeine Zweckbestimmung eines Kerngebietes ist nach § 7 Abs. 1 BauNVO, vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur zu dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.5.2009, 4 CN 2.08). Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO sind im Kerngebiet „sonstige Wohnungen“ nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans zulässig, wobei insoweit nur solche Festsetzungen erlaubt sind, bei denen die allgemeine Zweckbestimmung des § 7 Abs. 1 BauNVO gewahrt bleibt, andernfalls die in § 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO normierte Pflicht des Plangebers verletzt wäre, wonach im Bebauungsplan nur ein in § 1 Abs. 2 BauNVO bezeichnetes und nach Maßgabe der §§ 2 ff. BauNVO näher ausgestaltetes Baugebiet festgesetzt werden darf (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 22.12.1989, 4 NB 32.89).

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Abgesehen davon, dass vorliegend im einfachen Bebauungsplan Nr. … eine derartige Festsetzung nicht getroffen ist, wäre angesichts der Anzahl der vorhandenen Wohnungen gegenüber der Nichtwohnnutzung die allgemeine Zweckbestimmung eines Kerngebietes, nämlich mit zentraler Funktion mit vielfältigen Nutzungen und einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für die Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereiches zur Verfügung zu stehen, nicht mehr gewahrt.

Nachdem somit im maßgeblichen Bereich gegen die in § 7 BauNVO enthaltene Regelung einer nur ausnahmsweisen Wohnnutzung verstoßen wird und infolge der vollkommenen Bebauung des als Kerngebiet festgesetzten Planbereichs mit einer der einem Kerngebiet gemäß § 7 BauNVO entsprechenden Nutzung auf absehbare Zeit erkennbar nicht mehr gerechnet werden kann, ist vom Funktionsloswerden dieser Festsetzung „Kerngebiet“ auszugehen.

Eine Planungskonzeption, die einer Bebauungsplanfestsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich erfüllen kann, ist von der Funktionslosigkeit der betreffenden Festsetzung auszugehen.

Dies setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 9.10.2003, 4 B 85.03).

Die für die Annahme eines Kerngebiets erforderliche Ausrichtung der Nutzungen auf die Unterbringung von Handelsbetrieben, zentralen Einrichtungen der Wirtschaft der Verwaltung und der Kultur, ist vorliegend nicht mehr gegeben im Hinblick darauf, dass in einem Kerngebiet Wohnungen nur nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 Nrn. 6 und 7 BauNVO zulässig sind, sonstige Wohnungen im Übrigen nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nur ausnahmsweise zugelassen werden können. Bereits die Anzahl der vorhandenen Wohnungen in der näheren Umgebung des Baugrundstücks spricht dafür, dass es sich nicht um Wohnungen im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO handelt, eine Festsetzung gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO ist nicht getroffen im einschlägigen Bebauungsplan. Gegen die ausnahmsweise Zulassung nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO spricht die große Zahl der Wohnungen.

Nach alldem ist somit von einem Funktionsloswerden der im einfachen Bebauungsplan Nr. 428 getroffenen Gebietsfestsetzung „Kerngebiet“ auszugehen.

b) Das streitgegenständliche Bauvorhaben erweist sich seiner Art nach sowohl gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO in einem faktischen Mischgebiet als auch in einer sowohl gewerblich als auch durch Wohnnutzung geprägten, mischgebietsähnliche Züge aufweisenden Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BauGB als zulässig.

c) Es fügt sich des Weiteren auch hinsichtlich der Bauweise, der überbaubaren Grundstücksfläche und des Maßes der baulichen Nutzung, vorliegend insbesondere bezüglich der Höhe, in die nähere Umgebung ein.

Relevante Umgebung im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB ist der Teil der Bebauung in der Nachbarschaft des Baugrundstücks, auf den sich das geplante Vorhaben in städtebaulicher Hinsicht auswirken kann und der seinerseits das Baugrundstück prägt (BVerwG, Urteil vom 26.5.1978, 4 C 9.77).

Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen Situation, in welcher das Bauvorhaben verwirklicht werden soll, zu bestimmen.

