LG Dortmund – Az.: 7 O 131/16 – Urteil vom 18.04.2018
Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die klagende Kommanditgesellschaft (KG) nimmt die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) auf Beseitigung baulicher Anlagen in Anspruch.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Hausgrundstücks in der L-Straße 18 in G (Gemarkung G, Flur ##, Flurstück ####). Die Beklage ist Eigentümerin des westlich unmittelbar angrenzenden Hausgrundstücks mit der Hausnr. 18a. Die auf den Grundstücken errichteten Gebäude grenzen in geschlossener Bauweise unmittelbar aneinander.
Bei Renovierungsarbeiten im Jahr 2015 stellte die Klägerin fest, dass zum einen die zwischen den Gebäuden verlaufende Mauerwand, die sie gleichzeitig als erforderliche Brandschutzwand ausgestattet wissen wollte, durchbohrt und in die Öffnungen zwei Mittelpfetten als Teil der Dachkonstruktion des Nachbarhauses der Beklagten hineinverlegt waren. Zum anderen stellte sie fest, dass der Aufzugschacht des Gebäudes der Beklagten an der Wand auflehne, diese mithin statisch mit nutzt, und durch eine Entlüftungsvorrichtung in dieser Wand entlüftet.
Zwischen den Parteien ist jedenfalls unstreitig, dass die nunmehr verlegten Pfetten bei Renovierungsarbeiten am Haus der Beklagten im Jahr 2012 eingebracht wurden und auch der Aufzugschacht erst in den letzten Jahren installiert wurde.
Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren auf ihre Eigentumsrechte aus §§ 1004, 823 BGB. Die Mittelpfetten und die Lasten des Aufzugsschachts störten das Alleineigentum der Klägerin an der ausschließlich auf ihrem Grundstück verlaufenden Wand.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
1. die Mittelpfetten aus der wesentlichen Mauer des Gebäudes L-Straße 18 zu entfernen und die dort entstandenen Öffnungen sach- und fachgerecht zu verschließen;
2. den auf der westlichen Mauer des Gebäudes L-Straße 18 auflehnenden Aufzugschacht zu entfernen;
3. an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 745,40 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sich die Beklagte auf eine Duldungspflicht der Klägerin nach den Grundsätzen des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses und des Vorliegens einer bestandskräftigen Baugenehmigung; jedenfalls sei das Klagebegehren treuwidrig. Diesbezüglich behauptet sie, der nun vorliegende Zustand der Dachkonstruktion bestehe in dieser Form prinzipiell bereits seit mehr als 60 Jahren; 2012 sei lediglich eine Erneuerung erfolgt. Zudem sei die Klägerin auf das sog. „Schmarotzerhaus“ der Beklagten bei Erwerb ihrer Immobilie auch hingewiesen worden. Schließlich sei auch nicht gesichert, dass sich die streitgegenständliche Wand ausschließlich auf dem Grundstück der Klägerin befinde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zur Akte gereichten Urkunden sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
I.
Die Klage ist unzulässig, weil entgegen § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO i.V.m. §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e); 54 JustG NRW vor Klageerhebung kein ordnungsgemäßes Streitschlichtungsverfahren durchgeführt worden ist.
Die Voraussetzungen der Vorschriften liegen sowohl in sachlicher, zeitlicher als auch persönlicher Hinsicht vor.
1.
Die sachlichen Voraussetzungen des auf der Öffnungsklausel des § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO beruhenden § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW liegen vor.
a)
Dem steht nicht von vornherein entgegen, dass die Klägerin ihr Klagebegehren nicht unmittelbar auf im NachbG NRW selbst normierte Anspruchsgrundlagen stützt, sondern sich vielmehr auf aus §§ 1004, 823 BGB abgeleitete Eigentumsrechte beruft.
§§ 15a Abs. 1 EGZPO; 53 Abs. 1 JustG NRW setzen nicht voraus, dass der Kläger sein Klagebegehren auf eine der dort genannten Vorschriften stützt.
Ein solches Erfordernis kann bereits dem Wortlaut der Vorschriften nicht entnommen werden. Sie verlangt lediglich, dass es sich um eine Streitigkeit über Ansprüche aus dem Nachbarrecht nach den dort genannten Vorschriften (vgl. § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGZPO) bzw. um Streitigkeiten über Ansprüche wegen der im NachbarG NRW geregelten Nachbarrechte (vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW) handelt. Dies ist indes nicht nur dann der Fall, wenn sich der Kläger unmittelbar auf dort normierte Anspruchsgrundlagen beruft; eine Streitigkeit über Ansprüche, die sich nach den Vorschriften des NachbG NRW richten bzw. wegen dieser besteht auch dann, wenn die Normen – etwa als Duldungsrechte des Gegners – für die Streitentscheidung relevant sind.
