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Nachbarschaftsstreit – Durchführung einer außergerichtlichen Streitschlichtung notwendig?

LG Bückeburg – Az.: 1 S 40/12 – Urteil vom 07.11.2012

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rinteln vom 27.7.2012 (Az. 2 C 165/12) aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Beseitigung von Bäumen auf dem Grundstück.

Nachbarschaftsstreit - Durchführung einer außergerichtlichen Streitschlichtung notwendig?
Symbolfoto: Von Iakov Filimonov /Shutterstock.com

Die Beklagten waren in ungeteilter Erbengemeinschaft ideelle Miteigentümer und Grundstücksnachbarn des an das klägerische Grundstück grenzenden Grundstücks. An der zum klägerischen Grundstück angrenzenden Grenze waren ca. 40 bis 50 Fichten/Tannen angepflanzt, die eine Wuchshöhe von 14 bis 16 Metern erreicht hatten. Sämtliche Bäume waren erheblich aufgeastet, so dass lediglich im oberen Baumbereich noch grüne Zweige vorhanden waren. Bereits bei mäßigen Winden bestand für die Bäume die Gefahr abzubrechen, so dass die Klägerin Bedenken hatte, diese könnten auf ihr Grundstück fallen. In der zweiten Kalenderwoche des Jahres 2012 knickten auch zwei Bäume etwa 2 Meter über dem Boden ab und stürzten auf ein ebenfalls angrenzendes Grundstück, wobei die dortige Zaunanlage und Anpflanzungen zerstört wurden. Die Klägerin forderte die Beklagten mehrfach auf, die Bäume zu fällen oder einzukürzen, worauf diese aber nicht reagierten.

Darauf hat die Klägerin beim Amtsgericht Klage erhoben und beantragt, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner die an ihrer südöstlichen Grundstücksgrenze ihres Grundstücks, Gemarkung „Gebäude- und Freifläche,“ angepflanzten Nadelbäume so einzukürzen und zurückzuschneiden, dass eine Gefahr für das benachbarte Grundstück der Klägerin, Gemarkung Hof- und Gebäudefläche, durch Umstürzen oder Abbrechen der vorbezeichneten Nadelbäume nicht mehr besteht.

Die Beklagten haben erstinstanzlich die fehlende Zulässigkeit der Klage und hilfsweise den zu unbestimmten Antrag gerügt.

Das Amtsgericht hat die Beklagten mit Urteil vom 27.7.2012 antragsgemäß verurteilt. Hiergegen haben die Beklagten form- und fristgerecht Berufung eingelegt und rügen weiterhin die fehlende Zulässigkeit der Klage.

Die Beklagten beantragen, das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Rinteln abzuändern und die Klage abzuweisen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin mitgeteilt, dass die Beklagten ihr Grundstück mittlerweile verkauft hätten. Sie wisse aber nicht, wer der neue Eigentümer sei, bzw. ob eine Eigentumsübertragung bereits stattgefunden habe. Dieser habe bereits begonnen, die sich im Garten befindlichen Bäume zu fällen. Sie beantragt daher, das Verfahren bis zur Klärung der neuen Eigentumsverhältnisse auszusetzen.

Hilfsweise beantragt sie, die Berufung abzuweisen.

Auf die Berufung der Beklagten war das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, da diese unzulässig ist.

Die Klägerin macht gegen die Beklagten einen Beseitigungsanspruch hinsichtlich der an der gemeinsamen Grundstücksgrenze stehenden Bäume geltend, den sie auf § 1004 BGB stützt, da die Gefahr des Umkippens der Bäume und damit der Schädigung ihres Grundstücks bestehe.

Als Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage wäre es mithin erforderlich gewesen, dass die Klägerin im Sinne von § 1 des Niedersächsischen Schlichtungsgesetzes (NSchlG) vor Klageerhebung einen Güteversuch vor einem Schiedsamt nach dem Niedersächsischen Schiedsämtergesetz als Gütestelle vornimmt, die Streitigkeit zwischen ihr und den Beklagten einvernehmlich außergerichtlich beizulegen (obligatorische Streitschlichtung).