Für das streitgegenständliche Vorhaben wird die relevante „nähere Umgebung“ – so die aus der oben genannten Rechtsprechung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Grundstückssituation, wie sie sich der Kammer aus den Plänen und dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck darstellt – gebildet durch die innerhalb des Straßengevierts …, …, … und … liegenden Grundstücke.

aa) Innerhalb dieses Rahmens stehen die Häuser ganz überwiegend ohne seitlichen und vorderen Grenzabstand, vielfach auch ohne Abstand zur rückwärtigen Grenze hin, so dass vorliegend nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an die seitlichen Grenzen und damit an die zum Klägergrundstück hin gelegene westliche Grenze des Baugrundstücks Fl.Nr. … gebaut werden darf, denn die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit für einen grenzständigen Bau liegt selbst bei „regelloser“ Mischung vor, wenn die den Rahmen bildende Bebauung Gebäude mit und ohne seitlichen Grenzstand aufweist, ohne dass eine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO) einzustufen wäre (vgl. z.B. BayVGH, Urteil vom 23.3.2010, 1 BV 07.2363; Urteil vom 4.1.2011, 9 B 10.1828; Urteil vom 20.10.2010, 14 B 09.1616).

Somit ist davon auszugehen, dass sich das streitgegenständliche Vorhaben hinsichtlich der Bauweise (Anbau an die seitlichen Grundstücksgrenzen ohne Einhaltung einer Abstandsfläche) in die nähere Umgebung einfügt.

bb) Auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, insbesondere der Höhenentwicklung, vermag die Kammer keine zur Verneinung des Einfügens führenden Gesichtspunkte zu erkennen.

Das streitgegenständliche Bauvorhaben fügt sich insoweit ganz offenkundig in die durchweg von Häusern vergleichbarer Höhe geprägte Bebauung in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks ein; dies zeigt sich besonders deutlich an der das alte Garagengebäude deutlich überragenden Giebelwand des sich auf dem östlich des Baugrundstücks auf Fl.Nr. … befindlichen Gebäudes und der sich weiter östlich daran anschließenden Gebäude gleicher Höhe. Wenn ein vorhandenes Bauwerk hinsichtlich der Höhe „aus dem Rahmen fällt“, dann ist dies allenfalls das wesentlich niedrigere klägerische Gebäude, welches in der näheren Umgebung bezüglich seiner Höhe keine Entsprechung findet.

cc) Auch bezüglich der überbaubaren Grundstücksfläche hält sich das Beigeladenenvorhaben, so das Ergebnis des durchgeführten Augenscheins, innerhalb des Umgebungsrahmens. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Grenzständigkeit des Baugrundstücks bezüglich der vorderen (straßenseitigen) Grundstücksgrenze.

d) Das sich demnach gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauGB, § 34 Abs. 1 BauGB bzw. bei Annahme einer Gemengelage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfügende Vorhaben verletzt auch nicht das im Begriff des Einfügens (bzw. in § 15 BauNVO) enthaltene drittschützende Gebot der Rücksichtnahme.

Der durchgeführte Augenschein hat nach Auffassung der Kammer eindeutig gezeigt, dass unzumutbare Beeinträchtigungen durch das streitgegenständliche Vorhaben für den Kläger nicht zu befürchten sind.

Die sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme ergebenden wechselseitigen Anforderungen sind abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles.

Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommen soll, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. z.B. BVerwG vom 18.11.2004, 4 C 1.04). Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes zu Lasten des Klägers zu verneinen.

Im zu entscheidenden Fall ist das nachbarliche Austauschverhältnis geprägt durch die vorhandene dichte Bebauung im innerstädtischen Bereich. Die durch Verzicht auf die Einhaltung der nach bauordnungsrechtlichen Regeln an sich erforderlichen Abstandsflächen hat in der maßgeblichen Umgebung eine enge Wechselbeziehung geschaffen, die jeden Grundstückseigentümer zugleich begünstigt und auch belastet.

So hat gerade im dicht bebauten innerstädtischen Bereich ein Grundstückseigentümer kein Recht auf Beibehaltung einer ungehinderten Sicht von seinem Wohngebäude aus, ebenso wenig lässt sich dem Gebot der Rücksichtnahme das Recht entnehmen, vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben. Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind gerade im dicht bebauten innerstädtischen Bereich unvermeidbar (vgl. z.B. BayVGH, Urteil vom 22.9.2011, 2 B 11.762). Der Nachbar hat in der Regel keinen Schutz vor der Schaffung neuer Einsichtsmöglichkeiten in sein Grundstück. Vor allem hat er keinen Rechtsanspruch darauf, dass Räume, Fenster, Balkone oder Dachgauben des Bauvorhabens so angeordnet werden, dass sein Grundstück nicht oder nur eingeschränkt eingesehen werden kann. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, in Baugebieten Einblicke aus Fenstern in Nachbargrundstücke zu erhalten und dies ist von Eigentümern und Bewohnern eines Gebietes regelmäßig hinzunehmen. Gleiches gilt, wenn im innerstädtischen Bereich aus anderen Häusern in Fenster der Nachbargebäude hineingesehen werden kann. Unzumutbare Nachteile für den Nachbarn sind deshalb auch dann nicht anzunehmen, wenn die Nutzung des Nachbargrundstücks durch Sichtverbindungen zwischen dem entstandenen Vorhaben und dem Nachbargrundstück beeinträchtigt ist; mit Balkonen und Fenstern ist immer eine bestimmte Einsehbarkeit verbunden, welche als nicht vermeidbar grundsätzlich zumutbar ist (vgl. BVerwG vom 24.4.1989, NVwZ 1989, 1060). Auf einen Schutz vor Einsicht kann sich der Nachbar in der Regel nur dann berufen, wenn eine Festsetzung im Bebauungsplan diesem Schutz dienen soll (vgl. z.B. BayVGH, Beschluss vom 13.7.2005, 14 CS 05.1102).