Für eine entsprechende Differenzierung ist vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Vorschriften auch kein sachlicher Grund ersichtlich. Ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf des § 15a EGZPO (BT-Drucks. 14/980, S. 6) hat sich der Gesetzgeber bei der Etablierung eines obligatorischen Schlichtungsverfahren bei nachbarrechtlichen Streitigkeiten von der Erwägung leiteten lassen, dass zu ihrer Beilegung und der Wiederherstellung bzw. Erhaltung der Sozialbeziehung zwischen den Parteien eine einverständliche zukunftsorientierte Regelungen eher geeignet ist, als eine gerichtliche Entscheidung. Er hat deshalb Streitigkeiten „wegen“ der in § 124 EGBGB landesrechtlichen Vorschriften vorbehaltenen Beschränkungen des Eigentums an Grundstücken dem Güteverfahren unterworfen. Bei diesem gesetzgeberischen Anliegen ist ein sachlicher Grund für eine Differenzierung danach, ob der Kläger unmittelbar im NachbG NRW geregelte Ansprüche geltend macht oder dort geregelte Rechte bei einer auf § 1004 BGB gestützten Klage im Rahmen einer etwaigen Duldungspflicht der Klägers zu berücksichtigen sein können, nicht erkennbar.
Angesichts vorstehender Erwägungen hat es die Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 22.10.2004, Az. V ZR 47/04, Rn. 19; OLG Köln, Urt. v. 18.01.2006, Az. 2 U 113/05, Rn. 3 f. – jew. zit. nach juris) für eine Rechtsstreitigkeit über Ansprüche wegen im NachbG NRW geregelter Rechte deshalb zu Recht ausreichen lassen, dass dieses Gesetz Regelungen enthält, die für den Interessenkonflikt im konkreten Fall von Bedeutung sind. Denn erst durch die Zusammenschau aller gesetzlichen Regelungen des Nachbarrechts, das als Bundesrecht im BGB und in den Rechtsvorschriften der landesrechtlichen Nachbargesetze enthalten ist, werden Inhalt und Schranken der Eigentümerstellung bestimmt. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen kann ein Eigentümer sich gegen eine von dem Nachbargrundstück ausgehende Beeinträchtigung zur Wehr setzen oder verpflichtet sein, diese zu dulden (BGH, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.).
In derartigen Fällen unterfällt deshalb auch eine auf § 1004 BGB gestützte Klage wegen Eigentumsbeeinträchtigung wegen der engen Verbundenheit mit nachbarrechtlichen Vorschriften dem § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW (OLG Köln, a.a.O; OLG Hamm, Urt. v. 26.03.2012, Az. 5 U 177/11 Rn. 29; vgl. auch LG Karlsruhe, Urt. v. 16.10.2002, Az. 1 S 103/02 Rn. 11 – jew. zit. nach juris; s. schließlich auch Heßler in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 15a EGZPO Rn. 5).
b)
Das NachbG NRW enthält auch Vorschriften, die im Sinne vorstehender Grundsätze für den zwischen ihnen bestehenden Streit, ob die Beklagte verpflichtet ist, die fragliche Wand von den Mittelpfetten und den Aufzugslasten zu befreien oder die Klägerin die vorliegende Situation zu dulden hat, von Bedeutung sind.
Das NachbG NRW enthält nämlich für jeden von den Parteien vorgetragenen Fall des Mauerverlaufs Regelungen, die eine Duldungspflicht der Klägerin begründen können.
aa)
Verliefe die Mauer, wie die Beklagte behauptet, zumindest auch auf der Grundstücksgrenze, handelte es sich um eine sog. Nachbarwand gem. § 7 NachbG NRW.
Stünde die Mauer dagegen allein auf dem Grundstück der Klägerin, wie diese vorträgt, wäre sie als Grenzwand i.S. des § 19 NachbG NRW zu qualifizieren. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Mauer, wie die Klägerin weiter vorträgt, nicht vollständig bündig an der Grundstücksgrenze verläuft, sondern von dieser geringfügig versetzt sein soll. Nach dem von der Klägerin als Anl. K1 vorgelegten Vermessungsprotokoll des Dipl.-Ing. C vom 25.09.2015 verläuft die Mauer lediglich 23 cm von der Grenze entfernt. Jedenfalls wenn der Abstand zur Grundstücksgrenze, wie hier, nicht durch Absetzungen zur Grundstücksgrenze wie z.B. durch eine Rasenfläche nach außen hervortritt, ist ein solch geringer Abstand zur Grenze nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, den erforderlichen Unmittelbarkeitszusammenhang aufzuheben.
bb)
Die in §§ 12 Abs. 1; 20 Abs. 1 NachbG geregelten Anbaurechte können eine Pflicht der Klägerin begründen, die Hineinverlegung der Mittelpfetten und die Lastenabgabe durch den Aufzugschacht zu dulden.