Nach § 15 a Abs. 1 Ziff. 2 EGZPO ist nämlich in Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Nachbarrecht nach §§ 910, 911, 923 BGB und nach § 906 BGB sowie nach den landesgesetzlichen Vorschriften im Sinne des Artikel 124 EGBGB, sofern es sich nicht um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt, die Zulässigkeit einer Klage davon abhängig, dass vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle versucht worden ist, die Streitigkeit einvernehmlich beizulegen. Von dieser Ermächtigungsnorm umfasst werden vor allem Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung, aber auch deliktische Ansprüche, die mit nachbarrechtlichen Streitigkeiten eng verbunden sind (so auch OLG Köln, 2 U 113/05 vom 18.1.2006, Tz. 5 – zitiert nach Juris; Münchner Kommentar zur ZPO-Gruber, 3. Auflage, § 15 a EGZPO, Rz. 23; Zöller-Heßler, ZPO, 29. Auflage, § 15 a EGZPO, Rz. 5; a.A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Auflage, § 15 a EGZPO, Rz. 5).

Eine solche weitgehende Auslegung des § 15 a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO ist auch verfassungskonform. Der Bundesgesetzgeber hat nämlich keine ersichtliche Beschränkung der Öffnungsklausel des § 15 a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO auf Streitigkeiten über Primäransprüche wegen Überwuchses gemäß § 910 BGB beabsichtigt (vgl. BT-Drs. 14/980 S. 6). Die Erwägungen des Gesetzgebers zum Sinn und Zweck der Regelung sprechen vielmehr deutlich gegen eine Beschränkung. Daher ist es nicht willkürlich, § 15 a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO so weitgehend auszulegen. Gleiches gilt für die entsprechenden landesgerichtlichen Gesetze (so BVerfG 1 BvR 3598/08 vom 25.2.2009 – Tz. 14 – zitiert nach Juris). Eine Grenze findet sich vor allem dann, wenn ausschließlich Zahlungsansprüche aus einem nachbarrechtlichen Verhältnis geltend gemacht werden, da diesbezüglich § 15 a Abs. 1 Nr 1 EGZPO eine eigenständige Ermächtigungsgrundlage vorsieht (so BGH V ZR 69/08 vom 10.7.2009, Tz. 10).

Niedersachsen hat von der Ermächtigungsnorm § 15 a Abs. 1 Ziff. 2 EGZPO durch das Niedersächsische Schlichtungsgesetz vom 17. Dezember 2009 (NSchlG) Gebrauch gemacht und in § 1 Nrn. 1 und 2 dieses Gesetzes bestimmt, dass zunächst vor einem Schiedsamt nach dem Niedersächsischen Schiedsämtergesetz als Gütestelle versucht werden muss, die Streitigkeit zwischen den Parteien einvernehmlich außergerichtlich beizulegen (obligatorische Streitschlichtung), wenn in Streitigkeiten über Ansprüche nach den §§ 910, 911 und 923 BGB oder wegen der in § 906 BGB genannten Einwirkungen und der im Niedersächsischen Nachbarrechtsgesetz geregelten Nachbarrechte gestritten wird, soweit es sich nicht um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt.

Von dieser Bestimmung ist auch der vorliegende Sachverhalt umfasst. Die Gesetzesbegründung zum Niedersächsischen Schlichtungsgesetz stellt nämlich klar, dass die obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung auf dem Gebiet des Nachbarrechts in dem Umfang stattfinden soll, den das Bundesrecht (§ 15 a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 bis 4 EGZPO) zulässt (vgl. die Gesetzesbegründung S. 11 in LT-Drs. 16/1475). Mithin sollen die Anwendungsbereiche von § 15 a Abs. 1 Ziff. 2 EGZPO und § 1 Nrn. 1 und 2 NSchlG identisch sein.