Aus all dem ergibt sich, dass vorliegend hinsichtlich der klägerseits befürchteten Einblickmöglichkeit vom Bauvorhaben aus in sein Gebäude keine Rücksichtslosigkeit zu erkennen ist.

Auch hinsichtlich der Höhenentwicklung des streitgegenständlichen Vorhabens ist eine Rücksichtslosigkeit zu verneinen. Zwar kann auch in einem Gebiet, in dem – wie vorliegend – an die seitlichen Grundstücksgrenzen gebaut werden darf, die im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes vorzunehmende Interessenabwägung im konkreten Einzelfall dazu führen, dass ein sich im Rahmen des Vorhandenen haltendes Vorhabensmaß bezüglich der Gebäudehöhe aus Rücksicht auf eine auf dem Nachbargrundstück vorhandene niedrigere Bebauung ab einer bestimmten Höhe nur mit einem Grenzabstand ausgeführt werden darf (BayVGH, Beschluss vom 26.1.2000, 26 CS 99.2723).

Nach Auffassung der Kammer ist vorliegend unter Berücksichtigung der vorzunehmenden Interessenabwägung der wechselseitigen schützenswerten Belange eine solche Einschränkung nicht geboten, dies schon deshalb nicht, weil die zum Klägergrundstück hin vorgenommene Veränderung des vorhandenen Bestandes im Hinblick auf das zurückversetzte Dach mit einer Neigung von 45 Grad abstandsflächenrechtlich gegenüber der bestandsgeschützten Situation des umzubauenden Garagengebäudes zu keiner zusätzlichen Beeinträchtigung von durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belangen führt.

Die vorhandene Situation ist bei der Interessenabwägung im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen; denn die Verwirklichung des Umbaus auf dem Nachbargrundstück bewirkt keine so stark ins Gewicht fallende Verschlechterung der Verhältnisse, um eine Unzumutbarkeit durch das Vorhaben für den Kläger anzunehmen (vgl. z.B. BayVGH, Urteil vom 20.10.2010, 14 B 09.1616).

Des Weiteren ist festzustellen, dass nach dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck die zum Kläger hin geplante Gebäudeerhöhung durch Aufbringen eines Dachaufbaus, zurückversetzt und in einem 45 Grad Winkel, für das klägerische Grundstück keinen unzumutbaren Einmauerungseffekt mit erdrückender Wirkung hervorrufen wird. Angesichts des Lichteinfalls, von welchem sich die Kammer beim Augenschein auf der Loggia des klägerischen Gebäudes stehend überzeugen konnte, kann eine im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes berücksichtigungsfähige unzumutbare Beeinträchtigung der Besonnung und Belichtung des Klägergrundstücks durch die geplante bauliche Veränderung des bestandsgeschützten Gebäudes auf dem Baugrundstück ausgeschlossen werden.

Des Weiteren ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass für das Beigeladenenvorhaben städtebauliche Gründe sprechen, so, dass es gerade durch die Anpassung der Gebäudehöhe an die in der näheren Umgebung vorherrschende Höhe, insbesondere auch an den dadurch möglichen Anbau an die das bisherige Garagengebäude weit überragende Giebelwand des sich auf Fl.Nr. … befindlichen Gebäudes, insoweit zur Beseitigung einer städtebaulich unerwünschten Situation, ja letztlich bezüglich jener Giebelwand auf Fl.Nr. …zur Beseitigung eines städtebaulichen Missstandes beiträgt.