Die Vorschriften gewähren dem Nachbarn sowohl für Nachbar- als auch Grenzwände – wenn die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der Normen vorliegen – ein Anbaurecht. Anbau ist hierbei nach in S. 2 der Vorschriften jeweils enthaltenen Legaldefinition jede Mitbenutzung der Wand als Abschlusswand oder zur Unterstützung oder Aussteifung der neuen baulichen Anlage.
Die Anlehnung des Aufzugsschachts an die fragliche Wand stellt ohne Weiteres eine Mitbenutzung der Wand zur Unterstützung und Aussteifung der baulichen Anlage der Beklagten dar.
Ebenso handelt es sich bei der Hineinverlegung der Mittelpfetten um eine Mitbenutzung der Wand zur Unterstützung der Dachkonstruktion der Nachbarhauses der Beklagten. Dem steht, entgegen der Ansicht der Klägerin, nicht entgegen, dass hierdurch in die Substanz der Wand eingegriffen wurde. Eine Einschränkung auf vollständig substanzneutrale Unterstützungsnutzungsweisen, die auch nur einen kaum anzutreffenden Ausnahmefall betreffen dürften, ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen. Angesichts dessen, dass § 20 Abs. 1 NachbG NRW das Anbaurecht an eine Grenzwand von der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Eigentümers abhängig macht, besteht für eine einschränkende Auslegung zu dessen Schutz auch keine Notwendigkeit.
cc)
Nach alledem enthält das NachbG NRW damit Regelungen, die die in Rede stehende Mitbenutzung der Wand durch die Beklage rechtfertigen können. Nicht entscheidend ist insoweit, entgegen der von dem Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung, ob eine nach § 20 Abs. 1 NachbG NRW für den Anbau an eine Grenzwand tatbestandlich erforderliche schriftliche Einwilligung vorliegt. Insoweit ist ausreichend, dass der Regelungsbereich von im NachbG NRW geregelten Nachbarrechten betroffen ist, diese mithin für den vorliegenden Streit von Bedeutung sein können. Auf das Vorliegen ihrer vollständigen tatbestandlichen Voraussetzungen kommt es dagegen nicht an. Der mit der Einführung des § 15a EGZPO auch verfolgte gesetzgeberische Zweck der Entlastung der Gerichte (vgl. BT-Drucks. 14/980, S. 1) würde verfehlt, wenn für die Frage der Zulässigkeit der Klage bzw. der vorherigen Durchführung eines Schiedsverfahrens die materielle Rechtslage vollständig durchgeprüft werden müsste.
dd)
Schließlich rechtfertigt auch der von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr wegen der Beeinträchtigung einer Brandwand keine andere Beurteilung. Der Justizgewährleistungsanspruch wird durch die Notwendigkeit eines Schiedsverfahrens nicht verletzt. Lediglich abstrakten Gefahren kann ein Kläger durch Beantragung einer Erfolglosigkeitsbescheinigung begegnen, wenn das Schiedsverfahren – gleich aus welchem Grund – nicht binnen drei Monaten abgeschlossen wurde (§ 15a Abs. 1 S. 3 EGZPO). In Fällen dringender Gefahr kann er sich im Wege einstweiliger Verfügung hinreichend schützen, für die die auf Klageverfahren beschränkten §§ 15a EGZPO; 53 JustG keine Geltung haben.
ee)
Die Vorschriften des NachbG finden schließlich auch in zeitlicher Hinsicht Anwendung. Der Zeitpunkt der fraglichen Einwirkung (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 26.03.2012, Az. 5 U 177/11 – juris) liegt nach Inkrafttreten des NachbG NRW zum 01.07.1969. Sowohl die Erneuerung der Mittelpfetten als auch der Einbau des Aufzugsschachts erfolgten erst in den letzten Jahren.
2.
Der räumliche Anwendungsbereich des § 54 JustG NRW ist eröffnet. Die Parteien haben ihren Sitz innerhalb desselben Landgerichtsbezirks.
3.
Der Antrag zu 3) auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten teilt als in seiner Bewertung von den Anträge zu 1) und 2) abhängige Nebenforderung deren prozessrechtliches Schicksal.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.