Daraus ist abzuleiten, dass der Regelungszweck des § 1 Nrn. 1 und 2 NSchlG auch solche Ansprüche umfasst, die zwar nicht unmittelbar auf die dort aufgeführten Vorschriften gestützt oder daraus hergeleitet werden, sondern auch auf andere Anspruchsgrundlagen (z.B. §§ 1004, 823, 812 BGB, Geschäftsführung ohne Auftrag) Anwendung findet, wenn eine enge Verknüpfung mit einer nachbarrechtlichen Streitigkeit besteht. Soweit im nachbarrechtlichen Bereich die Anwendung einer obligatorischen Streitschlichtung davon abhängig wäre, auf welche Anspruchsgrundlage der jeweilige Anspruch gestützt würde und damit Ansprüche etwa aus § 1004 BGB von der Regelung ausgeschlossen blieben, würde dies den Regelungszweck des NSchlG aushöhlen (so bereits das Amtsgericht Langen, 3 C 913/10 vom 3.2.2011, Tz. 3 – zitiert nach Juris).

Dieser Auslegung steht mithin nicht entgegen, dass § 1004 BGB nicht ausdrücklich in § 1 NSchlG aufgenommen wurde. Der Gesetzgeber war nämlich gehindert dies zu tun, da § 1004 BGB auch über das Nachbarbarrecht hinausgehende Rechtsverhältnisse regelt, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 15 a Abs. 1 Nr. 1 EGZPO oder § 1 NSchlG fallen sollen.

Obwohl vorliegend die Klägerin also keinen direkten Anspruch aus dem Niedersächsischen Nachbarrechtsgesetz oder aus §§ 906, 910, 923 BGB zur Begründung ihrer Klage heranzieht, sondern einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB, ist der vorliegende Rechtsstreit geradezu prototypisch aus einem nachbarschaftlichen Konfliktverhältnis heraus entstanden. In einem solchen Fall eine obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung zu verlangen, erscheint zweckmäßig. Im Bereich des Nachbarrechts haben nämlich im Hinblick auf die außergerichtliche Streitschlichtung Untersuchungen verschiedener Bundesländer positive Ergebnisse erbracht; auch in Niedersachsen haben die Schiedsämter in diesen Bereichen den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit (S. 11 der Gesetzesbegründung, LT-Drs. 16/1475). Hinzu kommt, dass das gesetzgeberische Ziel des NSchlG die Förderung der konsensualen Streitbeilegung ist, da unter Anleitung einer oder eines Dritten selbst gefundene und selbst verantwortete Lösungen oft nachhaltiger sind sowie häufig auch kostengünstiger und rascher erzielt werden als im kontradiktorischen Gerichtsverfahren (S. 8 der Gesetzesbegründung, LT-Drs. 16/1475). Mithin ist es geboten, Rechtsverhältnissen der vorliegenden Art vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens obligatorisch die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung zu eröffnen, da die berechtigte Erwartung besteht, dass die streitenden Parteien auch ohne die Einschaltung staatlicher Gerichte zu einer für beide Seite akzeptierten und damit dauerhaften Lösung gelangen.

Das Verfahren war auch nicht entsprechend dem Hauptantrag der Klägerin auszusetzen, da kein Aussetzungsgrund im Sinne des § 148 ff. ZPO ersichtlich ist.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 30.10.2012 war im Sinne des § 296 a ZPO nicht mehr bei der Entscheidung der Kammer zu berücksichtigen.

Die mündliche Verhandlung war auch aufgrund des nicht nachgelassenen Schriftsatzes der Klägerin nicht im Sinne des § 156 Abs. 1 ZPO wiederzueröffnen. Bei ihrer Ermessenausübung hat die Kammer berücksichtigt, dass infolge der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2012 bereits sämtliche Gebühren entstanden sind; eine Reduzierung der Verfahrenskosten aufgrund der (einseitigen) Erledigungserklärung der Klägerin mithin nicht mehr in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre rechtliche Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf 4.000,00 EUR.

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