Auch der mit der Verwirklichung des streitgegenständlichen Bauvorhabens geplante Innenhof in einem ansonsten dicht bebauten Bereich führt – so der durch den Augenschein gewonnene Eindruck der Kammer – zu einer nicht zu unterschätzenden städtebaulichen Verbesserung, gegenüber der die klägerseits befürchteten nachteiligen Auswirkungen, die nicht zuletzt in der insoweit aus dem Rahmen fallenden niedrigen Gebäudehöhe des klägerischen Hauses ihren Ursprung finden, zurückzutreten haben.

Dies gilt umso mehr, als das streitgegenständliche Bauvorhaben durch seine konkrete Ausgestaltung unter anderem durch die zurückversetzten Dachgeschosse mit einem 45-Grad-Winkel-Dach eben, wie bereits erwähnt, keine spürbare Verschlechterung der abstandsflächenrechtlich geschützten Belange der Belichtung, Belüftung, Besonnung sowie des Wohnfriedens erkennen lässt.

Trotz des nicht völlig unerheblichen Unterschieds der Gebäudehöhe des Bauvorhabens und des sich auf dem Klägergrundstück befindlichen Hauses ist vorliegend weder eine im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes zu berücksichtigende Unzumutbarkeit des Bauvorhabens für den Kläger im Sinne einer erdrückenden Wirkung oder eines Einmauerungseffektes/Gefängnishofeffektes anzunehmen.

Eine solch erdrückende Wirkung hat das Bundesverwaltungsgericht z. B. in einem Fall bejaht, in dem neben einem zweieinhalbgeschossigen Gebäude in ca. 15 Meter Entfernung ein zwölfgeschossiges Wohnhaus genehmigt worden war (BVerwG, Urteil vom 13.3.1981, 4 C 1.78). Mit Urteil vom 23. Mai 1986, 4 C 34.85, hat das Bundesverwaltungsgericht eine erdrückende Wirkung gegenüber einem Wohngrundstück angenommen, bei welchem in einem Grenzabstand von 3 Metern drei auf Stahlstützen stehende Rundbehälter für Düngekalk in einer Höhe von 11,50 Metern über eine Länge von 13,31 Metern errichtet worden sind.

Wie sich die Kammer beim durchgeführten Augenschein überzeugt hat, wird sich eine derart erdrückende oder einmauernde Wirkung für das Klägergrundstück durch das streitgegenständliche Bauvorhaben nicht ergeben.

Auch wenn der Kläger spürbare Beeinträchtigungen für sich erkennen mag, ist hervorzuheben, dass sich die Grundstückssituation für den Kläger nicht nachteilig in einer im Rahmen des Gebotes der Rücksichtnahme zu berücksichtigenden Weise ändert.

Zusammenfassend ist bei einer abschließenden Würdigung der Interessen des Beigeladenen und des Klägers darauf zu verweisen, dass nicht jede Beeinträchtigung nachbarlicher Belange genügt, um einen relevanten Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot anzunehmen, es vielmehr notwendig ist, dass die Grenze der Unzumutbarkeit erreicht wird, was vorliegend zur Überzeugung der Kammer unter Zugrundelegung des beim Augenschein gewonnenen Eindrucks eindeutig zu verneinen ist.

2. Auch nachbarschützende Normen des Bauordnungsrechts sind vorliegend nicht verletzt.

a) Dahinstehen kann, ob unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zum Klägergrundstück hin bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben keine abstandsflächenrelevanten Merkmale verändert werden, eine abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung nicht vorzunehmen wäre oder ob eine solche im Hinblick auf die nunmehrige (neue) Wohnnutzung eine Neubewertung der Abstandsflächen bedingen würde, denn im Hinblick auf die nach Bauplanungsrecht zulässige Grenzbebauung sind gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keine Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück hin einzuhalten (vgl. oben 1.c)aa)).

b) Des Weiteren könnte sich der Kläger im Hinblick auf den durch Art. 59 BayBO vorgegebenen beschränkten Prüfungsumfang nicht auf die Nichteinhaltung erforderlicher Abstandsflächen berufen.

An dieser Situation ändert sich auch nichts dadurch, dass bezüglich der nördlichen, nicht dem Klägergrundstück zugewandten Grenze des Baugrundstücks eine Abweichung erteilt worden ist, denn wenn überhaupt, so könnte der Kläger nur dann für sich eine Erweiterung des Prüfungsrahmens des § 59 BayBO annehmen, wenn eine Abweichung zu seiner Grundstücksgrenze hin erteilt worden wäre (vgl. BayVGH, Beschluss vom 28.9.2010, 2 CS 10.1760).

Nach alldem steht fest, dass der Kläger durch die streitgegenständliche Baugenehmigung in keinen ihn schützenden Rechten verletzt wird.

Die Klage war demnach abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

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